Herr Kollege! Ich wollte nur mal darauf hinweisen: Sie sprachen eben von rassistischer Mobilisierung. Ich finde, da haben Sie ein Stück die Grenze des hier Zulässigen überschritten.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Das Thema der Aktuellen Stunde heute ist „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Berlin – konsequente Aufklärung, Prävention und Verfolgung statt Lippenbekenntnissen und Wahlkampfgeplänkel“. Welche angeblichen Lippenbekenntnisse hier vorliegen, konnten Sie, Herr Reinhardt, aus meiner Sicht nicht wirklich darlegen. Und ein Schelm, wer denkt, dass gerade Sie, die Piratenpartei, hier kein Wahlkampfgeplänkel machen wollten.
Das Thema ist viel zu ernst, als dass wir uns hier ein Parteienhickhack liefern sollten. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Diskriminierung in allen Facetten sind mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen; das konsequent, immer wieder, stetig, bei jeder nachwachsenden Generation von Neuem und nachhaltig. Das Engagement der Zivilgesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen und jedes und jeder Einzelnen ist wichtig. Jeder von uns muss zur konsequenten Bekämpfung von Alltagsrassismus und Diskriminierung täglich seinen Beitrag leisten. Die Stärkung der Zivilgesellschaft hilft nachhaltig, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen. Der Senat unterstützt hier viele Initiativen und Projekte.
Es gibt keinen tolerierbaren Teil von Rassismus oder Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit. Besonders der konsequente Kampf gegen Rechtsextremismus ist uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sehr wichtig. Wir haben uns in unserer hundertfünfzigjährigen Tradition immer gegen Benachteiligung, Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus und Nazi-Terror eingesetzt.
Ich erinnere an den 23. März 1933. Übermorgen jährt sich zum 80. Mal die Rede von Otto Wels und das Nein der Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen gegen das Ermächtigungsgesetz. Wir als politisch Handelnde haben Verantwortung gegenüber der Demokratie und unserem Rechtsstaat. Ihn zu verteidigen mit allen rechts
staatlichen Mitteln, bleibt unsere Aufgabe. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben uns die rechtlichen Grundlagen geebnet. Im Grundgesetz heißt es:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Im Übrigen, Herr Höfinghoff: Ich stimme mit Ihnen überein, die Extremismusklausel ist nicht zeitgemäß und gehört aus meiner Sicht abgeschafft. Hier muss sich die Bundesregierung auch bewegen.
Zum 46. Mal findet heute der Tag des Internationalen Rassismus statt, erstmals von der UNO 1967 eingeführt als Auftakt zur Woche gegen den Rassismus; ein Tag, der uns zum Nachdenken Anlass gibt. Immer noch werden jeden Tag Menschen in unterschiedlicher Form weltweit ausgegrenzt, diskriminiert, verfolgt, vertrieben und – noch schlimmer – verbrannt, erschossen, hingerichtet. Wir schauen auf all das, aber schauen wir uns auch in Deutschland um! Der „Tagesspiegel“ titelt heute: „152 Todesopfer rechter Gewalt“. Und der Autor schreibt im Artikel: Seit der Wiedervereinigung haben Neonazis und andere rechte Täter, so ergeben es Recherchen des „Tagesspiegels“ und der „Zeit“, 152 Menschen getötet. In der Bilanz der Polizei finden sich lediglich 63 Todesopfer. Der Journalist hat recht, wenn er schreibt:
So bleibt auch jetzt, kurz bevor im April am Oberlandesgericht München der NSU-Prozess beginnt, die Dimension mörderischer rechter Gewalt in Deutschland unterbelichtet.
Hat der NSU-Schock hier nicht viel bewirkt? – Es ist eine Schande für unser Land, wenn wir daraus keine nachhaltigen Konsequenzen ziehen. Die Verfassungsschutzorgane müssen hier richtig arbeiten und dürfen nicht auf dem rechten Auge blind sein. Bei den Morden des NSUTerrors haben unsere staatlichen Organisationen versagt und den rechtsextremen Terror weitgehend unterschätzt. Zu Recht beklagen Migranten und Migrantinnen die mangelnde Aufklärung der NSU-Morde und das Versagen der staatlichen Organisationen. Viele von ihnen schließen heute als ein Zeichen des Protests ihre Geschäfte. Sie wollen damit auch auf die alltägliche Diskriminierung aufmerksam machen.
Dieser Tag ist zugleich auch ein Aufruf, unter allen demokratischen Kräften den Rassismus konsequent zu bekämpfen. Ausgrenzung und Diskriminierung machen unglücklich, zerstören die Seelen, machen krank. Heute protestieren viele Bürger und Bürgerinnen gegen Alltagsrassismus und Diskriminierung. Sie engagieren sich mit der Aktion Fünf vor Zwölf, sie kehren symbolisch aus den Amtsstuben und Behörden Diskriminierung heraus. Deshalb sagen wir: Es ist wichtig, die interkulturelle Öffnung voranzutreiben und die interkulturelle Sensibi
Schon früh müssen wir den Alltagsrassismus bekämpfen. Berlin setzt mit der Einführung zum Beispiel des Ethikunterrichts in den Schulen auf Aufklärung und auf den Austausch zwischen den Kulturen. Rassismus und Diskriminierung entstehen durch Unwissenheit. Soziale Unsicherheit ist leider oft Nährboden für Rassismus. Präventionsarbeit ist daher wichtig, Jugendarbeit auch. Toleranz und Respekt müssen früh gelernt werden. Berlin ist aktiv gegen Rassismus. Die Weiterentwicklung der Landeskonzeption und der Landesprogramme ist wichtig und auf gutem Wege. Berlin hat mit Landesmitteln Aktionsbündnisse gegen Rechtsextremismus aufgestockt, und bedauerlicherweise sind die vom Bund häufig gekürzt worden – ein falsches Signal, das vom Bund ausgeht. Der Bund muss dauerhaft diese Programme unterstützen, und noch besser ist es, eine institutionelle Unterstützung zu sichern. Auch die Aussteigerprogramme müssen vom Bund weiter fortgesetzt werden. Bekämpfung von Rassismus und Schutz der Demokratie kann finanziell nicht von der lokalen Ebene allein getragen werden. Hier ist also der Bund viel stärker in der Pflicht und muss die Mittel entsprechend zur Verfügung stellen.
Ein anderer Aspekt von Diskriminierung: Heute ist nicht nur der Internationale Tag gegen Rassismus, sondern auch Equal-Pay-Day. Frauen verdienen immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen bei gleicher Arbeit. Heute haben sie den Stand in ihren Portemonnaies erreicht, den die männlichen Kollegen am 31. Dezember des letzten Jahres erreicht hatten. Ist das nicht Diskriminierung? Das müssen wir abschaffen. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist uns auch wichtig hier.
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Immer noch erfahren Menschen besonders mit Migrationshintergrund bei der Arbeits- und Wohnungssuche, bei Behörden alltäglich Diskriminierung. Ihnen die Würde zu geben und zu helfen ist unsere politische Aufgabe. Wir müssen den Rassismus in den Köpfen durch Aufklärung in der Schule, am Arbeitsplatz, in Vereinen bekämpfen und die neue Kultur, eine interkulturelle Sensibilisierung, voranbringen, in unseren staatlichen Organisationen ebnen. Da tut sich schon eine ganze Menge, aber wir sind noch nicht am Ziel angekommen. Das ist wichtig, denn ein Einwanderungsland muss sich auch hier weiterentwickeln. Jeder Mensch, egal welcher Herkunft, egal welcher Religion, welchen Geschlechts, ist bei uns willkommen und in unserer Stadt und in unserem Land. Eine gleichberechtigte Teilhabe für alle in unserer Gesellschaft ist unser Anspruch. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit und für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen ist der beste Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Lassen Sie uns als Demokraten, als Demokratinnen im Kampf gegen Diskriminierung, gegen Rassismus, gegen Terror von rechts und beim Schutz der Demokratie und dem Schutz
Vielen Dank! – Ein Hinweis: Die Restredezeit beträgt zwei Minuten und 15 Sekunden. – Frau Herrmann für die Grünen, bitte schön!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, zu Beginn meiner Rede ein Dankeschön auszusprechen, ein Dankeschön an all diejenigen, die heute in Berlin gegen Rassismus, für Toleranz, für Menschenfreundlichkeit und für die Würde des Menschen, und zwar eines jeden, eingetreten sind und es auch im Laufe des Tages noch tun. Vielen Dank! Es gilt, dieses Zeichen als demokratische, als tolerante Gesellschaft nicht nur heute zu setzen, sondern jeden Tag, und ich finde, das kann man heute auch mal sagen: Berlin ist reichhaltig an einer vielfältigen, einer bunten, einer aktiven Zivilgesellschaft, die sich einmischt und auch hinsieht.
Genau das macht eine wehrhafte Demokratie aus. Eine wehrhafte Demokratie zeichnet sich durch eine couragierte, durch eine sich einmischende Zivilgesellschaft aus. Nur die kann letztendlich den Kampf gegen Rassismus, den Kampf gegen Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft gewinnen. Eine offene Gesellschaft ist davon geprägt, dass Alltagsrassismus, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Homophobie und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit keinen Platz in ihr haben.
Deshalb setzen wir als Grüne auch darauf, die Projekte in der Zivilgesellschaft zu stärken. Dazu zählen die bereits angesprochenen mobilen Beratungsstellen oder auch Opferberatungsstellen, die sich tagtäglich gegen Rechts einsetzen und Gesicht zeigen für unsere Demokratie.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Schwarz, haben es in den Haushaltsberatungen anders gesehen. Sie haben unseren Antrag, das Landesprogramm gegen Rechts um eine Viertelmillion aufzustocken, abgelehnt. Rot-Schwarz hat auf den Berliner Verfassungsschutz gesetzt mit der Begründung, das seien die Experten im Kampf gegen Nazis. Doch womit hat der Verfassungsschutz im letzten Jahr Schlagzeilen gemacht? – Expertise hat er darin bewiesen, einschlägige NSU-Akten zu schreddern. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Vielleicht kommen Sie ja jetzt zur Besinnung. Stärken Sie mit uns gemeinsam in den nächsten Haushaltsberatungen die Zivilgesellschaft!
Wer es ernst meint und die Zivilgesellschaft stärken möchte, der muss sich auch dafür einsetzen, dass die unsägliche Extremismusklausel abgeschafft wird.
Die Klausel behindert die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, und sie ist eine Beleidigung für die Demokratinnen und Demokraten, die alltäglich Gesicht zeigen, die sich alltäglich einsetzen für unsere Gesellschaft und gegen Nazis. Sie stellt Bündnisse und Initiativen unter den Generalverdacht, sie ruft zur gegenseitigen Bespitzelung auf, und genau deshalb gehört diese Klausel endlich abgeschafft!
Es ist sehr schade, dass Rot-Schwarz das im Bundesrat leider anders gesehen hat – Berlin hat der Abschaffung der Extremismusklausel nicht zugestimmt. Damit blockiert man zivilgesellschaftliches Engagement und den Einsatz für Demokratie, und das ist schlicht fahrlässig. Ich bitte Sie nachdrücklich: Verändern Sie Ihre Position, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es diese Extremismusklausel nicht mehr gibt!
Frau Radziwill hat es angesprochen: Kein Thema bewegt jetzt noch so sehr sowohl die Migrantinnen und Migranten in Berlin als auch alle anderen Menschen, wenn es um die Frage Rassismus, Sicherheitsbehörden geht, wie der NSU-Skandal. Es hat alle erschüttert, als wir diese Mordserie feststellen mussten. Die Täter haben sich ja selber enttarnt, der deutsche Staat war nicht in der Lage zu erkennen, dass es möglich war, dass drei rechte Neonazis über zehn Jahre lang durch Deutschland laufen konnten, Menschen ermorden konnten, Anschläge verüben konnten, Banküberfälle verüben konnten.
Ja, auch Berlin ist in diesen NSU-Sumpf verwickelt. Das LKA hat über zehn Jahre lang einen Unterstützer des rechten Terrortrios geführt, der Verfassungsschutz hat einschlägige Akten geschreddert, und die Warum-Fragen sind leider noch immer nicht alle geklärt.
Im letzten Herbst stand Ihnen, Herr Innensenator, das Wasser bis zum Hals. Und heute? – Heute fehlt der Innensenator in jeder Innenausschusssitzung, in der das Thema Aufklärung NSU auf der Tagesordnung steht. Im September sprachen Sie selbst von Offenheit und schonungsloser Aufklärung, aber unsere Fragen werden mittlerweile nicht einmal mehr im Geheimschutzraum beantwortet. Das Versprechen nach Aufklärung ist nicht eingelöst. Beenden Sie die Geheimhalterei und die Aufklärungsblockiererei! Legen Sie alle Karten offen auf den Tisch! Herr Henkel! Wenigstens beim zweiten Mal hat das Parlament die Wahrheit verdient!
Wie tief steckt Berlin im NSU-Sumpf? Wie viele weitere V-Personen mit NSU-Bezug gab oder gibt es? Wie nah war das LKA am NSU dran oder hätte dran sein müssen? Welche weiteren Bezüge gibt es nach Berlin? Wie konkret waren die NSU-Anschlagspläne auf Berlin? Wie soll die Aufklärung in diesem Haus weitergehen?
Die Angehörigen der Opfer wollen keine Betroffenheit, sie wollen Aufklärung. Aysen Tasköprü, die Schwester eines NSU-Opfers, formuliert es in ihrem Brief an den Bundespräsidenten so – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
Alles, was ich möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?
Mit dem Ende des NSU sind rechte Gewalt und rechter Terror nicht beendet. Derzeit haben wir 15 Neonazis mit offenen Haftbefehlen, die untergetaucht sind. Ich erinnere daran, dass der NSU auch so angefangen hat. Rechte Gewalt darf nicht verharmlost werden!
Jedes Jahr legt die Opferberatungsstelle Reachout Statistiken vor, die weit über den Zahlen der Polizei liegen. Seit 1990 werden laut offizieller Statistik zwei Todesopfer rechter Gewalt in Berlin geführt. Die Statistik der Zivilgesellschaft, die Frau Radziwill schon angesprochen hat, zählt mindestens zehn Todesopfer. Eine Verharmlosung rechter Gewalt darf es in Berlin nicht geben!
Dazu zählt auch der Umgang mit dem Nationalen Widerstand, kurz: NW Berlin. In der letzten Woche hat der Verfassungsschutz eine Lageanalyse vorgelegt und bezeichnet NW Berlin darin als Internetseite. Das ist zu kurz gegriffen. NW Berlin ist ein Netzwerk gewaltbereiter Neonazis. Im letzten Jahr ist es zu Angriffswellen gekommen, und wer das als Internetseite bezeichnet, der macht es NW Berlin ziemlich einfach. NW Berlin kann sich in dieser Stadt scheinbar ziemlich sicher fühlen, und das macht uns traurig. Wenn man da mal über den Tellerrand hinausguckt, beispielsweise nach NRW: Dort ist es möglich gewesen, NW Dortmund zu verbieten. Wir erwarten auch in Berlin, dass es Ermittlungserfolge gibt. Hören Sie auf, das Antifaschistische Pressearchiv zu beobachten bzw. gegen es zu ermitteln, kümmern Sie sich um die gewaltbereiten Nazis!
Am Internationalen Tag gegen Rassismus ist es auch wichtig, über Alltagsrassismus in der Mitte der Ge
sellschaft zu sprechen. Dazu gehört es auch, dass man sich die aktuelle Debatte über die Sinti und Roma anguckt. Da ist von Flüchtlingsströmen die Rede, es werden Vorurteile geschürt. Genau deshalb stehen wir, Bündnis 90/Die Grünen, für eine offene Gesellschaft. Wir tun alles für eine offene Gesellschaft. Das heißt bei uns: ein Ja zur doppelten Staatsbürgerschaft, ein Ja zur Aufnahme von Flüchtlingen! Ein Nein zum Asylbewerberleistungsgesetz, ein Nein zum Optionszwang!