Jetzt noch ein Wort zu den drei Anträgen: Wir haben vor, diese drei Anträge noch zu besprechen, was richtig ist, damit sie in den richtigen Fachausschuss überwiesen werden und wir an dieser Stelle mit dem richtigen Augenmaß diese Anträge diskutieren können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Lehmann! – Für die Linksfraktion hat nun der Herr Abgeordnete Taş das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte die Möglichkeit nutzen, heute im Berliner Abgeordnetenhaus die Lampedusa-Berlin-Flüchtlinge herzlich willkommen zu heißen. – Herzlich willkommen!
Die Tragödien der letzten Wochen haben nicht zum ersten Mal drastisch vor Augen geführt, dass die europäische Abschottungspolitik gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen gescheitert ist. Diese Politik hat das Recht auf Asyl und den Schutz von Flüchtlingen ad absurdum geführt. Menschen, die Schutz in Europa suchen wollen, kommen zu Tode, bevor überhaupt über ihr Anliegen entschieden werden kann. Obwohl mittlerweile sogar führende Politiker und Politikerinnen aus der CDU das Scheitern der Abschottungspolitik der EU konstatieren und eine neue Politik verlangen, setzt Bundesinnenminister Friedrich weiter auf Abschreckung und will die Festung Europa weiter ausbauen.
Die von der Bundesregierung gewollte Abschottungspolitik führt auch dazu, dass Flüchtlinge in Deutschland selbst mit verschiedenen Formen des Protests für ihre Rechte kämpfen müssen. Es ist bezeichnend, dass sie dafür sogar ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Es ist zu begrüßen, dass die Integrationssenatorin Frau Kollegin Kolat sich mehrfach mit den protestierenden Flüchtlingen in Berlin getroffen und zuletzt mit auch zur Aussetzung des Hungerstreiks beigetragen hat. Doch der Berliner Innensenator, Kollege Henkel, glänzt eher durch Abwesenheit, obwohl er ebenso für diesen Bereich zuständig ist.
Henkel könnte die Flüchtlingsproblematik zu seinem Anliegen machen. Er weiß am besten, wie sehr die Stadt in der Vergangenheit davon profitiert hat, Menschen, die von einem besseren Leben träumen, aufzunehmen. Er war selbst mal einer dieser Menschen. Er kam als Flüchtling aus der DDR nach Westberlin, baute sich ein neues Leben auf.
Es gibt aber – wenn ich das mal so formulieren darf, lieber Kollege Henkel – prominentere Personen als unseren Innensenator, die nur deshalb unserer Stadt dienen durften, weil sie woanders Schutz erhalten konnten, beispielsweise Willy Brandt in Skandinavien oder Ernst Reuter in meiner alten Heimat, der Türkei. Trotz dieser Erfahrungen trägt der Innensenator nichts zur humanitären Lösung der flüchtlingspolitischen Konflikte in dieser Stadt bei. Das ist armselig und auch nicht christlich, Herr Henkel.
Wir alle müssen uns diesen Herausforderungen stellen und nach Lösungswegen suchen. Wir müssen diesen Menschen, die vor Unterdrückung, Gewalt, Umweltkatastrophen und aus anderen Gründen in die EU, in die Bundesrepublik flüchten, einen menschenwürdigen Schutz ermöglichen. Da reicht es nicht aus, Frau Senatorin Kolat, immer nur wohlfeile Versprechungen von sich zu geben. Wir wollen jetzt endlich Taten sehen.
Mit Ihren Stimmen, liebe Abgeordnete der SPD, wurden hier im Haus schon viele Anträge der Opposition zur Flüchtlingspolitik abgelehnt, sei es die Abschaffung der Residenzpflicht, die Unterbringung in Wohnungen, ein Winterabschiebestopp oder die Abschaffung des menschenfeindlichen Flughafenverfahrens. Jede Verbesserung der Rechte von Flüchtlingen wurde von Ihnen abgelehnt. Jetzt müssen Sie sich entscheiden! Ihre bisherige Strategie, reden ohne handeln, das läuft nicht mehr.
Das Land Berlin sollte Vorreiter einer neuen humanen, unseren historischen Erfahrungen und der Verantwortung gerecht werdenden Flüchtlings- und Asylpolitik im Land Berlin auf Bundesebene und in der EU werden. Hier ist ein Maßnahmenkatalog gefragt – ich nehme nur einige Punkte heraus: Der Senat sollte sich bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Abschottungspolitik der Europäischen Union abgebaut wird. Die voraussichtliche Koalition aus CDU/CSU und SPD auf Bundesebene hat 1992 und 1993 mit dem sogenannten „Asylkompromiss“ das Grundrecht auf Asyl faktisch aufgehoben. Sie haben jetzt die Möglichkeit und die Pflicht, dem historischen Auftrag des Grundgesetzes entsprechend Asylsuchenden
und Flüchtlingen Schutz und menschenwürdige Lebensbedingungen zu bieten. Dazu gehören unter anderem die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Residenzpflicht, aber dazu gehört allerdings auch eine Änderung des Artikels 16a Grundgesetz. Ich bin sicher, dass die zukünftigen Oppositionsparteien im Bundestag ein solches Anliegen zur Wiederherstellung des Asylrechts unterstützen werden.
Auch auf Landesebene gibt es genug zu tun. Der Senat muss dafür sorgen, dass den über Libyen und Italien eingereisten, in Berlin lebenden Flüchtlingen sowie denjenigen, die während ihres politischen Protests ihre Bleiberechtsperspektive in anderen Bundesländern verloren haben, ein Aufenthaltsrecht aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen gewährt wird.
Auch bei der Residenzpflicht gibt es neuen Handlungsspielraum. Wir können eine gemeinsame Rechtsverordnung mit Brandenburg erlassen, nach der sich Asylsuchende ohne behördliche Erlaubnis vorübergehend im jeweils anderen Bundesland aufhalten können. Dazu liegt unser Antrag vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Wenn Ihnen Ihr Parteiprogramm nur einen Funken wert ist, dann können Sie diesem Antrag nur zustimmen.
Der Berliner Senat muss eine Lösung für die Flüchtlinge am Oranienplatz und in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg finden. Die Forderung von Sozialsenator Czaja, erst müssen die Flüchtlinge das Camp am Oranienplatz räumen, verdreht die Problemlage. Erst wenn der Senat den Flüchtlingen eine Unterkunft anbietet, kann das Camp geräumt werden.
Deshalb sollte der Senat diese sinnlose Diskussion beenden und den Flüchtlingen vor Winterbeginn eine menschenwürdige Bleibe zur Verfügung stellen.
Weiterhin ist der Senat aufgefordert, erneut mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu verhandeln, damit diese mehr Wohnungen für Flüchtlinge bereitstellen. Auch die Beschulung der Flüchtlingskinder ist noch mangelhaft. Der Senat wird aufgefordert, gemeinsam mit den Bezirken für eine vernünftige Beschulung der Flüchtlingskinder zu sorgen. Jedes Kind hat ein Recht auf Schulbesuch, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Nicht zuletzt fordern wir den Senat auf, Integrationskurse sowie die Angebote der Arbeitsförderung für Flüchtlinge zu öffnen und vorhandene Qualifikationen – liebe Frau
Kolat – schnell für den hiesigen Arbeitsmarkt anzuerkennen. Dies ist eine Reihe von wichtigen Aufgaben.
Liebe Abgeordnete der Koalition, lieber Senat! Wenn Sie das nicht endlich anpacken, dann können Sie noch so oft in der Presse von einer humanitären Flüchtlingspolitik sprechen und sich selber feiern. Wenn keine Taten folgen, machen Sie sich vollends unglaubwürdig. Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Taş! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Reinhardt. – Bitte sehr!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Refugees, willkommen hier im Haus! Wir haben heute eine längere Debatte über das Thema Integrations- und Flüchtlingspolitik geführt. Wir hatten aber eben noch eine kleine Verstimmung über eine Große Anfrage, die die Piratenfraktion eingereicht hat und die hier in zwei Wochen besprochen wird, das Thema „Bei Nacht und Nebel – Sammelabschiebungen aus Berlin“. Wir haben nachgeschaut, im Duden steht: Nacht- und Nebelaktionen sind überraschend und in aller Heimlichkeit durchgeführte Polizeiaktionen. Um eine solche handelte es sich am 29. August. Dort wurde eine Familie nachts aus einer Sammelunterkunft geholt. Insgesamt wurden 32 Menschen über den Flughafen Schönefeld nach Serbien abgeschoben. Anwälte wurden dort nicht zugelassen, Einspruch wurde dort nicht zugelassen. Alle weiteren Assoziationen gingen von Ihnen aus.
Vor etwa zwei Wochen starben mehrere hundert Menschen bei dem Versuch, Europa über einen der gefährlichsten Flucht- und Reisewege überhaupt zu erreichen – über das Mittelmeer. Immerhin hat diese Tragödie dazu geführt, dass das Thema Asylpolitik nun auf deutscher und europäischer Ebene diskutiert wird. Anlass dazu gäbe es jeden Tag. Denn Menschen sterben wöchentlich an den Außengrenzen Europas. Rund 19 000 Flüchtlinge haben in den letzten 25 Jahren ihr Leben bei dem Versuch verloren, die Festung Europa zu erreichen. Auch hier gilt wieder: Alle weiteren Assoziationen bleiben Ihnen überlassen. Die meisten dieser Flüchtlinge starben im Mittelmeer. Einhellige Reaktion vieler Innenminister, unter anderem des deutschen Innenministers und der österreichischen Innenministerin, auf die aktuellen Katastrophen war: Schlepperbanden ausräuchern! – Nur, was sie dabei vergessen: Kein Mensch begibt sich freiwillig in die Hände von sogenannten Schleppern, nimmt den gefährlichen Weg über das Mittelmeer und steigt in ein schrott
reifes und überfülltes Boot, wenn er eine andere Wahl hat. Wer nur davon spricht, sogenannte Schlepperei zu verhindern, der hätte es am liebsten, dass die Außengrenzen noch dichter wären, dass die ungerechte Drittstaatenregelung noch rigoroser angewandt würde und am besten niemand mehr versucht, nach Europa zu kommen.
Der Tiefpunkt dieser Angelegenheit war, dass die Angehörigen der Verstorbenen nicht an der Trauerfeier teilnehmen durften. Die weißen Zyniker wollten ihre Krokodilstränen lieber unter sich weinen.
In Hamburg und Berlin und in vielen anderen Städten gab es Demonstrationen aus Solidarität und Protest gegen die unmenschliche Asylpolitik der EU. In Berlin waren politische Flüchtlinge zehn Tage lang im Hungerstreik, den sie nach Versprechungen – unter anderem des Senats – abbrachen. Doch warum begannen sie den Hungerstreik? – Auch, weil ihnen bereits 2012, nach ihrem langen Weg nach Berlin, von Senatorin Kolat und Staatsministerin Böhmer Versprechungen gemacht wurden, von denen kaum eine eingelöst wurde und die Flüchtlinge dieses Jahr genauso dastanden wie bereits letztes Jahr.
Unter diesen Vorzeichen macht nun die Koalition selbst Integrations- und Flüchtlingspolitik zum Thema, weil sie die Chance sieht, ihre Senatoren als flüchtlingspolitisch engagiert darstellen zu können. Dem widerspreche ich hiermit ausdrücklich. Schauen wir uns doch einfach einmal an, was die Koalition in den letzten zwei Jahren in diesem Bereich gemacht hat! Was waren unsere Erwartungen an den Senat am Anfang? Wir lesen uns den Koalitionsvertrag durch. Dort steht auf den Seiten 60 bis 62 in blumigen, unkonkreten Worten etwas von „Willkommenskultur“. Das ist nett. Dann tritt der Integrationsbeauftragte zurück. Er sei kein Mensch für Rot-Schwarz. Auch hier kann man sich alles Weitere selber denken. Das Amt der Beauftragten wird herabgestuft zu einem Teilzeitjob für eine Abteilungsleiterin, für die die Senatorin weisungsbefugt ist. Die Wahl des Integrationsbeirats muss wiederholt werden und verzögert sich. Noch heute unterstützt der Senat die Arbeit des Beirates nicht, noch kein Cent ist für Sitzungsgelder geflossen. Das war der aus meiner Sicht ziemlich vermurkste integrationspolitische Start.
Doch wie geht es weiter? Nehmen wir einmal ein Beispiel. Integrationspolitik ist natürlich mehr als Geld und Projekte, aber vieles läuft über Projekte, und die Migrantenorganisationen dieser Stadt stellen ein Rückgrat der Berliner Sozialintegrationspolitik dar. Die Gelder für die Projekte stagnieren seit vielen Jahren, aber besonders die Gelder für die Migrantenorganisationen. Jetzt baut der Senat das Förderprogramm um. Es wird zukünftig für kleine Organisationen noch schwieriger werden, Gelder zu erhalten, der Konkurrenzdruck wird noch größer.
Doch statt hier Abhilfe zu schaffen, kümmert sich die Senatorin am liebsten um ihre Kampagnen, denn das gibt schöne Pressefotos. Im Mittelpunkt steht dabei die Werbung für die Staatsbürgerschaft. Dass Sie bei der Willkommenskultur vor allem an Staatsbürgerschaft denken, finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen zynisch, aber das scheint ganz pragmatisch daran zu liegen, dass es das einzige ist, auf dass sich die Koalition auch einigen kann.
Doch sogar dabei ist der Erfolg fraglich. Bundesweit ist 2012 zum vierten Mal in Folge die Zahl der Einbürgerungen insgesamt gestiegen, doch in Berlin wurden 600 Menschen weniger eingebürgert, obwohl immer mehr Berlinerinnen und Berliner mit ausländischer Staatsangehörigkeit hier leben. Besonders schade ist, dass immer gesagt wird, Staatsbürgerschaft führe zum Wahlrecht. Aber Sie verkürzen das ganze natürlich: Menschen können sich auch einfach so an den Angelegenheiten, die sie etwas angehen, beteiligen. Beim Thema Wahlrecht hat die SPD im Wahlkampf noch groß rumgetönt, sie wolle das Wahlrecht für Ausländer einführen und macht jetzt leider keinen Finger für die Realisierung krumm. Auch das ist eine integrationspolitische Fehlleistung.
Ja, Herr Kollege Langenbrinck! Dann verhandeln Sie doch mit der CDU, die sitzt doch gleich da vorne! Ich sehe Sie nicht da rüberlaufen und mit denen reden. – Nun stellt sich die Senatorin während der Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene hin und mahnt Dinge an, die sie selbst in Berlin nicht umsetzt. Zum Beispiel fordert sie eine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge, hat aber dazu in Berlin noch keinerlei Initiative unternommen. Sie kritisiert die Residenzpflicht, dabei wurden im Abgeordnetenhaus alle Anträge zur Aufhebung der Residenzpflicht auf Bundes- und Landesebene von der Koalition abgelehnt. Wenn Sie dies nun fordern, können Sie vorliegendem Antrag zustimmen und Sie können den Handlungsspielraum auf Landesebene nutzen und sich auf Bundesebene für die Abschaffung der Residenzpflicht einsetzen. Denn die Beschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylsuchende ist eine Zumutung.
Sie stellen sich hin und sprechen von Sprach- und Integrationskursen. Erst fordert Frau Kolat die Öffnung von Sprach- und Integrationskursen auf Bundesebene für Asylsuchende und Geduldete, doch Gelder will sie dafür auf Landesebene nicht bereitstellen. Dann bringen wir dazu mit den Oppositionsfraktionen einen Antrag ein, der im Ausschuss von der Koalition zunichte gemacht wird. Dann stellt die CDU klar, sie wolle eh nur Sprach- aber keine Integrationskurse, auch das ist nicht gerade eine integrationspolitische Superleistung. Aber zu allem Überfluss schreibt die Koalition in unseren Antrag zynischerweise hinein, dass der Erwerb von Sprachkenntnissen wichtig sei bei einer Rückkehr ins Heimatland, da sich die berufliche Perspektive verbessere – super Ansatz,
Frau Radziwill sagt, sie wolle das Asylbewerberleistungsgesetz modernisieren. Dabei haben Sie bisher alle unsere Anträge zu diesem Thema abgelehnt. Sie haben selbst keine eingebracht, und Berlin hat sich im Bundesrat bei genau dieser Thematik enthalten. Außerdem gibt es da überhaupt nichts zu modernisieren. Dieses Gesetz gehört einfach abgeschafft. Es diskriminiert Flüchtlinge und stellt sie schlechter als alle anderen Menschen, die auf Leistungen der Mindestsicherung angewiesen sind.
Da gibt es nichts zu relativieren, zu modernisieren oder zu separieren. Es gehört einfach abgeschafft.
Was die Situation der Menschen angeht, die hier in Sammelunterkünften leben: Immer wieder wird gemeldet, dass Flüchtlinge tagelang auf der Straße übernachten müssen, weil Berlin nicht in der Lage ist, ausreichend Unterkünfte bereitzustellen, denn die Sammelunterkünfte platzen aus allen Nähten.