Bebauungsplanung für Tempelhofer Feld zurückstellen – Bürgerdialog für Zukunftsideen führen, Mediation einleiten
Der Dringlichkeit wird, wie ich sehe, nicht widersprochen. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt heute die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und da hat die Kollegin Kapek das Wort. – Bitte schön!
Vielen Dank! – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unabhängig von der Frage, ob man den Inhalt des Volksbegehrens „100 Prozent Tempelhofer Feld“ teilt oder nicht – dass der Bürgerinitiative hier über den Jahreswechsel etwas wirklich Außergewöhnliches gelungen ist, kann niemand leugnen.
Denn innerhalb von gerade einmal sechs Wochen wurden sage und schreibe 33 000 Unterschriften gesammelt,
wovon sogar 28 147 Stimmen offiziell gültig sind. Eine so hohe Anzahl von Unterschriften in so kurzer Zeit hat es noch nie gegeben und stellt einen neuen Rekord für die erste Stufe eines Volksbegehrens dar. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch die benötigten Unterschriften für einen Volksentscheid zusammenkommen, steigt damit beträchtlich. Dieser enorme Erfolg muss auch als solcher gewertet werden.
Für mich belegt das vor allem zwei Dinge, nämlich erstens, dass das überdurchschnittliche Interesse der Berlinerinnen und Berliner bestätigt, dass es beim Tempelhofer Feld wirklich um einen außergewöhnlichen Ort geht. Und zweitens zeigt es ausdrücklich, dass eine reine Planung und damit eine Stadtentwicklung von oben an diesem Ort komplett unangebracht ist.
Die Realität sieht aber leider anders aus. Senator Müller verkündet seit Beginn des Volksbegehrens im Dezember, dass ihm das Verfahren im Prinzip total egal sei, obwohl es sich immerhin um das wichtigste Mitbestimmungsinstrument der Berliner Landesverfassung handelt. Stattdessen treibt er seine Planung nicht nur unbeirrt voran, sondern kündigt sogar an, planungsrechtliche Fakten zu schaffen, indem er bis Ende dieses Jahres bereits die Aufstellungsbeschlüsse für die Baufelder erlassen möchte.
Der früheste Termin für einen Volksentscheid – sofern er zustande kommt – wäre aber erst im Jahr 2014. Dieser würde eine Bebauung ausschließen. Der Senator will also Planungsrecht schaffen, bevor die Bürgerinnen und Bürger dagegen Einspruch erheben oder darüber mitbestimmen können. Deshalb frage ich Sie, Herr Senator Müller: Ist das Ihr Verständnis von Berlin zum Mitmachen?
Noch einmal: Selbst wenn man meinen würde, in Tempelhof müsste jeder Quadratzentimeter komplett bebaut werden, womit man dem Volksbegehren zu 100 Prozent widersprechen würde, bleibt trotzdem die entscheidende Frage, warum ein sozialdemokratischer Spitzenmann die verfassungsrechtlich verankerten Instrumente der direkten Demokratie komplett ignoriert. Sie werden gleich sagen, dass es dort schon jede Menge Veranstaltungen im Rahmen der Bürgerbeteiligung gegeben und sich Frau Lüscher wöchentlich mit den Leuten getroffen habe. Da haben Sie zum Teil sogar recht. Allerdings wurde in den letzten Jahren bei all diesen Veranstaltungen nicht einmal die Frage einer Bebauung thematisiert. Das heißt, die Frage ob, wann, wie und mit wem gebaut werden soll, wurde bisher komplett ausgeklammert.
In unserem Antrag geht es überhaupt nicht um die Frage, ob oder wie viel gebaut werden soll, oder um andere Fragen der Bebauung, sondern es geht lediglich um die Frage, ob man Fakten schaffen darf, bevor die Bürgerinnen und Bürger ihr Votum abgegeben haben.
Herr Müller! Ich frage Sie noch einmal: Worin besteht eigentlich der Grund für die Eile? Wollen Sie jetzt besonders Gas geben, nur weil Ihre Vorgängerin zehn Jahre Entwicklung verpennt hat? Oder wollen Sie dem Regierenden die Möglichkeit geben, sich hier schnell noch ein Denkmal zu bauen, indem er durch einen Neubau eine Landesbibliothek auf dem Feld realisiert?
Für mich stellt die einzige wirklich drängende Baustelle auf dem Feld das Flughafengebäude dar, das nebenan seit unabsehbarer Zeit ohne ein Konzept oder jegliche praktische Nutzung oder Finanzierung vor sich hin west. Für mich ist das kein angemessener Umgang mit den Steuergeldern der Berliner, und es ist vor allem auch kein angemessener Umgang mit dem historischen und kulturellen Erbe dieser Stadt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert daher mit dem vorliegenden Antrag ein Planungsmoratorium für die Freiflächen auf dem ehemaligen Flugfeld. Solange nicht absehbar ist, ob es zu einem erfolgreichen Entscheid kommt, dürfen keine baulichen oder rechtlichen Fakten geschaffen werden, die dann durch den Entscheid nicht mehr beeinflussbar wären. Wir erwarten, dass Sie mit der Veröffentlichung des Masterplans – angeblich in der nächsten Woche – jetzt endlich Farbe bekennen und die Frage des Ob und des Wie der Bebauung transparent und ergebnisoffen mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren.
Allerdings: Planung ist das eine, Festsetzung das andere. Nur wenn Alternativen transparent vorliegen, gibt es auch die Möglichkeit, darüber mitzubestimmen oder diese abzulehnen.
Solange Sie diese Bedingung nicht erfüllen, braucht es aus unserer Sicht ein Moratorium. Alles andere würde unsere direktdemokratischen Instrumente konterkarieren. Das können Sie gerne versuchen, aber nicht mit uns. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Frau Kollegin Kapek! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt die Kollegin Haußdörfer das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bekenne mich heute als häufige Benutzerin des Tempelhofer Felds, weil es für mich berlinweit die einzige freie Fläche ist, wo ich ungehindert Inlineskaten kann, und wenn in diesem Winter zehn Zentimeter Schnee gelegen hätten, hätte ich auch Langlaufen können. Aber egal, ob Winter oder Sommer – es fehlt an Bänken zum Verweilen, leichter Infrastruktur, geläufigen Lokalitäten, in denen man Wasser, Brötchen oder vielleicht auch einmal ein Pflaster kaufen kann.
Der Antrag lautet: Bürgerbeteiligung ernst nehmen! – Ja, das stimmt! Aber das heißt auch: jegliche Beteiligung ernst nehmen – nicht nur die, die dagegen sind, sondern auch die, die dafür sind, und das tun wir auch.
Seit 2007 gibt es intensive Bürgerdialoge im Internet und Bürgerwochenenden vor Ort. Knapp 70 000 Bürgerinnen und Bürger haben sich informiert, und ich habe nachgeschlagen: Es sind 2 471, die Vorstellungen, Meinungen, Vorschläge, Kritik und Wünsche geäußert haben. Auf der Top-Ten-Liste ganz oben steht die Öffnung der Softballfelder der Amerikaner. Siehe da: Wir haben sie ernst genommen, denn sie sind seit 2009 offen.
So kann man natürlich auch sagen, Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht gern öffentlich äußern, die über kein Internet verfügen, können sich nicht daran beteiligen. Deshalb wurden auch Fragebögen versandt und Befragungen durchgeführt, an die Anrainer, die Anwohnerinnen und Anwohner, aber auch in ganz Berlin. Selbst in Köpenick sind sie mir entgegengekommen. Auch hier wurde auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Interessen vertieft Rücksicht genommen, gezielt über die Bürgervereine vor Ort und Quartiersmanagement angesprochen.
An der Eröffnung 2009 haben sich mehr als 3 000 Bürger und Bürgerinnen beteiligt. Infoausstellungen, Führungen zu Fuß und per Bus, Diskussionstische mit Wünsch-dirwas-Karten, TED-Umfrage – es war wirklich alles dabei. Ich selbst als Nutzerin hatte auch keine Chance, meine Meinung zu verweigern, denn man wurde wirklich überall angesprochen. In den Folgejahren erlebten wir das Gleiche: Befragungen, Expertenkonferenzen, Anwohnerversammlungen, Veranstaltungen der politischen demokratischen Parteien – übrigens auch Ihrer, die IBA für Nord-Neukölln war eine schöne Veranstaltungsreihe –, die Beschlüsse von BVVen, Architekten und Planern, das muss man auf jeden Fall zur Kenntnis nehmen.
Die hohe Beteiligung am Volksbegehren ist wirklich außerordentlich, zeigt aber auch die Notwendigkeit der vertieften Information. Anfang März – da haben wir heute die Einladung bekommen – wird der Masterplan Tempelhof mit dem Kommunikations- und Partizipationskonzept vorgestellt, und natürlich wird es große Diskussionen geben: um die Zentral- und Landesbibliothek, um Wohnungsbauvarianten, zur Erschließung für Sport und Freizeit. Und natürlich – wie es in der Fragestunde von Frau Dr. Hiller gefordert wurde – wird es Bürgerdialoge und Foren geben.
Ich war auch sehr überrascht: Selbst das Jugendparlament im Abgeordnetenhaus hat sich im November mit Tempelhof beschäftigt, aber im Gegensatz zu den politischen Vertretern konnten sich die Jugendlichen sogar einen Vergnügungspark vorstellen sowie ein parkumspannendes Grillfeld. Da haben wir alle sehr etwas zum Schmunzeln gehabt.
2008 hat Rot-Rot-Grün – wir drei zusammen – hier im Haus eine umfassende Revolution, Entschuldigung: Resolution beschlossen.
aber in dem Fall war es eine Resolution, in der wir alle Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung auffordern, Ideenwettbewerbe und Konzepte für das gesamte Areal einfordern. Ich darf hier die zentralen Entwicklungsgrundsätze zitieren.
Die große zentral gelegene Grün- und Freifläche soll zur Stabilisierung des Stadtklimas … erhalten bleiben.
Für die geplanten Wohnquartiere sind insbesondere Konzepte für familiengerechtes und generationsübergreifendes Wohnen zu prüfen.