Protocol of the Session on June 11, 2015

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Die Gesamtattraktivität Berlins wurde gespeist aus günstigen Mieten, hoher Wissenschaftsdichte, vielen Freiräumen und dem Image der kreativen Metropole im Aufbruch. Diese sogenannten Standortfaktoren werden gerade leichtfertig verspielt.

Offiziell sind wir bei unter 200 000 Arbeitslosen angekommen, nimmt man aber korrekterweise die Unterbeschäftigten dazu, sind wir bei 266 000 Betroffenen. Demgegenüber gab es im Mai nur 20 000 offene Stellen. Ein Viertel der Kinder in Berlin ist armutsgefährdet. Sachgrundlose Befristungen breiten sich ebenso aus wie der Niedriglohnsektor. Viele kleine Selbstständige sind arm und träumen nur vom Mindestlohn. Das alles macht mindestens jenen, die sich diesen Tatsachen nicht verschließen, deutlich, dass wir weit entfernt davon sind, eine Wirtschaftsentwicklung in Berlin zu haben, die allen ein existenzsicherndes Dasein ermöglicht – und darum geht es doch schließlich.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Dann reden wir einmal über die Wachstumsgewinnler. Mit den rosigen Aussichten für Immobilienspekulanten, für Bauträger von Luxuswohnungen haben wir sicherlich tatsächliche Wachstumsgewinnler identifiziert. Zu den Wachstumsgewinnern gehören auch Finanzjongleure, Immobilienhaie und Start-up-Glücksritter wie die Gebrüder Samwer.

Jetzt schauen wir noch einmal in das CDUWahlprogramm, das kann ich Ihnen nicht ersparen. Da haben Sie vieles versprochen: „100 Lösungen für Berlin“. Ganz besonders gefällt mir folgender Satz, ich zitiere auch hier:

Gerade im baulichen Bereich hat der Senat zunehmend die Kontrolle über Planungsprozesse und plangerechte Durchführung der Maßnahmen verloren.

[Oliver Friederici (CDU): Jetzt kriegen wir es ab! – Senator Mario Czaja: Aber die drei Maßnahmen waren doch schon im Haushalt drin! Steffen Zillich (LINKE):Aber sie sind immer noch ohne BPU! ]

Das steht in Ihrem Wahlprogramm von 2011. Ich wusste, gar nicht, dass Sie so viel Voraussicht besessen haben, über Ihren gegenwärtigen Senat so etwas zu sagen. Denn wenn wir auf die Infrastrukturmaßnahmen schauen, stellen wir fest: BER, Staatsoper, ICC – 75 Prozent aller Baumaßnahmen im Berliner Landeshaushalt ohne gültige BPU eingestellt, das sind die Erfolge der CDURegierungsbeteiligung.

Fazit: Zum Feiern gibt es keinen Grund. Die gegenwärtig günstige Wirtschaftsentwicklung Berlins ist maßgeblich importiert worden. Faktoren dafür sind der exportfreundliche Eurokurs, niedrige Mineralölpreise, niedrige bis gar keine Zinsen, steigende Boden-, Immobilien- und Baupreise, der Zuzug von Unternehmen mit entsprechenden Beschäftigten – über die, die wegziehen, spricht ja keiner mit Ausnahme von Herrn Olalowo –, der Zuzug junger und gut ausgebildeter Menschen aus den Eurokrisenländern und Touristen. Der Eigenbeitrag Berlins an der positiven Wirtschaftsentwicklung ist minimal. Die extrem geringe Investitionsquote, also das Fehlen öffentlicher Investitionen – und zwar in die richtigen Projekte und Infrastrukturen –, ist ein sich verschärfendes Problem, an dem die Koalition nichts geändert hat. Das Verfestigen einer hohen Langzeitarbeitslosigkeit und die anhaltend große Kinderarmut haben sich trotz positiver Wirtschaftszahlen fortgesetzt.

Der Wirtschaft geht es gut, aber nicht alle haben etwas davon. Das darf nicht so bleiben. Berlin darf nicht ärmer werden, trotz Mehrarbeit. Berlin muss plan- und sinnvoll investieren. Die Berliner Verwaltung muss erster Anwender für IT-basierte, bürgernahe, transparente Verwaltung

sein. Berliner Gewerbetreibende mit weniger als neun Beschäftigten gehören in den Fokus der Wirtschaftssenatorin. Es gibt viel zu tun und nur wenig zu feiern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Piratenfraktion nun der Kollege Mayer – bitte schön!

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Werte Gäste! Bevor ich anfange: Berlin ist cool.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Es ist für viele die coolste Stadt der Welt. Sonst wären wir wahrscheinlich nicht hier.

[Sven Kohlmeier (SPD): Egal, ob mit Internet oder ohne!]

Wir freuen uns natürlich auch über die ganzen positiven Meldungen, die aus der Berliner Wirtschaft kommen. Aber diese Meldungen dürfen nicht darüber wegtäuschen, was Berlin ist und wo es sich befindet: Berlin ist nach wie vor ein Sanierungsfall.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Ajibola Olalowo (GRÜNE)]

Wir haben längst noch keinen Anschluss an das wirtschaftliche Niveau der westlichen Bundesländer gefunden. Wir sind zwar führend im Osten, das ist das Positive, aber wir sind vom westdeutschen Niveau nach wie vor weit entfernt. Wie viele Vorredner bereits ausgeführt haben, haben wir insbesondere ein großes Problem mit der Industrie. Der Industriesektor in Berlin schrumpft leider gegen den Bundestrend, während er im Bund eben leicht wächst.

Es ist sicherlich auch schön, dass wir jetzt nicht mehr die rote Laterne bei der Arbeitslosigkeit tragen,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Die schwarze!]

allerdings können wir auch nicht besonders stolz darauf sein, jetzt ganz knapp Mecklenburg-Vorpommern überholt zu haben. So erfreulich es ist, aber stolz sein kann man darauf tatsächlich nicht.

[Zuruf von Anja Schillhaneck (GRÜNE)]

Die Frage ist immer: Wie viel kann Politik bewegen? – Ist es eher so, wie manche sagen, dass Wirtschaftspolitik so etwas ist wie Tidensteuerung an der Küste: zu versuchen, die Flut zu beeinflussen? – Allerdings gibt es drei Bereiche, in denen politisches Handeln doch sehr stark die Wirtschaft beeinflusst. Das ist zum einen die Steuerpolitik. Gut, da haben wir in Berlin nur begrenzten Spiel

raum, aber wir können zumindest nicht davon reden, dass wir in Berlin eine besonders wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik betreiben.

Der zweite Bereich ist der Staat selbst als Wirtschaftsteilnehmer. Das ist sicherlich auch erheblich. Da muss man definitiv feststellen: Die größte Katastrophe ist die absolut unterirdische Investitionsquote im Berliner Haushalt. Das wurde bereits erwähnt. Aber das ist nach wie vor erschreckend. Im Jahr 2015 kommen wir gerade einmal auf 6,38 Prozent ohne SIWA, und wenn man SIWA hineinrechnet, dann habe wir vielleicht 1,5 Prozent mehr, wenn wir denn tatsächlich alles ausgäben. Aber 6,38 Prozent! Sachsen liegt bei 18 Prozent im öffentlichen Haushalt. Keines der anderen Bundesländer liegt unter 10 Prozent. Meiner Meinung nach müsste es Priorität sein, sich das Ziel zu setzen, die Investitionsquote zumindest auf die 10 Prozent zu bringen.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese unterirdische Investitionsquote wirkt sich aufgrund fehlender Möglichkeiten der Vergabe von Aufträgen direkt auf die Wirtschaft aus, und natürlich hat jeder investierte Euro mehr Effekte als jeder verkonsumierte Euro. Ein weiteres Problem, das wir dadurch verursachen, ist, dass unsere Infrastruktur nach wie vor den Bach runtergeht.

Der zweite Punkt, der für die Wirtschaft wichtig ist – es wurde bereits genannt: Verkehrswege, öffentlicher Nahverkehr, generell der Wirtschaftsverkehr und das insbesondere vor dem Hintergrund der anwachsenden Pendlerströme, die wir haben. Über 200 000 Menschen pendeln in oder aus dieser Stadt und es werden immer mehr. Ich glaube, dass wir hier auch nicht genügend Vorsorge treffen. Vielmehr ist es so bei den Schulen, der S-Bahn, beim Flughafen, unseren Krankenhäusern und unseren Bädern, dass die Investitionen nicht einmal die Höhe der Abschreibungen erreichen und wir weit davon entfernt sind, irgendeinen Sanierungsstau abzubauen, sondern ständig nur Löcher stopfen. Das ist aus unserer Sicht das Wirtschaftshemmnis Nr. 1 in dieser Stadt.

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Und dann die Frage: Kommt dieser Aufschwung bei den Menschen an? – Wir haben es gehört: Es sieht da nicht wirklich rosig aus. Insbesondere muss man auch feststellen – wenn man sich die Vermögensverteilung ansieht –, dass es erschreckend ist, dass über die Hälfte der Berliner über kein oder über negatives Vermögen verfügt. Das ist etwas, was auf Dauer nicht sein kann und nicht in Ordnung ist.

Noch ein paar Besonderheiten der Berliner Wirtschaft: Wir sind leider immer noch eine Insel in Berlin. Wir haben bei Weitem die niedrigste Exportquote von allen Bundesländern – um die 12 Prozent Exportquote, während der Bundesdurchschnitt bei 40 Prozent liegt. Das

(Jutta Matuschek)

heißt: Wir wirtschaften sehr viel im eigenen Saft. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, zeigt aber, dass wir in Berlin eine ganz besondere Situation haben. Interessant ist hier, dass ausgerechnet die USA unser größter Außenhandelspartner sind – allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

Etwas Positives zum Schluss:

[Beifall bei den PIRATEN – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Spannen Sie uns nicht auf die Folter! – Weitere Zurufe]

Das Wachstum der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist etwas, worauf wir uns einigen können – das ist positiv. Positiv ist auch, dass wir einen eigenen Flughafen haben und nicht von Brandenburg aus fliegen müssen.

[Beifall bei den PIRATEN – Heiterkeit]

Spaß beiseite! – Aber es entwickelt sich für die Wirtschaft zu einem echten Problem: Wenn man wichtige Gäste vom Flughafen abholt und die recht lange Zeit brauchen, um aus dem Flughafen rauszukommen, oder gerade in Tegel ein komplettes Verkehrschaos herrscht, dann ist das keine gute Visitenkarte für einen Investor, der in die Stadt kommt und als Erstes in Tegel ins Chaos gerät. Die Zeit- und Terminpläne geraten durcheinander.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Dann müssen wir eben Tempelhof wieder aufmachen!]

Der Trend ist an vielen Stellen positiv, und das ist grundsätzlich gut.

Zuletzt kann ich es mir nicht verkneifen – weil ich Herrn Henkel hier gerade sehe –: Die Wartezeiten in Ämtern, gerade beim LABO, sind ein komplettes Desaster. Wenn Sie beispielsweise im Moment den Führerschein machen wollen, sind Sie gut beraten, die Erlaubnis ein Jahr vorher zu beantragen, weil Sie allein drei Monate brauchen, um überhaupt einen Termin zu bekommen, selbst wenn Sie das über die Bürgerämter machen. – Ich sehe, meine Redezeit ist zu Ende. Ich freue mich auf die nächste Generaldebatte über Wirtschaft und hoffe, dass dann alles noch besser und noch schöner ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für den Senat hat jetzt Frau Senatorin Yzer das Wort. – Bitte schön, Frau Senatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin ist wieder auf Wachstumskurs, und zwar deutlich über dem Bundesdurchschnitt, was die Wachstumsraten anbelangt.

[Beifall bei der CDU]

Natürlich ist es richtig: Wir müssen noch über Jahre deutlich über dem Bundesdurchschnitt wachsen, um zu den führenden Wirtschaftsstandorten Deutschlands aufzuschließen. Aber wir haben diesen Kurs eingeschlagen und müssen dieser Verantwortung gerecht werden. Ich muss sagen: Mancher Redebeitrag, den ich heute von linker Seite gehört habe, hat mir nicht den Eindruck vermittelt, dass sich jeder hier der Verantwortung bewusst ist, was wirtschaftspolitisch zu tun ist.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN]

Im ersten Quartal 2015 sind die Zahlen erneut positiv: Einzelhandel 6,9 Prozent Wachstum; Industrieumsatz 6,9 Prozent Wachstum; das Bauhauptgewerbe sogar 8,8 Prozent. Mit der Konjunktur wachsen die Beschäftigtenzahlen.