Zweitens gibt es genügend unbestrittene Hinweise – u. a. das unabhängige Regieren des Verfassungsgerichts und des Staatspräsidenten, die Tatsache, dass die Ratschläge und Kritik internationaler Organisationen wie EU, IWF, Venedig-Kommission des Europarats als auch bilateraler Partner von der ungarischen Regierung gehört und Entscheidungen korrigiert werden, dass die ungarischen Medien deutliche Kritik an der Regierung üben und sich auch neue Oppositionsbewegungen konstituieren können –, dass die demokratischen „Checks and Balances“ in Ungarn grundsätzlich funktionieren. Und gerade weil Ungarn in die EU eingebunden ist bzw. sich selbst eingebunden hat, gibt es viele Möglichkeiten der Kontrolle und der Intervention durch die entsprechenden kompetenten europäischen Stellen. Und diese nehmen ihre Möglichkeiten gegenüber Ungarn wirklich tatkräftig wahr, aus meiner Sicht sogar in einem Maße, dass keine Zeit und Aufmerksamkeit mehr bleibt, ähnlich gelagerte oder sogar noch gravierendere Missstände in anderen EU-Ländern ebenfalls unter die Lupe zu nehmen.
Einer Illusion sollte man sich aber nicht hingeben: Die ideellen Grundlagen einer Gesellschaft, die Werte, auf denen sie basiert, lassen sich nicht von außen oder auf dem Papier regeln. Der Umgang bzw. die Interpretation der eigenen Geschichte, der Umgang mit Minderheiten, der Umgang mit einer demokratisch erlangten Zweidrittelmehrheit, mit Antisemitismus, die politische Kultur – all das sind gesellschaftliche Reifungsprozesse, die letzt
lich in einem Land selbst stattfinden müssen, um wirklich zu nachhaltigen Änderungen in den Einstellungen zu führen. Lektionen von außen, die einer anderen nationalen Geschichte und gesellschaftlichen Realität entstammen, sind hierbei definitiv nicht hilfreich, eher wohlgemeinte, respektvolle, informierte Gespräche, was mich zu Punkt 3 führt:
Ich persönlich, meine Fraktion und meine Partei kommen dem Grundanliegen der Entschließung, „mit allen Möglichkeiten den kritischen Dialog mit unseren Partnern zu suchen“, schon längst nach. In der CDU gilt die Prämisse: Wir reden in Europa nicht über-, sondern miteinander, auch wenn es sich um schwierige Themen oder Partner handelt. Bundesminister Schäuble hat dies mit seinem Treffen mit dem Radikallinken Tsipras erst vor kurzem wieder beispielhaft vorgeführt. Wir postulieren nicht Prinzipien im leeren Raum oder von der hohen Kanzel herab, sondern wir handeln im europäischen Geist – erst recht im Hinblick auf einen für Deutschland derart wertvollen und langjährigen guten Freund wie Ungarn.
Wir reden heute über einen gemeinsamen Oppositionsantrag zu den Grundrechten im europäischen Raum, vor allem in Ungarn. Dieser Antrag ist keine Lappalie und kein Profilierungsversuch. Er ist eine Notwendigkeit. Notwendig geworden ist er wegen der wiederholten und permanenten Verletzung und Aushöhlung der Grundrechte in unserem EU-Partnerland in den vergangenen Jahren.
Vor acht Jahren sah das noch ganz anders aus. 2004 verbrachte ich einige Zeit als Erasmus-Student dort. Das war kurz nach dem Beitritt Ungarns zur Europäischen Union, eine Zeit des Aufbruchs und der Europa-Euphorie. 2010 wurde Pécs, die Stadt, in der ich damals studiert hatte, zur Kulturhauptstadt Europas, zusammen mit dem Ruhrgebiet.
Leider ist von diesem Ungarn heute nicht mehr viel zu spüren. Die Euphorie ist einer Lethargie gewichen. Das Land ist gespalten. Die Zivilgesellschaft fühlt sich ausgeschlossen und ignoriert. In weiten Teilen der Bevölkerung herrscht das Gefühl vor, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt. Auf Großdemonstrationen versuchen Menschen, Medien und das Ausland auf die Situation aufmerksam zu machen.
Im Juni 2012 konnte ich mir selbst ein Bild davon machen. Zusammen mit anderen Abgeordneten war ich in Berlins Partnerstadt Budapest. Zu Gast bei verschiedenen Parteien konnten wir uns über die aktuelle ungarische Politik und die Situation vor Ort austauschen. Die Lage vor Ort zu sehen, war noch schlimmer, als die Berichte es vermuten ließen. Ich erlebte ein Land, in dem wichtige Werte einer Demokratie keine Rolle mehr spielen.
Es begann direkt bei der Ankunft. Unsere Gastgeber der ungarischen Oppositionspartei LMP mussten ihren Zeitplan über den Haufen werfen, da die Parlamentsmehrheit kurzfristig Haushaltsverhandlungen angesetzt hatte. Dies geschah mit so wenig Vorlauf, dass man sich darauf kaum sinnvoll vorbereiten konnte. Doch das ist in Ungarn mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme: Viele Anträge der Opposition werden gar nicht oder mit Monaten Verspätung beraten. Zudem benachteiligt das neue Wahlrecht die kleinen Parteien massiv. Es behindert den Zugang von einigen Bevölkerungsschichten zu den Wahlen und schwächt damit die Pluralität. Viele gesellschaftlich relevante Gremien werden von der Regierung nach ihrem Gutdünken neu geschaffen oder umgestaltet. Maßgebliche Posten werden streng nach Parteibuch und -zugehörigkeit vergeben.
Das neue Ungarn ist ein Land im Wandel und ein Land der Traumata. Nach den Traumata von Trianon 1919, dem Horthy-Regime, der Besetzung durch die Nazis und die Sowjetunion, welche teilweise verarbeitet wurden, kamen nun neue Traumata: Ein Trauma durch Politiker, denen man nicht traut und die mehr oder weniger offen zugegeben haben, die Bevölkerung zu belügen. Ein Trauma durch ständige Regierungswechsel. Ein Trauma durch Fehlspekulationen und Misswirtschaft, welches Ungarn von einem aufstrebenden Land zu einem Bittsteller des IWF gemacht hat. Das Haushaltsdefizit übersteigt seit Beitritt zur EU quasi kontinuierlich die Drei-ProzentMarke.
Diese Erlebnisse und die aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben zu einer schweren Identitätskrise geführt, die dadurch geheilt werden soll, dass man sich auf konservative Werte beruft. Man versucht, sich zu besinnen auf die eigene Nationalität, die eigene Rasse, die eigene antikommunistische Ideologie. Die OrbánRegierung versucht, die konservative Interpretation der ungarischen Geschichte für alle Bürger als verbindlich festzulegen. Sie steht nun als Präambel in der neuen ungarischen Verfassung von 2012. Zudem versucht die Regierung, eine Abwahl der Regierung und eine Neuwahl des verhassten politischen Gegners so schwer wie möglich zu machen. So werden Institutionen möglichst mit Verbündeten und möglichst über die eigene Regierungszeit hinaus besetzt. Gesetze werden möglichst so abgesichert, dass eine neue Regierung sie nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern könnte. Um all diese Änderungen umzusetzen, die mit Demokratie nicht mehr viel zu tun haben, wurden auch dunkle Brücken überschritten. Es handelt sich um einen antidemokratischen Umbau der Gesellschaft, und der Point of no Return rückt immer näher.
Eine Atmosphäre der Angst ist für Minderheiten im Land Folge dieser Politik. Immer wieder kommt es zu rassistischen Übergriffen und Verbalattacken, auch vonseiten der politischen Akteure gegen Minderheiten im Lande.
Juden sollen gezählt werden. Roma haben mit Verfolgung und Repressionen zu rechnen. Gegen Obdachlose wird vorgegangen. Die sexuelle Vielfalt im Land ist bedroht. Der Budapest Pride und die EuroGames 2012 konnten nicht störungsfrei abgehalten werden.
Nun kann ich verstehen, dass die Koalition und besonders die CDU als Schwesterpartei der Fidesz sich hier keinen Handlungsbedarf eingestehen wollen und es nicht für notwendig halten, sich dazu kritisch zu äußern. Aber bei der ungarischen Bevölkerung steigt der Leidensdruck. Ich war im letzten Jahr selbst auf Demonstrationen gegen die neue Verfassung, die Ungarn das Wort „Republik“ wegrationalisiert hat. Und ich war auf Demonstrationen gegen die Zwangsschließung des oppositionellen Radiosenders „Klubrádió“ und Einschränkungen der Pressefreiheit. Insofern ist Ihr parteibegründetes Wegsehen hier fehlplatziert.
Wir reden hier auch nicht von einem Land, dass viele Tausend Kilometer entfernt liegt. Wir reden von einem Land, das quasi nebenan liegt und das aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte aufs Engste mit uns verbunden ist. Und ich wiederhole es gerne noch mal: Budapest ist seit vielen Jahren unsere Partnerstadt. Deshalb können wir bei dieser Entdemokratisierung nicht länger einfach nur zusehen. Wir müssen uns einmischen. Wir Piraten stehen zur Europäischen Union. Wir stehen für eine starke Demokratie, Mitbestimmung durch die Bürger und den Schutz von Minderheiten. Mit unserem Antrag wollen wir unsere Freunde vor Ort und all diejenigen, die sich gegen die Einschränkung ihrer Rechte wehren, unterstützen. Reichen wir ihnen die Hand!
Zum Antrag Drucksache 17/0567 empfiehlt der Europaausschuss mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die Grünen und Die Linke. Gegenstimmen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung vom 5. Dezember 2012 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 16. Januar 2013 Drucksache 17/0763
Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Zu dem Antrag Drucksache 17/0009 empfiehlt der Rechtsausschuss mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung und der Hauptausschuss einstimmig mit allen Fraktionen, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer den Antrag entsprechend der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses für erledigt erklären möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen und auch der fraktionslose Kollege. Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Dann haben wir das einstimmig so beschlossen, dass das erledigt ist.
Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Hauptausschuss hat der Vorlage einstimmig mit allen Fraktionen zugestimmt. Wer dem Vermögensgeschäft Nr. 20/2011 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind ebenfalls alle Fraktionen, auch der fraktionslose Kollege. Gegenstimmen? – Höre ich nicht.
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Kittler, bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kurze Chronik, die zu diesem Antrag führte:
23. November 2011: Die SPD-CDU-Koalition beschließt ihre Koalitionsvereinbarung. Im Abschnitt 4 heißt es dort unter anderem:
Die im Folgenden vorgesehenen Maßnahmen verbessern die Ausstattung der Schulen gegenüber dem derzeitigen Stand. Diese Verbesserung wird allen Schulformen zugute kommen. Die Koalition wird den weiteren Aufbau von Lebensarbeitszeitkonten beenden. Zur Auflösung der bestehenden Lebensarbeitszeitkonten erfolgt ein Angebot, das Unterrichtsausfall vermeidet.
Meine Berliner Kolleginnen und Kollegen fragten sich: Soll das heißen, die Beendigung der Arbeitszeitkonten dient der Verbesserung der Ausstattung der Schulen? Da ist doch sicher die Rücknahme der Arbeitszeiterhöhung vom Jahr 2003, also Ausgleich, angedacht, weil Lehrerinnen und Lehrer weniger hoch belastet und dadurch gesünder sind, oder?
Also weniger Unterrichtsausfall gleich Verbesserung der Ausstattung der Schule mit Personal. Sage ich doch. Auch das Angebot zur Auflösung der Konten muss etwas anderes sein als das, was es schon gibt.
Zurück zur Chronik: 6. Februar 2012, die Antwort auf meine Kleine Anfrage zu den Arbeitszeitkonten traf ein. Die Senatsbildungsverwaltung teilte mit:
Überlegungen für einen Ausgleich für die Beendigung des weiteren Anwachsens der Lebensarbeitszeitkonten einschließlich möglicher Szenarien zum Abbau der bereits bestehenden Arbeitszeitkonten bei den Lehrkräften werden aktuell angestellt und anschließend im Senat abgestimmt.
Ist es richtig, dass die Senatsfinanzverwaltung den Vorschlag gemacht hat, zum 1. August 2013 die Regelung für die jährlich anwachsenden Arbeitszeitkonten der Lehrerinnen und Lehrer zu beenden, und wenn ja, welchen anderen gleichwertigen Ausgleich will der Senat anstelle der bisherigen Arbeitszeitkonten einführen?
Ich will das hier nicht ausbreiten, sondern erst dann, wenn wir im Senat eine gemeinsame Meinung gefunden haben, werden wir hierüber debattieren.