Ich komme zum Schluss mit der Aussage, dass wir deutliche Defizite in der Betreuung von Einzelfällen in den Jugendämtern haben, dass das Personal erschöpft, die Arbeitsbelastung zu hoch ist und sich die Ausfälle durch Krankheit häufen. Das heißt, wir können an dieser Stelle nur sagen: Der Senat muss den vom Senat für Finanzen verhängten Einstellungsstopp für Fachkräfte in den Berliner Jugendämtern sofort aufheben und statt Personal abzubauen neues Personal einstellen. – Vielen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen worden.
Im Ältestenrat hat man sich darauf verständigt, die schriftliche Beantwortung ohne weitere Aussprache zur Kenntnis zu nehmen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien vom 12. Dezember 2012 Drucksache 17/0728
zum Antrag der Piratenfraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke auf Annahme einer Entschließung Drucksache 17/0567
Die Fraktionen haben angekündigt, dass vorbereitete Redemanuskripte zu Protokoll gegeben werden können. Dazu haben Sie nun Gelegenheit.
2014 stehen die Europawahlen auf der politischen Agenda. Die Europäische Union befindet sich tief in der Krise, vor allem in einer Vertrauenskrise. Die Bürgerinnen und Bürger wissen nicht mehr so genau, wohin die Entwicklung steuert.
Vor zwei Wochen hatten wir den irischen Botschafter zu Gast im Europaausschuss, der uns die Ziele der gegenwärtigen irischen Ratspräsidentschaft erläutert hat. Er sprach von der Aufgabe einer „Wiedergeburt der EU“, die jetzt anstehe. Recht hat er damit. Ich glaube sehr, dass wir als überzeugte Europäer aufgerufen sind, gerade jetzt, im europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger, unsere Vorstellungen über die Grundwerte und Vorstellungen der Europäischen Union im 21. Jahrhundert deutlich zu machen. Wofür stehen wir und wofür stehen wir eben nicht?
Und genau das ist die Grundintention dieses Antrages. Unsere Vorstellungen sind dabei vor allem: demokratische Grundwerte, Presse-, Meinungs- und Medienfreiheit, der Schutz von Minderheiten. Das machen wir mit diesem Antrag deutlich.
Ja, das sehen wir auch so! Dabei geht es im Übrigen nicht um den erhobenen Zeigefinger, auch nicht um Besserwisserei, wie uns vorgeworfen wurde. Und Ungarn ist auch nicht irgendein EU-Land. Wir sagen deutlich: Ja, wir sehen mit Sorge, wenn in einem Land, mit dessen Hauptstadt uns eine langjährige Städtepartnerschaft verbindet, z. B. kritische Journalisten, Professoren und Beamte entlassen werden, wenn antisemitische Schriftsteller offiziell geehrt werden oder Medienberichterstattungen zensiert werden. Wir sehen mit Sorge, wenn in der Präambel der neuen Verfassung eines EU-Landes das nationale Glaubensbekenntnis ethnisch beschrieben wird und
Roma und Juden damit in der Nation nicht vorkommen. Wir sehen in den Städtepartnerschaften nicht nur die Möglichkeit, Freundschaftsdelegationen zu Höhepunkten auszutauschen, sondern vor allem eine Chance zum konstruktiven und kritischen Dialog.
In unserem Antrag formulieren wir also mögliche inhaltliche Grundlagen für einen solchen Dialog, der bei allen sich bietenden Anlässen genutzt werden könnte. Was soll daran falsch sein? Wir bestärken damit im Übrigen auch die Linie des Regierenden Bürgermeisters, als er sich kurz vor den geplanten EuroGames in einem Schreiben an seinen Budapester Amtskollegen wandte und ausdrücklich auf unsere demokratischen Vorstellungen zum Schutz der sexuellen Vielfalt hinwies. Ja, genau das ist der Weg, unsere Möglichkeiten zum kritischen Dialog zu nutzen.
Und noch ein Argument, das für unseren Antrag spricht: Er wäre auch ein wichtiges Signal an die demokratische Bewegung in Ungarn, die sich standhaft für Veränderungen einsetzt. Das Signal: Ihr seid nicht allein mit euren Auffassungen. Wir stehen an eurer Seite, weil wir eure Auffassungen von Demokratie in Europa teilen –, würde sie bestärken.
Ich gebe zu, dass es für die CDU besonders schwer sein mag, sich mit Ungarn auseinanderzusetzen. Immerhin ist Viktor Orbán der stellvertretende Parteivorsitzende Ihrer Europäischen Volkspartei. Aber gerade deshalb sollte sie sich mit dem Inhalt unseres Antrages auseinandersetzen.
„Ungarn ist ein sehr stark traumatisiertes Land, das in den letzten 22 Jahren sehr häufig Regierungswechsel erlebt hat.”, so Herr Reinhardt in den Ausschussberatungen. Ich weiß nicht, ob die häufigen Regierungswechsel dem Land wirklich so sehr zusetzen. Aber wenn es eine Traumatisierung geben oder gegeben haben sollte, dann ganz sicher durch andere Ereignisse der jüngeren Geschichte, nämlich die Niederschlagung des Aufstandes von 1956 durch die Sowjetunion und zuvor durch die Herrschaft des Horthy-Regimes als Vasallenstaat Nazi-Deutschlands, später die faschistische Bewegung von Hitlers Gnaden unter Szálasi, die im Land gewütet und gemordet hat. Das ist zwar lange her, aber in diesem Kontext nicht unwichtig für das Verhältnis von Deutschland und Ungarn. Und außerdem ist es für uns immer noch eine diplomatische Selbstverständlichkeit, den Ungarn für ihre konstruktive und weitsichtige Haltung bei der Öffnung des Eisernen Vorhangs zu danken, bevor wir sie belehren.
Vor diesem Hintergrund muss Deutschland im europäischen Kontext – und nicht allein – den kritischen Dialog mit der gegenwärtigen ungarischen Regierung führen. Es ist in erster Linie Sache der europäischen Institutionen – Rat, EP, KOM, vielleicht auch des Menschenrechtsge
richtshofs –, auf Ungarn einzuwirken – gegen Diskriminierungen und gegen den Abbau demokratischer Rechte.
Denn Ungarn stellt tatsächlich ein Problem innerhalb der EU dar. In vielerlei Hinsicht strapaziert oder brüskiert die Regierung Orbán die Grundwerte der EU. Das System Orbán bedeutet permanente Machterweiterung, die organisierte Schwächung aller Gegenkräfte, die Zunahme des Nationalismus und Nähe zur Jobbik, einer rechtsextremen Partei mit eigener Miliz. Die Diskriminierung von Homosexuellen oder der Roma ist ebenso zu beklagen wie die Angriffe auf die Pressefreiheit oder die Unabhängigkeit der Justiz.
All dies ist besorgniserregend und muss in kritischer Diskussion mit der Orbán-Regierung angesprochen werden – aber nicht mit erhobenem deutschem Zeigefinger und vor allem in der richtigen Form.
Wir sind nicht überzeugt davon, dass es hilfreich ist, dem ungarischen Ministerpräsidenten als Landtag die Leviten zu lesen, dies umso weniger, als uns Anmaßung von Zuständigkeiten vorgeworfen werden kann. Die liegen nämlich eindeutig beim Auswärtigen Amt.
Völlig anders sieht das aus, wenn der Regierende Bürgermeister im Rahmen der Städtepartnerschaft Position bezieht, eine Delegation in Budapest kritische Fragen stellt oder Organisationen und Verbände oder Parteien sich äußern. Auf diesem Wege sollten die besonnenen Kräfte in Ungarn gestärkt werden.
Aber wir müssen auch redlich bleiben und aufpassen, dass wir nicht mit zweierlei Maß messen. Dazu schreibt der französische Journalist Eric Maurice:
Man kann viele Elemente des Parteiprogramms von Viktor Orbán in Abrede stellen, verurteilen oder ablehnen, dennoch gehören sie zum Spektrum politischer Meinungen, die man in allen europäischen Ländern findet. Zum Beispiel ist der Wille, eine politische Kontrolle über die Finanzpolitik zu behalten, keine Besonderheit der Fidesz; und die Rolle der Zentralbank steht im Zentrum der Diskussionen zur Eurokrise. Der Bezug auf Gott innerhalb der Verfassung, das Ablehnen gleichgeschlechtlicher Ehen und die Möglichkeit, das Recht auf Abtreibung einzuschränken, sind konservative Überzeugungen, die man auch... in Griechenland, in Frankreich..., und in Irland, Malta oder Polen... findet.
Es gab und gibt übrigens auch zu Polen und der auch nicht grade aufgeklärten Politik der Kaczynski-Brüder keine Ächtung. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass wir zu Berlusconi, der dort weitgehend die Medien beherrscht hat und als Regierungschef per Gesetz seine
Berlin gegen die Politik der Apartheid in Südafrika. Berlin trauert um die Opfer der Terroranschläge von 9/11. Berlin steht für die Verwirklichung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung – überall.
Mit all diesen und viel mehr Angelegenheiten hat sich das Berliner Abgeordnetenhaus in den vergangenen 25 Jahren beschäftigt. War das Abgeordnetenhaus zuständig? – Wohl kaum. War es richtig, die Stimme zu erheben? – Auf jeden Fall!
Nein, wir können nicht eigenständig dafür sorgen, dass in Ungarn oder anderswo die Rechte von ethnischen Minderheiten – auch solchen, die Herr Dregger von der CDU neulich als „dort nicht so beliebt“ bezeichnet hat – durchgesetzt werden. Wir können nicht in Russland, nicht in Uganda, nicht in Ungarn und nicht anderswo allen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durchsetzen und dafür sorgen, dass sie – rechtlich und gesellschaftlich allgemein anerkannt – lieben können, wen sie wollen, Familien gründen können, mit wem sie wollen, leben können, wie sie wollen. Daraus leitet die Koalition – zumindest in der Ausschussberatung – ab, dass es falsch wäre, diese Entschließung hier zu fassen. Nein, ist es nicht.
Wenn wir als Parlament Berlins die Stimme erheben, dann ist das ein Zeichen, das bemerkt wird. Natürlich wird es nur ein kleiner Baustein sein, aber es ist einer. Genau deswegen haben wir uns als Parlament ja in der letzten Legislaturperiode gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, dazu verpflichtet, im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung genau dies zu tun. Wenn heute in Städten, in denen dies noch vor zehn Jahren undenkbar war, Gay Pride Parades stattfinden, dann hat das auch etwas damit zu tun, dass Politik und Gesellschaft genau hingucken, und zwar auch bei unseren Freunden und Nachbarn.
Eines der in meinen Augen absurdesten Argumente in der Ausschussdebatte gegen den Antrag war, wir hätten hier im Abgeordnetenhaus nicht die nötigen Ressourcen, um uns mit solchen Fragen zu beschäftigen. Mit diesem Argument kann ich parlamentarische Auseinandersetzung auch ganz sein lassen. Ich müsste dann auch infrage stellen, dass Abgeordnete überhaupt komplexe Angelegenheiten wie den Verkauf einer Landesbank, den Rückkauf von Wasserbetrieben, oder auch die korrekte Ausschreibung bei der S-Bahn – etwas, woran ja offenbar selbst der Senat scheitert – auf die Reihe bekommen können, ach
was, selbst sich eine Meinung dazu bilden können. Denn Ressourcen gibt es ja offenbar nicht. Oder doch?
Die wichtigste Ressource in so einem Fall ist demokratisches Empfinden und genug Rückgrat, um den Mund aufzumachen und auf Missstände hinzuweisen. Wir haben die moralische Pflicht, dies zu tun, und die endet nicht an den Grenzen unseres Bundeslandes oder unserer formalen Zuständigkeit. Erst recht können und sollten wir uns selbst in die Pflicht nehmen, wo es um Freunde und Partnerstädte geht. Und mal ganz ehrlich: Säßen wir hier, im sogenannten Preußischen Landtag, in einer geeinten Stadt, wenn nicht immer wieder Demokraten und Demokratinnen deutlich gemacht hätten, dass es eben nicht egal ist, was anderswo geschieht, dass es nicht unter der Wahrnehmungsgrenze liegt, wenn Selbstbestimmungsrechte mit Füßen getreten werden, und ihre Solidarität mit streikenden polnischen Werftarbeitern, tschechoslowakischen Literaten und Bürgerrechtlern aus der Osthälfte der Stadt zum Ausdruck gebracht hätten, offen, in Deklarationen, Briefen und Entschließungen und hinter den verschlossenen Türen der Diplomatie und des höchstrangigen politischen Austauschs? – Die Antwort kennen Sie selbst: Nein, säßen wir nicht.
Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich jetzt wundern, warum Sie in meiner Rede keinen direkten Zusammenhang, keine Bezugnahme auf meinen Vorredner erkennen können – den kann es nicht geben. Alle Reden dieser Rederunde wurden zu Protokoll gegeben, ein Verfahren, das ich persönlich für eher unsinnig halte. Plenardebatten sind nicht dazu da, das, was sich anderswo nachlesen lässt, noch einmal zu erklären, sondern sie sollten im Widerstreit der Argumente – möglichst inhaltlich statt nur formal – deutlich machen, warum wer welche Position vertritt und wie abstimmt.
Wenn dieser Antrag hier abgelehnt wird, bedeutet das zweierlei: erstens, dass uns unsere eigenen Beschlüsse offenbar egal sind, selbst wenn sie einstimmig gefasst wurden. Besser kann man nicht erklären, dass man sich und damit das Parlament für irrelevant hält. Dann müssen Sie sich aber auch fragen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie hier eigentlich tun. Und zweitens bedeutet es, dass Sie alle eine Lektion nicht gelernt haben: Wer schweigt, weil er sich für nicht zuständig hält, weil ihm das Problem zu groß ist, weil man es sich ja nicht verderben will mit dem Nachbarn oder Handelspartner, der sorgt dafür und ist daran beteiligt, dass es so bleibt, wie es ist.
Zum Thema Sinn und Zweck einer Entschließung des Abgeordnetenhauses zur Beurteilung der innenpolitischen Lage eines EU-Partnerlandes, in diesem Falle Ungarn, sind in bilateralen Gesprächen und auch in den Ausschussberatungen alle Argumente ausgetauscht worden im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit außenpolitischen
Agierens bei nicht ausreichend vorhandenen, neutralen Informations- und Personalressourcen und im Hinblick auf die Frage, ob Menschenrechte und Demokratie in Ungarn tatsächlich und im Vergleich zu anderen EUMitgliedstaaten in derart besorgniserregendem Maße gefährdet sind, dass ein Appell des Berliner Abgeordnetenhauses unbedingt angezeigt wäre.
Unsere Antwort ist klar. Erstens: Das Berliner Abgeordnetenhaus hat generell weder den Auftrag noch die Kapazitäten zur eigenständigen außenpolitischen Aktion, sei es auch nur, wenn es Berlins 17 Städtepartnerschaften nicht nur in wirtschaftlicher und kultureller, sondern auch in politischer Hinsicht pflegen wollte. Außenpolitik und die Bewertung innenpolitischer Verhältnisse sind eine sehr sensible Angelegenheit, Vertrauen kann sehr schnell zerstört und nur sehr langsam wieder aufgebaut werden. Zu den Partnerstädten Berlins gehören u. a. Moskau und Peking. Sollen wir im Abgeordnetenhaus von Berlin uns zur demokratischen Situation in Russland und China äußern? Das müssten wir gemäß der Stoßrichtung der Entschließung eigentlich tun, wenn wir konsequent sein wollten und uns tatsächlich um Grundrechte und Demokratie sorgten und nicht nur ein Signal von der einen Opposition zur anderen Opposition gesendet werden sollte. Anhand dieses Beispiels sehen Sie, dass der von Ihnen gewählte Ansatz ganz schnell an seine Grenzen stößt und wir daher grundsätzlich davon absehen sollten.
Zweitens gibt es genügend unbestrittene Hinweise – u. a. das unabhängige Regieren des Verfassungsgerichts und des Staatspräsidenten, die Tatsache, dass die Ratschläge und Kritik internationaler Organisationen wie EU, IWF, Venedig-Kommission des Europarats als auch bilateraler Partner von der ungarischen Regierung gehört und Entscheidungen korrigiert werden, dass die ungarischen Medien deutliche Kritik an der Regierung üben und sich auch neue Oppositionsbewegungen konstituieren können –, dass die demokratischen „Checks and Balances“ in Ungarn grundsätzlich funktionieren. Und gerade weil Ungarn in die EU eingebunden ist bzw. sich selbst eingebunden hat, gibt es viele Möglichkeiten der Kontrolle und der Intervention durch die entsprechenden kompetenten europäischen Stellen. Und diese nehmen ihre Möglichkeiten gegenüber Ungarn wirklich tatkräftig wahr, aus meiner Sicht sogar in einem Maße, dass keine Zeit und Aufmerksamkeit mehr bleibt, ähnlich gelagerte oder sogar noch gravierendere Missstände in anderen EU-Ländern ebenfalls unter die Lupe zu nehmen.