Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 63. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Ausdrücklich möchte ich dabei nochmals unsere weiblichen Gäste willkommen heißen, die uns heute im Rahmen des Girls‘ Day besuchen. Wir freuen uns über Ihr Interesse an den politischen Abläufen in unserem Parlament.
Im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien spielen sich seit geraumer Zeit tragische Szenen ab. Immer mehr Flüchtlinge versuchen, auf überladenen und nicht seetauglichen Schiffen die europäische Küste zu erreichen. Viele dieser Boote kentern. Tausende Menschen sind schon ertrunken, von letztem Sonntag bis heute mehr als 800 Flüchtlinge. Wir dürfen nicht länger zusehen, wie Kinder, Frauen und Männer von skrupellosen Schleppern auf diesen gefährlichen Fluchtwegen in den Tod gelotst werden. Das Mittelmeer darf kein Massengrab sein. Die Europäische Union muss handeln, um das Leben der Flüchtlinge zu schützen. Ich möchte Sie nun bitten, für eine Schweigeminute für die ertrunkenen Flüchtlinge sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Ich danke Ihnen! – Ich habe dann wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der CDU. Wer diesem Thema „Bürgerdialogverfahren historische Mitte gestartet“ zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Gegenstimmen? – Die Oppositionsfraktionen? – Enthaltungen? – Keine. Damit hat dieses Thema die Mehrheit. Ich rufe das Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 auf, und zwar in Verbindung mit dem Punkt 23 der Tagesordnung. Die ande
Ich möchte Sie dann noch auf die vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um Mitteilung.
Entschuldigung eines Senatsmitglieds für die heutige Sitzung: Herr Senator Dr. Kollatz-Ahnen ist bis ca. 12 Uhr entschuldigt – Grund: Teilnahme an der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates. Ich bitte um Verständnis, dass das etwas verspätet den Fraktionen mitgeteilt wurde, aber die Entscheidung, dass er daran teilnimmt, ist auch sehr kurzfristig getroffen worden.
Ich möchte Sie um Verständnis für die heutigen Filmdreharbeiten und Fotoaufnahmen im Plenarsaal bitten. Es handelt sich um Aktualisierungen von Sequenzen des Imagefilms und der Broschüre des Abgeordnetenhauses.
Ich habe noch eine freudige Mitteilung zu machen. Ich beglückwünsche die Kollegin Silke Gebel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Geburt einer Tochter. – Herzlichen Glückwünsch und alles Gute für die Familie!
Für die Besprechung der Aktuellen Stunde bzw. die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion der CDU. Ich würde bitten, ein bisschen mehr Ruhe einkehren zu lassen. – Herr Kollege Evers, Sie haben das Wort! – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Samstag ist offiziell der Startschuss für das Dialogverfahren zur Zukunft der historischen Mitte im BCC am Alexanderplatz gefallen – endlich, gut anderthalb Jahre, nachdem wir hier im Abgeordnetenhaus im Landeshaushalt die Vorsorge getroffen und damit die Weichen für dieses Verfahren gestellt haben. Manchmal braucht gut Ding offenbar Weile. Das kennen wir nicht nur bei diesem Thema, aber gerade bei diesem Thema sage ich: Das akzeptiere ich, denn es ist kein einfaches Thema, dessen wir uns annehmen, ein Thema, das die Fachwelt schon seit Jahrzehnten polarisiert und nicht nur die Fachwelt, sondern auch die Stadtgesellschaft insgesamt. Und das zu Recht. Die Aufgabe, der wir uns stellen, gehört zu den schwierigsten und anspruchsvollsten der stadtentwicklungspolitischen Agenda Berlins. Wir widmen uns einem Ort, der von Sehnsüchten und Erwartungen völlig überfrachtet ist. Das merkt jeder, der sich damit beschäftigt; das habe auch ich vom Beginn meiner Tätigkeit im Abgeordnetenhaus an immer wieder erfahren. Wir diskutieren über einen Ort, der kaum reicher an Symbolik und an Spuren der vielschichtigen und an Brüchen so unendlich reichen Geschichte unserer Stadt sein könnte. Hier, in der ganz unmittelbaren Nachbarschaft des Schlosses und der Herrschaftszeichen preußischer Könige, war Berlin Bürgerstadt. Hier war Berlins Lebensmittelpunkt; hier war das intellektuelle und wirtschaftliche Zentrum des Berliner Bürgertums in seinen Anfängen beheimatet. Aber der Ort war mehr als das: Er war auch ein Mittelpunkt jüdischen Lebens in der Stadt.
Für mich war eine der beeindruckendsten Ausstellungen der vergangenen Jahre die über die „Geraubte Mitte“ im Ephraim-Palais, und ich glaube, allen, die diese Ausstellung besucht haben, wird es ähnlich gegangen sein. Wer heute die Mitte als einen vor allem öffentlichen Ort beschwört, wer ihn heute – und ich komme damit zu einem Teil des Linken-Antrags – als einen Ort beschwört, der nichts Privates an sich haben darf, der darf nicht die Frage vergessen, was eigentlich daraus folgt, dass dies eine geraubte Mitte ist, ein Ort, der in dieser Hinsicht unglaublich belastet ist.
Nach dem Krieg, nach unglaublichen Kriegszerstörungen – sie waren hier mit am intensivsten innerhalb Berlins – haben die Oberen und Obersten der jungen DDR die Stadtzerstörung hier fortgesetzt. Fast nichts von den Spuren und historischen Wurzeln unserer Stadt sollte sichtbar bleiben. Die historische Mitte wurde an diesem Ort eine Fläche für die Inszenierung eines Regimes, das sehr wenig mit der Bürgerstadt und der Bürgerlichkeit der Vorkriegszeit gemein hatte. Aber – und das gehört zur Wahrheit dazu: Das Nikolaiviertel stellte eindrucksvoll unter Beweis, dass sich spätere Stadtplaner der DDR mit einer ganz anderen Sensibilität den Wurzeln und dem Ursprung Berlins genähert haben. Allerdings: Das ehemalige Marienviertel, der frühere Neue Markt, der heutige Freiraum
zwischen Fernsehturm und früherem Palast der Republik blieb ein unwirklicher, ein irgendwie unfertiger Ort.
So haben wir es heute mit einem Stadtraum zu tun, der in den letzten Jahrzehnten seine Identität verloren hat und auch ohne Namen geblieben ist – das will etwas heißen in einer Stadt wie Berlin, die bei Namensgebungen ansonsten so erfindungsreich ist –, mit einem Ort, der immer mit dem Alexanderplatz verbunden und von ihm überwölbt wird, aber doch etwas Eigenes hat und haben sollte. Hier, wo Berlin vor 778 Jahren begonnen hat, weist nur noch die einsame Marienkirche auf die Wurzeln unserer Stadt hin; hier vermochte die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte nur eine Leerstelle zu setzen. Das hat sie bewusst getan; sie hat gesagt: Die Entscheidung über die Weiterentwicklung dieser historischen Mitte wollen wir späteren politischen Generationen überlassen.
Ich für meinen Teil bin fest davon überzeugt, dass 25 Jahre nach dem Fall der Mauer der Zeitpunkt gekommen ist, sich dieser Frage anzunehmen und sich von den Gräben freizumachen, deren Überwindung in den letzten Jahrzehnten schier unmöglich schien. Deswegen habe ich mich persönlich und gemeinsam mit meiner Fraktion dafür eingesetzt, die Voraussetzungen für dieses Dialogverfahren zu schaffen.
Das ist ein Verfahren, mit dem wir Neuland beschreiten und mit dem diese Koalition auch einen Beweis dafür liefert, dass wir es ernst damit meinen, neue Wege in der Bürgerbeteiligung zu beschreiten – das geht in der Berichterstattung und in manchem kritischen Kommentar der Opposition gern unter. Das Ziel des Verfahrens ist klar: Das Abgeordnetenhaus – und das möge sich jeder hier bewusst machen – und nicht der Senat wird am Ende die Entscheidung über die Zukunft der historischen Mitte treffen. Wir werden miteinander städtebauliche Leitlinien beschließen.
Für diese Leitlinien gibt es noch keinen Entwurf; es gibt keine Textbausteine, nichts, was in den Schubladen der Verwaltung oder der Fraktionen schlummert. Das ist das Erste, was wir jedem versprechen können, der sich auf dieses Verfahren einlässt. Wir starten gewissermaßen zwar nicht frei von eigenen Haltungen, Vorstellungen und Positionen in das Verfahren – das ist ja schier unmöglich –, aber mit einem weißen Blatt Papier. Wir haben alle als stadtentwicklungspolitische Sprecher der Fraktionen am vergangenen Samstag ein Dialogversprechen unterschrieben. Ich kann für meinen Teil sagen – und ich hoffe, dass gilt auch für die anderen Kolleginnen und Kollegen: Wir meinen es ernst mit diesem Versprechen.
Genau das macht dieses Dialogverfahren so einzigartig und bedeutsam für alle, die sich aufmachen, daran teil
zuhaben. Wir Abgeordnete arbeiten gemeinsam mit allen, die sich einbringen wollen, auf unsere Entscheidung über die beste Zukunft für das Herz der historischen Mitte hin. Die Senatsverwaltung ist dabei vor allem Dienstleister des Verfahrens, dessen Ablauf, Zielsetzung und Formate ganz maßgeblich aus der Zivilgesellschaft heraus erarbeitet wurden und gerade nicht allein den Vorstellungen der Verwaltung folgen. Der Wächter dieses Prozesses ist ein Kuratorium, in dem alle maßgeblichen Stimmen und Interessengruppen vertreten sind, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit der historischen Mitte beschäftigt haben: Vertreter der Anwohnerschaft, der Wirtschaft, der Verwaltung und der Fachwelt.
Schon die Vorbereitung dieses Verfahrens, der Konsens über das Verfahren, macht es ein Stück weit einmalig. Es war durchaus nicht gesichert und von Anfang an klar, dass sich all die kontroversen Positionen auf eine gemeinsame Vorstellung, einen gemeinsamen Wunsch nach einem solchen Dialogverfahren einigen würden. Aber das ist geschafft, und das ist schon einmal ein wichtiger Schritt. Darüber bin ich sehr froh. In den nächsten Wochen werden Formate folgen, die wir kennen: Kolloquien, Foren, Bürgerwerkstätten. Es werden experimentelle Wege wie das partizipative Theater beschritten, auf das ich sehr gespannt bin. Wenn wir eins nicht wissen, dann ist es das: auf welchen Weg uns dieser Prozess führen wird. Und das ist gut so. Klar ist und bleibt aber eins – und ich bin Andreas Geisel dafür dankbar, dass er das gleich zu Beginn klargestellt hat; bei seinem Vorgänger war das nicht immer ganz so deutlich: Am Ende steht eine politische Entscheidung über die Zukunft der historischen Mitte.
Wir werden dazu unterschiedlichste Auffassungen hören. Wir werden Argumente zusammentragen und unterschiedliche Positionen und denkbare Lösungen gegeneinander abzuwägen haben. Jeder soll dabei zu Wort kommen, der etwas zu sagen hat. Schon jetzt bin ich da ausgesprochen zuversichtlich, wenn ich mir den Rücklauf auf die Dialogangebote auf den Onlineplattformen anschaue: Es gab weit über 3 000 Rückmeldungen, und das zeigt, dass die Menschen willens sind, sich einzubringen. Sie tun das auch mit ihren ganz unterschiedlichen Anliegen und Ansprüche an diese Mitte der Mitte sehr qualifiziert. Wir alle werden dabei von dem heutigen Bestand ausgehen können. Es ist gerade ein Herzensanliegen der Linken, auf den Bestand zu achten. Das tun wir, liebe Frau Kollegin Lompscher. Aber wir achten nicht nur auf den Bestand, der sichtbar ist, sondern auch auf den Bestand, der unsichtbar ist und nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche als Archäologie, als Spur der Bürgerstadt Berlin an diesem Ort schlummert. Das wird man zu betrachten haben; man wird eine Bewusstsein dafür zu schaffen haben, wie die unterschiedliche Umgangsweise mit dieser Mitte über die Jahrhunderte und vor allem die letzten so bewegten Jahrzehnte unserer Stadtgeschichte ausgesehen hat.
Ich bin gespannt, welche Fragen und welche Antworten wir miteinander in den nächsten Monaten erarbeiten werden. Ich bin vor allem darauf gespannt, wo Konsens möglich ist und wo am Ende unterschiedliche Positionen verbleiben. Die wird es geben. Es ist nicht unser Anspruch, dass wir am Ende alles mit einer Wohlfühldecke des Konsenses überdecken, sondern wir werden miteinander Gemeinsamkeiten in unseren Herangehensweisen, Ansprüchen und Nutzungsformen feststellen, die wir uns für diesen Ort wünschen. Es wird aber auch Unterschiede und vor allem hinsichtlich der Gestaltung sehr kontroverse Vorstellungen geben. Gerade darum ist es wichtig, dass am Ende eine Entscheidung steht, die von diesem Haus getroffen wird, von all denen, die dazu gewählt und berufen sind. Dass wir uns öffnen und diese Entscheidung gemeinsam erarbeiten und die Grundlagen und die Art und Weise, in der wir uns vorbereiten, für jeden öffnen, der mitmachen möchte, ist einmalig. Die Entscheidung wird man uns nicht abnehmen können. Aber dieser Prozess wird uns bestmöglich darauf vorbereiten. Und er wird, wie ich hoffe, vor allem eins in die Stadt tragen: eine neue Liebe für die alte Mitte, die bei manchen viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist. Wenn ich heute auf Weg hierhin im Radio gehört habe, dass allein die Aktuelle Stunde, die wir miteinander aufrufen, dazu führt, dass Radiokanäle dazu aufrufen, sich zu beteiligen, einzubringen und darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Verfahren gestartet ist, dann hat es sich allemal gelohnt, diese Priorität zu setzen. – Danke an die Koalitionsfraktionen, dass sie sich dafür entschieden haben! Ich freue mich auf die nächsten Monate miteinander im spannenden Diskurs, und bin noch gespannter auf die Entscheidung, die wir Ende des Jahres miteinander treffen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich etwas ungewöhnlich beginnen: Ich würde gern die Gelegenheit nutzen, um dem Leiter des Plenarbüros, Herrn Baer, nachträglich zum 60. Geburtstag zu gratulieren.
Herr Evers! Ich gebe Ihnen recht. Dieses Verfahren auf den Weg zu bringen, das war tatsächlich eine schwere Geburt, und ich verstehe, dass Sie darüber auch mit einigermaßen Stolz und Freude sprechen. Ich würde Ihnen sogar soweit recht geben, dass wir hier tatsächlich über einen der spannendsten Orte, die Berlin hat, reden und deshalb dieser Ort auch maximale Öffentlichkeit verdient hat. Und deshalb bin ich der Meinung, nicht nur Berlin im Allgemeinen, sondern speziell auch die Berliner Mitte