Protocol of the Session on June 11, 2015

[Hustengeräusche bei den PIRATEN]

Ich nehme an, das war keine Meinungsäußerung, deswegen: Gesundheit! – Hier haben wir ideale Voraussetzungen durch viele renommierte Einrichtungen und große Unternehmen. Und hier ergeben sich auch wunderbare Ansatzpunkte für die wirtschaftliche Boomstory Berlins. Berlin ist unterdessen der IT- und Digitalstandort Nummer 1, und es macht viel Sinn, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben, auch mithilfe der Gesundheitswirtschaft.

Viel Geld fließt als Wagniskapital in die Stadt, und Frau Senatorin Yzer hat hier eine entsprechende Bundesratsinitiative gestartet, um die Bedingungen für Wagniskapital zu verbessern. Auch das ist eine wichtige Initiative, denn dieser Bereich boomt. Alle zwanzig Stunden entsteht in Berlin ein neues Internetunternehmen, und inzwischen wird jeder achte Job von der Digitalbranche geschaffen.

Wichtig sind die Zukunftsorte. Die Erfolgsstory Adlershof wollen wir am Flughafen Tegel, aber auch an anderen Stellen in der Stadt, zum Beispiel in Zehlendorf an der FU, in Buch bei EUREF und am Clean-Tech-Park, wiederholen. Die Urban-Tech-Republic ist auch finanziell auf den Weg gebracht, und im Norden Berlins wird ein Zukunftsort entstehen, der wichtig für diese Stadt ist.

Die CDU-Fraktion hat das auf ihrer Klausurtagung vor zwei Wochen auch noch einmal ausdrücklich zum Ausdruck gebracht: Wir werden alle Ansätze unterstützen, in Zusammenarbeit mit den Berliner Wirtschaftseinrichtungen neue Produkte auf den Gebieten Mobilität, Energie, Recycling und Kommunikation der Smart City für die

Stadt von morgen zu entwickeln und damit den Wirtschafts- und Industriestandort Berlin zu stärken. Tegel ist dafür der richtige Standort.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Liane Ollech (SPD)]

Wie gesagt: Es fällt schwer, in zehn Minuten jeden Aspekt zu beleuchten. – Ich bekomme sicher auch gleich den Hinweis, dass meine Redezeit abgelaufen ist. – Aber zum Abschluss will ich noch sagen, dass eins deutlich geworden ist: Die Koalition hat Dinge angepackt und ihrer Absichtserklärung von Berliner Perspektiven einer starken Wirtschaft Taten folgen lassen. Berlin hat für die Zukunft viele Chancen. Lassen Sie uns alle daran arbeiten, Berlins Wirtschaft weiter zu stärken und diese dynamische Entwicklung auch über 2015 hinaus möglich zu machen! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege! Ich prognostiziere mal, dass Sie dem Regierenden Bürgermeister einen neuen Titel verliehen haben, den er nicht so schnell loswerden wird. – Für Bündnis 90/Die Grünen folgt jetzt der Kollege Olalowo. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das eigentliche Thema des heutigen Tages ist „Ehe für alle“. Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition wollen lieber über den Wirtschaftsstandort Berlin reden. – Herr Dietmann, Sie haben ja angekündigt, dass ich das sagen würde. – Aber das ist – und auch das wussten Sie – nur die jährliche Wasserstandsmeldung zum Konjunkturbericht aus der Wirtschaftsverwaltung. Wenn wir das schon tun wollen, dann müssen wir das mit einer einigermaßen Ernsthaftigkeit tun.

Es stimmt: Manches in Berlin läuft gut. In den letzten Jahren sind viele neue Arbeitsplätze entstanden. Es gibt eine gute Stimmung in der Gründungs- und Start-up-Szene, und mit Zalando rückt ein zweites Berliner Unternehmen in den MDAX auf. Das wird dieser Stadt bestimmt gut tun. Aber ist die Berliner Wirtschaftspolitik auf dem richtigen Kurs?

[Zuruf von der CDU: Ja!]

Sie haben es angesprochen: Der Koalitionsvertrag hatte eigentlich eine starke Wirtschaft und gute Arbeit versprochen.

[Heiko Melzer (CDU): Und gehalten!]

Sie wollten Berlin zum Standort für moderne Industrien machen. Sie wollten die Zukunftsorte weiterentwickeln. Da gibt es leider zu viele Beispiele, wo Sie über das An

kündigen immer noch nicht hinausgekommen sind. Gute Arbeit – dazu zitiere ich mal den Satz:

Gute Arbeit ist gekennzeichnet durch die Sicherheit des Arbeitsplatzes, ein festes verlässliches und existenzsicherndes Einkommen und soziale Sicherheit bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter.

Haben Sie das hergestellt? – Die Realität nach bald vier Jahren rot-schwarzer Koalition und einer CDU-geführten Wirtschaftsverwaltung sieht doch so aus: Vieles passiert durch äußere Einflüsse. Die Kreativen, die traditionelle Kultur und die Clubkultur locken die Touristen in Scharen nach Berlin. Die Schwäche des Euros befördert das. Das ist aber nicht Ihr Verdienst.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Die Wirtschaftsentwicklung in Berlin steht weiterhin auf schwachen Füßen. Das Wachstum findet vor allem in der Dienstleistungswirtschaft statt. Das Statistische Bundesamt weist für 2014 in Berlin einen Beschäftigungsverlust im produzierenden Gewerbe von 0,5 Prozent aus. Und dass wir heute noch vor dieser Rederunde eine Resolution zum Erhalt des Siemenswerks in Berlin mit allen Fraktionen eingebracht haben, zeigt, dass es hier etwas zu tun gibt. Nicht nur, dass die durchschnittlichen Bruttolöhne in Berlin unter denen aller anderen deutschen Großstädten liegen, seit 2012 liegen sie auch unter dem Bundesdurchschnitt. Das ist ein erschütterndes Signal für eine deutsche Großstadt.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Berlin ist nicht mehr die Hauptstadt der Arbeitslosigkeit. Auch das ist gut so. Aber Berlin ist mit 10,8 Prozent auf dem zweitletzten Platz, und das ist nicht zufriedenstellend für diese Stadt.

Zum Thema Gründungshauptstadt: In der Pressemeldung hat die Wirtschaftssenatorin darauf hingewiesen, dass in Berlin im ersten Quartal mehr als 10 000 neue Unternehmen gegründet wurden. Das begrüßen wir, auch wenn es 3 Prozent weniger waren als im letzten Jahr. Aber die andere Zahl haben Sie unter den Tisch fallen lassen, Frau Senatorin: Im selben Zeitraum mussten fast 9 000 Unternehmen geschlossen werden. Rund die Hälfte der neuen Unternehmen war übrigens im Bereich Bau, Handel und Gastronomie tätig. Wie man das als definitiven Hinweis auf den Technologiestandort sehen kann, muss wohl unbeantwortet bleiben. Während seit dem Jahr 2000 bundesweit die Zahl der Selbständigen und freiberuflichen Erwerbstätigen um 10 Prozent gestiegen ist, liegt der Anstieg in Berlin bei über 34 Prozent. Hier sind Zweifel angebracht, ob das immer freiwillig ist und ob es sich dabei um eine nachhaltige und sichere Existenzgründung handelt. Das trifft leider auch zunehmend auf manche der innovativen Wirtschaftsbereiche zu. Und wenn wir uns die Berichte aus dem Bereich Crowdworking anschauen, wo scheinbar zumindest ein Teil der Beschäftigten nicht

(Michael Dietmann)

einmal den Mindestlohn erreicht, dann ist das auch er erschreckendes Signal.

Wo die Wirtschaft in dieser Stadt gut läuft, tut sie das trotz dieses Senats und nicht wegen ihm.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Diese Stadt hat Erwartungen an den Senat, und dafür leistet die Koalition zu wenig.

Zum Thema migrantische Ökonomie gilt zumindest in der Wirtschaftspolitik: Still ruht der See. Wie können junge Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund als Fachkräfte der Zukunft für Berlin gewonnen werden? – Die Wirtschaftsverwaltung hält sich hier vornehm zurück, bei der türkisch-deutschen Ausbildungsmesse wie bei der anonymisierten Bewerbung. – Frau Senatorin! Das sind Wirtschaftsthemen und keine reine Integrationspolitik.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wie können die bestehenden Beziehungen von Berlinerinnen und Berlinern mit Migrationshintergrund für die Einwerbung von Investitionsmitteln nach Berlin mobilisiert werden? Auch da tun Sie nichts. Schon bei der einfachen Frage: Wie können Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund so in die Wirtschaftsnetze dieser Stadt eingeführt werden, dass das gegenseitige Fremdeln wegfällt? – tun Sie zu wenig. Und Blockade gibt es nicht nur im Bereich Bürokratie.

Innovationspolitik: Hier geht es um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft. Auch da – entgegen dem Glauben der Union – geht es nicht voran. Der Termin für die Eröffnung des Technologie- und Gründungszentrums für die Freie Universität wird jährlich um zirka zwei Jahre nach hinten geschoben. Inzwischen sind wir, glaube ich, im Jahr 2020 angelangt. Das Vorhaben zur Patentverwertung aus der Wissenschaft und der Landesforschung – bei ipal – wurde von der Senatorin sang- und klanglos beerdigt. Bei dem Institut für angewandte Forschung wurde die jährliche Förderung von 2 Millionen auf 1 Million Euro erst einmal halbiert. So kann das mit der Innovationspolitik nicht klappen.

Und bei der Digitalisierung, das hatten wir erst kürzlich, die Anhörung im Wirtschaftsausschuss, herrscht Stillstand. Der einheitliche Ansprechpartner, der hier angesprochen wurde, ist leider nur ein Hidden Champion.

Die Nachnutzung von Tempelhof gestaltet sich als Hängepartie, und Berlin finanziert hier zurzeit nur den Leerstand. Das ist so nicht hinzunehmen.

Im Forschungs- und Industriepark Tegel ist über die Zwischennutzung als Olympia-Bewerbungspark die Konzep

tion verlorengegangen und vielleicht auch die Einigkeit in der Koalition. Da müssen wir mal gucken.

Zum Thema Vergabepolitik: Hier geht es nicht nur darum, Bürokratie abzubauen, sondern Sie hätten damit die Möglichkeit, sich für faire Beschäftigungsverhältnisse in dieser Stadt einzusetzen, für die Einhaltung von Mindeststandards bei der ökologischen Vergabe, bei der Ausbildung und bei der Frauenförderung zu sorgen. Die nutzen Sie nicht, sondern betreiben seltsame Spiegelfechtereien zum Bürokratieabbau, was Ihnen letztlich sogar die öffentliche Kritik des Landesrechnungshofs eingebracht hat.

Start-ups, sicherlich das Mega-Thema für Berlin: Wenn es schon allen klar ist, dass die wesentliche Dynamik der Berliner Wirtschaft im Bereich der Start-ups liegt, warum gelingt es Berlin denn dann nicht, z. B. die Förderung des Wachstums von Zalando mit einem adäquaten VentureKapitalfonds durchzuführen? Stattdessen erfolgt die Förderung aus von für KMU vorgesehenen GRW-Mitteln. Da werden die Mittel, die eigentlich für die Mittelstandsförderung vorgesehen sind, falsch eingesetzt.

Insgesamt, sind wir der Meinung, ist es dem rot-schwarzen Senat mit der Vergabe des Wirtschaftsressorts an die Union nicht gelungen, die Signale der letzten konjunkturellen Belebung für die positive Entwicklung der Berliner Industrie zu nutzen. Insbesondere bei der Frage, wie sich diese Industrie entwickeln soll, haben Sie keine Konzeption.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Unter dieser Koalition ist die soziale Spaltung in der Stadt noch weiter gestiegen, und das merken Sie auch an den vielen Initiativen, die versuchen, ein Minimum an sozialer Fairness wieder herzustellen.

Schwerpunkt dieses Senats sollte eigentlich die Industriepolitik sein. Aber welche Form eine neue, zu Berlin passende Industriepolitik haben muss, das steht leider nicht in Ihrem Masterplan, und das haben Sie immer noch nicht liefern können. Diese Hilflosigkeit wird bei unserer Resolution zu Siemens auch deutlich. Wir sind uns einig, dass wir innovative Industriearbeitsplätze in der Stadt halten wollen, denn hier ist der richtige Platz, um die Industrie 4.0 aufzubauen. Aber dafür gibt es leider kein Konzept dieses Senats.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Jahnke das Wort. – Bitte schön!

(Ajibola Olalowo)

[Uwe Doering (LINKE): Jawoll! – Martin Delius (PIRATEN): Er hat doch noch gar nichts gesagt!]

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits seit mehreren Jahren verzeichnet Berlin im Vergleich der Bundesländer ein deutlich überdurchschnittliches Wachstum. Im vergangenen Jahr, das wurde hier schon gesagt, wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Berlin preisbereinigt um 2,2 Prozent, während der Bundesdurchschnitt bei 1,6 Prozent lag. Auch der Arbeitsmarkt entwickelt sich in der Hauptstadt positiver als in anderen Regionen Deutschlands. Mit 1,7 Prozent wuchs die Beschäftigung etwa doppelt so stark wie im Bundesdurchschnitt auf nunmehr 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Der positive Trend setzt sich auch im ersten Halbjahr 2015 fort und spiegelt sich in positiven Erwartungen der Unternehmen, wie der von der IHK erhobene Geschäftsklimaindex gerade erst wieder belegte.

Wir wissen sehr gut, von welchem Niveau wir nach Jahren des industriellen Niedergangs und verfehlter Wunschvorstellungen der Neunzigerjahre zu starten hatten. Noch immer belegt Berlin in Erhebungen, die von Bestandsgrößen, insbesondere der Arbeitslosenquote, ausgehen, keinen vorderen Platz. Doch der Aufholprozess kann sich nur dadurch vollziehen, indem Berlin überdurchschnittliche Wachstumsraten erreicht, und zwar möglichst ein qualitatives Wachstum in Zukunftsbranchen. Dieser Prozess ist in Gang gekommen, wie all jene Untersuchungen zeigen, die eben nicht nur Statusgrößen vergleichen, sondern die Dynamik messen. Hier belegt Berlin stets einen der vorderen Plätze. Und auch bei der Arbeitslosenquote haben wir die rote Laterne abgegeben, sind mit 10,8 Prozent im Mai zwar immer noch zweistellig, aber nähern uns der 10-Prozent-Marke, die von den meisten anderen Bundesländern bereits unterschritten wird.

Nun ist das stets gleiche Spiel zwischen Regierungsparteien und Opposition, positive Wirtschaftsdaten seitens der Regierungsparteien für sich zu reklamieren, während die Opposition der Regierung nur dann Verantwortung zubilligt, wenn etwas schiefläuft. Mein Vorredner hat ja dafür gerade ein Beispiel gegeben. Hieran will ich mich bewusst nicht beteiligen. Ich konstatiere, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung das Werk der Menschen ist, die in dieser Stadt leben und arbeiten, bzw. extra hierher kommen, um etwas zu wagen, im kreativen Klima Berlins ihre Chancen zu suchen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]