Protocol of the Session on March 7, 2013

Deswegen noch einmal die Wiederholung: Artikel 62 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz – ich darf zitieren, Herr Juhnke, auch für Sie persönlich –:

Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann...

Ich will das nicht weiter ausführen. Das ist uns allen sicherlich bekannt. Diese Regelungen sind menschenunwürdig.

[Kurt Wansner (CDU): Ach!]

Sie haben nur ein Ziel, Menschen abzuschrecken und sie zu kriminalisieren. Ich darf gern noch einmal unterstreichen: Flucht ist kein Verbrechen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Kurt Wansner (CDU): Unverschämtheit!]

Ich möchte diese Überschrift erweitern. Flucht und Einreise aus sozialen und ökonomischen Gründen sind kein Verbrechen und auch kein Missbrauch. Es sei dahingestellt, ob Flucht aus sozialen, ökonomischen oder auch Umweltgründen von den Regelungen im Aufenthaltsgesetz oder von der Genfer Flüchtlingskonvention umfasst wird. Da müssen wir aber natürlich auch darüber diskutieren, ob unser Aufenthalts- und Asylrecht den heutigen Realitäten unserer Welt gerecht wird.

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Es ist ebenso legitim, vor politischer Verfolgung, vor Diskriminierung und vor Bürgerkrieg zu fliehen und woanders Schutz zu suchen, wie auch Schutz vor Armut und Elend zu suchen – und dies insbesondere bei den Reichen, die ja für diese Verhältnisse nicht ganz ohne Verantwortung sind, um nicht zu sagen, sogar davon profitieren.

Was haben wir gemacht? – Wir haben mit dem Asylkompromiss von 1993 das Asylrecht faktisch abgeschafft. Wir diffamieren und kriminalisieren diese Menschen. Bevor sie unser Land betreten können, werden sie in den Flughafenknast gesteckt. Haben sie alle Hürden geschafft und betreten sie unser Land, werden sie in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften zwangsweise untergebracht und unterliegen auch noch der sogenannten Residenzpflicht. Am Schluss werden sie wie Verbrecher behandelt und eingesperrt. Abschiebehaft! Denn sie können sogar dann in Haft genommen werden, wenn gar nicht klar ist, ob und wann sie abgeschoben werden können. Nicht selten beträgt die Haftdauer länger als drei Monate und wird in manchen Fällen auch für Minderjährige, Kranke, Traumatisierte, Schwangere und Alleinerziehende verordnet. Übrigens wurde es unter Rot-Rot weitgehend verhindert, dass diese Personengruppen in Abschiebehaft kommen. Die Abschiebehaft verschlechtert den körperlichen und seelischen Zustand dieser Menschen, die oft bereits in ihrer Heimat unter körperlichen und geistigen Qualen zu leiden hatten.

Insbesondere den Abgeordneten der Partei mit dem C im Namen möchte ich eine Studie einer sehr professionellen christlichen Organisation empfehlen. Lesen Sie einmal die Untersuchung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes mit dem Titel „Quälendes Warten. Wie Abschiebehaft Menschen krank macht“. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch einmal anders, wenn Sie das gelesen haben. Die

Fraktion Die Linke hat sich dazu schon lange eine Meinung gebildet. Die Abschiebehaft und der Abschiebeknast gehören abgeschafft. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Als Nächstes der Kollege Juhnke!

Ich möchte noch mal bitten, gerade auch bei den sensiblen Themen zu beachten, welche Zwischenrufe man da macht. Sie stören erstens, und sie sind vielleicht auch – mit der Aufforderung an Flüchtlinge, sie sollen das Land verlassen – nicht ganz angemessen bei dieser Debatte.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Hakan Taş (LINKE): Genau! Danke!]

Herr Kollege Juhnke, Sie haben das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da haben wir sie also wieder, die zweiwöchentliche Debatte zum Thema Asyl, zum Thema Flüchtlinge. Wir hätten das beim letzten Mal auch unter dem betreffenden Tagesordnungspunkt besprechen können. Sie haben aber gewollt, dass das auf diese Sitzung geschoben wird. Ich frage mich allerdings, warum – zumal es sich um gar kein Thema handelt, wo zwischen der CDU und der SPD ein Dissens besteht. Von daher geschieht es offensichtlich nur, um Ihr Ansinnen, irgendwie neue Wählerschichten für Ihre jeweiligen Parteien zu requirieren, zu unterstützen. Die einen machen es vielleicht, weil ihnen langsam ihre übliche Stammwählerschaft, die Nutznießer der DDR-Diktatur, hinwegstirbt, und die anderen, damit sie ihr nicht davonläuft.

[Wolfgang Brauer (LINKE): So etwas geschmackloses! Frau Bayram! Dass bei Ihnen die Mitglieder Ihrer eige- nen Fraktion – wie mir gesagt wird – innerlich auch schon mit den Augen rollen, wenn Sie das Pult hier vorn betreten, [Dr. Klaus Lederer (LINKE): Innerlich mit den Augen rollen! – Weitere Zurufe von der LINKEN]

oder die Augen verdrehen –, das ist für mich nur ein schwacher Trost.

Was ich allerdings hier gehört habe, war wieder mal nichts Neues. Es kamen keine Argumente, die nicht irgendwann schon mal im Laufe dieser Debatte vorgebracht wurden. Was Sie aber nicht gesagt haben und was Sie nie sagen, das ist die Wahrheit, nämlich dass Sie

dafür sind, dass wir die Grenzen öffnen, und dass Sie dafür sind, dass wir sämtliche Regularien fallenlassen, die sich in irgendeiner Weise mit der Frage der Einreise und Immigration beschäftigen. Das zu sagen, wäre etwas, was den Bürgern und den Wählern gegenüber wenigstens ehrlich wäre. Dazu sind Sie aber nicht bereit. Diese Konsequenz wollen Sie denn doch nicht tragen, das so unverblümt zu sagen. Von daher arbeiten Sie sich hier regelmäßig an diesen einzelnen Themen ab. Das ist unlauter, und das unterscheidet uns. Das hat Herr Kollege Kleineidam schon gesagt.

Wer weiterhin daran festhält, dass wir regulieren können müssen und sollen, wer in dieses Land einreist und wer dieses Land auch wieder verlassen muss, für den muss als Ultima Ratio gelten, dass es einen Abschiebegewahrsam weiterhin geben muss. Daran werden wir auch festhalten, und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (LINKE): Bemerkenswert, mit was die SPD koaliert!]

Als Letzter in der Runde hat Kollege Reinhardt für die Piraten das Wort. – Bitte schön!

Herr Juhnke! Ihre Rede heute war überraschend moderat. Ein oder zwei Punkte habe ich nicht ganz verstanden. Ich verstehe nicht, was die Tatsache, dass die Grünen den Antrag verschieben, damit zu tun hat, dass die Linken irgendwie neue Wählerschichten suchen.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Dann hätten es die anderen gemacht!]

Ich glaube, Ihre Bewerbung für die Wahlprogrammkommission der Grünen ist positiv aufgenommen worden. Das ist bewilligt, und Sie dürfen sich am Wahlprogramm der Grünen beteiligen,

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Dann kommt wenigstens etwas Vernünftiges heraus!]

damit dann auch Ihre Forderungen zu den offenen Grenzen einfließen. Und bei uns? – Da bin ich nicht ganz sicher. Wir sind da ein bisschen skeptisch. Aber gut!

Meine Damen und Herren! Liebes Präsidium! Die Globalisierung hat viele Auswirkungen. Die Wirtschaft vernetzt sich, Geldströme werden immer schneller ausgetauscht, die Welt wächst zusammen – zumindest, wenn man den richtigen Pass hat. Für diejenigen, die aus den falschen Ländern kommen und deren Profil nicht den Erwartungen der Wirtschaft entspricht, bedeuten freiwillige Migrationsbewegungen oft Flucht, schwierige Bedingungen und

Drangsalierung, und für viele bedeuten sie auch den Tod an Europas Außengrenzen.

Doch nicht genug: Für diejenigen, die in Deutschland den Status des Flüchtlings bekommen, hält Deutschland noch immer ein umfassendes Abschreckungs- und Sanktionierungsinstrumentarium bereit. Damit sich hier bloß niemand wohlfühlt und am besten noch in das Herkunftsland weitersagt, dass er sich hier in irgendeiner Form zu Hause fühlt, müssen Flüchtlinge immer noch in Lagern wohnen, sind sie durch die Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und bekommen sie an vielen Orten immer noch Gutscheine statt Bargeld, was das Bundesverfassungsgericht unlängst gerügt hat. Auch in Berlin sind die Zahlen der Flüchtlinge, die in Sammelunterkünften statt in Privatwohnungen wohnen, mittlerweile von 15 auf 50 Prozent gestiegen, was uns definitiv zu denken geben sollte.

Die Abschiebehaft ist ein Teil dieses Instrumentariums. Wessen Aufenthaltsstatus unsicher ist, der muss ständig damit rechnen, dass die Abschiebung droht. In der Abschiebehaft haben die Bedingungen dann den Charakter einer regulären Haft. In Berlin ist es z. B. nicht einmal möglich, nicht deutsches Fernsehen zu schauen oder moderne Telekommunikationsmittel zu nutzen. Um das zu ändern und Internet im Abschiebeknast zu ermöglichen, haben wir bereits in der letzten Sitzung einen Antrag eingebracht. Wir werden uns auch weiterhin für die Verbesserung der Abschiebebedingungen einsetzen.

Aktuell ist es so: Die Abschiebehaft ist die Anwendung von Haftmaßnahmen auf Menschen, deren einziges Verbrechen darin bestand, Schutz vor Flucht und Verfolgung zu suchen und ein besseres Leben anzustreben. Glücklicherweise werden die Flüchtlinge in Deutschland und in Europa immer politischer. Es ist schön, das zu sehen. In Österreich haben sie es durch ihre Aktionen unter anderem in und um die Votivkirche geschafft, dass sich die österreichische Innenministerin Frau MiklLeitner mit ihrem Schicksal beschäftigen musste.

In Deutschland haben sie es durch ihren Marsch nach Berlin und ihre Proteste und Demonstrationen geschafft, dass sich die Migrationsbeauftragte des Bundes erstmals persönlich mit Flüchtlingen getroffen und auch eine Unterkunft hier in Berlin in der Spandauer Motardstraße gesucht hat. Damit steht zumindest fest, das kontinuierliche Wegsehen der maßgeblichen Akteure ist damit ein Stück weit weiter in die Ferne gerückt.

Durch diese Politisierung der Betroffenen bekommt die Abschiebehaft jedoch auch immer stärker den Charakter einer politischen Maßnahme. In Österreich wurde gerade der Sprecher der Wiener Flüchtlinge in Schubhaft – das österreichische Wort für Abschiebehaft – genommen. Die Flüchtlinge in Berlin hatten und haben permanent Angst wegen ihrer Verstöße gegen die Residenzpflicht, in einem

politisch opportunen Moment weggesperrt und abgeschoben zu werden.

Wir setzen uns für ein generelles Ende von Abschiebungen und Abschiebehaft ein. Abschiebung ist ein staatliches Mittel, welches nur mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden kann, die mit den Grundrechten und Menschenrechten in Konflikt stehen und einer demokratischen Gesellschaft unwürdig sind. Die Konsequenzen einer Abschiebung führen für die betroffenen Menschen fast immer in aussichtslose Situationen und oft auch zur Gefahr für Leib und Leben. Stattdessen sollten wir darüber nachdenken, wie wir Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus ein würdiges Leben gewährleisten können. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Aufnahmekriterien so überarbeiten können, dass sie den Anforderungen der Zeit genügen und die faktische Abschaffung des Asylrechts durch den Asylkompromiss in den 90ern umkehren können.

Wir müssen uns unserer historischen und sozialen Verantwortung stellen und das ohne Abschiebehaft und ohne Abschiebeknast in Grünau. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag Drucksache 17/0610 empfiehlt der Innenausschuss empfiehlt der Innenausschuss mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung auch mit Änderung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die Grünen und die Linkspartei. Gegenstimmen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Enthaltungen? – Es gibt keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 11 steht auf der Konsensliste.

Ich komme nun zu

lfd. Nr. 12:

Vierteljahresbericht zum Flughafen Berlin Brandenburg (BER)

Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 20. Februar 2013 Drucksache 17/0835

zum Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0773

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der Piraten. – Herr Kollege Herberg, Sie haben das Wort.

Vielen Dank! – Sehr geehrte Damen und Herren! Die Piratenfraktion hat diesen Antrag auf die Erstellung eines Vierteljahresberichts zum BER eingebracht, weil sie der Überzeugung ist, dass das Parlament in diesem größten Skandal nach der Bankenkrise vom Senat schlecht oder teilweise gar nicht informiert wird. Alle Berichte und Unterlagen, die wir als Abgeordnete zur Verfügung gestellt bekommen, erhalten wir nur auf Nachfrage oder massives Drängen. In den Ausschüssen bekommen wir vom Senat unvollständige oder ausweichende Antworten. Kleine Anfragen werden insbesondere von der Senatskanzlei dermaßen schlecht beantwortet, dass man es nur noch als dreiste Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament bezeichnen kann. Diese Art von Informationspolitik wollen wir uns hier nicht gefallen lassen.

[Beifall bei den PIRATEN]