Protocol of the Session on September 24, 2015

Tagesordnungspunkt 8 war Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter 4.1.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 8 A:

Wohnungen für Geflüchtete sichern – berlinovo in die Pflicht nehmen

Dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 23. September 2015 Drucksache 17/2466

zum Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/2438

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Es beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat erneut der Kollege Reinhardt. – Bitte sehr!

Ich bitte doch, da hinten wieder Platz zu nehmen! Damit meine ich den Kollegen Schlede und andere, die sich bitte doch hinsetzen mögen. Und auch dort hinten die Grüppchenbildung auflösen! – Meine Herrschaften, nehmen Sie bitte Platz oder gehen Sie raus! Es ist nicht höflich gegenüber den Rednern. – Danke schön! Ich glaube, jetzt können wir loslegen. – Herr Kollege Reinhardt – bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich würde Sie wirklich bitten, den Anweisungen des Präsidenten Folge zu leisten. Ich denke, das Thema Flüchtlingspolitik ist hier dringlich genug, dass wir uns mal fünf Minuten darauf konzentrieren können. – Vielen Dank!

„Gemeinsam schaffen wir das“ – das ist das große neue Motto in der Flüchtlingspolitik – „Gemeinsam schaffen wir das“. Aber dafür muss man das auch wollen. Viele Tausend Menschen in Berlin beweisen gerade, dass sie das wollen. Das sind die vielen Ehrenamtlichen, die mit ihrem außerordentlichen und großartigen Engagement Flüchtlingen helfen, in der Stadt anzukommen, hier versorgt zu werden, ihnen gesundheitliche Versorgung mit Erstversorgung zuteilwerden zu lassen und ihnen dabei helfen, Orientierung zu finden, Sprachkurse anbieten und in den Unterkünften für sie da sind. Viele Tausend Menschen sind gerade aktiv dabei. Aber ich habe nicht immer das Gefühl, dass alle sich wirklich daran ausreichend beteiligen.

Gemeinsam muss man das wollen. Das betrifft eben auch die landeseigenen Wohnungsgesellschaften, die in der Pflicht sind, hier auch mit Wohnraum in dieser dringlichen Situation zu einer Lösung beizusteuern. Das betrifft auch die berlinovo. Laut einer Anfrage von mir aus dem März sind 86 Prozent der 7 000 Apartments der Berlinovo belegt. Ich denke, dass man die Wohnungen, die gerade frei sind, und die Wohnungen, die frei werden, die meisten sind mit Kurzzeitverträgen vermietet, nutzen kann und dass man die auch für Geflüchtete zur Verfügung stellen kann.

(Elke Breitenbach)

Wir haben eben schon darüber gesprochen, was schiefläuft bei der Herrichtung. Wir haben schon darüber gesprochen, was schiefläuft bei anderen Gebäudenutzungsarten. Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir endlich zu mehr Wohnungsunterbringung kommen können. Denn z. B. die Art und Weise, wie hier Flüchtlinge in Hostels untergebracht werden, ist nicht menschenwürdig. Die Flüchtlinge haben dort keine feste Adresse. Sie haben dort oft keine Kochmöglichkeiten, und sie werden auch noch auf andere Art und Weise ausgebeutet. Ich habe mich dort an einigen Lokationen schon vor Ort von den problematischen Situationen überzeugt. Ich war letzte Woche in einem Hostel in Marzahn, das für sich als DreiSterne-Familienhotel vor dem Landesamt wirbt und über 10 000 Quadratmeter Rasenfläche anpreist. Sie vergessen nur zu sagen, dass auf diesen über 10 000 Quadratmetern Rasenfläche Schutt, Müll und Glassplitter liegen, an denen sich die Kinder verletzen können. Der Senat bekommt dieses Problem nicht in den Griff. Immer noch werden Hostels genutzt, immer noch werden Hostelgutscheine ausgegeben, die entweder gar nicht eingelöst werden können, wodurch Obdachlosigkeit die Folge ist, und immer noch gibt es dann auch die Möglichkeit für bestimmte Unternehmen, sich daran zu bereichern. Wir hatten es vor einigen Wochen in den Medien: der sogenannte Berlin-Lux-Skandal. 10 000 Euro für Wohnungen, die eigentlich 1 000 Euro – –

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]

Ich weiß nicht, wie Ihr Name in der zweiten Reihe ist, aber Sie scheinen ja das Thema richtig durchdacht zu haben. Kommen Sie doch mal zu mir und erzählen Sie mir, wie das funktioniert. Ich habe da ja anscheinend nicht so die Ahnung.

[Beifall bei den PIRATEN]

Nein, diese Menschen dort sind nicht erreichbar, und sie werden dort ausgebeutet. Gestern im Hauptausschuss hat uns der Senat zu erklären versucht, dass der Anreizmechanismus, warum man einerseits für 10 000 Euro Wohnungen bezahlt, die aber auf dem freien Markt für 1 000 Euro anmietbar sind, angeblich nicht mehr gegeben sein soll. Das stimmt aber nicht. Genau dieser Anreizmechanismus ist immer noch da. Und diese Form von Wucher und Profiterwirtschaftung ist immer noch möglich. Deswegen müssen wir jetzt mehr in Richtung Wohnungsunterbringung gehen. Geflüchtete brauchen diesen Raum, der menschenwürdig ist, wo sie sich selbst entfalten, selbst kochen können und selbst erreichbar sind. Das ist auch für die Verwaltung besser.

Insofern müssen wir an der Stelle wirklich sagen: Ja, gemeinsam wollen wir das angehen. Gemeinsam wollen wir diesen Antrag heute annehmen und dafür sorgen, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sich an der Situation auch in angemessener Weise beteiligen und auch die berlinovo hier in die Pflicht nehmen, damit Geflüchtete nicht in menschenunwürdigen Hostels oder Notunterkünften oder Turnhallen wohnen müssen, son

dern in eigenen Wohnungen, so wie sie es verdient haben. – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Danke schön, Kollege Reinhardt! – Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Nolte. – Bitte sehr!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Über die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen haben wir ja vor 14 Tagen in der Aktuellen Stunde gesprochen. Heute geht es um einen speziellen Fall: den Antrag der Piraten, in dem der Senat aufgefordert wird, das Wohnungsunternehmen berlinovo zur Unterbringung von Flüchtlingen zu verpflichten. Ich möchte dazu drei kurze Bemerkungen machen.

Erstens: Da, wo der Senat verpflichtend Einfluss nehmen kann, tut er es bereits. Wir haben heute in der Aktuellen Stunde über das Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin gesprochen. Im Artikel II dieses Gesetzes werden die Aufgaben und Ziele der landeseigenen Wohnungsunternehmen genannt. In § 2 wird gesetzlich festgelegt, dass ein bestimmter Anteil der jährlich freiwerdenden Wohnungen an Wohnberechtigte besonderer Bedarfsgruppen wie Obdachlose, Flüchtlinge, betreutes Wohnen und vergleichbare Bedarfsgruppen vergeben werden sollen.

Zweitens: Da, wo der Senat nicht verpflichtend Einfluss nehmen kann, tut er es mit Überzeugungskraft und mithilfe freiwilliger Vereinbarungen mit den Wohnungsunternehmen. Das gilt für die nicht landeseigenen Wohnungsgesellschaften, für die Wohnungsgenossenschaften und auch für die freien Wohnungsunternehmen. Zu diesen Unternehmen gehört auch die berlinovo, die eben keine landeseigene Wohnungsgesellschaft ist, jedenfalls bisher nicht. Solche freiwilligen Vereinbarungen sind für den Senat teilweise ein mühseliges Geschäft, aber sie sind in jedem Fall besser als eine in größter Not vorgenommene Beschlagnahme von Wohnungen.

Und jetzt drittens zur berlinovo selbst: In Ihrem Antrag tun die Piraten so, als müsse der Senat die berlinovo in die Pflicht nehmen, dringend benötigten Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. In Wirklichkeit tut die berlinovo das längst. Die berlinovo als Vermieter und die Arbeiterwohlfahrt als sozialer Träger bringen zurzeit 360 Flüchtlinge in einem Erstaufnahmeheim unter. Die berlinovo stellt gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt ab Oktober 30 Appartements in Lichtenberg und in Spandau zur Verfügung und wird diese Zahl bei Freiwerden von Wohnungen weiter erhöhen. Das wird allerdings eine

(Fabio Reinhardt)

Zeitlang brauchen, da auch die berlinovo nur einen geringen Leerstand und geringe Fluktuation aufweist. Herr Reinhardt! Insofern sind wir uns einig, dass da, wo Wohnungen frei werden, sich auch die berlinovo an der Unterbringung von Flüchtlingen beteiligt.

[Steffen Zillich (LINKE): Das ist ja super!]

Aber auch außerhalb Berlins tut die berlinovo vieles im Bereich der Flüchtlingsunterbringung. Ein leerstehendes Bürogebäude in München mit zirka 18 000 Quadratmeter Mietfläche steht dem Regierungspräsidium in Oberbayern als Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung. Für weitere Objekte in Kassel, in Bebra und in Dresden laufen Gespräche mit den jeweiligen örtlichen Behörden.

Wie Sie sehen, wären wir mit der Problemlösung der Flüchtlingsunterbringung schon ein ganzes Stück weiter, wenn sich alle Wohnungsunternehmen in dieser Frage so engagieren würden, wie es bereits heute die berlinovo tut. Deshalb werden wir Ihren Antrag hier heute im Plenum genauso wie gestern im Hauptausschuss ablehnen. Er hat auch den Charakter eines Schaufensterantrags.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Kurzintervention, Herr Kollege Reinhardt? – Denn eine Zwischenfrage ist am Ende der Rede kaum noch möglich. – Bitte schön!

Ja, Herr Kollege! Da waren Sie jetzt zu schnell weg. – Also zum einen noch einmal: Ich finde es ja schön, dass wir über eine zu 99 Prozent landeseigene Gesellschaft in München aktiv sind, um Flüchtlinge zu unterstützen – das lobe ich mir auch –, aber ich würde mir dann doch wünschen, dass wir mehr in Berlin tun. Ich hatte Zahlen genannt. Wenn wir 1 000 Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, wo vielleicht fünf Personen wohnen, sind das 5 000, dann ist das ein bisschen mehr als die 360, die Sie gerade genannt hatten. Letztendlich würde ich mir wünschen, dass an der Stelle mehr gemacht wird und die berlinovo-Appartements auch genutzt werden.

Da würde ich gerne auf Ihren letzten Kommentar eingehen. Sie sagten gerade, dass die berlinovo mehr macht als die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Erstens haben wir einen Vertrag mit den sechs großen landeseigenen Gesellschaften, in dem berlinovo nicht enthalten ist, obwohl sie zu 99 Prozent dem Land Berlin gehört. Da frage ich mich schon, warum das so sein kann, dass sie sich dort nicht beteiligen. Und zweitens, falls Sie recht haben und berlinovo mehr macht als die landeseigenen Gesellschaften, die uns zu 100 Prozent gehören, Entschuldigung, da haben Sie doch einen Skandal aufgedeckt! Da müssen wir doch direkt aktiv werden, dann schreiben wir unseren Antrag einfach um, dann müssen

die sechs anderen landeseigenen Gesellschaften erst recht zur Unterstützung der Flüchtlinge herangezogen werden. Mit Ihrer Unterstützung haben wir den Antrag dann direkt durch und können in die Richtung auch noch aktiver werden.

[Beifall bei den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Da sind Sie aber gegen die Gesamtbevölkerung! – Martin Delius (PIRATEN): Die Flüchtlinge gehören da nicht dazu?]

Herr Nolte! Sie haben die Möglichkeit zu antworten.

Ich habe es ja schon gesagt, die berlinovo ist bisher keine landeseigene Gesellschaft,

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

sondern eine Gesellschaft, die vorrangig die ehemaligen BIH-Immobilien abwickelt. Diese sind nur zu einem Teil in Berlin, aber zu einem großen Teil im übrigen Deutschland verteilt. Wenn sich die berlinovo mit allen ihren Immobilien, die sie noch hat, daran beteiligt, Flüchtlingsunterbringung zu ermöglichen, finde ich das lobenswert. Ich habe da keine Kritik an der berlinovo, sondern sage, das macht sie sehr gut.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Fabio Reinhardt (PIRATEN): Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu!]

Danke schön! – Bündnis 90/Die Grünen haben die Kollegin Bayram gebeten zu sprechen, und ich erteile ihr das Wort. – Bitte sehr!

[Zurufe von Joachim Esser (GRÜNE) und Torsten Schneider (SPD)]

Jetzt hat die Kollegin Bayram das Wort, Kollege Esser! – Bitte schön!

Ja, das gilt auch für den Kollegen Schneider, nicht? – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nolte! Das war doch jetzt nichts, nicht?

[Beifall und Heiterkeit bei den PIRATEN]

Klar ist es so, dass das keine Wohnungsbaugesellschaft ist, aber sich hier hinzustellen und so zu tun, als wenn das irgendwelche Privaten wären, mit denen man nichts zu tun hätte, ist auch ein bisschen seltsam. Sagen Sie es doch offen, sagen Sie doch: Es gehört uns noch nicht; wenn wir jetzt das Geld einnehmen, müssen wir die Gewinne auch an die Anteilseigner ausschütten. – Damit kann man

(Karlheinz Nolte)

doch offen umgehen. Dann kann man sagen, welcher Einfluss dort möglich ist oder nicht. Aber für ein Mitglied einer Koalitionsfraktion, die nicht nur die Regierung stellt, sondern auch eine Mehrheit für eine Gesetzgebungskompetenz hier hat, ist das, glaube ich, doch ein bisschen organisierte Unzuständigkeit, die ich Ihnen nicht durchgehen lasse.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Oho!]

Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir über die berlinovo und die Möglichkeit, dort geflüchtete Menschen unterzubringen, reden. Da hilft es auch nicht, dass die sich in München engagiert, wobei ich das gut finde. Vielmehr sind wir als Landespolitiker hier für Berlin zuständig.