Protocol of the Session on February 21, 2013

Die Wohnaufwendungenverordnung – kurz: die WAV – sieht vor, dass die Richtwerte bei Erscheinen des neuen Mietspiegels überprüft und angepasst werden. Das halten wir für dringend notwendig, und wir wollen auch, dass dies sofort und unverzüglich passiert, nachdem dieser Mietspiegel veröffentlicht wurde.

Wir finden auch, dass eine Anpassung der Mieten allein nicht reicht. Hier sind einfach größere Anstrengungen nötig. Das allgemeine Mietniveau – also die ortsübliche Vergleichsmiete – entfernt sich immer weiter von den Richtwerten der WAV. In der Konsequenz gibt es zunehmend weniger Wohnungen, die als angemessen gelten, und immer mehr Menschen im Leistungsbezug können ihre Miete nicht mehr bezahlen. Das möchten wir ändern, und deshalb der Antrag.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir möchten, dass sichergestellt wird, dass die Wohnungen, die eine Berliner Durchschnittsmiete haben, als angemessen gelten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dieses Berechnungsmodell endlich geändert wird. Es war falsch und ist falsch, die Berechnungsgrundlage wie

bisher auf die einfache Wohnlage zu begrenzen. Die mittlere Wohnlage muss miteinbezogen werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wenn Sie sich angucken, dass seit einigen Jahren zunehmend mehr Wohnungen der einfachen Wohnlage auf die mittlere hochgestuft wurden und dass dieser Trend anhält, dann werden Sie feststellen, dass sie die mittlere Wohnlage mit einrechnen müssen, denn auch sonst fallen immer mehr Wohnungen aus der Angemessenheit heraus. Die Konsequenzen für die Betroffenen kennen Sie alle.

Ein weiteres Problem sind die kleinen Wohnungen. Kleine Wohnungen sind rar, sie sind gefragt, und sie sind teuer. Mit der WAV hat der Senat zum allerersten Mal eine Begrenzung der Wohnungsgröße vorgenommen. Die Folge davon ist, dass jetzt die Ein- und Zweipersonenbedarfsgemeinschaften nur noch kleine Wohnungen anmieten dürfen. 80 Prozent allein der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften sind diese Ein- bis Zweipersonenhaushalte. Gleichzeitig wurden aber für dieses Segment die Richtwerte heruntergerechnet, indem nämlich die besonders teuren Wohnungen mit einer Wohnfläche unter 40 m² einfach nicht in die Berechnungsgrundlage aufgenommen wurden. Also reichen auch hier die Richtwerte nicht aus. Deshalb fordern wir erneut, dass in Zukunft auch die Wohnungen mit einer Wohnfläche unter 40 m² in die Berechnung miteinbezogen werden, denn nur so erhalten Sie realitätstaugliche Richtwerte.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir halten auch nach wie vor an der Forderung nach einem Neuvermietungszuschlag fest. Er ist nötig, solange es keine Mietobergrenzen gibt. Diese gibt es nicht. Die Menschen können ohne diesen Zuschlag gar keine Wohnung neu anmieten.

Es liegt noch ein weiterer Antrag vor. Wir fordern gemeinsam mit den Piraten ein Moratorium für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Die Mieten dort liegen schon jetzt weit über der Durchschnittsmiete. Die Mieten dort sind jenseits jeglicher Richtwerte der Wohnaufwendungenverordnung, und die Mieten steigen dort weiter. Deshalb möchten wir eine schnelle Lösung für die Mieterinnen und Mieter. Wir wollen, dass zeitlich begrenzt alle Aufforderungen zur Kostensenkung und zum Umzug ausgesetzt werden und dass ein Mietausgleich bezahlt wird.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Der Senat lässt sich viel Zeit mit dem notwendigen Konzept für den sozialen Wohnungsbau. Die Mieterinnen und Mieter dort haben diese Zeit nicht; ihnen läuft die Zeit weg. Sie sind vom Umzug bedroht.

Bitte kommen Sie zum Schluss!

Ich komme zum Schluss. Das haben Kotti & Co und auch die Bewohner der Palisadenstraße deutlich gemacht. Herr Czaja! Einen Satz sage ich Ihnen noch: Sie haben einen offenen Brief der Mieterinnen und Mieter von Kotti & Co genau zu diesem Problem erhalten. Dass Sie den nicht einmal beantwortet haben, finde ich – gelinde gesagt – eine Unverschämtheit. Sie lassen die Menschen an der Stelle mit ihren Problemen allein.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Für die Fraktion der SPD erteile ich der Kollegin Radziwill das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Die Koppelung der Wohnaufwendungenverordnung an den Berliner Mietspiegel wie auch an den bundesweiten Heizkostenspiegel ist differenziert nach Energieträgern und Gebäudeflächen erfolgt. Damit werden die Richtwerte nun dem neuen Miet- und Heizspiegel angepasst und damit jährlich aktualisiert. Das ist angesichts der Preissteigerungen bei Energieträgern ein wesentlicher Vorteil für die Betroffenen.

Liebe Frau Breitenbach! Der Kleinen Anfrage Ihrer Kollegin Frau Lompscher vom 22. November 2012 können Sie entnehmen, dass der Senat nach dem angestrebten und geplanten Veröffentlichungstermin des neues Berliner Mietspiegels Ende Mai 2013 unverzüglich eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung der WAVRichtwerte an den Mietspiegel vornehmen wird. Die Sozialverwaltung bestätigt gemäß § 7 der Wohnaufwendungenverordnung, dass die für Soziales zuständige Senatsverwaltung die Werte für die Unterkunft jeweils nach Bekanntgabe des neuen Mietspiegels überprüft. Das gilt selbstverständlich auch für das Jahr 2013, sobald der neue Mietspiegel bekannt gegeben wird. Damit ist Ihre Kernforderung in Ihrem aktuellen Antrag vom 21. Januar dieses Jahres nicht mehr aktuell. Somit ist dieser Antrag für mich ein Show-Antrag.

Des Weiteren fordern Sie eine andere Berechnungsgrundlage für die Richtwerte. Aus Ihrer Sicht kann ich Ihre Forderung nachvollziehen. Das sind für mich keine neuen Forderungen, denn Sie fordern das schon seit Jahren. Wir haben bisher keine verlässliche Datengrundlage für Ihre Behauptung. In dem Konzept zur Bestimmung der Höhe der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkünfte

und Heizung steht Folgendes – Sie können es auch im Internet nachlesen:

Durch den Rückgriff auf den qualifizierten Mietspiegel und durch die erfolgte Gewichtung kann im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG davon ausgegangen werden, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft auf dem Wohnungsmarkt gibt … Damit berücksichtigt das Berliner Konzept, wie nach § 22a Abs. 3 SGB II gefordert, die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen.

Erst in der kommenden Sitzung des Sozialausschusses am Montag, dem 25. Februar 2013, werden wir das erste Mal nach Inkrafttreten der Wohnaufwendungenverordnung umfassend dieses beraten. Sie haben auch viele Fragen gestellt. Lassen Sie uns die Antworten der Sozialverwaltung anhören und bewerten! Gern bin ich bereit, dann mit Ihnen über Ihre Forderung noch einmal zu debattieren.

In meiner Rede vom April 2012 bei der Einführung der WAV habe ich deutlich erklärt, dass wir sie prüfen und ändern werden, wenn die Regelungen der Wohnaufwendungenverordnung nicht den Erwartungen und Zusagen des Senats entsprechen. Dies gilt beispielsweise auch für die Möglichkeit der Regionalisierung der Richtwerte, oder wir werden andere beraten. Daher werden die Zahlen nach den Umzügen und der Aufforderung nach Senkung der Kosten für die Unterkunft für das Jahr 2012 genau zu prüfen sein. Diese liegen uns aber noch nicht vor.

Nun komme ich zu dem Antrag der Piraten und Linken – ein Moratorium. Zu Ihrer Forderung nach Aussetzung der WAV will ich anmerken, dass nach den rechtlichen Bewertungen der Senatsverwaltung ein solches Verfahren weder mit dem Bundesrecht noch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Einklang stünde. Die Überprüfung erfolgt nach § 7 WAV auf der Grundlage der im Konzept zur WAV festgelegten Bestimmungsgrundsätze, die sich im Einklang mit den bundesgesetzlichen Regelungen wie auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung befinden. Als Sozialpolitikerin widersetze ich mich hier aber einer Debatte nicht.

Wenn man ein Moratorium wollen würde, müssten wir aus meiner Sicht drei Faktoren prüfen und berücksichtigen: Erstens stellt sich die Frage, wie viele Bezieherinnen und Bezieher Mieterinnen und Mieter im sozialen Wohnungsbau sind und 2012 aufgefordert wurden, die Kosten der Unterkunft zu senken, oder umziehen mussten. Können diese Zahlen ermittelt werden?

Zweitens müsste der Bund dabei mitziehen, denn er trägt den weitaus größeren Teil der Kosten der Unterkunft. Die Linken insbesondere müssten sich aus der letzten Legislaturperiode genau daran erinnern können, denn der Bund hat eine Sonderregelung Berlins nicht mitgetragen. Wir mussten für großzügige Ausnahmeregelungen, die ich inhaltlich für richtig halte, mehrere Millionen Euro Strafe zahlen. Das war sehr bitter. Oder wollen Sie nur den kleineren Teil, den Berlin trägt, bei den Kosten der Unterkunft mit einem Moratorium aussetzen?

Drittens: Zum ersten Mal erfolgt die Koppelung mit dem Berliner Mietspiegel. Im Mai oder Juni 2013 werden wir sehen, welche Folgen dies auf die WAV hat.

Sie müssen jetzt zum Ende kommen, Frau Kollegin!

Mein vorletzter Satz, wenn ich darf! – Deshalb ist Ihre Forderung, dies bis zum März nächsten Jahres auszusetzen, sehr weit gegriffen und daher mit uns nicht zu tragen. Ich halte die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingeschlagenen Wege, beispielsweise die Evaluierung des Wohnraumgesetzes, für sinnvoll und wirksamer. Lassen Sie uns daher die Beratung in den Ausschüssen vornehmen! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Joachim Krüger (CDU)]

Danke schön, Frau Kollegin Radziwill! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grüne erteile ich jetzt dem Kollegen Beck das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Senator Czaja! Im April des letzten Jahres habe ich Sie hier noch gelobt, weil Sie zügig eine neue Rechtsverordnung zu den Kosten der Unterkunft vorgelegt hatten. Diesen Bonus haben Sie inzwischen verspielt, weil sich gezeigt hat, dass Sie überstürzt und fachlich unzureichend gehandelt haben. Die Beteiligung der Interessenvertretungen von Mieterinnen und Mietern und Arbeitslosen haben Sie unterlassen. Sie haben die Komplexität der WAV schlicht unterschätzt. Das rächt sich jetzt.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich bin auch immer wieder verwundert, wie wenig Menschen das im Parlament interessiert. Es geht immerhin um eine halbe Million Menschen und die Lebensumstände von vielen Berlinerinnen und Berlinern. Auch in unserem

Haushalt sind immerhin 1,5 Milliarden Euro mit diesem Thema verbunden. Die Probleme sind für viele Betroffene oder beteiligte Menschen durch die Verordnung jetzt noch verschärft worden. Die Entwürdigung Vieler findet staatlich verordnet ihre Fortsetzung. Etwa 70 000 Bedarfsgemeinschaften zahlen aus ihrem Existenzminimum Mietanteile, damit sie in ihren Wohnungen bleiben dürfen. Grundsicherungsempfangene kämpfen vor Gericht um ihren Lebensunterhalt, statt ihre Kraft für persönliche Qualifizierungen und die Arbeitssuche einsetzen zu können. Sie wollten Rechtssicherheit herzustellen und die Gerichte entlasten. Stattdessen ist Verwirrung bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter, der Jugendämter und der Sozialämter entstanden, wie die komplizierten und bürokratischen Artikel auszulegen seien. So wird zum Beispiel die Angemessenheit der Wohnkosten sehr unterschiedlich ermittelt.

Die Klageflut beim Berliner Sozialgericht hält an. Der Aktenberg ist auf über 42 000 unerledigte Verfahren angestiegen. Ihr Kollege, Senator Heilmann, versucht löblich, aber etwas hilflos, dem projektorientiert entgegenzuwirken. Haben Sie auch die Auswirkungen der WAV bereits gemeinsam begutachtet?

Die Mieten in vielen Kiezen liegen weit über den WAVRichtwerten. Das könnte man als eine staatliche Gentrifizierungsmaßnahme bezeichnen. Eine regionale Differenzierung ist nach verschiedenen Rechtsauskünften durchaus möglich und nicht rechtswidrig, wie von Ihnen behauptet. Zur Entwicklung einer sozialen Mischung in den Kiezen wäre es hilfreich, in den Gebieten mit besonders angespannten Wohnungsmärkten höhere Zuschüsse festzulegen.

Herr Czaja! Sorgen Sie endlich für realistische Richtwerte und unkomplizierte Verfahren, die auch vor den Gerichten Bestand haben!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Besonders dramatisch sind die Auswirkungen für Menschen in betreuten Wohnformen. Wohin mit den verselbstständigten Klientinnen und Klienten, wenn der Markt keine Wohnungen im Umfeld hergibt? – Sie bleiben staatlich finanziert bei freien Trägern wohnen, statt ihr Leben selbstständig gestalten zu können. Die Sozialraumorientierung der Jugendhilfe wird konterkariert, wenn gerade durch sozialpädagogische Maßnahmen gefestigte Jugendliche ihren Kiez verlassen müssen oder gar von Obdachlosigkeit bedroht werden.

Nun zu den Anträgen der Linken und der Piratenfraktion: Wir sehen die Anträge sehr positiv, halten sie allerdings für verfrüht und zu kurz greifend, weil sie nur Teilaspekte der notwendigen Korrekturen an der WAV beinhalten. Eine Anpassung der Richtwerte an den neuen Mietspiegel halten wir für dringend geboten. Welche Mietbeträge wir

im Detail für angemessen halten und wie hoch ein Neuvermietungszuschlag sein darf, ist anhand aktueller Zahlen noch zu klären. Ein Sanktionsmoratorium halten wir auch durchaus für sinnvoll. Dieses aber ausschließlich auf den sozialen Wohnungsbau zu beschränken, schafft neue Ungerechtigkeiten. Einen individuellen Mietausgleich halten auch wir für erforderlich, allerdings muss er für alle bedürftigen Transferleistungsbeziehenden zu beantragen sein.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ihre Anträge benötigen also noch Differenzierung und Ergänzungen. Die Richtung stimmt. Was wir in Berlin benötigen, ist ein Gesamtkonzept, das einkommensschwächere Mieterinnen und Mieter vor unbezahlbaren Mieten schützt, egal, bei welchem Vermieter und in welchem Stadtteil Berlins sie wohnen. Nur so können wir neue soziale Verwerfungen verhindern und die weitere Segregation stoppen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Beck! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Krüger. – Bitte sehr, Herr Krüger!

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der Antrag 17/0771, der uns hier vorliegt, möchte die sofortige Anpassung der Richtwerte der WAV an den Mietspiegel 2013 sichern. Nun haben wir eben schon gehört – Frau Radziwill hat das ja auch sehr deutlich vorgetragen –, dass wir das ja alles schon festgeschrieben haben: § 7 der WAV setzt fest, dass nämlich nach Feststellung des Mietspiegels genau diese Überprüfung passiert und dass dann gemäß § 4 eine entsprechende Verordnung zu erlassen ist. Ist doch überhaupt nichts Neues, hier machen wir genau das, was wir uns vor einem Jahr vorgenommen haben. Dann können Sie auch sicher sein, dass der Senator und die Koalition sehr genau darauf achten.

Wir sind stolz darauf, dass dieser Punkt gerade im letzten Jahr in diese Verordnung aufgenommen wurde, ebenso wie wir es durchaus ganz positiv sehen, dass die Verordnung angekoppelt an den Mietspiegel ist und den Heizkostenspiegel auf Bundesebene einbezieht und wir eine Ermittlung einheitlicher Richtwerte für Berlin über diese Verordnung haben. Bei der Ermittlung der Richtwerte gehen wir nach wie vor von der einfachen Wohnlage aus. Das sind in Berlin immerhin noch 330 000 Wohnungen, die hier einbezogen werden und die eine Spannweite bis zum unteren Bereich der mittleren Wohnlage einbeziehen.

[Uwe Doering (LINKE): Von 1,8 Millionen!]

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