Wir als Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass ein vernünftiger Umgang mit dem Ergebnis des Volksbegehrens
nur darin bestehen kann, auf die Stimme der Vernunft zu hören, und diese sagt: Wir müssen einen neuen, gemeinsamen Kompromiss finden. Ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn wir heute gemeinsam mit Ihnen allen in der Aktuellen Stunde darüber diskutieren könnten, was für Ansätze wir wählen können im Sinne der ganzen Stadt Berlin und im Sinne des Tempelhofer Felds. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen heute über die Perspektiven für Flüchtlinge und über die ständigen Androhungen von Gewalt durch den Innensenator gegen Flüchtlinge in der Aktuellen Stunde reden.
Offensichtlich hat der Innensenator Henkel den Artikel im „Tagesspiegel“ vom 13. Januar dieses Jahres missverstanden. Die Zeitung hat Herrn Henkel geraten, „nicht den Lummer zu machen“. Aber in der Presse lesen wir nun, dass Herr Henkel in Spandau eine Rede gehalten hat, bei der sogar Herr Lummer vor Neid erblassen würde.
Lieber Herr Henkel! Sie haben offensichtlich nicht nur den Artikel im „Tagesspiegel“ missverstanden, sondern auch das Prinzip der Deeskalation!
Es zeichnet sich nicht dadurch aus, dass man einem Verstoß gegen das Grünflächengesetz mit einem Großeinsatz der Polizei begegnet, sondern dadurch, dass für berechtigte Anliegen adäquate Lösungen gesucht und gefunden werden.
Wenn Sie schon in Ihrer erwähnten Rede – so wörtlich – von einem Zweiklassenrecht sprechen, möchte ich dazu sagen, dass die Behandlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland ein Zweiklassenrecht darstellt und nicht deren Protest gegen die schikanöse Behandlung.
Die Menschen am Oranienplatz machen das nicht zum Spaß, erst recht nicht unter winterlichen Verhältnissen. Ihr Protestcamp wurde und wird vom Bezirksamt
Friedrichshain-Kreuzberg geduldet. Das ist auch gut so. Seit Monaten werden diese Menschen hingehalten. Für keines ihrer Probleme wurden Lösungen erarbeitet. Die Polizei ist nicht dazu da, die Probleme zu lösen, die die Politik verursacht hat und schleifen lässt. Durch Drohgebärden werden wir zu keiner Lösung gelangen, auch nicht durch massiven Polizeieinsatz. Wenn der Oranienplatz geräumt werden sollte, bleiben doch die Menschen und die Probleme.
Solch eine Räumung würde eventuell Herrn Henkel und der Union ein paar Stimmen aus dem rechten Lager bringen, würde aber die Problemlage noch mehr verschärfen.
Statt Drohgebärden von sich zu geben, sollten der Innensenator, der Sozialsenator und die Integrationssenatorin gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden und weiteren Vertrauenspersonen wie beispielsweise Frau John, Frau Kolat, umgehend den Dialog mit dem Bezirk und den Flüchtlingen fortsetzen. Vielleicht sollten Sie die genannten Kollegen aus dem Senat ansprechen, sie dafür gewinnen und sie an den Gesprächen beteiligen.
Asyl- und Flüchtlingsrecht ist Sache des Bundesgesetzgebers. Trotzdem hat das Land Spielräume und Möglichkeiten. Herr Henkel! Sie haben an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen. Dort haben Sie leider nicht dazu beigetragen, dass sich die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland in Berlin verbessern können. Wir können aber mit dazu beitragen, dass nicht nur zwischen Berlin und Brandenburg, sondern in Deutschland die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt wird. Wir können hier in Berlin für menschenwürdige Wohnverhältnisse sorgen. Wir können dafür Sorge tragen, dass die Kinder zeitnah und ohne Ausgrenzung die Bildungseinrichtungen besuchen. Wir können diesen Menschen Qualifizierungsprogramme, Integrationskurse und Ähnliches anbieten. Wir können insbesondere den Flüchtlingen, die über das schreckliche Flüchtlingslager in Lampedusa hierher gekommen sind, einen legalen, humanitären Aufenthalt ermöglichen.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben im Jahr 2004 die gemeinsame Erklärung der Bürgermeister und Stadträte europäischer Städte unterschrieben. Sie haben sich damit einer Willkommenskultur und der bestmöglichen Unterstützung für Flüchtlinge verpflichtet. Wenn diese Erklärung mehr sein soll als leere Worte, müssen Sie sich, Herr Wowereit, persönlich dieser Sache annehmen, für einen Dialog sorgen und nach Lösungen suchen. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus würde die heutige Aktuelle Stunde gern dafür nutzen, um über Gefahrengebiete zu sprechen, aber nicht die in Hamburg, sondern über die in Berlin. Haben wir – das wird sich jetzt der Eine oder die Andere möglicherweise fragen – in Berlin überhaupt so etwas? – Ja, das haben wir. Der einzige Grund, warum man über diese Gefahrengebiete in Berlin nicht redet, warum das Parlament und die Öffentlichkeit nichts wissen, ist, dass dieser Senat nicht darüber informieren möchte. Das ist sehr bedauerlich.
Gegen die Gefahrengebiete, die wir jetzt in Berlin haben, war das, was in Hamburg passiert ist, tatsächlich Kindergeburtstag. Wo man in Hamburg Dinge nur in Augenschein nehmen durfte, dürfen in Berlin anlasslos Personenkontrollen, Durchsuchungen durchgeführt werden. Die Polizei in Berlin hat hier weitreichendere Eingriffsmöglichkeiten als die Polizei in Hamburg.
Wir haben den Senat gefragt, wo diese Gefahrengebiete liegen. Wer legt sie fest? Wie viele gibt es? Die Antwort wird dem Parlament mit der Begründung verweigert, dass die Bekanntgabe der Gebiete das Sicherheitsempfinden der Berlinerinnen und Berliner stören würde. Das sagt derselbe Senat, der einen Kriminalitätsatlas herausgibt, in dem man genau nachlesen kann, wo in Berlin wie viele Straftaten geschehen. Das ist schizophren.
Das beeinträchtigt gleichzeitig die Möglichkeit der Berlinerinnen und Berliner, adäquat auf diese Situation zu reagieren. Sie müssen wissen, ob das, was die Polizei hier möglicherweise anlasslos macht, eigentlich erlaubt oder nicht erlaubt ist und ob sie sich dagegen wehren können, wenn sie sich zu Unrecht behandelt fühlten. Die Möglichkeit haben sie nicht. Sie kennen diese Gefahrengebiete nicht.
Seit einigen Tagen liegt der Piratenfraktion jetzt eine Antwort auf eine weitere Anfrage vor. Darin erklärt der Senat, dass seit 2010 14 neue Gefahrengebiete in Berlin eingerichtet worden sind. Dieses Mal war der Senat so gnädig, wenigstens nach Polizeidirektionen aufzuschlüsseln. Spitzenreiter sind Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Allein sechs dieser 14 neuen Gefahrengebiete liegen in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Hier kann man natürlich auch sehen, wo dieser Senat innenpolitisch seine Prioritäten setzt.
Es zieht einem dann aber die Schuhe aus, wenn man liest, dass Berliner Polizistinnen und Polizisten nach eigenem Ermessen spontan vor Ort ad hoc Orte zu Gefahrengebieten erklärten können, auch ohne dass sich dort eine Straftat zugezogen hat. Ich zitiere:
Grundsätzlich kann jede Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte die erforderliche Identitätsfeststellung, Durchsuchung einer Person und Durchsuchung von Sachen und Orten durchführen, an denen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG vorliegen. Hiernach ist maßgebend für die Gefährlichkeit des Ortes die jeweilige auf Tatsachen begründete Prognose. Begründet ein besonderer Umstand eine erhebliche Gefahrenlage, kann auch ohne bereits angefallene Straftaten ein kriminalitätsbelasteter Ort gegeben sein.
Berlin ist noch immer die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland und keine frisch entmilitarisierte Zone. Ich frage mich, was das soll. Warum kann die Polizei einfach vor Ort, wenn sich irgendetwas ergibt, nach persönlichem Ermessen einen Ort zu einem Gefahrengebiet erklären? Warum können anlasslos Personenkontrollen und Durchsuchungen durchgeführt werden? Das ist ein untragbarer Zustand.
Es kann auch nicht sein, dass das Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz so lax von der Polizei ausgelegt wird. Es ist jetzt Ihre Aufgabe Herr Henkel, endlich einmal Ihre Aufgaben zu erledigen und dieser Praxis, wie sie im Moment zu herrschen schein, Einhalt zu gebieten. Sie, Herr Henkel, sind auch in der Verantwortung, dass Sie die Berlinerinnen und Berliner endlich einmal darüber aufklären, an welchen Orten in dieser Stadt die Polizei anlasslos Personenkontrollen und Durchsuchungen durchführen kann. Darüber hätten wir sehr gern mit Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, in der Aktuellen Stunde gesprochen. Es wurde bereits angemerkt, dass sich eine andere Mehrheit abgezeichnet hat. Sicher ist aber eines: Wir werden dieses Thema weiter im Innenausschuss thematisieren. Jetzt sind Sie am Zug, Herr Henkel, erst einmal Klarheit in diese untragbare Situation zu bringen. Wir sind gespannt, wie sich das entwickelt. – Vielen lieben Dank!
Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse nun abstimmen und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer diesem Thema zum Stichwort 100 Prozent Tempelhofer Feld zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen die Linke, die Grünen, die Koali
tionsfraktionen und die Piraten. Gibt es Gegenstimmen? – Es gibt eine Gegenstimme bei den Piraten. Enthaltungen? – Eine.
Auf jeden Fall wünscht die Mehrheit dieses Thema. Somit rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten verweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung.
Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister ist abwesend ab ca. 17.30 Uhr; Grund: Teilnahme an der Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Grünen Woche. Frau Senatorin Yzer ist abwesend ab ca. 16.30 Uhr; Grund: Grußwort anlässlich der Eröffnung der Chinesischen Handelskammer. Im Ältestenrat ist dem Senat mitgeteilt worden, dass davon ausgegangen wird, dass die Frau Wirtschaftssenatorin nach diesem Termin zurückkehren wird. – Nach dem bisherigen Ablauf tagen wir ja auch heute etwas länger.