Protocol of the Session on June 19, 2014

Wir dürfen die Polizei mit den Problemen der Gewalt in der Gesellschaft nicht alleinlassen. Es geht nicht nur um die Rigaer Straße, wie schon gesagt, es geht auch um vermeintlich harmlosere Situationen, in denen die Polizei zunehmend einer erhöhten Aggressivität und Gewalttätigkeit ausgesetzt ist. Das macht uns große Sorgen. Diese Aktuelle Stunde macht nur dann Sinn, wenn wir uns auch

als Parlament stärker mit Aggressionsforschung und Strategien gegen Gewalt beschäftigen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Das wäre das erste Mal!]

Die Polizei kann nicht reparieren, was sie Gesellschaft insgesamt an Fehlentwicklungen aufweist.

Einige Maßnahmen hat Kollege Juhnke genannt. Die Landeskommission gegen Gewalt arbeitet, wir erstellen ein Lagebild über Gewalt gegen die Polizei, wir machen übrigens Eigensicherung für die Polizei und müssen das leider all zu oft gegen Sie durchsetzen. Das ist auch ein Thema, das wichtig ist. Ich glaube, wir müssen im Innenausschuss die Erkenntnisse aus der Wissenschaft und der Praxis zusammentragen und prüfen, ob sich weiterer Handlungsbedarf ergibt.

Ein Beispiel, Herr Präsident, muss ich Ihnen hier kurz zumuten, denn es ist wichtig. Herr Prof. Pfahl-Traughber von der Fachhochschule des Bundes in Brühl kann uns zum Beispiel einiges über Beweggründe von Linksautonomen mitteilen. Er sagt:

Gewaltbereitschaft gilt vielen Autonomen als Element ihrer Identität. Die Taterklärung beschränkt sich meist auf die Auswahl der Anschlagsziele. An einer dezidierten Begründung fehlt es in der Regel. Gewaltbereitschaft und tätigkeit der Autonomen sind meist Selbstzweck.

Er nennt das eine voraufklärerische Verharmlosung von Gewalt, die als Bestandteil individueller Emotionalität aufgefasst wird. Und er bestätigt damit, dass es den Linksautonomen nicht um Politik, sondern lediglich um das Gewalterlebnis geht. Das muss uns zu denken geben.

[Beifall von Andreas Gram (CDU)]

In Duisburg hat eine Langzeitstudie über Gewalt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben vielen anderen Ergebnissen gezeigt, dass virtuelle Gewaltdarstellungen sehr wohl eine Auswirkung auf die Aggressionsabfuhr von jungen Leuten haben; nicht unmittelbar und direkt, aber in ihrer Langzeitwirkung messbar. Und in Berlin sieht der Aggressionsforscher Bernd Ahrbeck eine zunehmende Entgrenzung bei Gewalttaten, die bei manchen auf eine starke Lockerung der hemmenden Kräfte gegen einen Gewaltausbruch zurückzuführen seien, und er beschreibt Ursachen dafür. Das alles auszuführen, ist hier die Zeit nicht, ich meine aber, im Innenausschuss müssen wir sie uns nehmen, um diese neuesten Erkenntnisse auszuwerten und Schlussfolgerungen zu ziehen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Hause einen breiten Konsens erzielt über das, was eine moderne Großstadtpolizei ausmacht. Sie trägt selbst durch ihre Professionalität und Bürgernähe zu einer größtmöglichen Konfliktminderung in der Stadt bei. Wir haben die Kennzeichnung der Polizeibeamten eingeführt, und dies ist –

das ist immer wieder unsere Botschaft an die Polizei – nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil für die Polizei. Es wird sich mittel- und langfristig positiv bemerkbar machen für das Verhältnis von Polizei zu Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben die Kampagne, mehr Migrantinnen und Migranten in die Polizei aufzunehmen, was deren Akzeptanz erhöht. Wir haben die erfreuliche und zu unterstützende Position des Polizeipräsidenten, der für mehr Transparenz und Offenheit sorgt, soweit das unter polizeilichen Einsatzgesichtspunkten möglich ist. Und schließlich ist die Twitter-Offensive der Berliner Polizei durchaus beispielhaft für das positive Image der Polizei und wird woanders durchaus mit großer Aufmerksamkeit betrachtet. All das lassen Sie uns weiterführen und die Polizei auf diesem enorm professionellen Standard halten, alles dafür tun, dass wir auch zum Schutz der einzelnen Polizeibeamtinnen und -beamten alles tun, was wir tun können! Ob wir dazu schärfere Gesetze brauchen, da bitte ich tatsächlich sehr sorgfältig zu prüfen, ob das Instrumentarium, das uns zur Verfügung steht, dafür nicht ausreicht und ob man tatsächlich mit Strafverschärfungen oder etwa einem neuen Tatbestand hier ergänzend tätig sein muss. Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage, bei der ich persönlich, aber auch meine Fraktion sehr skeptisch ist. Wir werden die Fragen aber diskutieren. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für eine Zwischenbemerkung hat Kollegin Bayram das Wort. – Bitte schön!

Herr Kollege Zimmermann! Das kann nicht unwidersprochen bleiben, wie Sie hier versucht haben, den eben auch berechtigten Protest der Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer gegen Gentrifizierung, gegen Räumung von Hausprojekten auszudrücken. Das ist wirklich nicht zu verantworten.

[Torsten Schneider (SPD): Unterstützen Sie Barrikaden?]

Und insbesondere die SPD sollte sich doch fragen: Warum waren Sie denn nicht da an den Runden Tischen, wo über die Liebigstraße 14 diskutiert wurde, haben sich dort der Verantwortung entzogen und machen heute eine Aktuelle Stunde mit der CDU, wo Sie auf Menschen verbal einprügeln, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen?

[Torsten Schneider (SPD): Ich habe den Eindruck, da haben andere geprügelt!]

Es ist doch wohl wirklich, Herr Schneider, das Allerletzte, nur weil Sie jetzt mit der CDU in der Koalition sind, sich hierhin zu stellen und gegen bestimmte Menschen,

(Frank Zimmermann)

die gegen Mieterhöhungen, gegen Verdrängung und für den Erhalt alternativer Wohnprojekte kämpfen,

[Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie mal was zur Gewalt!]

Kriminalisierung zu betreiben und diesen Menschen das Recht abzusprechen, zu protestieren. Sie können sich weiter aufregen, es ist doch kein Wunder, dass die CDU dort die Wählerstimmen hat, die der Kollege Lux schon beschrieben hat. Und es ist auch kein Wunder, wenn die SPD demnächst auch in diesem Bereich dümpelt, Herr Schneider!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Herr Kollege Zimmermann darf dann auch noch mal.

Schönen Dank, Herr Präsident! – Frau Kollegin Bayram! Ihr Beitrag zeigt doch die Doppelbödigkeit und Doppelzüngigkeit, wie Ihre Fraktion damit umgeht.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir haben eine sehr vernünftige Rede des Kollegen Lux gehört, der hier sehr verantwortungsbewusst agiert hat. Und Sie beschreiben hier eine andere Position, die Sie offenbar auch abdecken müssen,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Das stimmt überhaupt nicht!]

und reißen das alles wieder ein. So geht es nicht! Ich habe deutlich gemacht, dass die Gewalt die Grenze ist.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Dort, wo die Grenze erreicht ist, wo Gewalt ausgeübt wird gegen Polizeibeamte, ist Schluss mit Demonstrieren. Das heißt nicht, dass es nicht berechtigte Interessen gibt, die dort geltend gemacht werden können. Das Recht auf Demonstration haben alle, die ihre Interessen wahren wollen, gerade auch in Friedrichshain-Kreuzberg, gerade auch, wenn es um Gentrifizierung geht, und gerade, wenn es um Verdrängung geht, können und sollen Interessen deutlich gemacht werden. Aber es muss immer friedlich bleiben,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Hat Frau Bayram doch gesagt!]

und es darf keine Aktion gegen die Berliner Polizei sein. Sonst werden wir das hier verurteilen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke jetzt der Kollege Taş. – Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort!

[Torsten Schneider (SPD): Mal sehen, ob Die Linke eine Haltung zur Gewalt hat!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausschreitungen am vergangenen Samstagabend in Friedrichshain und die dabei verletzten 26 Polizisten haben mich durchaus sehr betroffen gemacht. Es ist für meine Fraktion ganz selbstverständlich, hier noch einmal zu sagen: Wir verurteilen diese Angriffe auf Menschen. Und wir wünschen allen betroffenen Polizistinnen und Polizisten, dass sie schnell genesen und sich von den Vorfällen erholen werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN]

Mich persönlich ärgert nicht nur diese völlig sinnlose Gewalt, mich ärgert auch, dass damit politisch ein großer Schaden angerichtet wird. Angriffe auf Menschen, aus welchem Grund auch immer, sind kein Mittel der Politik. Und wer glaubt, damit politisch etwas erreichen zu können, der irrt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN]

Die Lange Nacht der Rigaer Straße sollte ein politisches Straßenfest sein, eine Veranstaltung, die auf die großen Probleme in der Wohnungspolitik aufmerksam macht. Und hier gibt es in der Tat alarmierende Entwicklungen. In vielen Kiezen werden Menschen, die sich die Mieten nicht mehr leisten können, aus ihrer angestammten Umgebung verdrängt. Alternative Lebensformen, Einrichtungen und Projekte finden keinen Platz mehr in der Innenstadt. Anderswo entstehen sozial abgehängte Quartiere. Dort konzentrieren sich Probleme, für die am Ende wieder die Polizei den Kopf hinhalten muss.

Es gibt also in der Tat genug Forderungen, die man an den rot-schwarzen Senat stellen muss. Denn er steuert mit seiner verfehlten Wohnungspolitik nicht dagegen. Aber anstatt diese drängenden Probleme zu diskutieren, reden wir heute über extreme Gewaltexzesse, wie es die Koalition etwas seltsam formuliert hat. Die völlig unpolitische Gewalt einiger Dummköpfe bestimmt also heute die Debatte und nicht die politischen Probleme in dieser Stadt.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Politik nimmt Schaden. Das ist, was diese Leute erreicht haben, ist höchst ärgerlich. Der Regierungskoalition von CDU und SPD spielt das alles in die Hände. Sie kann nun von ihrer eigenen Misere ablenken, wenn wir nicht sehen: Eigene Themen, eigene Projekte haben diese Herren nicht.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Und sie wollen auch nicht über das reden, was die Stadt bewegt. Wir hätten hier über die von Klaus Wowereit

(Canan Bayram)

angekündigte Olympiabewerbung reden können, über die Frage, warum die SPD erst mit großer Geste über mehr Bürgerbeteiligung redet, und dann kommt plötzlich der Regierende Bürgermeister um die Ecke und verkündet: Wir bewerben uns und verpulvern damit erst mal 60 Millionen Euro. Wir hätten auch über die Sorgen und Nöte der über 60 000 Beamtinnen und Beamten im Land Berlin sprechen können – und dazu zählt auch die Berliner Polizei –, über die Frage, warum der Senat die ohnehin schon große Gerechtigkeitslücke bei der Besoldung zwischen Berlin und den anderen Bundesländern immer größer werden lässt. Wir hätten über die Frage reden können, warum SPD und CDU bei der Besoldung zwar Wohltaten versprechen, aber es nicht hinbekommen, dem Abgeordnetenhaus einen Antrag vorzulegen, damit wir vernünftig darüber entscheiden können.

Die Beamtinnen und Beamten haben immer noch keine Perspektive der Besoldungsangleichung erhalten. Sie fühlen sich zu Recht von Ihnen verschaukelt. Warme Worte nützen Ihnen nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.