Protocol of the Session on November 21, 2013

[Beifall bei der LINKEN– Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Deshalb ist es für meine Fraktion und für mich persönlich längst überfällig, über dieses Thema und die absurden Auswüchse hier im Parlament zu diskutieren. Ganz im Ernst: Wir müssen hier Position beziehen.

[Beifall von Antje Kapek (GRÜNE)]

Kurz als Erinnerungsstütze: Vor einigen Wochen veröffentlichte Alice Schwarzer einen Appell gegen Prostitution. Darin fordert sie, was vor ihr niemand in der Geschichte der Menschheit geschafft hat: den Handel mit sexuellen Dienstleistungen abzuschaffen. Hier und da findet Frau Schwarzer Beifall.

Viele denken, alle Sexarbeiterinnen seien arme, bedauernswerte Geschöpfe und Opfer von Gewalt. Dabei werden sexuelle Ausbeutung und freiwillige Prostitution leider gleichgesetzt. Niemand wird leugnen, dass es sexuelle Ausbeutung gibt. Die Betroffenen brauchen jede erdenkliche Hilfe. Doch das betrifft nur einen winzigen Bereich der gesamten Branche. Wer es ernst meint mit dem Schutz vor Gewalt und mit der Selbstbestimmung der Menschen, der sollte nicht lautstark brüllen, sondern den Frauen helfen, die Hilfe benötigen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

So ist es bedauerlich, dass Herr Henkel auf den Verbotszug aufspringt und eine zeitlich begrenzte Zone rund um die Kurfürstenstraße fordert. Bedauerlich ist auch, dass der Koalitionspartner SPD hier keine klaren Aussagen trifft. Auch deswegen müssen wir zu diesem Thema die Argumente austauschen.

[Joschka Langenbrinck (SPD): Ist schon längst passiert!]

Es ist nicht passiert. Im Senat wird gerade noch geprüft, ist in den Zeitungen zu lesen.

Die Zahl der Prostituierten ist rund um die Kurfürstenstraße seit Jahren hoch, aber sie ist gleich geblieben. Ich selbst habe vor einigen Tagen knapp 30 Frauen gezählt. Auch verstehe ich, dass Anwohner immer wieder sagen, sie wollen nicht von den Straßenprostituierten vor Ort belästigt werden. Aber, es gibt andere Möglichkeiten, hier etwas zu tun. Lieber Herr Henkel! Liebe Frau Thamm! Ich möchte Sie daran erinnern, was die Mitarbeiterinnen des Frauentreffs Olga in der Kurfürstenstraße zusammen mit Hydra, mit den Anwohnern und der Polizei in den letzten Jahren erreicht haben – und zwar nicht durch Kriminalisierung und Vertreibung, sondern durch konkrete Hilfsangebote.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die Sozialarbeiterinnen sprechen die Sprache der Prostituierten, erklären die Rechtslage und werben für ein respekt- und rücksichtsvolles Miteinander. Ein überaus guter Vorschlag kommt übrigens auch von der Vertretung der Sexworkerinnen. Sie wollen durch ihre Arbeit vor Ort die

(Antje Kapek)

Frauen zu weniger anstößigem Benehmen und Sauberkeit bewegen. Erste Erfolge sind bereits zu verzeichnen. Auch die BSR nimmt sich der Sache an.

Durch zeitlich begrenzte Sperrzonen würde Straßenprostitution nicht aus dem Gebiet um die Kurfürstenstraße verschwinden. Übrigens existiert der Strich dort seit mehr als 100 Jahren und es ist sehr problematisch, wenn die Prostitution aus dem öffentlichen Blick verschwindet. Die Frauen werden dadurch erst zu potenziellen Opfern gemacht. Das, Herr Senator, dürfte nicht in Ihrem Interesse liegen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Lieber Herr Henkel! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen! Wenn Sie ernsthaft etwas gegen sexuelle Sklaverei tun wollen, wenn Sie den Opfern helfen wollen, dann ist das ganz einfach: Behandeln Sie endlich unseren Antrag „Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel“, den wir vor einem Jahr eingereicht haben! Dieser Antrag ist immer noch nicht endgültig behandelt worden, obwohl wir von allen Fraktionen zustimmende Signale erhalten haben. Es scheint Ihnen also nicht sehr ernst mit dem Schutz der Opfer von sexueller Ausbeutung zu sein. Stattdessen führen Sie sinnlose Verbotsdebatten, ohne dies kritisch in einer Aktuellen Stunde hier zu hinterfragen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Für die Piratenfraktion spricht der Kollege Reinhardt. – Bitte schön!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns hier schon häufig über fehlende Wohnungen und Unterbringungsplätze für Flüchtlinge unterhalten. Aufgrund der aktuellen Diskussion um die Situation in den Not- und Sammelunterkünften für Flüchtlinge möchten wir mit Ihnen heute hierüber reden. Es gibt zu Recht Proteste gegen die aktuelle Unterbringungssituation. Wie kommt das? – Ich erinnere noch mal an die kleine Vorführung, die ich hier im August gegeben habe, um Ihnen zu zeigen, wie wenig Platz eigentlich ein Flüchtling in einer Unterbringung hat. Ich denke, ich muss das jetzt nicht wiederholen. Das war schon eine kleine Warnung, sich aktiver um die Situation in den Unterkünften zu kümmern.

Erst seit Herbst 2012 kümmert sich der Senat aktiv, hat sich dabei aber vor allem auf die Zahlen konzentriert. Die Frage nach den Standards vor Ort wurde dabei außer Acht gelassen. Seit damaligem Herbst errichtet der Senat hektisch Notunterkünfte für Flüchtlinge. Mit diesen Not

unterkünften hat er Substandards in der Flüchtlingsunterbringung etabliert. Das heißt, die eigentlich geltenden Standards gelten dort nicht oder nur teilweise. Anfangs wurde noch behauptet, die Notunterkünfte würden nur für drei Monate existieren. Aus diesen drei Monaten wurden dann erst mal sechs Monate. Mittlerweile bestehen einige der Notunterkünfte seit über einem Jahr. Seit über einem Jahr gibt es nun diese Substandards. Seit über einem Jahr gibt es nun Unterkünfte ohne Verträge. Nun sagt die zuständige Behörde, zum Teil gebe es ja mündliche Verträge. Da können wir nur ganz konkret fragen: Seit wann machen wir denn hier Verträge mit Betreibern per Handschlag? Das ist uns überhaupt nicht bekannt.

Anfangs sagte der Senat noch, die Notunterkünfte würden nach und nach auf das allgemeine Standardniveau angehoben. Davon ist mittlerweile in der öffentlichen Debatte aber gar keine Rede mehr. Die Notunterkünfte sind – das lässt sich so festhalten – mit ihren Substandards zu einer Dauereinrichtung in dieser Stadt geworden. An der baulichen, personellen Ausstattung und den hygienischen Bedingungen ändert sich so gut wie nichts. Doch auch die existierenden Mindeststandards selbst sind kritikwürdig. Uns liegen durch Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz die Verträge mit den Betreibern von Unterkünften vor. Die Verträge bleiben an vielen Stellen äußerst unkonkret. Zudem wird die Einhaltung der Anforderungen nicht kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert. Seit einer Woche wurde angekündigt, dass es doch Kontrollen vom Landesamt geben soll, aber vorher gab es gar keine. Das heißt, für die Betreiber besteht in der Sache eigentlich überhaupt kein Anreiz, sich an irgendwelche Standards zu halten.

Ich verstehe, wenn Sie sagen, es gibt Dringlicheres. Die „taz“ berichtet heute, es gibt 700 bis 750 fehlende Plätze für Flüchtlinge zum Jahresende. Natürlich ist das wichtig. Aber es geht in dieser Sache nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität. Und Qualität heißt in diesem Fall konkret: menschenwürdige Lebensstandards.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

In den Unterkünften fehlt es an sanitären Anlagen und Infrastruktur wie z. B. Waschmaschinen. In den überfüllten Wohnheimen fehlt jede Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit. Ich habe mittlerweile etwa ein Dutzend dieser Einrichtungen besucht. Gerade letzte Woche konnte ich wieder feststellen: Menschen leben dort zum Teil unter extrem beengten Umständen, teilweise nur durch einen Vorhang voneinander getrennt in einem gemeinsamen Raum. Viele Flüchtlinge leben monate- oder gar jahrelang in solchen Massenunterkünften. Das Leben in diesen Unterkünften verhindert die Integration, und es macht die Leute vor Ort krank. Ich schäme mich für solche unwürdigen Sammelunterkünfte. Ich schäme mich, wenn wir Flüchtlinge in Berlin in solchen Notunterkünften begegnen und sie dort empfangen. Wir würden gerne mit Ihnen darüber sprechen, wie wir zu transparenten und

(Evrim Sommer)

einheitlichen Standards in den Not- und Sammelunterkünften auf hohem Niveau kommen. Falls dies nicht klappt, hoffe ich, dass wir zumindest in der Fragestunde noch einige Antworten vom Senat in dieser Frage erhalten.

Herr Senator Czaja! Als zuständigem Senatsmitglied kann ich Ihnen ein konkretes Angebot machen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mal ein Wochenende in einer Notunterkunft verbringen würden. Ich biete Ihnen auch gern an, mitzukommen. Ich schaue mir dann gern an, ob wir nachher unsere Meinung beide etwas angepasst haben oder ob Sie Ihr Engagement in diesem Bereich dadurch verstärken würden. – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Ich lasse nun abstimmen, zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD. Wer diesem Thema – Stichwort Start-up-Metropole – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Ersteres war die Mehrheit. Somit rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister nimmt ab 13 Uhr an den Koalitionsverhandlungen des Bundes teil, ab 19 Uhr an der Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2013 des Zentralrats der Juden. Sollte zwischendurch die Möglichkeit bestehen, wird er hierher kommen. – Senatorin Yzer ist abwesend ab ca. 19 Uhr. Sie ist bei der Eröffnung des Führungstreffens der „Süddeutschen Zeitung“. Senatorin Scheeres nimmt ab ca. 18 Uhr am Kamingespräch der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz teil.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Mündliche Anfragen

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Drucksache 17/MA39

Die erste Mündliche Anfrage ist vom Kollegen Ole Kreins von der SPD-Fraktion.

Ist die S-Bahn für den Winter 2013/2014 besser gerüstet?

Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Was wurde seitens der S-Bahn GmbH in diesem Jahr unternommen, um dem alljährlichen Winterchaos der Berliner S-Bahn entgegenzuwirken?

2. Reichen die Maßnahmen der S-Bahn GmbH nach Ansicht des Senats aus, um einen weitestgehend reibungslosen S-Bahnverkehr zu gewährleisten?

Vielen Dank! – Es antwortet Senator Müller. – Bitte schön!

[Uwe Doering (LINKE): Die fällt jetzt schon aus, die S-Bahn!]

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Kreins! Zu Ihrer ersten Frage: Durch die umgesetzten Maßnahmen des im Rahmen der Nachverhandlung des Verkehrsvertrages vereinbarten Qualitätssicherungsplans konnte eine Stabilisierung der Verfügbarkeit der Baureihe 481, insbesondere auch unter winterlichen Witterungsbedingungen, erreicht werden. Der Qualitätssicherungsplan sah unter anderem vor, dass die S-Bahn Berlin GmbH ihre Fahrmotoren aufarbeitet, die Besandungsanlagen optimiert und Maßnahmen gegen Türstörungen einleitet. Auch im Bereich der DB Netz wurden Maßnahmen umgesetzt, die die Robustheit der Infrastruktur unter winterlichen Witterungsbedingungen verbessern. Die Maßnahmen umfassen beispielsweise die Motorisierung von Stromversorgungskabeln sowie die Nachrüstung von Weichenheizungen. Zudem wurden organisatorische Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die im Winterdienst erforderlichen Räum- und Sicherungsleistungen zuverlässiger zu gestalten. Im letzten Winter sind jedoch insbesondere bei der Altbaureihe 485 größere witterungsbedingte Einschränkungen der Fahrzeugverfügbarkeit aufgetreten, unter anderem infolge dieser Probleme hat der Senat gemeinsam mit der S-Bahn Berlin GmbH im Jahr 2013 erneut einen externen Expertenkreis eingesetzt, um die Ausfallursachen zu untersuchen und Gegenmaßnahmen identifizieren zu lassen.

Gemäß Expertenbericht betrifft der Großteil der Störungen den elektrischen Teil der Fahrzeuge. An Bereichen, die in der betriebsnahen Instandhaltung zugänglich sind, wurde durch die S-Bahn Berlin bereits die entsprechende

(Fabio Reinhardt)

Wartung intensiviert. Jedoch hat die Expertengruppe auch festgestellt, dass für bestimmte Komponenten grundlegende Lösungen erforderlich sind und deren Umsetzung durchaus ein bis zwei Jahre erfordern kann.

Neben diesen Themen wurden seitens der S-Bahn Berlin GmbH in Vorbereitung auf den kommenden Winter unter anderem folgende Maßnahmen angegangen: Wie in den beiden vergangenen Wintern werden auch im Winter 2013/2014 bei der Baureihe 481 die Antriebstechnik vor eintretender Feuchtigkeit geschützt und die Türgummis an allen Baureihen behandelt. Zur Vorbeugung von Türstörungen bei der Baureihe 485 wird an den Türlaufleisten eine von einer Expertengruppe vorgeschlagene Modifikation umgesetzt. Daneben werden die Teams der mobilen Enteisung noch zielgerichteter an die Endpunkte der von der Baureihe 485 bedienten Linien herangeführt, um die Fahrzeuge im Türbereich fortlaufend von Eisbildung zu befreien.