Protocol of the Session on January 16, 2014

Wir haben verschiedene Motive, warum Menschen zu uns nach Berlin kommen. Wir haben insbesondere die Lage in Tschetschenien. Wir haben Bürgerkriege, insbesondere in Nordafrika, in arabischen Ländern. Wir haben ein wirtschaftliches Gefälle innerhalb Europas. Dabei

muss man immer wieder an die Grundlagen des Asylrechts erinnern, denn diese Diskussion geht immer ein bisschen davon weg und will das alles gar nicht zur Kenntnis nehmen, was eigentlich damals in dem Artikel des Grundgesetzes, der das regelt, vereinbart, und zwar der politisch Verfolgten das Recht auf Asyl einräumt. Ich bin stolz, dass es so ein Recht in unserem Land gibt. Dieses Asylrecht wurde auch entwickelt und geschaffen – übrigens ohne die Piraten und ohne die Grünen und ohne die Linken, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allen Dingen damit beschäftigt waren, sich nicht um die Frage des Zuzugs zu kümmern, sondern um Auswanderung zu verhindern, durch den Bau einer Mauer – aber das nur am Rande.

[Unruhe]

Der tatsächliche Flüchtlingsstatus ist aber auch an Voraussetzungen gebunden. Da haben wir § 60 Ausländergesetz, der das regelt. Und da lesen wir, dass wirtschaftlich schwierige Lebensbedingungen oder Einschränkungen in der Entfaltung der Persönlichkeit nicht dazu gehören. Auch der Koalitionsvertrag im Bund regelt nichts anderes dazu, und es ist auch keine Ausweitung geplant. Das muss man dann auch immer wieder wiederholen, wenn man sich über die Grundsatzfrage unterhält und dann immer hört, das müsste man irgendwie anders regeln. Diese Gesetze gelten, Frau Bayram. Das ist so, und das haben Sie auch festgestellt.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir stellen auch fest, dass die Gesamtschutzquote, also die Quote derjenigen, die tatsächlich der Gefahr einer Verfolgung unterliegen, in Deutschland unter 20 Prozent liegt, also im gesamten Schnitt der Bundesländer.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Wo haben Sie das jetzt wieder her?]

Das heißt, dass der überwiegende Teil derjenigen, die sich auf dieses Recht berufen, und nun auch mit vermutlich stark steigender Tendenz, darauf keinen Anspruch haben, und das gilt insbesondere für die stark zureisenden Gruppen aus Serbien und Mazedonien, wo die Anerkennungsquote praktisch bei null liegt. Auch der Koalitionsvertrag im Bund hat das geregelt und hat jetzt diese Länder als sichere Drittstaaten angesehen. Ich glaube, das ist eine ganz deutliche Aussage, die Bände spricht und auch die richtige Konsequenz ist.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Völlig ahnungslos!]

Mit anderen Worten hat praktisch niemand, der sich von diesen Personen auf das Asylrecht beruft, dafür eine Berechtigung. Deswegen steht dann in der Folge zwangsläufig und auch notwendigerweise die Abschiebung. Davor steht ein mitunter langes Verfahren, in dem den Antragstellern falsche Hoffnungen gemacht werden, das auch einen langen Behördenweg mit sich bringt, das auch hohe Kosten für die Gesellschaft verursacht. Die einzigen, die davon profitieren, sind Schlepperorganisationen oder Personen, die dann diese aussichtlosen Verfahren

(Canan Bayram)

noch begleiten. Diejenigen, die wirklich Anspruch auf Asyl haben, haben dann im Übrigen das Nachsehen, weil ihre Verfahren entsprechend länger dauern.

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Ich wiederhole es: Das Asylrecht ist kein Instrument der Einwanderungspolitik, und das Asylrecht ist auch kein Instrument der Entwicklungspolitik. Deshalb muss es auch Ziel einer den bestehenden Gesetzen und dem Wohl der Bundesrepublik Deutschland verpflichteten Politik sein, den Flüchtlingszuzug nach Deutschland auf das humanitär berechtigte Maß zu beschränken.

Was Berlin in dem Zusammenhang tun kann, ist Folgendes: Erstens nicht nachlassen im Bemühen um ausreichende und adäquate Unterbringungsmöglichkeiten! Zweitens die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Asylverfahren möglichst schnell und rechtssicher zum Abschluss geführt werden können! Drittens – und das gehört dann auch genauso dazu – nach Abschluss der Verfahren eine schnelle Erfüllung der Ausreichverpflichtung durchsetzen! – Wir wissen, dass die Abschiebung nur die Ultima Ratio ist, und davor steht ja ein langes Verfahren mit Möglichkeiten, Rechtsmittel einzulegen, mit Beratung durch eine Vielzahl von Stellen und Organisationen und mit Betreuung und Unterstützung durch Seelsorger und viele andere mehr, und zum Schluss gibt es auch der Härtefallkommission. Ich glaube, das ist ein Verfahren, das an Rechtssicherheit und Abwägungsqualität weltweit seinesgleichen sucht.

Einigen wenigen reicht das noch nicht, und sie versuchen dann, sich trotzdem der Ausreisepflicht zu entziehen. Wir haben es gehört: In jedem Fall werden die Betroffenen vor der Rückführung auf die vollziehbare Ausreisepflicht hingewiesen, und sie werden auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jederzeit mit einer Abschiebung zu rechnen ist. Also ist die Abschiebung keine Überraschung und auch keine unmenschliche Behandlung, sondern sie ist denjenigen bekannt. Natürlich hat diese Abschiebung eine gewisse Signalwirkung, und eine Signalwirkung ist auch erwünscht, weil sie verhindert, dass Menschen ohne Aussicht auf Erfolg hier bei uns um Asyl nachsuchen und diesen ganzen Prozess wieder anleiern, und weil sie verhindert, dass falsche Hoffnungen geweckt werden, wie Sie das in der Opposition immer unverantwortlich tun. Hier geht es nicht um „erwünscht“ oder „unerwünscht“ in Bezug auf die Personen, sondern um die gleichbehandelnde Anwendung von demokratisch zustande gekommenen Gesetzen.

Natürlich ist mir klar, dass es den Kritikern vor allem auch darum geht, die Einreisebeschränkungen vollständig aufzuheben und somit auch eine Einwanderung allein aus wirtschaftlichen Gründen zuzulassen. Das ist aber nicht im Sinne der Stadt Berlin oder der Bundesrepublik Deutschland. Daher wird es auch in Zukunft eine zwangsweise Vollziehung der Ausreiseverpflichtung geben müssen, und zwar auch in den Bundesländern –

das sei hier noch einmal unterstrichen –, wo die Grünen regieren und wo die Linkspartei regiert, auch wenn das Gott sei Dank die Ausnahme ist.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Die CDU- Regierungen werden ja auch weniger!]

Hören Sie deshalb mit diesem Pharisäertum auf, und sparen Sie sich das Pathos für die Parteimitglieder, die das vielleicht glauben! Aber auch in den Bundesländern, wo Sie Verantwortung tragen, wird so etwas gemacht.

Es steht fest, dass in Berlin bei Abschiebungen nicht schutzbedürftiger Personen alle Bestimmungen rechtstreu befolgt und die Anforderungen, die das Grundgesetz stellt, eins zu eins umgesetzt werden. Darum hat es im Übrigen auch unter Senator Henkel keine Veränderungen und keinen Kurswechsel gegeben, und bei dieser Umsetzung soll es auch bleiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Juhnke! – Für die Fraktion Die Linke erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Taş.

[Zurufe]

Sie werden lachen: Er hat das Recht, zwei Mal zu sprechen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Na, mal sehen, ob ich Sie heute überraschen kann! – Herr Juhnke! Sie haben uns tatsächlich auch heute nicht überrascht. Wir haben durch die Antworten auf die Große Anfrage der Piratenfraktion heute bestätigt bekommen, dass der Senat schleichend seinen Umgang mit Asylsuchenden Flüchtlingen verschärft. Der Senator sagt, dass die Zahl der durchgeführten Abschiebungen im Vergleich zu den freiwilligen Ausreisen beinahe verschwindend gering ist. Gleichzeitig bestätigt er, dass 885 Menschen abgeschoben worden sind. Früher wurden in Berlin in den Wintermonaten keine Abschiebungen vorgenommen, bis im letzten Winter ein Politikwechsel vollzogen wurde. Ende 2012 hat die Berliner Ausländerbehörde entgegen den Gepflogenheiten der Vorjahre Abschiebungen nach Serbien vorgenommen.

Herr Zimmermann! Lange Zeit gab es in Berlin keine Direktabschiebungen, d. h. unangekündigte Abholungen aus dem Wohnheim durch die Polizei. Seit Kurzem werden wieder Direktabschiebungen vorgenommen, so berichten zumindest Rechtsanwältinnen und -anwälte. Welche Erwägungen haben den Senat von Berlin tatsächlich veranlasst, diesen Politikwechsel vorzunehmen? Um nicht missverstanden zu werden: Aus unserer Sicht kann

(Dr. Robbin Juhnke)

es keine wie auch immer geartete Begründung für dieses Vorgehen geben.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Wir würden aber trotzdem gern wissen, was den Senat bewogen hat, nunmehr so menschenverachtend vorzugehen. Es gibt Aussagen von Anwältinnen und Anwälten, von Betreuungsorganisationen und anderen Helfern über diese Aktionen. Wir wollen vom Berliner Senat – was er heute nicht gemacht hat – detaillierte Informationen über diese Nacht- und Nebelaktionen. Anwältinnen und Anwälte berichten auch, dass sogar Personen, die eine – in Anführungszeichen – freiwillige Ausreise zugesagt haben, von diesen Aktionen betroffen gewesen sind. Nach den vorliegenden Informationen ist diese Praxis für manche auch ein einträgliches Geschäft, falls es zutreffen sollte, dass private Sicherheitsfirmen und medizinisches Begleitpersonal von privaten Institutionen eingesetzt werden. Hinzu kommen noch die Reisebüros und die Fluggesellschaften. Interessant wäre es, zu erfahren, durch wen und unter welchen Kriterien die Auftragsvergabe in diesen Fällen erfolgte.

Da Sie viele Fragen offengelassen haben, Herr Senator, und aktuell telefonieren: Wir hätten gern gewusst, auf welcher Rechtsgrundlage solche Sammelabschiebungen stattgefunden haben oder stattfinden. Insbesondere interessiert uns natürlich die Begründung für ein solches Vorgehen. Damit auch hier kein Missverständnis aufkommt: Aus unserer Sicht kann es keine wie auch immer geartete Begründung für diese Sammelabschiebungen aus Berlin bei Nacht und Nebel geben. Wie wir von Ihnen heute gehört haben, soll damit vermieden werden, dass die infrage kommenden Personen untertauchen. Falls dies tatsächlich eine Begründung sein sollte, Herr Henkel, wäre sie in Erwägung der negativen Folgen für andere Personen nicht zu rechtfertigen.

Lieber Herr Zimmermann! Die Menschen, um die es hier geht, suchen Schutz in unserem Land. Sie sind vor politischen Repressalien, vor ethnischer, rassistischer Diskriminierung und Ähnlichem geflohen. Sie haben eine schwierige und traumatische Vorgeschichte, von der sie sich wahrscheinlich, falls dies überhaupt möglich ist, noch nicht erholt haben. Teil ihrer Verfolgung und Diskriminierung in ihren Heimatländern waren auch polizeiliche Nacht- und Nebelaktionen, wo ihre Unterkünfte überfallen wurden, um vermeintliche Straftäter zu fassen. Unabhängig davon, ob ihre Abschiebungen in ihre Herkunftsstaaten, wo sich die Verhältnisse höchstwahrscheinlich nicht gebessert haben – Beispiel Serbien – überhaupt zulässig ist, wird ihnen durch diese Nacht- und Nebelaktionen weiterer seelischer Schaden zugefügt.

Dass sich die Verhältnisse in vielen dieser Herkunftsländer nicht gebessert haben und die Diskriminierung dort fortdauert, habe ich bereits erwähnt. Hinzu kommt, dass ihnen nach ihrer Rückkehr auf dem Wege einer Abschie

bung weitere Repressalien drohen. Ihnen wird dann vorgeworfen, dass Ansehen ihres Landes beschmutzt zu haben. Deshalb möchten wir wissen, wie sich der Senat im Vorfeld konkret darüber informiert, was diese Menschen nach ihrer Rückkehr tatsächlich in den jeweiligen Heimatländern erwartet, welche Unterstützungsangebote hinsichtlich der Unterbringung, welche finanziellen Beihilfen und Gesundheitsversorgung und welche Hilfen bei der behördlichen Registrierung sie erhalten und – wie bereits erwähnt – ob sie weiteren, zusätzlichen Repressalien unterworfen werden. Diese Menschen in Länder zurückzuführen, wo sie die erwähnten Lebensbedingungen erwarten, wäre nicht nur inhuman, sondern auch flüchtlingsrechtlich mehr als fragwürdig.

[Beifall bei der LINKEN]

Eins sei aber hier und heute schon gesagt: Wir halten dieses Vorgehen für menschlich und politisch völlig inakzeptabel und haben auch erhebliche Zweifel, ob dieses Vorgehen durch höherrangiges Recht tatsächlich gedeckt ist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Taş! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit hat sich die Große Anfrage für heute erledigt. Sie ist besprochen und beantwortet.

Die Tagesordnungspunkte 9 und 10 stehen auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 11:

Einrichtung öffentlich zugänglichen Liegenschaftskatasters

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 16. Oktober 2013 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 13. November 2013 Drucksache 17/1309

zum Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0337

Eine Beratung ist nicht mehr vorgesehen. Zum Antrag Drucksache 17/0337 empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Piraten, Grüne und die Linken. Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Fragmente der Fraktionen!]

Letzteres war die Mehrheit.

[Joachim Esser (GRÜNE): Glaube ich nicht!]

(Hakan Taş)