Protocol of the Session on March 7, 2013

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von Oliver Höfinghoff (PIRATEN) und Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem Praxisbeispiel sollten wir endlich alle begreifen, dass authentische Orte der jüngsten deutschen Geschichte für die Vermittlung von Demokratie für nachfolgende Generationen große Bedeutung haben und man nicht beliebig damit umgehen kann. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Frau Lange! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Lompscher. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist auch heute und in den letzten Tagen viel über die historische und kulturelle Bedeutung der East-Side-Gallery gesagt und geschrieben worden. Sie ist zweifellos ein besonderer Berliner Ort. Als erstes gesamtdeutsches Kunstprojekt wurde die Mauer – übrigens im Auftrag des Ministerrats der DDR – von Künstlerinnen und Künstlern aus allen Teilen der Welt bemalt, am 28. September 1990 eröffnet und schon 1991 unter Denkmalschutz gestellt. Es hilft ja manchmal, wenn man sich mit den Fakten dem Thema nähert. Was an vielen anderen Orten in Berlin seinerzeit unmöglich war, gelang hier: einen authentischen Ort nicht nur zu bewahren, sondern ihm durch künstlerische Aneignung und umgebende Nutzung den Schrecken zu nehmen und ihn so im neuen Leben und Selbstverständnis der Stadt fest zu verankern. Die East-Side-Gallery ist nicht nur ein Fixpunkt für Berlinbesucher aus aller Welt, sie ist ein Markenzeichen des neuen Berlin. Vor diesem Hintergrund stelle sich schon die Frage, wie sie sich in reichlich anderthalb Jahren zum 25. Jubiläum des Mauerfalls präsentieren wird: weiter durchlöchert, als Einfassung und Sichtschutz luxuriöser Wohn- und Geschäftsgebäude? Keine schöne Vorstellung – aber ob die noch abgewendet werden kann?

In der Euphorie nach dem Mauerfall ist zu viel und zu schnell von der Berliner Mauer verschwunden. Berlin sollte zusammenwachsen, die Teilung und alle ihre Spuren sollten überwunden werden und – hier zitiere ich aus dem Anhang des Mauerkonzepts von 2006 –:

… historisches Unrecht durch eine neue Nutzung und Bebauung der Mauergrundstücke wiedergutgemacht werden. Im Wettstreit mit politischen und ökonomischen Interessen hatte der historische Grenzstreifen nur ausnahmsweise eine Erhaltungschance. Der spontane Wunsch, das Schand

mal der deutschen Teilung zu entfernen, und später auch Verwertungsinteressen, … führten zur weitgehenden Demontage der Sperranlagen.

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das falsch war. Im neuen Jahrtausend gab es endlich auch ein politisches Umdenken, das Mauergedenkkonzept war im Koalitionsvertrag von SPD und PDS 2001 vereinbart und im Dezember 2004 hieß es hierzu im Beschluss des Abgeordnetenhauses:

In diesem Gesamtkonzept ist darzustellen,

1. wie die vorhandenen authentischen Mauerzeugnisse dauerhaft gesichert und im Stadtbild sichtbar gemacht werden können;

2. wie im öffentlichen Raum der an der Mauer getöteten Menschen angemessen und würdevoll gedacht werden soll; …

Das Konzept Berliner Mauer ist dann im Juni 2006 beschlossen worden. Zur East-Side-Gallery heißt es darin unter anderem – noch ein Zitat, denn es hilft manchmal zu wissen, was der Senat und dieses Haus schon einmal beschlossen haben –:

Heute muss man die East-Side-Gallery kommentieren, da sie nicht mehr genau zu datieren und zu deuten ist. Besucherinnen und Besucher sollen auch hier Gelegenheit dazu haben, etwas über die tatsächliche Situation vor dem Mauerfall, das Grenzregime an dieser Stelle und über die Bemalung nach 1989/90 zu erfahren.

An andere Stelle heißt es:

Der Uferstreifen insgesamt wird … als Park unter Einbeziehung der Mauer … hergerichtet. Weitere bauliche Anlagen sind nicht beabsichtigt.

Von weiteren Öffnungen der Mauer für private Bauvorhaben ist kein Wort zu lesen.

Vor diesem Hintergrund sollte der Aufschrei der letzten Tage niemanden verwundern. Aber der Protest gegen die Zerstörung der East-Side-Gallery und die von mehr als 70 000 Menschen unterzeichnete Petition richten sich ausdrücklich nicht nur gegen den Durchbruch der Mauer, sondern auch gegen die Bebauung des dahinter liegenden Spreeufers.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Die Überschrift lautet: „Herr Wowereit: East-SideGallery retten! Keine Luxusbebauung auf dem ehemaligen Todesstreifen!“. – Das ist eine ziemlich unmissverständliche Botschaft. Diesen Protest und diese Forderung unterstützt Die Linke auch in Anerkennung des erfolgreichen Bürgerentscheids von 2008.

2005 hat Rot-Rot bezirkliche Bürgerentscheide erst möglich gemacht. Deshalb begrüßte meine Fraktion 2008 ausdrücklich das Vorgehen im Bezirk FriedrichshainKreuzberg, in einem Sonderausschuss die Planungen

noch einmal grundstückskonkret zu überprüfen. Dass die umstrittene Baugenehmigung genau in diesem Zeitraum erteilt worden ist und das Bezirksamt FriedrichshainKreuzberg Ende 2009 in einem Bericht an die BVV das zwar mitteilt, aber keinen weiteren Handlungsbedarf sieht, steht auf einem anderen Blatt.

Klaus Wowereit hat die Gegner der Bebauung jetzt Fundamentalisten genannt. Er kann damit nicht im Ernst über 80 Prozent der Menschen aus Friedrichshain-Kreuzberg gemeint haben, die 2008 für den Bürgerentscheid gestimmt haben.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: 80 Prozent?]

Meint er damit etwa den Bezirksverband seiner eigenen Partei, die gestern erklärt hat, dass Spreeufer dürfe nicht wie geplant bebaut werden, Luxuswohnungen hätten auf dem Todesstreifen nichts zu suchen? Die Linke befürchtet angesichts des jetzigen Standes der Dinge, dass zwar der aktuell umstrittene Durchbruch durch Verhandlungen vielleicht verhindert oder verringert werden kann, dadurch aber keineswegs die East-Side-Gallery besser geschützt wird. Das Denkmal wird der öffentlichen Aneignung entzogen und seiner Wirkung beraubt, wenn dahinter, sozusagen im Schutz der Mauer, private Wohn- und Gewerbebauten entstehen und der öffentliche Raum schrumpft. Mit dem nicht nur um Tage, sondern um Jahre verspätetem Einsatz von Klaus Wowereit wird das Ziel des Bürgerentscheids von 2008 und des aktuellen Protests letztlich verfehlt. Das weiß er auch ganz genau. Er sagt selbst, dass das nicht sein Ziel ist und auch nicht das des Senats.

Hier kommen wir zum Kern des politischen Problems. Der Senat kann sich eben nicht hinter dem Handeln des Bezirks verstecken, auch wenn dieses Handeln viele Fragen aufwirft, von denen ich vorhin schon einige gestellt habe. Er hatte und hat eigene Mittel und Möglichkeiten einzugreifen, und er hat diese auch genutzt. Zwar hat der Bezirk die Planungshoheit über das Areal und erteilt die Baugenehmigungen, aber selbstverständlich muss er dabei übergeordnete Planungen und Vorhaben berücksichtigen, und er musste Anweisungen des Senats befolgen. 1997 teilte der Bezirk Friedrichshain der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit, dass er auf der Grundlage der vorher gemeinsam erarbeiteten Rahmenplanungen einen Bebauungsplan aufstellen will. Die Zustimmung des Senats erfolgt mit der Maßgabe, dass das Verfahren nach § 4a AGBauGB durchzuführen ist, also als Vorhaben mit gesamtstädtischer Bedeutung. Das heißt im Klartext: Der Bezirk musste immer das Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung herstellen, andernfalls drohte der Entzug der Planungshoheit. Senatorin Junge-Reyer formulierte das 2008 hier im Stadtentwicklungsausschuss so:

Der Senat verfolge die Entwicklungen im Bereich Mediaspree, beabsichtige aber nicht, das Verfah

ren an sich zu ziehen. Vielmehr erwarte man vom Bezirk rechtssicheres Handeln, die Einhaltung von Verträgen und Abstimmungsprozesse.

Im Senatsbeschluss über das Planwerk Innenstadt 1999 war die Bebauung hinter der East-Side-Gallery selbstverständlich enthalten, und Ende 2000 hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, deren Chef war seinerzeit SPD-Chef Strieder, den damaligen Bezirk Friedrichshain angewiesen, einen positiven Bauvorbescheid für das Grundstück Mühlenstraße 60–63 zu erteilen.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Hört, hört!]

Interessant an diesem Vorgang ist nicht nur die Tatsache, dass er bis heute Rechtskraft entfaltet – es drängt sich im Übrigen die Frage auf, warum diese Anweisung erst in den letzten Tagen öffentlich bekannt gemacht worden ist –, aufschlussreich ist auch die Formulierung, dass das Landesdenkmalamt in einer Besprechung bei SenBau Dir 1 – ob in Person oder in Abwesenheit des damaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann ist dabei unerheblich – am 30. November 2000 zugestimmt habe.

Im Stadtentwicklungsausschuss gestern beantwortete Senator Müller meine Frage nach der denkmalrechtlichen Genehmigung anders. Danach hätte das Landesdenkmalamt im Beteiligungsverfahren zum Bebauungsplan 2004 erhebliche Bedenken angemeldet, die aber vom federführenden Bezirk zugunsten anderer Belange zurückgestellt worden seien. Was denn nun? War die Denkmalpflege 2000 dafür und 2004 dagegen? Was ist der Denkmalschutz wert, wenn Ausnahmen und Befreiungen ohne Weiteres genehmigt werden?

Wollte man jetzt das Baurecht ändern, wären Entschädigungen unvermeidlich. Ob das heute noch möglich ist, nachdem 2005 der Bebauungsplan beschlossen, 2008 die Baugenehmigung erteilt und erst 2013 der umstrittene Vertrag beschlossen worden ist, bedarf einer sorgfältigen und ehrlichen Prüfung. Dazu gehört auch die Anerkennung der Tatsache, dass kein Bezirk aus der ihm zugewiesenen Globalsumme die erforderlichen Mittel aufbringen könnte.

Zu dem ungeklärten Punkt Brommybrücke ist schon viel gesagt worden. Ich entnehme dem Koalitionsantrag, dass hier auch die Option geprüft werden soll, die Brommybrücke für die private Erschließung der Bauprojekte zu nutzen, sie also nicht als Fahrrad- und Fußgängerbrücke auszubilden, sondern als Straßenbrücke. Ist das wirklich Ihr Ernst, diese erheblichen Mehrkosten für ein privates Bauvorhaben?

Es gibt etliche Fragen und viel zu tun – vor allem auch für den Senat: die East-Side-Gallery zu erhalten und für die Zukunft zu sichern, den Denkmalschutz zu gewährleisten und nicht weiter auszuhöhlen, weder zugunsten ungeklärter Verkehrsvorhaben noch zugunsten privater

Verwertungsinteressen. Diesen Zielen folgt übrigens unser Antrag.

Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Ich glaube, weder mit Ignoranz noch mit Schienheiligkeit noch mit Selbstgerechtigkeit werden wir in dieser Frage vorankommen. Ich erinnere zum Schluss daran, dass die Mauergrundstücke an der Bernauer Straße seinerzeit von der großen Koalition verkauft worden sind. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Lompscher! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Evers das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Lompscher! Man könnte ja meinen, Sie wären nicht Teil des letzten Senats gewesen.

[Udo Wolf (LINKE): Der Senat hat das Mauergedenkkonzept gemacht!]

Die heute noch erhaltenen Segmente der Berliner Mauer sind für uns ein fester Bestandteil, das habe ich auch am Sonntag bereits gesagt, unseres kollektiven Gedächtnisses und der Erinnerung an die furchtbare Zeit der Teilung unserer Stadt, unseres Landes und letzten Endes ganz Europas. Die weltweite Resonanz, die die Diskussion, die wir heute führen, auch in der internationalen Presse gefunden hat, zeigt genau dieses. Dieses Gedenken ist für uns grundsätzlich unteilbar, und ich habe volles Verständnis für die Proteste, die sich nicht nur hier, sondern auch weit über Berlin hinaus erheben, insbesondere angesichts der völlig unnötigen Lücke, die an diesem geschichtsträchtigen Ort gerissen werden sollte. Ich bin sogar sehr froh über diesen öffentlichen Aufschrei darüber, wie an diesem Standort mit dem historischen und kulturellen Erbe unserer Stadt umgegangen wird, denn dieses Erbe muss aus unserer Sicht nicht nur sichtbar sein, sondern auch sichtbar bleiben. Mein ausdrücklicher Dank gilt den Initiatoren des Forums Stadtspree, ein Dialogforum, ohne das wir auf die Erschließungsplanung des Bezirks hier im Hause gar nicht aufmerksam geworden wären, und ein Dialogformat, das auch zurückgeht auf den Anspruch dieses Senats, auch bestehende Pla

nungen offen mit der Stadtgesellschaft zu diskutieren und zu hinterfragen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir nehmen diesen Ort des Dialogs auf Augenhöhe über die Zukunft des Spreeraums sehr ernst. Aber vielleicht hätte sich auch Bezirksbürgermeister Schulz die Zeit dafür nehmen sollen, anstatt das Thema – so, wie er es getan hat – zu verschlafen. Denn wie beliebig, wie geradezu geschichtsvergessen vor allem sein Bezirk mit diesem Erbe umgegangen ist, das hat uns alle sehr verblüfft.

Und noch viel mehr überrascht die Dreistigkeit, mit der vor allem Sie, liebe Kollegen von den Grünen, und Ihr grüner Bürgermeister das Totalversagen seiner Behörde zu kaschieren versuchen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Sie versuchen auf denkbar plumpe Art und Weise, die Verantwortung von sich zu schieben und andere für Ihre Fehler in Haftung zu nehmen. Aber für so dumm, wie Sie es gerne hätten, lassen sich weder wir noch die Berlinerinnen und Berliner von Ihnen verkaufen. Am einen Tag die Bauarbeiter zu bestellen und sich am nächsten an die Spitze der Protestbewegung zu setzen, das nenne ich grüne Dialektik in Reinform.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Die Tinte unter dem städtebaulichen Vertrag war noch nicht einmal trocken, da zieht Ihr Bürgermeister bereits gegen seine eigenen Vertragspartner zu Felde, und das wegen einer Maßnahme, die sie selbst nicht einmal wollten, nicht brauchten, sondern zu der er sie unnötigerweise verpflichtet hat in Umsetzung einer Planung, die längst überholt war, was er schlicht verschlafen hat; um eine Brücke zu erschließen, die der Senat auf Wunsch des Bezirks plant und von der heute auf einmal niemand mehr etwas wissen will. Aber vielleicht ist das auch Ihr parteiinterner Pragmatismus, vielleicht muss das dabei herauskommen, wenn man sich in einer Partei zu bewähren hat, deren Flügel inhaltlich und atmosphärisch kaum weiter auseinander liegen könnten. Das Eine sagen, das Andere tun – das mag Ihre Politik sein, aber bitte tragen Sie doch Ihre inneren Widersprüche nicht zulasten Dritter aus.