Protocol of the Session on January 29, 2015

Hätten Sie einmal zugehört oder wenigstens Ihre Verwaltung angewiesen zuzuhören, dann hätte man leise und ohne Schaden für die Stadt die Mängel beheben können.

Die Karnevalsgruppen wollen den Karneval. Das haben die Karnevalistinnen und Karnevalisten in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, indem sie ihre Zeit, ihre Kreativität, unschätzbar viele Arbeitsstunden und eine enorme Menge privates Geld in diese Veranstaltung, die sie lieben, gesteckt haben.

Letzte Woche gab es ein Treffen, auf dem plötzlich alle Forderungen der Karnevalsgruppen erfüllt wurden. Es gibt ein Protokoll mit der Liste der Zusagen. Wunderbar! Damit könnte das Problem gelöst sein. Nur, warum soll jetzt plötzlich alles gehen, was in all den Vorjahren unmöglich gewesen ist? Die Senatorin und ihre Verwaltung haben das Vertrauen der Künstlerinnen und Künstler verloren. Das ist im Moment viel schwerwiegender als die Lösung organisatorischer Mängel.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Katrin Lompscher (LINKE) und von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Eine Gruppe der ersten Stunde schreibt auf ihrer Website:

Der Karneval der Kulturen, den wir in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre als praktische kulturelle Maßnahme gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mit initiiert haben, wurde zu einem Publikumsmagneten, der der Stadt seit 18 Jahren positives Image und finanzielle Einnahmen bringt. Dass die Gruppen, auf deren Arbeit und Engagement dieses Großevent beruht, sich an Sponsoren verkaufen oder verschulden müssen, weil es keine öffentliche Förderung gibt, interessiert niemand.

Aber ohne die Gruppen ist der Karneval nichts. Der Senat kann ein Fest auf dem Blücherplatz machen – das ist jetzt für 2015 als Rückzugslinie im Gespräch –, aber mehr bekommt der Senat für sein Geld nicht. Denn alles, was den Karneval zum Karneval der Kulturen macht, ist nicht käuflich. Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass er dem Senat auch nichts wert sein muss und man sich auf die Kräfte der Selbstausbeutung verlassen kann, ist falsch. Wir stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Geben Sie, Frau Senatorin, dem Karneval das, was er braucht, um wieder zu dem zu werden, was er immer sein wollte!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Geben Sie den Karnevalistinnen und Karnevalisten den organisatorischen und finanziellen Rahmen, der nötig ist!

Dazu gehört zuerst, dass die Kommerzialisierung des Karnevals ein Ende haben muss. Nichts gegen eine teilweise Refinanzierung des Umzugs durch das Straßenfest! Es darf aber nicht sein, dass der Umzug in einem Besäufnis, Glasscherben und Dreck untergeht. Ich erwarte, dass dem Abgeordnetenhaus konkrete Zahlen vorgelegt werden, wo Einnahmen und Ausgaben in den letzten Jahren hingeflossen sind. Bisher kann man das Ausmaß der Unterfinanzierung nur schätzen.

Zu den Rahmenbedingungen gehören ein Sicherheitskonzept und die Bereitschaft nachzujustieren, wenn sich Problemlagen verschieben. Auch das ist über Jahre verschleppt worden, nicht nur über Monate. Dafür braucht man außer der Finanzierung auch die ernsthafte Kommunikation mit den Gruppen. Setzen Sie sich endlich zusammen!

Und wir brauchen einen Fonds für die Gruppen. Es ist gut, dass auch er letzte Woche zugesagt wurde. Und auch hier gilt: Erarbeiten Sie die Vergabekriterien mit den Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam, denn beim Karneval kann nichts, gar nichts gut werden ohne die Beteiligung der Karnevalisten.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Der Kulturstandort Berlin ist ohne den Karneval der Kulturen in Gefahr. Deshalb hoffe ich, trotz aller Kritik, dass Sie, Frau Senatorin, das Vertrauen wieder erwerben und die Abmachungen einhalten. Wenn das geschafft ist, darf es kein Zurück mehr geben in die Verwaltungsüberheblichkeit. Die Gruppen haben seit eh und je ihren Beitrag geleistet – 20 Jahre Vorleistung, könnte man sagen. Aber nein, das ist ganz falsch, denn der Karneval ist der Karneval ist der Karneval: fantastische Handwerkskunst, wunderbare Musikerinnen und Musiker, Tänzerinnen und Tänzer, Kreativität und eine umwerfend positive Power. Im letzten Jahr haben sich die Flüchtlinge einfach eingereiht und sind auf der ganzen Strecke gefeiert worden. Hier feiert sich das multikulturelle und weltoffene Berlin selbst. Das wollen alle erleben, die nach Berlin kommen, um mitzufeiern. Der Karneval war bisher nicht kaputt zu kriegen, aber jetzt muss er endlich besser werden. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Kahlefeld! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dregger. – Bitte sehr!

[Uwe Doering (LINKE): Ah, jetzt geht’s los!]

(Dr. Susanna Kahlefeld)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Seit 1996 findet in Berlin der Karneval der Kulturen statt, in der Vergangenheit veranstaltet durch die Werkstatt der Kulturen. Seitdem haben sich die Teilnehmer- und Besucherzahlen in beeindruckender Weise entwickelt. An der Premiere 1996 konnten 2 200 Teilnehmer und etwa 50 000 Besucher gezählt werden. Bis zum letzten Jahr stieg die Zahl der Teilnehmer am Umzug auf 5 300. Weitere 900 Künstler haben beim Straßenfest mitgewirkt. Insgesamt 1,42 Millionen Besucher aus dem In- und Ausland sind im letzten Jahr von dieser großartigen Kulturveranstaltung angezogen worden. Umzug und Straßenfest des Karnevals der Kulturen haben sich zu einem weltweit beachteten Kulturevent entwickelt, zu einem Magneten für Tourismus in unserer Stadt, zu einem Ausdruck für die Stärke der kulturellen Vielfalt in unserer Stadt und für die Anerkennung der vielen Zuwandererkulturen in unserem Land.

Der Karneval der Kulturen erbringt nach Schätzungen der Investitionsbank Berlin jährlich 4,2 Millionen Euro an öffentlichen Einnahmen. Nach einer Studie der IBB aus dem Jahr 2011 erwirtschaftet er in fünf Jahren ein Bruttoinlandsprodukt von 53,2 Millionen Euro. Jeder in den Karneval der Kulturen investierte Euro bringt nach dieser Studie das Fünffache an Einnahmen. Alles in allem besteht kein Zweifel, dass der Erhalt des Karnevals der Kulturen kulturpolitisch, wirtschaftspolitisch und nicht zuletzt integrationspolitisch in hohem Maße wünschenswert ist.

[Hakan Taş (LINKE): Aha!]

Mit den gestiegenen Besucherzahlen gehen aber auch die gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit der Veranstaltungen einher. Es sind mehr Parallelveranstaltungen entstanden, daher bedarf es weiterer Absperrungen, weiterer Fluchtwege, mehr Sicherheits- und Ordnungskräfte, und es gibt mehr Bedarf für Kommunikation und Hinweise. Und nicht zuletzt die Geschehnisse auf der LoveParade im Jahre 2010 in Duisburg, Kollege Lehmann hat zu Recht darauf hingewiesen, haben in diesem Bereich notwendige Konsequenzen. Die erhöhten Sicherheitsanforderungen führen nicht nur zu erhöhten Kosten, sondern auch zu geringeren Einnahmen, da eine Reihe von Ständen nicht mehr aufgestellt werden können.

Gestatten sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Kahlefeld?

Nein, danke! – Es sind noch weitere Schwierigkeiten entstanden. Die bislang für die Vorbereitungen angemieteten Räume in der Urbanstraße 71 stehen nicht mehr zur Verfügung. Die Künstlergruppen brauchen aber Räum

lichkeiten für Lagerfläche, Proben und Kostümierungen. Die Mehrkosten für Sicherheit und anderes werden auf 380 000 Euro geschätzt. Es ist völlig klar, dass die Werkstatt der Kulturen mit ihren Strukturmitteln nicht in der Lage war, diese Mehrkosten zu tragen.

Wie ist nun die gegenwärtige Lage? – Elf Gruppen haben einen Forderungskatalog mit 13 Forderungen zur konzeptionellen und finanziellen Ausstattung an den Senat erstellt. Im Internet gibt es eine Petition für den Erhalt des Karnevals der Kulturen 2015, und innerhalb von nur vier Wochen wurden bereits 33 000 Unterstützer im Netz gefunden. Der Senat hat im Dezember 2014 dem bisherigen Veranstalter Werkstatt der Kulturen die Zusammenarbeit aufgekündigt und bemüht sich nun in Person von Frau Senatorin Kolat um eine Folgelösung. Am 21. Januar 2015 fand ein Krisentreffen von rund 100 Vertretern der verschiedenen Karnevalsgruppen und der Senatsverwaltung statt. Man hat sich offenbar darauf verständigt, zunächst einen neuen Veranstalter zu finden und ein neues Sicherheitskonzept zu erstellen, um sodann das gesamte Veranstaltungskonzept zu überarbeiten.

Eine weitere Zwischenfrage kommt vom Kollegen Taş.

Nein, danke!

[Elke Breitenbach (LINKE): Ach, Herr Dregger! – Uwe Doering (LINKE): So macht es doch keinen Spaß!]

Sie können ja noch! – Ich möchte abschließend darauf hinweisen, dass wir die Bemühungen der zuständigen Integrationssenatorin Frau Kolat unterstützen,

[Wolfgang Brauer (LINKE): Aha!]

den Karneval der Kulturen nicht nur zu erhalten, sondern langfristig zu sichern.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Genauso wie beim Oranienplatz!]

Wir wünschen uns aber auch, dass in Zukunft derartige Probleme nicht bei uns Abgeordneten überfallmäßig aufschlagen,

[Heidi Kosche (GRÜNE): Och!]

sondern dass die Probleme frühzeitig erkannt und frühzeitig angegangen werden, damit solche Notsituationen nicht entstehen.

[Hakan Taş (LINKE): Das ist jetzt frühzeitig, Herr Dregger?]

Deswegen wünsche ich mir und erwarte auch, dass diese schwierigen Gespräche zu einem Erfolg geführt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Dregger! – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Kollege Magalski. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! So gut wie jeder in diesem Hause möchte, dass der Karneval der Kulturen auch 2015 zu einem erfolgreichen Großereignis im Land Berlin wird. Manche nehmen dieses Ansinnen ernst, andere weniger – am wenigstens anscheinend der Senat selbst.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Sind nur noch zwei da!]

Wir haben uns schon im letzten Jahr ausführlich über den hohen Wert, den der Karneval der Kulturen für Berlin hat, unterhalten. Damals hätten wir gerne einen Karnevalfonds beschlossen, dann stünden wir jetzt nicht vor diesem Problem. Die Mehrheit in diesem Hause war aber dagegen, Die Linke übrigens auch.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Schon vor 15 Jahren sind Freunde von mir aus ganz Deutschland extra wegen des Karnevals der Kulturen nach Berlin gereist, so wie andere zu Rock am Ring oder nach Wacken fahren. Heute tun das Zehntausende, und zwar nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa wie auch weltweit. Mittlerweile sind es so viele, dass es zuletzt tatsächlich über 1,5 Millionen Menschen insgesamt waren, die den Karneval der Kulturen friedlich und gemeinsam gefeiert haben. Da werden auch die Ansprüche an das Sicherheitskonzept größer, besonders wenn sich ein Festival – und das muss man an der Stelle leider auch mal negativ erwähnen – immer mehr vom Kulturevent, was es ursprünglich war, zu einem Fress- und Sauffest entwickelt oder zu wandeln droht. Es ist ja nicht so, dass andere Festivals nicht auch große Sauffeste wären, aber die Debatte führen wir dann im Kulturausschuss weiter,

[Heidi Kosche (GRÜNE): Gesundheitsausschuss!]

das ist hier doch ein bisschen zu kleinteilig.

Die Reduzierung von 180 auf 120 Standgenehmigungen ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung, da wird dem Rechnung getragen. Ich hoffe, dass das in dem neuen Konzept auch so bleibt. Je weniger Fress- und Saufbuden, umso mehr Platz für die ursprünglich angedachte Kulturveranstaltung.

Welche Vorzüge dieses Aushängeschild für Weltoffenheit und Toleranz für Berlin hat, muss nicht mehr betont werden. Dazu haben wir uns in diesem Hause bereits mehrfach beraten. Umso trauriger ist es, dass auch nach 18 Jahren erfolgreicher Veranstaltung immer wieder um die Finanzierung gerungen werden muss. In diesem Jahr ist es leider besonders dramatisch. So hat die Piratenfraktion den Senat bereits in der letzten Plenarsitzung zur

Zukunft des Karnevals der Kulturen befragt. Aus der Antwort von Frau Senatorin Kolat war zu hören, dass der Senat die Probleme im Blick habe und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis der Karneval auch noch in diesem Jahr gesichert sein würde. Eine uns befriedigende Antwort musste sie aber dennoch schuldig bleiben, denn so gab es weder eine Antwort darauf, wer denn nun der neue Veranstalter des Karnevals der Kulturen werden würde, noch darauf, wie das neue Sicherheitskonzept finanziert werden wird und wie es aussieht. Kurz darauf gab es zwar ein Treffen mit den Künstlergruppen, nachdem in einer Pressemitteilung verkündet wurde, dass der Dialog mit den Gruppen zur Fortführung der Veranstaltung begonnen habe und dass er jetzt auch fortgeführt werde. Aber auch hier gab es keine konkreten Zusagen, leider, nur dass der neue Veranstalter in der kommenden Woche präsentiert werden könne.

[Unruhe]