Thema ist heute die in der Strafprozessordnung vorgesehene Funkzellenabfrage. Hier besorgen sich Strafverfolgungsbehörden die Verbindungsdaten bei Handyanbietern wie Telekom, Vodafone, O2 und E-Plus, bei den sogenannten Providern, auf deren Rolle ich auch noch zu sprechen komme. Die Ermittlungsbehörden können also in einem bestimmten Zeitraum nach einer Tat herausfinden, welche Handys in einem bestimmten Gebiet aktiv waren. Der Unterschied zu anderen zielgerichteten Maßnahmen ist, dass bei der Funkzellenabfrage ähnlich wie bei der Rasterfahndung noch gar kein Verdacht vorhanden ist. Es soll immer erst durch diese massenweise Funkzellenabfrage ein Verdacht hervorgebracht werden. Ich kenne einen Fall, über den die „BZ“ berichtet hat, in dem das wohl sehr gut gelungen ist, und den kann man hier nennen. Das war der Fall, wo man den Mörder von Polizeioberkommissar Lieschied durch die Funkzellenabfrage herausgefunden hat. Das ist ein Fall, bei dem nach einem Mord die Funkzellenabfrage gemacht worden ist, wo ich für meine Fraktion sage: Da ist die Funkzellenabfrage sinnvoll. Sie ist erfolgreich gelaufen.
Aber die Art und Weise, wie die Funkzellenabfrage regelmäßig gelaufen ist, ist doch eine ganz andere, und über die debattieren wir heute. Wir haben es hier nämlich mit einer Funkzellenabfrage zu tun, die standardmäßig gemacht worden ist und die in der jüngsten Zeit einen traurigen Höhepunkt hatte. Das war nämlich die Abfragepraxis in Dresden. Zu Recht schrillen die Alarmglocken von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern, denn hier wurden Versammlungsteilnehmer über Tage hinweg überwacht. Anders als in Berlin wurden dort 40 000 Personen nicht nur anonym, sondern namentlich festgestellt. In diesem Fall hat die Funkzellenabfrage dazu gedient, die Zivilgesellschaft von ihrem guten Recht abzuhalten, gegen Nazis zu demonstrieren. Rechtlich vordergründig ging das allein aufgrund der Anlassstraftat Landfriedensbruch, aber es wurde auch für kleine Ordnungswidrigkeiten verwendet. Das, was in Dresden passiert ist, war ein Skandal. Das darf sich nicht wiederholen, und das darf auch in Berlin nicht passieren.
Ich bedanke mich für den Applaus aus der SPDFraktion und stelle fest, dass Sie alles dafür tun werden,
dass das in Berlin nicht stattfinden wird, aber auch in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie unfriedliche Versammlungen mit allen möglichen Maßnahmen bedenken wollen, und es kann auch sein, dass Sie hier die Funkzellenabfrage – –
Ich darf noch einmal für meine Fraktion sagen: Die Versammlungsteilnehmer sollen sich nicht davon beeindrucken lassen. Sie sollen diesen Februar wieder nach Dresden fahren und sich nicht durch die Ermittlungswut der Dresdner Staatsanwaltschaft einschüchtern lassen.
Kommen wir zu Berlin: Was ist das Besondere an der Berliner Lage? – Hier wurden in den letzten Jahren in 280 Fällen Funkzellenabfragen bei Kfz-Inbrandsetzung gemacht. Es wurden 4,2 Millionen Daten gerastert. Es gab keinen Tatverdächtigen, aber es gab sehr wohl 900 Personen, die in diesem Zusammenhang bekannt geworden sind. Kollege Lauer hat darauf schon abgestellt. 900 potenzielle Straftäter, aber sie waren es nicht. Hier wurde die Unschuldsvermutung umgangen, und zwar durch ein Raster. Hier wurde ein Tatverdacht generiert, und diese Leute haben Sie bis heute nicht benachrichtigt. Sie haben in das Recht dieser Menschen eingegriffen und gesagt: Ihr wart möglicherweise Autobrandstifter –, und Sie haben diese Personen bis heute nicht benachrichtigt. Auch Sie, Herr Kleineidam, haben hier kein Wort dazu verloren, ob man diese Leute nicht benachrichtigen muss. Meine Fraktion ist nicht für eine SMS-Nachricht. Sie wollen anscheinend alle, von denen die Handynummer erhoben wurde, benachrichtigen. Völliger Unsinn! Das ist ein weiterer Eingriff in die Grundrechte, wenn Sie die Handydaten weiterverarbeiten. Das ist grundrechtsintensiver. Das ist datenschutzrechtlich eine völlig klare Sache.
Benachrichtigen Sie nur die Leute, die Sie in persona festgestellt haben! Wohlgemerkt: In Berlin waren das 900, in Dresden waren es 40 000. Deswegen ist das hier ein Unterschied.
Aber neu und besonders an der Berliner Lage ist, dass Sie die Funkzellenabfrage als Standardmaßnahme genutzt haben. Sie haben quasi geschätzt bei jedem vierten oder fünften Autobrand eine Funkzellenabfrage gemacht. Ergebnis war: kein Tatverdächtiger. – Was heißt denn das? – Das heißt einerseits: Die Funkzellenabfrage war nicht wirksam. Sie ist ungeeignet. Im Nachhinein ist man schlauer, aber wir sollten das nach dem bisherigen Stand bitte auch so erörtern: Wenn die Polizei 280 Mal eine bestimmte Maßnahme macht und kein Tatverdächtiger
dabei herauskommt, kann man doch nicht sagen: Prüfen wir mal, klären wir mal auf –, sondern Zwischenfazit ist: Diese Maßnahme ist ungeeignet.
Die Berliner Polizei, unterstützt durch den Innensenator Henkel, ist völlig unkritisch im Umgang damit, ob das denn überhaupt effektiv war. Diese Frage müssen wir hier stellen und sie klären. Diese massenhafte Funkzellenabfrage als Standardmaßnahme war so nicht vorgesehen. Es ist ein Ermittlungsinstrument für alle Fälle geworden, obwohl sie nur für bestimmte Fälle vorgesehen war. Sie wurde gegen den Terrorismus eingeführt, und heute sieht man, wie verführerisch diese Maßnahme ist.
Auch die Ermittlungsbehörden sind bei aller Objektivität nicht völlig frei von politischem Druck. Auch dem muss man sich in der Rückschau stellen. Polizeischüler haben vorhin zu Recht gesagt: Erst macht die Politik einen Riesendruck, gegen brennende Autos vorzugehen, und jetzt macht die Politik Druck, nicht zu weit zu ermitteln. – Deswegen ist doch völlig klar, bei wem die Verantwortung liegt. Wer ist denn im Wahlkampf herumgezogen und hat der Bevölkerung weiter Angst vor brennenden Autos gemacht? Wessen Wahlkampfthema Nr. 1 war denn das? „Brennende Autos überall, und was macht die Polizei? Der Senat schaut weg, ist auf dem linken Auge blind!“ – Wer hat denn politisch Honig aus den Autobrandstiftungen gesaugt? Wer war das?
Wer hat bei dieser Wahl mit einer überzogenen Sicherheitspolitik versucht, Erfolge zusammeln? – Das war die CDU, und deswegen ist es die Verantwortung der Unionspartei, sich jetzt der Aufklärung zu stellen: Wie ernst meinen Sie es mit einem demokratischen Rechtsstaat? Wie ernst meinen Sie es mit der Unschuldsvermutung? Diese Fragen haben Sie hier zu beantworten!
Niemals, Herr Trapp, und Sie wissen auch genau, weshalb. Bei der DNA haben Sie eine konkrete Person dahinter. Sie sind an einem Tatort, haben dort eine DNA-Spur, und die nehmen Sie auf. Etwas anderes ist bei der Funkzellenabfrage gegeben, wenn Sie Tausende, teilweise Millionen von Daten generieren, die Sie abgleichen müssen. Hier ist die DNA nicht vergleichbar. Die DNA dient auch nicht, um mit anderen Rastern zum Tatverdacht zu kommen, sondern Sie finden die konkrete DNA am Tatort, und wir Grüne werden nie etwas dagegen haben, diesen DNA-Abgleich zielgerichtet einzusetzen.
Die Unschuldsvermutung hat tatsächlich zu gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der CDU, und zwar nicht nur, wenn ein Abgeordneter von Ihnen oder von der Unionsfraktion in Vermögensdelikte verstrickt ist, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Da halten Sie die Unschuldsvermutung hoch, aber in diesem Fall kann man es ja mal machen. – So geht es nicht!
Ich appelliere an den Senat: Unterstützen Sie die Bemühungen der sächsischen Landesregierung, auch der grünen Bundestagsfraktion, die Funkzellenabfrage in der StPO einzugrenzen, sie nur in den Fällen zuzulassen, bei denen sie wirksam ist! Setzen Sie sich dafür ein, dass der konkrete Tatverdacht, Herr Trapp, vorgeht! Die Wahrheit im Strafverfahren ist konkret, und die gerichtliche Kontrolle darf nicht, wie hier, im Schnellverfahren laufen. Auch hier sind höhere Anforderungen zu stellen.
Betreiben Sie aber auch Aufklärung! Ducken Sie sich nicht weg, Herr Henkel, betreiben Sie Aufklärung! Die Anfrage von Frau Kollegin Seelig und von Kollege Lederer, er hat es vorhin ja gesagt, liegt seit über drei Monaten unbeantwortet in Ihrem Haus. Jetzt scheibchenweise zu liefern, was alles bei der Funkzellenabfrage gewesen ist, zu sagen, alles sei rechtsstaatlich – das zeugt nicht von Problembewusstsein für die Grundrechte der Menschen in dieser Stadt. Auch jemand, der zu Unrecht einer Straftat verdächtigt wird, ist Opfer einer Straftat – ich hoffe, das geht in Ihre Birne, denn der Opferschutz muss auch für diejenigen hochgehalten werden, die zu Unrecht einer Straftat verdächtigt werden, was die Ermittlungsbehörden teilweise machen. Deshalb bedarf es der Kontrolle und der Aufklärung.
Es geht aber nicht nur um das Verhältnis Bürger zu Ermittlungsbehörde, es geht vor allem auch um das Verhältnis von Handynutzern zu Dienstanbietern. Das Stichwort Vorratsdatenspeicherung wurde bereits genannt, das Bundesverfassungsgericht hat es verboten, dass die Telekommunikationsdienstanbieter dazu verpflichtet werden, die Verbindungsdaten sechs Monate zu speichern. Seitdem herrscht erhebliche Rechtsunsicherheit. Wer weiß in diesem Land denn überhaupt, wie lange seine Handyverbindungsdaten gespeichert werden? – Ich kann es Ihnen sagen: Laut dem Leitfaden der Generalstaatsanwaltschaft München aus Juni 2011 werden die Verkehrsdaten von O2 und Vodafone eine Woche gespeichert, die von E-Plus drei Monate und die von der Telekom 30 Tage. Die Telekom hat meinem Kollegen aus dem grünen Bundesvorstand, Malte Spitz, mitgeteilt, welche Daten gespeichert werden: Beginn und Ende der Verbindungszeit, der genutzte Dienst, die Seriennummer des Handys, auch die Rufnummer des Anrufs. Es trifft also nicht nur die Leute, die in der Rigaer Straße in Friedrichshain herumlaufen, sondern auch diejenigen, die aus Wannsee oder Steglitz dort anrufen – auch deren Nummern und Verbindungsdaten, auch deren ungefährer Aufenthaltsort werden gespeichert. Das ist kein Pillepalle, das ist eine ganze Menge. Unsere Maßgabe – –
Mein letzter Satz, Herr Präsident! Ich gehe ein auf den Koalitionsvertrag, dass die Koalition sich im Bundesdatenschutzgesetz dafür einsetzen will, dass Unternehmen im Umgang mit Daten klare Regelungen und die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu respektieren haben – das sagt Ihr Koalitionsvertrag. Wenn Firmen über einen längeren Zeitraum persönliche Daten sammeln, sollen diese Betroffenen im Rahmen eines Datenbriefs jährlich einmal – –
Stimmt, ich bringe ihn gleich zu Ende. – Deswegen nehmen Sie Ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst, benachrichtigen Sie die Betroffenen, das ist doch die erste Aussage, die Sie heute treffen müssen! Sie als SPD-Fraktion sind gefordert, den Abbau an Freiheit, den diese Koalition will, auch zu überprüfen.
Lieber Kollege Lux! Ich weise darauf hin, dass der Begriff „Birne“ unparlamentarisch ist, wenn damit der Kopf eines Menschen gemeint ist. Bleiben wir bitte bei dem Begriff „Kopf“! – Für die Fraktion der CDU hat der Kollege Dr. Juhnke das Wort. – Bitte schön, Dr. Juhnke!
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Lauer hat vorhin den Wunsch geäußert, dass wir uns nicht über brennende Autos, sondern über die Funkzellenabfragen unterhalten mögen. Mir war klar, dass es sich dabei um einen frommen Wunsch handeln würde, zum einen aus thematischen Gründen: Man kann das Mittel nicht ohne den Zweck diskutieren. Aber auch aus den Gründen, die ich bereits antizipiert habe, dass Herr Lux natürlich wieder die Mär nähren wird, die auch schon im Ausschuss dargestellt wurde, dass das Thema im Wesentlichen ein politisches gewesen sei, das gar nicht so gravierend war. Da darf ich höflich an die Fallzahlen der vergangenen Jahre erinnern: In 2011 hatten wir die Rekordmarke mit 537 in Brand gesetzten Fahrzeugen erreicht, hinzu kamen 222 indirekt betroffene Kraftfahrzeuge. In der Folge hat das die Berlinerinnen und Berliner besorgt und dann natürlich das Parlament beschäftigt, denn, Herr Lux, es ist Aufgabe der Politik, die wesentlichen Probleme und Sorgen der Menschen aufzunehmen. Ich darf auch höflich daran erinnern, dass hinter den Fallzahlen Schicksale und Existenzen stecken und im Regelfall auch die Zerstörung des größten materiellen Vermögensgegenstandes der Betroffenen.
Es ist absurd und eine Frechheit, das ganze Problem wieder einmal als einen Popanz abtun zu wollen, der allein aus politischem Kalkül errichtet wurde.
Es ist daher folgerichtig und geboten, wenn die Polizei alle Anstrengungen unternimmt, um diese Serie zu stoppen. Ich habe auch als Oppositionspolitiker nie in Zweifel gezogen, dass es aufgrund der speziellen Tatbedingungen der Brandstiftung und der generellen Personalknappheit kein einfaches Geschäft ist, das die Polizei zu erledigen hat. Die Täter handeln blitzschnell, im Regelfall im
Schutz der Dunkelheit, bei Bemerken des Brandes sind sie längst weg. Hohe Hürden der Rechtsprechung bei der Anerkennung der Beweise tun ein Übriges, um die Polizeiarbeit zu erschweren – das darf man in diesem Zusammenhang auch einmal sagen.
Aus meiner Sicht ist es daher völlig legitim und grundsätzlich auch geeignet, auch auf das Mittel der Funkzellenabfrage zurückzugreifen. Rechtlich ist das eindeutig geregelt – wir haben den § 100g der Strafprozessordnung, und wie das Verfahren weitergeht, wurde vorhin bereits erklärt. Dabei handelt es sich übrigens weder um eine Vorratsdatenspeicherung, weil die Daten nicht vorsorglich und für einen noch nicht eingetretenen Fall bereitgehalten werden, sondern im Gegenteil ganz konkret und erst nach einer Straftat und bezogen auf eine konkrete Straftat gehandelt wird. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist allerdings, dass es sich um eine schwere Straftat handelt. Was in diesem Zusammenhang als schwere Straftat anzusehen ist, ist eindeutig im Katalog des § 100a StPO geregelt. Brandstiftung gehört wegen ihres gemeingefährlichen Charakters dazu, und ich vermag die Wertung nicht nachzuempfinden, wie sie ein Vertreter der Opposition im Ausschuss vorgenommen hat, dass es sich bei Brandstiftung um einen nicht so gravierenden Vorfall innerhalb dieser Gruppe der schweren Straftaten handeln würde.