Protocol of the Session on February 20, 2014

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin Lompscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Buchholz! Ich finde es ja schön, dass Sie immer wieder Gesprächsangebote aussprechen. Es wäre nett, wenn der Gesetzentwurf, der offensichtlich der Presse bekannt ist, auch den Oppositionsfraktionen übermittelt würde. Das wäre als Gesprächsgrundlage gar nicht so schlecht.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber natürlich haben auch wir uns gefragt, was eigentlich aktueller am Thema Tempelhof ist als am Thema Steuerhinterziehung. Schließlich war beides Gegenstand der Senatssitzung in der vorigen Woche, letzteres sogar auch vor zwei Tagen. Allerdings haben wir uns gesagt: Klar, die Koalition will nicht darüber reden, warum Steuerhinterziehung eines Staatssekretärs anderthalb Jahre unter der Decke gehalten wurde, nicht darüber, dass verschwiegene Steuerhinterziehung als vereinbar mit einem hohen politischen Amt in Berlin angesehen wurde, nicht darüber, dass die dienstrechtlichen Vorschriften vom Regierenden Bürgermeister in diesem Fall sehr kreativ und nur nach Rücksprache mit sich selbst ausgelegt und – so sehen wir es – verletzt worden sind, nicht darüber, dass der Senat seine Entscheidung zum Ausscheiden von Staatssekretär Schmitz vom letzten Dienstag vor zwei Tagen revidiert und damit erhebliche Mehrkosten für den Landeshaushalt verursacht hat. Was Senat und Koalition hier geboten haben, das ist nicht nur peinlich und recht

lich fragwürdig. Es fügt der Demokratie und dem Rechtsstaat schweren Schaden zu.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und das ist Ihre Verantwortung, der Sie sich stellen müssen. Einer Regierungserklärung hat der Senat sich genauso verweigert wie die Koalition der von uns beantragten Aktuellen Stunde. Aber der Debatte und den Konsequenzen werden Sie nicht ausweichen können.

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Stattdessen also Tempelhof. Was ist nun die aktuelle Botschaft von Koalition und Senat? Dass der Abstimmungstermin nicht vom Tag der Europawahl weggetrickst worden ist. Das ist zwar gut so, aber kein Grund für überschwängliches Lob, weil es selbstverständlich ist.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Herr Buchholz hat heute Geburtstag, deshalb darf er sich feiern. Er wollte auch die SPD ein bisschen feiern: Seht her, wir haben einen Gesetzentwurf für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Feldes, und wir wollen das Gesetz auch nicht vorher beschließen und dem Volksentscheid so den Wind aus den Segeln nehmen, sondern wir wollen den Entwurf als Alternative zur Abstimmung stellen und breite Mehrheiten dafür gewinnen. Wir wollen, dass der Volksentscheid zu einer Abstimmung über Zukunft oder Stillstand wird oder so eben. – In der Tat, es gibt seit dem Erfolg des Volksbegehrens einen noch größeren Bedarf, miteinander ins Gespräch zu kommen – hier im Parlament und draußen in der Öffentlichkeit. Es darf kein Abfanggesetz geben wie beim Energievolksentscheid. Wenn das Volk entscheidet, sollte das Parlament ihm nicht zuvorkommen. Aber sieht das auch die CDU so? – Dazu war nichts zu vernehmen.

Wenn am 25. Mai nicht nur mit Ja oder Nein, sondern entweder oder gestimmt werden kann, dann finden wir das gut. Die mögliche Alternative sollte dabei klug überlegt sein und Raum für Gespräche mit der Stadtöffentlichkeit lassen. Gestern erreichte uns alle zum Beispiel ein Schreiben der Initiative Tempelhof, das interessante inhaltliche Anregungen enthält, z. B. den Masterplan zu hinterfragen, den Bibliotheksneubau zu hinterfragen, für die Partizipation ein verbindliches Gremium zu schaffen. Wir brauchen diese breite Beteiligung der Öffentlichkeit übrigens nicht nur für eine mögliche Gesetzesalternative, sondern vor allem für die Zeit danach, für die künftige Entwicklung des Feldes und der Stadt. Das gilt unabhängig vom Ergebnis des Volksentscheids. Deshalb waren und sind wir für ein Planungsmoratorium.

[Beifall bei der LINKEN]

Wenn eine Alternative zur Abstimmung gestellt werden soll, dann müssen wir hier im Parlament schnell klären,

(Daniel Buchholz)

ob und worauf wir uns einigen können. Wir haben nur noch einen Monat Zeit.

Unsere Position haben wir schon mehrfach mitgeteilt, und sie ist auch in sich konsistent. Ich wiederhole sie aber gerne: Wir sind aufgeschlossen für eine echte soziale Wohnbebauung mit der dazugehörigen Infrastruktur entlang des Tempelhofer Damms. Wir unterstützen den Zentralstandort der Bibliothek, wenn auch nicht um jeden Preis. Die aktuellen Neuigkeiten zu Kosten weit jenseits von 300 Millionen Euro kommen für uns nicht überraschend. Wir wollen mehr Aufmerksamkeit und Raum für das Gedenken. – Dazu haben Sie gar nichts gesagt. – Wir wollen den Erhalt von Kleingartenanlagen, und wir können uns die Anlage von Sportflächen vorstellen. Wir wollen keine Bebauung am Columbiadamm, am Südring und auf der Neuköllner Seite, weil wir Konflikte mit den Freiraumnutzungen, zu großen Erschließungsaufwand und weiteren Aufwertungsdruck für den Neuköllner Kiez befürchten. Wir wollen keine Autobrücke über den Südring auf das Feld. Auf dieser Grundlage stehen wir für Gespräche und Kompromisse bereit, und zwar nicht erst seit heute. Sollte allerdings die Koalition lediglich den Masterplan des Senats in einen Gesetzestext fassen wollen, dann wäre es tatsächlich vertane Zeit.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Senat und Koalition rücken das Wohnungsargument ins Zentrum der Debatte. Sie machen es zur Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit dem Wohnungsneubau angesichts der wachsenden Stadt? Dabei werden andere wichtige Aspekte zur Entwicklung des Feldes vernachlässigt: Brauchen wir ausgerechnet hier neue Gewerbeflächen? Wie schützen wir Natur und Klima? Brauchen wir für den Zentralstandort der Bibliothek tatsächlich den Neubau, oder bringen wir sie besser im Flughafengebäude unter? Wie sanieren und nutzen wir das riesige Bestandsgebäude? Wie gehen wir angemessen mit der Geschichte des Ortes um? Und vor allem: Wie beteiligen wir die Öffentlichkeit verbindlich an der Planung? Auch zu diesen Fragen brauchen wir den öffentlichen Diskurs – und nicht nur zum Wohnungsbau.

Es sei noch einmal klar gesagt: Dieser Diskurs ist vom Senat bisher behindert worden. Es war und ist ein Affront und das Gegenteil von Partizipation, trotz des laufenden Volksbegehrens die eigenen Planungen voranzutreiben und im Ergebnis einen Masterplan vorzulegen, der die zentralen Kritikpunkte ignoriert.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Bis heute – wahrscheinlich wird es heute auch wiederholt – wird der Senator nicht müde, die sture Fortführung dieser Planung zu verteidigen.

Aber zurück zum Wohnungsneubau: Wir können uns entlang des Tempelhofer Damms Wohnungen vorstellen, und diese sollen für Menschen mit geringem und mittle

rem Einkommen dauerhaft bezahlbar sein, denn rund um das Tempelhofer Feld – und nicht nur hier – ist die soziale Durchmischung der Stadt bedroht. Dem müssen wir ein neues bezahlbares Quartier entgegensetzen. Aber was ist bezahlbarer Wohnraum für Senat und Koalition? – Die vorgesehenen 50 Prozent verbilligte Wohnungen mit anfänglich 6 bis 8 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter wären für Transferleistungsbeziehende unerreichbar und für WBS-Berechtigte schwer zu bezahlen. Die künftigen Förderbestimmungen für den Wohnungsbau sind noch nicht festgelegt. Die Rede ist von einer 17-jährigen Rückzahlungsfrist für Darlehen und von jährlichen Mietsteigerungen um 20 Prozent pro Quadratmeter. Die Bindung soll zwanzig Jahre betragen, eine Nachfrist zehn Jahre. Im Ergebnis sind das keine dauerhaft bezahlbaren Wohnungen für die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Die übrigen Wohnungen mit Mieten nicht unter 10 Euro netto kalt wären von Beginn an für zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner unbezahlbar. Sie würden den Aufwertungsdruck erhöhen, Steigerungen im nächsten Mietspiegel verursachen, die Wohnlage verändern mit dem Nebeneinander von Luxuswohnungen und noch preiswertem Bestand. Das sind die konkreten und berechtigten Befürchtungen und Ängste. Deshalb fordern wir dauerhaft bezahlbare Wohnungen. Für alles andere ist das Tempelhofer Feld zu schade.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Senat und Koalition müssen sich bewegen, damit Bewegung in die Debatte um die Zukunft des Tempelhofer Feldes kommt. Wir würden es begrüßen, wenn der Senat als vertrauensbildende Maßnahme alle anderen Baufelder – außer dem Quartier Tempelhofer Damm – zunächst zurückstellen würde. Das Quartier Columbiadamm als sogenannte Potenzialfläche sollte gänzlich aus den Bauplanungen entfallen. Wir brauchen nicht nur den gesetzlichen Schutz der Freifläche, und zwar größer als bisher beabsichtigt, sondern verbindliche Zusagen und Regelungen für eine echte Bürgerbeteiligung. Dann werden wir sehen, wie die die Berlinerinnen und Berliner am 25. Mai entscheiden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Magalski das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Buchholz! Wir wollen eine ergebnisoffene Diskussion ohne Vorgaben. Das ist es, was die Menschen in Berlin wollen.

[Beifall bei den PIRATEN]

(Katrin Lompscher)

Die über 185 000 gültigen Unterschriften zum Volksbegehren „100 Prozent Tempelhofer Feld“ zeigen uns das. Und sie zeigen uns, dass viele Menschen über die Zukunft dieser einmaligen innerstädtischen Freifläche mitentscheiden wollen und dass die Planungen des Senats, erhebliche Teilflächen einer baulichen Entwicklung zuzuführen, bisher in der Breite, in der Stadtgesellschaft in großen Teilen nicht überzeugen konnten.

[Beifall bei den PIRATEN]

Treten wir im Geist einen Schritt zurück und fragen wir uns, warum die Volksinitiative trotz ihres relativ strikten Ansatzes, überhaupt keine bauliche Entwicklung zuzulassen, bisher so erfolgreich war! Das liegt vor allem an der Einmaligkeit der Fläche, bei der jede Maßnahme, die zu einer nicht nur temporären, sondern dauerhaften Umnutzung von Teilflächen führt, sehr sorgfältig und unter breiter öffentlicher Beteiligung erwogen und abgewogen werden muss und nur bei breiter Zustimmung der Stadtgesellschaft umgesetzt werden darf.

[Beifall bei den PIRATEN]

Der Senat arbeitet dagegen nach dem Prinzip: Es ist genug Fläche für alle da. Eine Teilbebauung kann mit den ganz normalen, vielfach erprobten Beteiligungsmodellen und Planungsinstrumenten entwickelt werden. – Durch diese fühlen sich aber die an Partizipation interessierten Menschen zunehmend mehr ausgebremst als einbezogen. Warum ist das so? – Weil man seitens des Senats der Auffassung ist, dass 230 verbleibende Hektar reichten. Dabei stützt er sich auf den sogenannten Masterplan, den man zwar breit kommunizierte, aber die grundlegende Frage, ob auf den einzelnen Baufeldern überhaupt gebaut werden soll, wird mit den Bürgerinnen und Bürgern gar nicht ergebnisoffen erörtert, sondern allenfalls das Wie. Das stellen wir uns nicht unter Bürgerbeteiligung vor, Herr Senator.

[Beifall bei den PIRATEN]

Diese Beschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Berlinerinnen und Berliner stößt auf zunehmenden Unmut. Ich habe mehrere öffentliche Veranstaltungen besucht, und zwar nicht nur die vom Senat organisierten. Ein Kernanliegen der Menschen war und ist es, weiterhin nicht nur zu Teilaspekten der Planung gefragt zu werden, sondern am Entscheidungsprozess des „Ob überhaupt“ beteiligt zu werden. Es geht um die Frage, ob Flächen am Tempelhofer Damm, entlang der Stadtautobahn, oder auf Neuköllner Seite, an der Oderstraße, baulich entwickelt werden sollen. Erst, wenn diese Entscheidung ausdiskutiert ist, kann man sich in gut begründeten Einzelfällen für ein Ja entscheiden und kann sich auch Gedanken über das Wie machen. Der Senat hat versucht, diesen ersten Schritt – das Aushandeln innerhalb der Einwohnerschaft, ob man eine teilweise Bebauung der freien Flächen möchte oder nicht – durch eigene Planungsvorhaben zu überspringen. Das führt in der Stadtgesellschaft zu wachsendem Unmut. Die Initiative 100 Prozent ist letztlich das

Ergebnis dieses Mangels an tatsächlicher Bürgerbeteiligung.

Das Gebot der Stunde ist nun, zunächst die Planungen bis zum Tag des Volksentscheides ruhen zu lassen, also ein Planungsmoratorium zu verfügen – sowohl für die ZLB als auch für die B-Pläne 7-70 und 7-71, also die Wohn-, Misch- und Gewerbegebiete –, um unnötige Geldausgaben zu vermeiden. Der Bau eines großen, betonierten Wasserbeckens sollte ebenso bis nach dem 25. Mai aufgeschoben werden, da es im Falle eines positiven Volksentscheids ein überdimensioniertes und damit Steuergelder verschwendendes Bauwerk wäre.

Darüber hinaus ist nun ernsthafter als bisher darüber nachzudenken, wie wir die interessierten Berlinerinnen und Berliner bei dem Wie der zukünftigen, möglichen Nutzung auf dem Tempelhofer Feld einbinden, indem wir schauen, wie die Entscheidung des Ob tatsächlich unter demokratischer Beteiligung durchgeführt wird. Der Volksentscheid ist dabei eine Möglichkeit. Es gibt aber auch weitere Möglichkeiten, und wir Piraten sind bereit und bereits dabei, Konzepte dafür zu entwickeln, um hier eine echte Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung, die diesen Namen auch verdient, hinzubekommen.

Bürgerbeteiligung in dem Sinne, wie wir es uns vorstellen, bedeutet, dass die Aushandlungsprozesse transparent, ergebnisoffen und vor allem niederschwellig so ausgestaltet sein müssen, dass die Berlinerinnen und Berliner Freude daran haben, sich an diesem Prozess zu beteiligen,

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Anja Schillhaneck (GRÜNE)]

weil sie dadurch nachvollziehbar erkennen können, wie ihre Ideen und Vorstellungen in den Planungsprozess einfließen, und vor allem, dass sie ihre Wünsche nach Nichtbebauung und einem Freihalten attraktiver Flächen auch in Randlage ernst genommen und nach Möglichkeit berücksichtigt sehen. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir Piraten uns gegen jegliche bauliche Nutzung auf der Fläche aussprechen.

[Daniel Buchholz (SPD): Aha!]

Wir schätzen die große Freifläche sehr und sehen dort zahlreiche Möglichkeiten, in Form von temporären Nutzungen und niedrigschwelligen Aktivitäten für alle Interessierten die Einmaligkeit dieser Fläche erlebbar zu machen, unter optimiertem Schutz von Natur- und Landschaftspflege sowie ohne große Kosten für den Steuerzahler.

In begründeten, mit den Bürgern ausgehandelten Einzelfällen kann eine partielle Bebauung in einzelnen Randbereichen eine Option sein, aber dazu bedarf es partizipativer Verfahren, die der Senat anscheinend vor allem aus Zeitgründen scheut. Der ehemalige Umweltplaner und Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, jemand, der

unausgegorener und verschrobener Ideen doch eher unverdächtig ist,

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Na, na! – Weitere Zurufe]

hat engagiert dafür plädiert, diese große Freifläche – zumindest in diesem Punkt möchten wir Ihnen das zugestehen – –

[Unruhe]