Vorletzte Frage: Wie wird nach Meinung des Senats dessen Vorhaben von den 600 000 Berlinerinnen und Berlinern aufgenommen, die sich für eine Rekommunalisierung des Netzes ausgesprochen haben?
Letzter Punkt – über den ich am wenigsten hinwegkomme: Warum glaubt der Senat, dass die GASAG und Vattenfall in einem diskriminierungsfreien Verfahren eine Netzlizenz erhalten werden? Wie will der Senat das in einem diskriminierungsfreien Verfahren sicherstellen? – Ich würde mich freuen, wenn Sie die eine oder andere Frage beantworten könnten, Herr Geisel! – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Menschen zieht es in Städte. Städte bieten vielfältige Chancen und Möglichkeiten für die Versorgung ihrer Bewohner, hinsichtlich deren beruflicher Perspektiven, in der persönlichen Lebensgestaltung. Die pulsierende Atmosphäre und die kulturelle Vielfalt von Städten fasziniert. Das ist ein globaler Trend, der sich weiter fortsetzen wird. In zehn Jahren werden rund 80 Prozent der Menschen in der Europäischen Union in Städten leben.
Als Zentren mit hoher Bevölkerungsdichte und wirtschaftlicher Dynamik sind Städte aber zugleich auch Orte, an denen weltweit die meiste Energie verbraucht wird. Und es sind Orte, an denen besonders viel CO2 erzeugt wird. Auch Berlin ist Emittent von Treibhaus
gasen, wenn auch in etwas geringerem Maße als andere vergleichbare Metropolen. Aber klar ist: Klimaschutz ist eines der Schlüsselthemen im Hinblick auf die Zukunft unserer Städte. Deshalb sind gerade Städte heute aufgerufen zu handeln.
Berlin ist entschlossen, seiner Verantwortung in dieser wichtigen Frage gerecht zu werden. Aus diesem Grund haben wir uns als Stadt auf sehr ambitionierte Klimaziele verpflichtet. Berlin will bis 2050 klimaneutrale Stadt werden. Das bedeutet: Wir müssen und wir werden die für den Klimawandel wesentlich verantwortlichen CO2Emissionen Berlins um 85 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. 85 Prozent – das ist ein dickes Brett!
Bis heute konnten wir die CO2-Emission seit 1990 um 30 Prozent reduzieren. Das ist eine im nationalen und internationalen Vergleich beachtliche Leistung. Möglich wurde sie vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen der Wiedervereinigung und des Wiederzusammenwachsens unserer Stadt. Die Reduktion gelang trotz einer wachsenden Einwohnerzahl in Berlin.
Wir müssen aber zugleich erkennen, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichen. Wenn es darum geht, einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2 Grad zu verhindern, dann müssen auch wir noch mehr leisten. Wenn wir die Klimaschutzziele Berlins erreichen wollen, dann müssen auch wir unser Tempo erhöhen. Und wir dürfen uns nicht hinter den immensen Handlungserfordernissen, die es weltweit gibt, die in anderen Teilen der Welt noch zweifellos bestehen, verstecken. Denn wer soll es schaffen, wenn nicht Berlin, eine boomende Metropole in einem der reichsten Länder der Welt? Wer soll es schaffen, wenn nicht wir in einem der demokratischsten und freiheitlichsten Länder der Welt? Wer soll es schaffen, wenn nicht wir in einem der friedlichsten Länder der Welt?
Die anderen Städte und Länder, national und international, schauen auf uns, sie schauen nicht auf Kopenhagen oder Münster. Es gibt unzweifelhaft viele gute Beispiele in der Welt, auch in kleineren Städten in Deutschland, aber die Nagelprobe, ob und wie die Energiewende in einer modernen Industriegesellschaft gelingen kann, gilt es, in Berlin zu bestehen. Die Zielstellung und die Wegbeschreibungen dafür sind im Bericht der EnqueteKommission „Neue Energie“ enthalten.
Im wahrsten Sinne des Wortes ein großes Werk, das Sie, lieber Jörg Stroedter, und Ihre Mitstreitenden getan und vorgelegt haben! Es ist auch genau der richtige Zeitpunkt, es der Öffentlichkeit vorzustellen, denn im Dezember beginnt die Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Berlin – in Paris, Entschuldigung!
Noch! – Es geht dabei um nicht weniger als die belastbare Untersetzung der Klimaschutzziele, um den Beschluss eines konkreten und wirksamen Nachfolgeabkommens zum Kyoto-Protokoll.
In Berlin stellt eine zügige Verabschiedung des vom Senat beschlossenen und dem Abgeordnetenhaus zur Beratung übergebenen Energiewendegesetzes die Weichen für eine moderne, nachhaltige und strategisch ausgerichtete Energie- und Klimaschutzpolitik.
Im Gesetz finden sich viele Forderungen der EnqueteKommission wieder. Bei den Diskussionen der EnqueteKommission war bei aller Kontroverse im Detail ein weitgehender Grundkonsens zu erkennen. Dieser Grundkonsens zeigt – um nur ein Beispiel zu nennen –, dass eine zukünftige nachhaltige Versorgung einer wachsenden Stadt einen konsequenten Brennstoffwechsel erfordert und dass Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien vermehrt dezentral in Quartieren ausgebaut werden müssen.
Wenn wir das erreichen, wenn wir das steuern wollen, dann braucht Berlin auch entscheidenden Einfluss auf die Nutzung der Energienetze. Wir können von Energieversorgern, die über große Fernwärmekapazitäten verfügen, wirtschaftlich nicht erhoffen, dass sie dezentrale Versorgung in Quartieren ausbauen. Das werden sie nicht tun, weil sie daran kein wirtschaftliches Interesse haben. Wenn wir das für Berlin erreichen wollen, wenn wir in der wachsenden Stadt Berlin neue Wohnquartiere erschließen wollen, auch energetisch erschließen wollen, und das dezentral erfolgen soll, wie es die EnqueteKommission vorgeschlagen hat, dann geht das nur, wenn wir Einfluss auf die Energienetze und die unternehmerischen Entscheidungen ausüben,
und das nicht nur theoretisch, sondern konkret, in der heutigen Situation, im Umgang mit den derzeitigen Eigentumsverhältnissen und vor dem Hintergrund der derzeitigen Rechtsstreitigkeiten.
Der Senat hat am Dienstag dem Finanzsenator einen Verhandlungsauftrag erteilt. Der Senat hat nicht den Beschluss gefasst, wie das Ergebnis der Verhandlungen sein wird, sondern wir haben einen Verhandlungsauftrag erteilt mit einem Verhandlungsziel, das benannt worden ist.
51 Prozent bei den Gasnetzen sind verbunden mit einer unternehmerischen Führerschaft an dieser Stelle. Vorhin ist hier von mehreren Rednern der Opposition gesagt worden, beim Stromnetz ginge es nur um 50 Prozent. Nein, eben nicht! Sie haben den entscheidenden Teil vergessen – oder jedenfalls nicht genannt: zunächst
Und an dieser Stelle hätten wir auch beim Stromnetz zweifellos die Rekommunalisierung geschafft und die Unternehmensführerschaft erreicht.
Wem das bereits zu viel ist, dem sei gesagt: Alles soll besser werden, Klimaschutzziele sollen und müssen erreicht werden, aber nichts darf sich ändern – das geht nicht.
Und denjenigen, denen der Senatsbeschluss vom Dienstag nicht weit genug geht, muss ich sagen, dass wir eben auch nichts gewinnen, wenn wir für die nächsten Jahre durch weitere Streitigkeiten vor Gericht blockiert werden, ohne zu wissen, ob wir letztendlich juristisch obsiegen werden. Jeder neue Weg beginnt mit einem ersten realen Schritt, so auch hier. Die Diskussion in der Enquete-Kommission und zum Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm zeigt: Die Bandbreite der Meinungen ist unheimlich groß. Das Programm wird eine Reihe konkreter Vorschläge enthalten, die weitgehend geteilt werden; um Beispiele zu nennen: ein 10 000-Dächer-Programm für Solarenergie, ein 1 000-BlockheizkraftwerkeProgramm, ein großes Wärmespeicherprojekt. All das sind unumstrittene Dinge, denke ich. Es wird auch umstrittene Vorschläge enthalten, die dann öffentlich diskutiert werden. Nicht jeder Vorschlag in dem BEK wird auch tatsächlich letztendlich eine Mehrheit finden und in ein Arbeitsprogramm des Landes Berlin eingehen. Aber wir haben große Aufgaben vor uns, die wir nur gemeinsam als Gesellschaft bewältigen können. Deshalb ist es gut, wenn wir uns über den besten Weg der Umsetzung streiten, aber wir dürfen das Ziel dabei nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen die Schritte und Strategien für die nächsten Jahre jetzt festlegen und jetzt beschlie
ßen und dann auch losgehen – weiter auf dem Weg zum klimaneutralen Berlin. Deshalb bitte ich Sie herzlich, bei allen unterschiedlichen Auffassungen – den einen geht das Energiewendegesetz nicht weit genug, den anderen geht es zu weit –: Bitte unterstützen Sie das Energiewendegesetz! Bitte beschließen Sie das Energiewendegesetz! Es ist der erste konkrete Schritt, dass wir uns gemeinsam auf ein gesetzliches Ziel festlegen. Darauf sollten wir uns verständigen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Senator Geisel! – Wir kommen jetzt in eine zweite Rederunde. Angemeldet sind bereits zwei Redner. Zunächst hat das Wort der Herr Abgeordnete Schäfer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Senator Geisel! Sie haben gerade richtig gesagt, da sei ja noch kein Vertrag beschlossen worden, sondern nur ein Verhandlungsauftrag. Nun hat aber der Regierende Bürgermeister in diesem Haus vor ein paar Wochen gesagt: Wir gehen in diese Verhandlungen und verhandeln auf 100 Prozent. Und jetzt beschließt der Senat: Wir verhandeln noch nicht mal auf 51 Prozent. Wir verhandeln auf 50 Prozent. Das ist das Verhandlungsziel, mit dem wir in die Gespräche mit Vattenfall gehen. Natürlich! Das haben Sie beschlossen. Deshalb kann ich den Ärger des Kollegen Buchholz sehr gut verstehen. Ich kann auch den Kollegen Stroedter sehr gut verstehen. Ich kann auch Ihre Rage in Ihrer Rede, Herr Regierender Bürgermeister, in der letzten Debatte gut verstehen. Aber ich sage auch mal eins: Sie sind hier in der Regierung, um Probleme zu lösen, und nicht, um öffentlich an Ihrem Koalitionspartner zu leiden. Sie sind nicht in der Regierung, um öffentlich an Ihrer eigenen Koalitionsentscheidung zu leiden.
Diese konsequenzlose Kritik an Ihrem Koalitionspartner, die sich heute den ganzen Tag schon durchzieht, löst ja kein einziges Problem in Berlin – außer vielleicht Ihr emotionales Problem. Aber das ist nicht das, was wir von Ihnen erwarten. Wir erwarten von Ihnen Kompromisse, die Berlin in der Sache weiterbringen.
Und da muss ich doch mal sagen, da hat der Dr. Garmer in einem Punkt recht, als er gesagt hat: Der Senat ist einstimmig dem Sondervotum der CDU-Fraktion in diesem Enquetebericht gefolgt. – Da hat der Herr Dr. Garmer komplett recht. Wo ist denn da der Kompromiss? Was haben Sie denn gewonnen? Das ist mir schleierhaft.
Ich habe in meiner ersten Rede betont, dass wir Investitionen in Berlin brauchen, dass wir Investitionen in die Energiewende brauchen, dass wir Jobs brauchen, dass wir lokale Wertschöpfung brauchen und dass die Klimapolitik dafür eine Möglichkeit ist, weil wir 4 Milliarden Euro im Jahr 2012 für den Import fossiler Rohstoffe ausgegeben haben, ins regionale Handwerk umleiten. Sie haben aber am Dienstag im Senat beschlossen, dass das Stadtwerk, das solche Investitionen leisten könnte, auf Bonsaigröße bleiben soll. Sie haben beschlossen, dass da vielleicht sogar die Konzerne hineingehen können und eine Sperrminorität bekommen. So hat es zumindest der Kollege Buchholz hier interpretiert. Und Sie wollen eine halbe Milliarde ausgeben für die Hälfte am Stromnetz, ohne irgendeinen bestimmenden Einfluss auf dessen Investitionsentscheidung zu bekommen. Ich verstehe nicht, wie man mit nicht mal 51 Prozent als Verhandlungsziel in die Verhandlungen gehen kann.
Und dazu haben Sie beschlossen, sich an die Kohle- und Atomkonzerne zu ketten. Die werden jetzt immer mitreden – bei jeder Investitionsentscheidung, die das Land anschieben will. Und das ist nichts, was die Energiewende voranbringt.
Und da muss ich mal in Richtung CDU-Fraktion sagen, die immer denkt, wenn die Konzerne dabei sind, dann geht wirtschaftlich nichts schief: Gucken Sie sich mal an, wie das schiefgegangen ist bei Eon, ohne dass das Land dabei ist, wie das schiefgegangen ist bei Vattenfall, wie diese Konzerne Verluste machen.
Und ich möchte noch einen Aspekt hervorheben: Es gibt ein Gesetz auf Bundesebene: diskriminierungsfreie Vergabe. Da wird ein ganz komplexes Verfahren vorgegeben. Da wird vorgegeben, welche Kriterien das Land anlegen darf bei der Vergabe der Energienetzkonzession. Selbst wie die Unterkriterien bewertet werden müssen, wird von den Gerichten vorgegeben. Da liegen juristische Fallstricke noch und nöcher. Und dann stellt sich ein Senat hin, nach einer Senatskonferenz, und sagt: Beim Stromnetz wollen wir das Ergebnis 50/50 mit Vattenfall. – Glauben Sie, dass das diskriminierungsfreie Vergabe ist? – Ich wette, der Finanzsenator hatte, als er das bekanntgemacht hat, ein Hemd der Marke „Banana Republic“ an.