Protocol of the Session on March 12, 2015

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Dazu hätte man ja mal was sagen können! – Jutta Matuschek (LINKE): Was sind denn formale Gründe? – Weitere Zurufe von der LINKEN]

Es liegt der Antrag einer Fraktion vor, den zuständigen Senator zu zitieren.

[Torsten Schneider (SPD): Wer ist denn der zuständige Senator?]

Der für solche Angelegenheiten zuständige Senator ist der Regierende Bürgermeister, wenn ich recht informiert bin. – Er wird geholt. Wir unterbrechen so lange. Einen kleinen Moment, bitte!

[Kurze Unterbrechung]

Vielen Dank! – Wir fahren fort. Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Frau Abgeordnete Bangert. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da SPD und CDU in diesem Haus offenbar immer noch nicht gewillt sind, die Rolle Hindenburgs bei der Machtergreifung Hitlers kritisch zu hinterfragen, möchte ich Ihnen gern eine Brücke bauen und noch mal verstärken, was Herr Brauer bereits gesagt hat, indem er auf die Hintergründe verwies, die zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Paul von Hindenburg geführt haben. Die Zeitnähe zur Machtergreifung Hitlers hat Herr Brauer bereits genannt. Und ein ganz entscheidender Punkt ist, dass die Verleihung der Ehrenbürgerwürde auf Antrag der NSDAP erfolgte, die damit ganz eindeutig die Rolle Paul von Hindenburgs bei der Machtergreifung Hitlers würdigte. Die Nazis waren Hindenburg zu Dank verpflichtet, hatte er doch mit diversen Unterschriften Gesetze in Kraft gesetzt, die den Weg in die nationalsozialistische Diktatur erst ermöglicht haben.

In diesem Zusammenhang auffällig ist auch das Datum der Verleihung der Ehrenbürgerwürde. Sie wissen es. Es ist der 20. April 1933 – Hitlers Geburtstag –, und wir fragen uns, warum dieses Datum in der Ehrenbürgerliste nicht zu finden ist. Ich frage mich, wer hier eigentlich Geschichte ausradiert, Herr Lubawinski.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Der zweite Punkt wiegt noch schwerer. Ich habe dies bereits bei der Einbringung des Antrags ausgeführt, aber angesichts des Verlaufs der Debatte werde ich ihn noch einmal wiederholen, denn er scheint nicht bei allen angekommen zu sein. Der Beschluss über die Verleihung der Ehrenbürgerwürde von Paul von Hindenburg am 20. April 1932 war unrechtmäßig. Die Kommunisten waren bereits aus dem Parlament verbannt. Obwohl sie gewählte Abgeordnete waren, durften sie nicht mehr

(Brigitte Lange)

abstimmen. Sie waren verfolgt und interniert. Die SPD nahm an der Abstimmung erst gar nicht teil.

Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren von der SPD und von der CDU, wie Sie diese Umstände bewerten, unter denen dieser Beschluss zustande gekommen ist. Rechtmäßig und ein demokratischer Vorgang war dies eindeutig nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist aber nicht allein der unrechtmäßige Vorgang, über den es heute abzustimmen gilt. Paul von Hindenburg hat als Reichspräsident den Nationalsozialisten die Machtergreifung ermöglicht und ist damit auch mitverantwortlich für die Folgen, die bis in die heutige Zeit reichen.

In einer toleranten und weltoffenen Stadt, wie Berlin es heute ist, können die Taten von Paul von Hindenburg nicht mehr für ehrenwert gehalten werden. Schön wäre es, wenn dieses Parlament heute ein starkes Zeichen setzen würde, indem es Paul von Hindenburg von der Ehrenbürgerliste streicht, auch im Hinblick auf eine potenzielle Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Bangert! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Abgeordnete Herr Dr. LehmannBrauns, bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hindenburg gehört sicherlich nicht zu den bedeutenden politischen Persönlichkeiten der Weimarer Republik so wie Walther Rathenau, Friedrich Ebert, Gustav Stresemann und Otto Braun.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Aber sicher hatte er Bedeutung!]

An sie reicht Hindenburg nicht heran. Er war der Repräsentant einer mit dem Ersten Weltkrieg untergegangenen Epoche. Bei der Bewertung seiner Persönlichkeit ist es aber nach Auffassung meiner Fraktion unhistorisch, nur die verhängnisvolle Betrauung Hitlers am 30. Januar 1933 zur Grundlage einer Entscheidung zu machen.

[Unruhe bei der LINKEN]

Wir müssen zurück in das Jahr 1932. Dieses war für Deutschland ein schlimmes Jahr. Das Bruttosozialprodukt war 1932 halb so hoch wie 1929. Es gab sechs Millionen Arbeitslose. Es gab fünf Wahlkämpfe allein 1932. Die Weimarer Demokratie wurde von links und rechts, von Kommunisten und Nazis, systematisch zusammenge

schlagen. Herr Brauer, Ihr früherer Parteifreund Mielke erschoss damals von hinten auf offener Straße zwei Polizeibeamte.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Jetzt werden Sie aber unverschämt! Das ist unter der Gürtellinie!]

Ich berichte nur die Wahrheit. – Im Reichstag gab es keine demokratische Mehrheit. Das Sagen hatten Kommunisten und Nazis. So unterschiedlich ihre Ideologien auch waren, sie einte eines: Der Hass auf die Weimarer Demokratie und der Wille, sie zu zerstören.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Wer hat denn das Ermächtigungsgesetz durchgedrückt?]

Die Sozialdemokraten, vertreten durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, riefen den Kommunisten warnend zu: Merken Sie nicht, dass Sie die Geschäfte der Nazis besorgen? Die höhnische Reaktion der Kommunisten lautete: Dich hängen wir als Ersten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lederer?

Ich habe die Frage, lieber Herr Kollege Dr. LehmannBrauns, ob Ihnen bekannt ist, wer im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hat. Wie kommen Sie auf die Idee, dass sich die Kommunisten an der endgültigen Beerdigung der Weimarer Republik beteiligt hätten? War es nicht das Ermächtigungsgesetz, das die Weimarer Republik zu Grabe getragen hat? War es nicht genau das bürgerlich-konservative Lager, das in dieser Situation stand wie Hindenburg?

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Bitte!

Ich komme gleich dazu. Ich habe nicht mehr und nicht weniger getan, als die Situation zu schildern, die 1932 entstand, bevor Hindenburg – ich komme auch gleich noch dazu – Hitler betraute.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Hitler hätte 1932 schon Reichspräsident werden können, wenn sich nicht der greise Hindenburg bereit erklärt hätte, gegen ihn zu kandidieren. Hindenburg war damals der Kandidat der Demokratischen Linken und der Mitte, der

(Sabine Bangert)

einzige, der Hitler 1932 zu schlagen vermochte. Hindenburg verhinderte Hitler. Auch danach wehrte er sich mehrfach gegen dessen Ernennung zum Ministerpräsidenten, bis er schließlich mit 85 Jahren isoliert, von der Herrenreiter-Kamarilla umringt und bedrängt, nachgab. Hindenburg, so der Historiker Golo Mann, war kein entscheidender Akteur zugunsten Hitlers. Seine abwertende Beurteilung des von ihm sogenannten böhmischen Gefreiten ist bekannt. Bis Anfang 1933 hatte er als Präsident ehrlich und loyal der Republik gedient, vor allem gegen Hitler.

Der Antrag verschweigt diese politischen Umstände, den Hintergrund jener verhängnisvollen Beratung, verschweigt die Gewaltsamkeiten der Kommunisten und der Nazis, das wirtschaftliche Chaos, die Zerrissenheit der Nation. Dies alles hatte Hindenburg nicht zu vertreten. Es war ihm von der Geschichte und den deutschen Wählern auferlegt worden. Dem Fehlverhalten am Ende seines Lebens steht die jahrzehntelange loyale Verteidigung der Weimarer Republik gegenüber.

In diesem Abwägungsprozess hat sich meine Fraktion entschieden, den Antrag abzulehnen. Dass dieser Antrag von einer Partei kommt, deren Vorläufer eine erhebliche Mitschuld an jenen gewaltsamen Zuständen trägt, an der Hatz gegen die Weimarer Republik, ohne sich dazu heute zu bekennen, macht diesen Antrag nicht glaubwürdiger.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Seniler Unsinn!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höfinghoff?

Im Unterschied dazu ist es mir ein besonderes Bedürfnis, der Haltung der deutschen Sozialdemokraten in jener schweren Zeit Dank und Anerkennung auszusprechen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (LINKE): Irgendwie sind Sie in den Vierzigerjahren stehengeblieben!]

Vielen Dank, Herr Dr. Lehmann-Brauns! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Magalski.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Nun stehen wir 14 Tage später wieder hier, um über das gleiche Thema zu sprechen, über diesen berech

tigten Antrag, das Ansinnen, den diktatorischen Militaristen Hindenburg, der schon die formellen Kriterien für die Ehrenbürgerschaft Berlins nicht mehr erfüllt, aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen. Ich hatte gehofft, dass der SPD diese kleine Verschnaufpause reicht, um in dieser Frage zur Vernunft zu kommen, die da lautet, diesem Antrag zu entsprechen. Leider scheint dem nicht zu sein.

Die vielfältigen Gründe, warum wir diesen Mann von dieser Liste haben möchten und auch die Mehrheit in diesem Haus dies eigentlich will, hatte ich bereits vor 14 Tagen zur Genüge besprochen. Ich möchte mich trotzdem an dieser Stelle noch einmal selbst – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – zitieren.

[Heiterkeit]

Ich wünsche mir doch etwas mehr Ernsthaftigkeit an dieser Stelle.

Bitte! Der Redner hat das Wort, meine Damen und Herren!