Protocol of the Session on January 16, 2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 41. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien sehr herzlich.

Allen Anwesenden, denen ich noch kein frohes neues Jahr gewünscht habe, möchte ich nun ein erfolgreiches, gesundes Jahr 2014 wünschen.

Zunächst habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Folgende drei Anträge werden zurückgezogen: Antrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/0462: „Keine Preiserhöhung für das Sozialticket“, überwiesen in der 15. Sitzung am 30. August 2012 federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie und an den Hauptausschuss, des Weiteren der Antrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/1079: „Berufliche Perspektiven fördern – Landesgesetz zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse“, überwiesen in der 34. Sitzung am 29. August 2013 federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen, und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 17/0624: „Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Berlin endlich voranbringen“, überwiesen in der 21. Sitzung am 22. November 2012 federführend an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie.

Zur Tagesordnung habe ich Ihnen mitzuteilen, dass am Montag folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen sind.

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Volksbegehren über den Erhalt des Tempelhofer Feldes: Ergebnis und Ausblick auf die weitere Planung“,

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Volksbegehren über den Erhalt des Tempelhofer Feldes: Ergebnis und Ausblick auf die weitere Planung“,

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Was folgt aus dem Ergebnis des Volksbegehrens ‚100 Prozent Tempelhofer Feld‘?“,

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Endlich Perspektiven für Flüchtlinge schaffen – Schluss mit der Androhung von Gewalt durch den Innensenator“,

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Gefahrengebiete gibt es nicht nur in Hamburg! Senat muss Klarheit über Berliner Situation schaffen.“

Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der SPD das Wort. – Frau Kollegin Haußdörfer, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Stadtforscher Klaus Brake bemerkte im letzten September:

Es scheint so, dass die Berliner mit den Veränderungen der Stadt nicht so richtig klarkommen. Berlin ist an sich eine enorm offene Stadt, deshalb ist es für mich erstaunlich, wie sich Berliner jetzt gegen ihnen Unbekanntes, manchmal auch gegen das Fremde wehren, das ist bedenklich.

SPD, CDU und Grüne haben heute die Aktuelle Stunde zum Thema Tempelhof beantragt, und an sich begründet sich die Aktualität mit der Abgabe von rund 233 000 Unterschriften der Initiatoren für das Volksbegehren über den Erhalt des Tempelhofer Felds. Das ist sehr respektabel, und auch wenn wir eine andere Position haben, so ist das Engagement zu respektieren. Aber man sollte sich fragen dürfen, wer dort unterschrieben hat und vor allem für was. Laut Faltblatt der Initiatoren sollen u. a. elegante Ökostadtvillen für Politiker und Investoren auf dem gesamten Feld entstehen. Na, wenn das so wäre, hätte ich doch selber unterschrieben. Augenwischerei hoch drei, und deshalb werden wir in der Aktuellen Stunde die Fakten auf den Tisch legen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Da die Bezirkswahlämter bis zum 27. Januar die Unterschriften auf Gültigkeit prüfen, kann man zwar noch nicht sagen, dass das Volksbegehren zustande gekommen ist, aber wir gehen davon aus, dass diese Hürde genommen wurde. Grund genug ist es aber allemal, die Planung für diese gesamtstädtisch bedeutende Fläche hier noch einmal zu diskutieren und vor allem für unsere Positionen zu werben.

Für diese urbane Fläche in der Größe eines 13. Bezirks treten wir für eine soziale Durchmischung ein: innerhalb des S-Bahnrings bezahlbaren Wohnraum durch städtische Gesellschaften zu realisieren, wohnortnahe Arbeitsplätze zu etablieren und durch die Zentral- und Landesbibliothek einen Bildungsanker mit Strahlkraft zu errichten. Das Tempelhofer Feld wird damit für Berlin insgesamt entwickelt und nicht nur für drei angrenzende Bezirke. Wohnungsbau hier ist übrigens links und sozial, das dürfte vielleicht einige wundern. Aber es geht nicht nur um diejenigen, die Samstag und Sonntag sowie nach dem Feierabend hier skaten und grillen und dann nach Zehlendorf oder Köpenick nach Hause fahren; sondern es geht um die, die bezahlbaren Wohnraum von Montag bis Sonntag benötigen. Wer bezahlbare Mieten will, kann nicht gegen den Wohnungsneubau sein.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Man muss die Angebotsseite erhöhen, da Milieuschutz und gesetzliche Mietenbremse nicht ausreichen. Das macht sich erst recht hier am Tempelhofer Feld fest! Wenn hier nicht moderat gebaut und partizipativ entwickelt wird, dann wird es eben auch nicht in Berlin gelingen. Wie dann die Stadt mit dem Zuzug umgehen will, kann ich mir nicht vorstellen, und dies wurde mir von den Kritikern bisher nicht beantwortet. Jetzt sind die Träger des Volksentscheids die Bürger und Bürgerinnen von Berlin. Letztlich ist dies auch eine Frage, wohin sich diese Stadt entwickelt. Dieses Volksbegehren und der mögliche Volksentscheid stehen eben nicht nur für eine Grundsatzentscheidung für das Tempelhofer Feld, sondern für die gesamte Stadt. Deshalb bitten wir um Zustimmung für diese Aktuelle Stunde!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU jetzt der Kollege Evers.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Den Worten der Kollegin Haußdörfer gibt es eigentlich wenig hinzuzufügen.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!]

Denn in der Sache sind wir uns völlig einig, sowohl was die Aktualität des Anliegens als auch was diese heutige Sitzung – als den richtigen Ort und die richtige Zeit diese Debatte zu führen – angeht. Denn in der Tat, 233 000 Unterschriften sind sicher für die Initiatoren des Volksbegehrens kein Selbstläufer gewesen. Das ist ein ernstzunehmender Erfolg, und es gehört zu dem Respekt, den wir diesem Erfolg gegenüber erweisen, dass wir uns hier und heute im Abgeordnetenhaus damit befassen.

Ob der Volksentscheid kommt, ist noch unsicher. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass das Quorum erreicht ist. Es ist wahrscheinlich, dass, wer das Volksbegehren zu früh für gescheitert erklärt hat, sich geirrt hat. Aber ich glaube, dass es darum im Ergebnis gar nicht geht, sondern dass wir nach vorne schauen und die Gelegenheit nutzen sollten, uns unserer eigenen Positionen zu vergewissern, innezuhalten und uns klar zu machen, was für Überzeugungsarbeit – und für welche Anliegen – vor uns liegt. Ich freue mich auf die Diskussion dazu und sehe dafür eine klare Mehrheit voraus, insofern bedanke ich mich dafür schon jetzt und bin gespannt auf die Diskussion, die wir im Anschluss führen werden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Kapek. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn erst mal – zumindest von mir – ganz herzlichen Glückwunsch der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist ihnen bereits zum zweiten Mal gelungen, uns allesamt hier zu überraschen.

[Zuruf: Oh!]

Das erste Mal vor einem Jahr, als sie alle Rekorde zum Erreichen der ersten Stufe eingestellt und gebrochen haben, indem sie innerhalb von sechs Wochen so viele Stimmen gesammelt haben, wie es noch nie einem Volksbegehren zuvor gelungen ist. Und jetzt zum zweiten Mal, denn noch vor einer Woche – so ehrlich sollten wir sein – ist kaum einer hier davon ausgegangen, dass sie die zweite Stufe des Volksbegehrens erreichen würden. Jetzt haben sie aber einen so beeindruckenden Schlussspurt hingelegt, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit die zweite Stufe geschafft haben und erfolgreich waren. Das ist wirklich ein Meilenstein für Stadtentwicklung von unten durch den Einsatz direktdemokratischer Instrumente, und dazu möchte ich ihnen ganz herzlich gratulieren.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir als Berliner Parlament und auch der Berliner Senat wollen und müssen uns daher heute der Frage stellen: Was folgt aus einem erfolgreichen Volksbegehren zu Tempelhof?

[Zuruf von der SPD]

Eines ist klar: Dieses Ergebnis ist ein Misstrauensvotum für die Tempelhof-Pläne des Senats. Ein einfaches „Weiter so“ ist weder anständig noch sinnvoll, und ich möchte eindringlich davor warnen, vor dem Volksentscheid noch Fakten schaffen zu wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich spreche mich deshalb für ein Planungsmoratorium aus, mindestens bis zum Volksentscheid.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das gilt sowohl für den Bau des Regenwasserbeckens – zu dem wir ja jeden Tag mit dem Urteil des Gerichts rechnen können – als auch für den Neubau der Zentral-

(Ellen Haußdörfer)

und Landesbibliothek. Auch diese Pläne gehören erst einmal ins Eisfach. – Ich verstehe Sie sogar, Herr Müller, wenn Sie sagen, Sie wollen jetzt für Ihr eigenes Konzept werben. Werben Sie aber offensiv für ein „Nein“ zum Volksentscheid, dann gehen Sie ein wirklich hohes Risiko ein. Denn erreicht der Volksentscheid das Quorum mit mehr „Ja-“ als „Nein-Stimmen“, dann riskieren Sie den Super-GAU für Ihre Pläne. Dann können Sie diese nämlich erst einmal einpacken. Herr Senator Müller! Man hat Ihnen am letzten Montag die gelbe Karte gezeigt. Spielen Sie weiter foul, dann fliegen Sie vom Feld.

[Beifall bei den GRÜNEN – Lachen bei der SPD und der CDU]

Aber auch die Initiative „100 Prozent Tempelhof“ hat viel zu verlieren. Denn umgekehrt gilt, es ist längst nicht klar, ob tatsächlich die Mehrheit der Berliner gegen eine moderate Bebauung an den Rändern des Tempelhofer Feldes ist. Kommt es also zum Quorum, es stimmen aber mehr Menschen mit „Nein“ als mit „Ja“, dann wertet das der Senat natürlich als ultimative Bestätigung seiner Pläne, und wir bekommen 100 Prozent SenatsMasterplan. Im Sinne der Berlinerinnen und Berliner ist weder das eine noch das andere.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Lassen wir es deshalb stur auf einen Volksentscheid ankommen, dann wird es in jedem Fall mehr Verlierer als Gewinner geben. Deshalb, finde ich, müssen wir uns heute in der Aktuellen Stunde die Zeit nehmen, darüber zu reden, ob es nicht einen dritten Weg geben kann. Und dieser Weg kann nur einer sein, nämlich der Weg eines gemeinsamen Kompromisses.

[Zuruf von der SPD]

Dazu zählt auch die Frage, an welchem Tag die eigentliche Abstimmung stattfinden soll. Mittlerweile sollte es allen Beteiligten klar sein, dass Volksentscheide in Berlin oft nur dann die 25/Prozent-Quorummarke überspringen, wenn diese an einem ohnehin stattfindenden Wahltermin gekoppelt sind. Günstiger ist das für Berlin allemal. Wenn Sie es nur halbwegs ernst meinen mit direkter Demokratie, dann legen Sie den Abstimmungstermin auf den 25. Mai zusammen mit der Europawahl.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wenn der Senat jedoch den gemeinsamen Termin durch Taschenspielertricks – ähnlich wie beim Volksentscheid „Energie“ – verhindern möchte und damit den Berlinern die Chance nimmt, über ein wichtiges Stück Zukunft in ihrer Stadt zu entscheiden, wäre das in hohem Maße demokratiefeindlich.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wir als Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass ein vernünftiger Umgang mit dem Ergebnis des Volksbegehrens