Protocol of the Session on April 23, 2015

hat mehr Beteiligung und so viel Beteiligung wie möglich verdient und auch wirklich nötig.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Das täuscht aber nicht über eines hinweg, dass nämlich der maßgebliche Geburtshelfer am Ende des Tages nicht das Abgeordnetenhaus war, sondern dass dieses Beteiligungsverfahren in der Berliner Mitte nicht zustande gekommen wäre, wenn Ihr Scheitern beim Volksentscheid Tempelhof Sie nicht dazu gezwungen hätte.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Und dennoch finde ich es logisch und nachvollziehbar, dass Sie diesen Bürgerdialog heute feiern wollen und vielleicht sogar müssen. Denn schaut man sich Ihre Beteiligungspolitik im Allgemeinen an, stellt man fest, Berlin ist das Bundesland, das alle Rekorde einstellt, denn in den letzten zehn Jahren gab es in keinem anderen Land so viele Volksentscheide wie in Berlin. Berlin könnte, wenn man das positiv sehen wollte, somit locker Hauptstadt der Beteiligung sein. Leider sieht die Realität anders aus, denn die Volksentscheide und auch Bürgerentscheide sind hier oft mehr Ausdruck dessen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger Beteiligung und auch Mitsprache erkämpfen müssen, und das ist deutlich ein Zeichen dafür, dass Sie und dass auch der Senat seit Langem das Gefühl dafür verloren haben, was diese Stadt eigentlich wirklich bewegt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Ich gehe sogar einen Schritt weiter und sage: Genau daher rührt wahrscheinlich Ihre immer größer werdende Angst vor einer stärker werdenden Stadtgesellschaft, und diese Angst nimmt mittlerweile so absurde Züge an, dass selbst der Regierende Bürgermeister inzwischen vor direkter Demokratie warnt. Und nehmen Sie mir das nicht übel, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber genau das, Herr Evers, lässt mich an der Ernsthaftigkeit dieses Bürgerdialogs zur historischen Mitte bisweilen zweifeln, denn die eigentlich entscheidende Frage haben auch Sie heute nicht beantwortet, nämlich wie denn die Ergebnisse dieses durchaus richtigen und auch teuren Verfahrens am Ende in Verbindlichkeit umgesetzt werden und was wir als Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses genau mit diesen Ergebnissen machen.

Das ist im Moment genauso unverbindlich geregelt wie die von Ihnen vorgeschlagenen Volksbefragungen. Sie werden dann mal nach Tempelhof oder vor einer Olympiabewerbung vorgeschlagen und dann wieder vergessen. Ich frage mich: Was ist es denn nun, Herr Saleh, mit der Beteiligung? Folgt da Ihrer Ankündigungspolitik auch irgendwann noch mal eine echte Tat? – Ich habe da meine Hoffnungen mittlerweile verloren. Falls Sie sich doch noch mal anders besinnen, kann ich sagen, die Opposition

hat in Gänze eine Reihe von Vorschlägen gemacht, und wir warten darauf, dass Sie endlich auf uns zukommen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

„Wo drückt denn der Schuh?“ ein. Das zeigt Audienz, statt Beteiligung. Und das war genau auch der Charakter der Auftaktveranstaltung am Samstag.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Andreas Kugler (SPD): Wir bedauern Sie! – Weitere Zurufe]

Der Samstag hat eines sehr deutlich gemacht – ich sehe schon, es rührt Emotionen bei Ihnen –: Ein echter Dialog zwischen den festgefahrenen Positionen in der Debatte um eine Gestaltung der historischen Mitte ist in Ihrem Bürgerdialog gar nicht vorgesehen, denn seit Jahren toben doch hinter den Kulissen die Streitigkeiten und die Auseinandersetzungen zwischen den Bebauungsbefürwortern, den Bebauungsgegnern, den Fans einer DDRModerne und denen, die sagen, dieser Ort sollte vor allem freigehalten werden.

Ich sage Ihnen eins: Diese Positionen kann man nicht einfach ignorieren. Diese Positionen muss man zusammenführen, die muss man benennen. Man muss versuchen, die Festgefahrenheit aufzubrechen und nach Möglichkeit gemeinsam einen Schritt weiterzugehen. Das aber hat der Samstag nicht gebracht.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Es gab dort ein Promi-Laufen ohne Positionierung. Es gab dort eine Reihe von interessanten Formaten, die ausprobiert wurden, die aber alle irgendwie völlig zusammenhangslos nebeneinander stattgefunden haben. Ich habe keinen Input dazu wahrgenommen, über was wir eigentlich genau debattieren, welche Positionen es gibt, geschweige denn, dass man schon mal versucht hat zu klären, worin denn ein Kompromiss bestehen könnte.

Die entscheidende Frage habe ich gerade schon angesprochen: Bespaßen wir hier ein halbes Jahr lang die Berlinerinnen und Berliner, um am Ende dann die Ergebnisse zu ignorieren, oder verpflichten wir uns als gesamtes Abgeordnetenhaus und als Senat, diese Ergebnisse auch umzusetzen?

Ein Beteiligungsverfahren „made to fail“ werden wir nicht unterstützen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Das wird am Ende nämlich nur eine Debatte um die Berliner Mitte beschädigen und nicht nur diese, sondern auch die demokratische Kultur in dieser Stadt. Aber um das klarzustellen: Ich und nicht nur ich, sondern wir wünschen uns, dass dieses Beteiligungsverfahren Erfolg

(Antje Kapek)

haben wird. Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Berlinerinnen und Berliner beteiligen werden, und ich wünsche mir, dass wir am Ende eines solches Dialogverfahrens nicht nur die maximale Öffentlichkeit haben, sondern jeder Mensch, der in dieser Stadt wohnt oder hier zu Besuch kommt, ein Bild davon hat, was er sich an diesem Ort wünscht.

Dafür muss man aber erst mal klarstellen, was denn „historische Mitte“ heißt. Ich bin mir sicher, fragen wir die Leute auf der Straße, sagt der eine Nikolaiviertel, der andere Hackescher Markt und der dritte vielleicht Brandenburger Tor. Worüber reden wir in diesem Bürgerdialog? – Nur über den Raum zwischen Fernsehturm und der Spree, also dem künftigen Schloss! Selbst der Alex, der eigentlich nur hinter dem S-Bahnhof liegt, ist ausgeschlossen aus diesem Diskussionsverfahren, und das finde ich schade. Hier vergeben wir eine Chance, die wir dann hoffentlich an anderer Stelle heilen können.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich glaube – und das sagt auch der zuständige Senator immer wieder –, dass die zentrale Herausforderung erst mal darin besteht, nicht nur die Positionen zu sammeln, sondern miteinander als gesamte Stadt zu klären, welche Nutzungen wir denn dort vor Ort haben wollen. Diese Frage steht vor der Frage: Soll da bebaut werden oder nicht? – Denn wenn ich gar nicht weiß, was ich dort haben will, kann ich auch nicht wissen, was ich dort bauen oder auch nicht bauen soll. Ich möchte deshalb noch mal darauf hinweisen, dass dieser Raum eigentlich viel größer ist. Es ist nicht nur das Rathausforum, das Marx-EngelsForum. Wir sprechen mindestens auch über das Klosterviertel, den Molkenmarkt, aber auch eine Reihe von anderen Teilräumen.

Wenn Sie mich fragen – ich möchte diese Debatte auch mal nutzen, um mein eigenes Bild von der historischen Mitte darzustellen –, so ist für mich zumindest das Rathausforum, also der Platz vor dem Roten Rathaus, der Verkehrsknotenpunkt Berlins. Es ist für mich das politische Zentrum dieser Stadt, und vor allem – und das ist mir fast das wichtigste – ist es der Number-One-Hotspot für Touristen. Und deshalb ist für mich diese Berliner Mitte ein bisschen auch das Eingangstor Berlins. Es sollte der Ausgangspunkt sein, an dem jeder ankommt und Entdeckungstouren durch die historische Mitte, aber auch die ganze Stadt machen kann.

Und deshalb bin ich der Meinung, dass dieser Ort der einzig geeignete für ein erstes echtes Tourismusinformationszentrum in Berlin ist, so wie das andere große europäische Städte schon längst haben. Hier sollte es nicht nur Informationen über die Stadt geben, hier sollten Touren starten, hier sollte man das Entree Berlins vorfinden, ein Entree, das wie das Foyer eines Hauses ableitet in die unterschiedlichen Räume, die man entdecken kann. Und genau diese Räume müssen deshalb auch miteinander in Verbindung stehen, sei es über archäologische Pfade oder

ein vernünftiges Tourismusleitkonzept, denn gerade die Brüche dieser Stadt sind es ja, was die meisten Leute interessiert, die hierher kommen, was sie erfahren wollen und was sie spannend finden.

Das heißt aber nicht, dass wir eine Altstadt wieder aufbauen müssen,

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

sondern dass man die historischen Spuren wieder sichtbar machen muss, und zwar mit modernen Lösungen, die es an anderen Stellen schon gibt über sogenannte urbane Interventionen, die zeigen, dass man sehr wohl das Alte mit dem Neuen verbinden kann und den Mensch in das Zentrum der Planung stellt. Für mich ist deshalb dieser Ort ein lebendiger, es ist für mich eine grüne Mitte, es ist der Ort, an dem Demos anfangen und Demos enden, es ist der Ort, an dem ich sitzen kann und das bunte Treiben dieser Stadt beobachte. … Es ist vor allem für mich auch ein Ort, der vielleicht auch mit diesem Bürgerdialog die Auseinandersetzung symbolisiert. Und deshalb der Vorschlag: Lassen Sie uns doch das Bürgerforum, das bei dem Bundeskanzleramt gescheitert ist, an dieser Stelle bedenken! Ein Bürgerforum, das wäre das Stadtforum 3.0, dann aber als ein fester Anlaufpunkt für Bürgerbeteiligung, für den Diskurs der Menschen. Das wäre für mich zumindest ein sehr viel kraftvolleres Symbol als jede noch so unverbindliche Bürgerbefragung.

Frau Kollegin! Sie kommen bitte zum Ende!

Ja, gleich, sofort! – Ich glaube auch, dass wir nur zu mehr Aufenthaltsqualität an diesem Ort kommen, wenn wir an die Verkehrsschneisen herangehen. Und deshalb mein radikaler Vorschlag: Lassen Sie uns die Straßen schmälern! Und wir könnten doch überlegen, ob wir auf der freigewordenen Verkehrsfläche Häuser bauen. Damit hätten wir doch den Kompromiss zwischen den festgefahrenen Lagern, die Bebauung auf der Straße und trotzdem einen großen Freiraum in der Mitte. Ich glaube, in die Richtung kann man nachdenken.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Frau Kollegin! Ich muss Sie jetzt bitten, zum Ende zu kommen! Sie haben über eine Minute überzogen. Jetzt gibt es auch noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Das würde den Rahmen insgesamt etwas sprengen.

(Antje Kapek)

Das müssen Sie entscheiden!

Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen!

Ich glaube, wenn wir diesen Dialog ernsthaft betreiben, dann müssen wir noch Anpassungen vornehmen. Wenn wir die Menschen begeistern können, dann haben wir die Chance, am Ende wirklich sagen zu können: alte Mitte – neue Liebe. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Haußdörfer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich sagen, dass ich sehr froh bin, dass der Senat vor Ort geht, sich die Chancen und Herausforderungen der einzelnen Bezirke anschaut. Die Grünen wissen alles. Sie wissen immer auch alles besser, und das am besten von ihrem Elfenbeinturm. Das ist nicht meine Vorstellung von bürgernaher Politik.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich bin sehr froh, dass wir in der Aktuellen Stunde heute über das Dialogverfahren zur historischen Mitte sprechen. Vieles zur Einordnung in die stadtentwicklungspolitische Debatte ist unter anderem von Herrn Evers schon gesagt worden. Und so möchte ich zum Auftakt, aber eben auch zum Antrag, den wir heute mit besprechen, antworten. Denn was die Auftaktveranstaltung am Samstag gezeigt hat, war ja: Die Berlinerinnen und Berliner wollen über den Platz zwischen Alex und Spree reden. Sie sind durchaus ungeduldig, sie haben viele Ideen, und sie wollen sich in diese Entwicklung des Raums mit einbringen, und zwar – da haben Sie recht – nicht nur über den Raum, wie er in dieser graphischen Briefmarkendarstellung dargestellt ist, sondern wie er auch darüber hinaus erscheint. Und das, diese Einbringung, ermöglichen wir ihnen mit unserem Dialogprozess.

Ich war ja auch eine „ausleihbare Meinung“ im Rahmen der Living Library. Da wurde ich sechsmal ausgeliehen. Und die Meinungen hielten sich doch die Waage. Drei Personen waren für die Bebauung nach dem historischen Grundriss, da gingen Epoche und Gestaltung quer durch die Geschichte, und drei Personen waren für die unbebaute Grünfläche von Hyde-Park bis kleiner Stadtpark. Aber eines hatten alle sechs Meinungen gemeinsam: Es soll

und muss ein öffentlich zugänglicher Raum sein und bleiben.

Gleichzeitig behandeln wir auch den Antrag der Fraktion Die Linke „Dialogprozess Berliner Mitte transparent und verbindlich gestalten“. Interessant ist dabei der von Ihnen gesetzte Schwerpunkt: Sie setzen auf Transparenz und Verbindlichkeit. Das tun wir auch. Wir setzen aber vor allem auf eine breite Beteiligung und Ergebnisoffenheit, was uns für diesen demokratischen Beteiligungsprozess wichtiger erscheint. Denn dass dieser Prozess verbindlich ist, haben wir nicht nur alle unterschrieben, sondern müssen wir auch offensiv bestätigen und immer vorantragen, da es eben doch einiges Misstrauen gibt. Immerhin dient er ja auch der Entwicklung der Leitlinien zur zukünftigen Gestaltung und endet mit der Beschlussfassung unseres Hauses. Wer einen Blick auf die Internetseite des Dialogverfahrens wirft, wird sehen, dass mehr Transparenz kaum noch möglich ist. Probieren Sie es doch aus! Ich sehe hier einige Laptops. Gehen Sie auf stadtdebatte.berlin.de und sehen Sie sich die bereits vielen eingegangenen Vorschläge an! Alle Vorschläge werden dort veröffentlicht. Das Kuratorium hat sich selbst als „Wächter des Verfahrens“ bezeichnet, und so sehe ich auch Ihre Rolle.

Das bringt mich zu einem unserer anderen beiden Schwerpunkte, nämlich der breiten Beteiligung. Der Raum hat enorme Bedeutung für die gesamte Stadt. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir dafür sorgen, dass alle Berlinerinnen und Berliner die Gelegenheit haben, teilzuhaben. Im Übrigen, Frau Kapek, wurden die Haushaltsmittel zur Durchführung des Verfahrens schon im Dezember 2013 mit dem Beschluss unseres Doppelhaushalts zur Verfügung gestellt, wie wir übrigens auch nicht unerhebliche Posten für Bürgerbeteiligung insgesamt haben.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Donnerwetter!]

Und das macht auch eben nur Sinn, Herr Lux, wenn sich alle mit ihren Ideen einbringen können und dürfen. Deshalb muss es im Vorfeld ergebnisoffen sein. Wir können nicht einfach Grundsätze festlegen, auch wenn sie uns vielleicht inhaltlich sympathisch sind, wie es z. B. in Ihrem Antrag beschrieben ist. Denn ginge es nach der Fraktion Die Linke, wären viele Vorschläge von vornherein ausgeschlossen. Glücklicherweise orientiert sich das Dialogverfahren aber nicht an dem uns vorliegenden Antrag, sondern wird ergebnisoffen geführt.

[Beifall von Stefan Evers (CDU)]