Es wurde hier noch mal erwähnt, dass der Senat nicht gehandelt habe. Ich möchte versuchen, das ein bisschen zu widerlegen, denn gerade der Regierende Bürgermeister hat sich auch ganz massiv dafür eingesetzt, dass wir die Situation für die Menschen, die bei uns Asyl suchen, verbessern und eine menschenwürdige Unterbringung ermöglichen. In den letzten Tagen hat der Senat einiges an Anstrengungen unternommen und hier zum Teil Notunterkünfte eingerichtet, aber auch massiv die Forderung an die Wohnungsbaugesellschaften gestellt, Wohnungen zur Verfügung zu stellen.
Hier müssen wir auch aufführen, dass die Mitarbeit zwischen Landesebene und den Bezirken sehr wichtig ist, dass die Bezirke eine aktive Unterstützung leisten müssen. Und es ist eben leider auch – das gehört zur Wahrheit –, dass sich einige Bezirke – sagen wir mal – einer Unterstützungsleistung etwas verweigert haben. Da braucht es auch Überzeugungsarbeit. Das darf eigentlich in unserer reichen Gesellschaft nicht sein.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]
Ja! Es wird auch die Zeit gestoppt. – Ich habe das so verstanden, Frau Kollegin Breitenbach, dass Sie die Frage stellen dürfen.
Vielen Dank! – Ich stimme Ihnen zu, dass nicht alle Bezirke die Verantwortung übernehmen. Aber wie bewerten Sie eigentlich den Punkt, dass die Bezirke, die Verantwortung übernehmen wollen, mit all den Sachen, die sie regeln müssen, alleingelassen werden und der Senat sie eben nicht unterstützt?
Ich glaube, wir müssen hier zwei Sachen berücksichtigen – zum einen: Die Zahl der Asylbewerber war in der Vergangenheit sehr viel größer, als dieses Gesetz damals geschaffen wurde, 1993, deutlich, um ein Mehrfaches höher. Wir haben lange Zeit ganz niedrige Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen in Berlin gehabt. Es hat sich eigentlich erst in den letzten Monaten deutlicher abgezeichnet, dass die Zahlen steigen. Sie steigen aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Trotzdem muss das Miteinander, das Spiel zwischen den Bezirken und der Landesebene dort – sagen wir mal – verstetigt und verbessert werden. Ich halte es nicht für sinnvoll, dass sich Bezirke verweigern. Mir ist aufgefallen, als ich mir die Tabelle angeschaut habe, welcher Bezirk denn wie viel Unterstützung, Leistungen und Orte anbietet, dass leider diese sogenannte Verweigerungshaltung – so will ich sie nennen – von den eher konservativ besetzten Bezirksämtern, aber auch da, wo die Grünen mit drinsitzen, am geringsten war. Das ist doch auch in dieser Debatte festzuhalten.
Steglitz-Zehlendorf ist namentlich genannt, aber es gibt auch noch ein paar andere, die sich jetzt nach stärkerem Druck bewegt haben. Ich denke da an Reinickendorf. Da musste auch die SPD-Fraktion vor Ort mit Nachdruck Unterstützung anbieten. Ich könnte das fortführen.
Wir müssen aber noch eine andere Sache berücksichtigen, z. B. auch Bezirke, die landesweite Angebote vorhalten müssen. Ich denke da an die medizinische TbcStelle in Lichtenberg. Wenn die Zahlen steigen, brauchen wir auch vor Ort personelle Unterstützung, damit wir auch diese Bezirke nicht alleinlassen.
Ich möchte noch ein paar Punkte erwähnen, die mir wichtig sind. Ich glaube, dass das viele in meiner Fraktion teilen. Die aktuelle Debatte, die jetzt von der BundesCDU, insbesondere vom Bundesinnenminister, vorangetrieben wird, es plötzlich so darzustellen, dass die Zahlen dramatisch steigen, ganz schlimme Verhältnisse sind, der Abschreckungsmechanismus noch stärker sein soll und nur Sachleistungen ausgezahlt werden sollen, halte ich nicht für einen richtigen Weg. Es ist eher enttäuschend, dass ein Bundesinnenminister in diese Richtung geht.
Ich habe vorhin bewusst die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vorgelesen. Nach meiner Auffassung entspricht dieses Sachleistungsprinzip auch nicht diesem Beschluss. So gesehen werden wir hier gemeinsam einiges an Beratung machen müssen.
Ich will zum Ende meiner Rede noch einen Punkt anführen: Ich denke, wir tun gemeinsam gut daran, dass wir gemeinsam vor Ort, wo wir als Abgeordnete, als Politiker in unseren Parteien vor Ort wirken, aufpassen und nicht Populisten Tür und Tor öffnen
und dass wir uns gemeinsam für ein friedliches Miteinander in dieser Gesellschaft einsetzen. Und das heißt doch, dass wir auch Wahrheiten sagen, die manchmal auch wehtun können. Die Wahrheit ist eben, dass in dieser Welt Krisen und Kriege sind, Not, auch in Europa, ist und Menschen, wenn sie Hilfe und Schutz suchen, auch zu uns kommen sollen und kommen dürfen. Wir sind eine Gesellschaft, die sich eben nicht verweigert und auch Hilfesuchenden Schutz bietet. Das müssen wir gemeinsam in unserer Funktion und in unserer Verantwortung als Politiker herüberbringen.
Deswegen bitte ich, davon abzusehen, hier Ängste zu schüren. Wir werden hier nicht von ganz Europa überrannt, und wenn mehrheitlich aus bestimmten Regionen Menschen zu uns kommen, dann müssen wir uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass in diesen Regionen Demokratisierung vorangetrieben wird und die Lebenslagen in Europa nach oben hin besser angepasst
Vielen Dank, Frau Kollegin Radziwill! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt der Kollegin Bayram das Wort. – Bitte sehr, Frau Kollegin!
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Kein Mensch ist illegal“ – das war der Spruch, unter dem vor einigen Wochen hier in Berlin 6 000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Diese 6 000 Menschen auf die Straße gebracht hat eine kleine Gruppe von etwas über 20 Menschen, die durch Deutschland marschiert sind – ein Marsch mit der Vision, tatsächlich eine bessere Zukunft in unserem Land zu bekommen. Ich bewundere diesen Einsatz und diese Kraft. Diese Menschen verdienen unseren Respekt.
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Raed Saleh (SPD)]
Sie haben es letztlich auch hingekriegt, dass wir uns heute in einer Aktuellen Stunde mit diesem Thema beschäftigen. Einige Punkte wurden von den Kollegen schon angesprochen: die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge hier bei uns leben müssen und gegen die sie protestieren gegangen sind, die Unterbringungen in Lagern. Wer sich diesen Film einmal angeschaut hat, den Reporter in einem Experiment einen Monat lang in einer solchen Einrichtung durchgeführt haben, wo die eine Journalistin nachher Krätze bekommen hat, der kann sich vorstellen, welche hygienischen Bedingungen herrschen, der kann sich die fehlende Intimsphäre, die fehlende Privatsphäre vorstellen, der muss sich wirklich fragen: Wollen wir das den Menschen antun?
Ein weiterer Punkt ist die Haft. Vor einiger Zeit wurde eine Demonstration unter dem Motto „Flucht ist kein Verbrechen“ gemacht. Es ist immer wieder erschreckend, dass die Menschen inhaftiert werden und in schrecklichen Knästen verweilen müssen, nur weil sie auf der Flucht sind, weil sie nach Perspektiven ohne Bedrohung ihres Leibes, ihres Lebens, ihrer Kinder, ihrer Familien suchen und sich eine Existenz aufbauen müssen und wollen. Das sollten wir uns wirklich nicht mehr leisten. Insbesondere habe ich dort den Abschiebeknast in Grünau im Blick, der wirklich endlich abgeschafft gehört.
Aber unerwähnt lassen will ich auch nicht den Flughafenasylknast, in dem Asylbewerberrechte eingeschränkt werden und die Menschen in Kurzverfahren abgeschoben werden sollen. Für Sie zur Information: 14 000 Euro Miete kostet diese Einrichtung, die schon in Betrieb genommen wurde. Bislang wurden lediglich 4 Menschen – aus Syrien wohlgemerkt – dort inhaftiert, weil man Zweifel daran hatte, dass ihre Asylanträge hier ordentlich bearbeitet werden können. Ich frage mich wirklich, wer auf so eine Idee kommt, dass Flüchtlinge aus Syrien in so einen Flughafenasylknast geschoben werden. Deshalb ist für mich deutlich: Wer Knäste schafft, will sie füllen. Deswegen am besten erst gar nicht bauen!
Das Arbeitsverbot wurde angesprochen, und ich will auch in dem Zusammenhang erwähnen, dass es mich wirklich freut, dass die Bundesmigrationsbeauftragte das Thema angesprochen hat und dass sie sich dafür engagieren will. Da ist mir jede und jeder recht, wenn die Ansicht stimmt. Ich hoffe, sie könnte sich innerhalb der Bundesregierung auch tatsächlich dafür erfolgreich einsetzen. Denn Arbeitsverbote für Asylbewerberinnen und Asylbewerber versetzen diese genau in den Stand, dass sie abhängig von staatlicher Leistung, dass sie depressiv werden. Das ist eine entwürdigende Maßnahme. Deshalb würde ich sagen, es ist eines der wesentlichen Instrumente, um die Menschen selbstbestimmt ihr Leben leben zu lassen, wenn sie von ihrer eigenen Arbeit leben können. Dann können sie sich auch andere Unterkünfte leisten. Deshalb ist das Arbeitsverbot eines der wesentlichen Dinge, die abgeschafft gehören.
Ein weiteres Verbot, das mich wirklich immer sehr wütend macht und das auch für uns Deutsche nicht gilt, ist das Bewegungsverbot. In unserem Grundgesetz ist verbürgt, dass wir uns in unserem Land frei bewegen dürfen. Ich frage mich wirklich: Dieses unsinnige, rein deutsche Prinzip der Residenzpflicht, des Bewegungsverbotes für Migrantinnen und Migranten, die die meisten Flüchtlinge dann ja sind – warum leisten wir uns das? Das gehört zuvörderst abgeschafft. Da will ich aber nicht unerwähnt lassen, dass es in Berlin nicht gilt, weil wir als ein Gebiet gelten, und dass wir zum Glück in der Vergangenheit auch in Brandenburg einiges auf den Weg gebracht haben, und wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass sich im gesamten Bundesgebiet alle Menschen frei bewegen dürfen.
Es wurde heute schon einmal erwähnt, dass es ein Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz gibt. Ich würde Sie alle
einladen, sich das mal anzuschauen, dort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Wenn Sie vielleicht das eine oder andere noch zu Hause haben, was die Leute dort brauchen könnten, bitte ich Sie auch, sich dort solidarisch zu zeigen und insoweit einzubringen. Sie müssen sich dort nicht outen. Sie können das auch ganz anonym machen, wenn es im Widerspruch zu der einen oder anderen hier getätigten Äußerung stehen sollte.
Täglich sehen wir alle die Bilder von den Menschen in den Ländern, aus denen viele Flüchtlinge kommen. Ich will die Zahlen nennen, weil hier immer wieder von Überfüllung und „viel“ geredet wurde: Derzeit kommen aus Syrien – das geht aus einer Auskunft im Bundestag hervor – 3 721 Flüchtlinge. Aus Afghanistan kommen 5 368 Flüchtlinge, aus dem Irak 3 931 Menschen. Ich frage Sie wirklich: Wenn Sie sich die Fernsehbilder anschauen, wie dort mit den Menschen umgegangen wird, wie sie dort um Leib und Leben fürchten müssen, ganz zu schweigen von anderen fehlenden Menschenrechten, die für uns selbstverständlich sind – können Sie sich da wirklich vorstellen, dass es nicht unsere Pflicht ist, denen zu helfen? Ich finde den eigentlichen Skandal, dass es Deutschland immer noch nicht geschafft hat, insbesondere syrische Flüchtlinge aufzunehmen, wie dies unsere Bundestagsfraktion schon länger fordert.
Auch ich wurde in den letzten Tagen häufig angesprochen: Viele Menschen machen sich Sorgen um unseren Verfassungsminister, den CDU-Minister Friedrich. Er lässt jeglichen Respekt gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vermissen. In einer billigen Polemik, die wahrscheinlich tatsächlich im Zusammenhang mit den Wahlen in Niedersachsen und Bayern steht, betreibt er gerade auf dem Rücken der Schwächsten eine Politik, die unwürdig ist. Da bitte ich alle, die irgendwie in die Nähe des Ohres dieses Mannes kommen, sich einzusetzen, dass er endlich damit aufhört.
Für mich persönlich war ein Aspekt im Zusammenhang mit der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz besonders wichtig. Dort wurde von einem Richter gesagt, dass es doch wohl nicht unserer Verfassung entsprechen kann, dass die Sätze so niedrig sind und so abgesenkt werden, um die Menschen abzuschrecken, um sie verhungern zu lassen, wenn sie schon hier sind, damit sie unser Land wieder verlassen. Ja, diesem Richter stimme ich voll und ganz zu! Das darf und sollte nicht unser Politikansatz sein.
Damit Sie sich davon ein Bild machen können, will ich Ihnen aus meiner Kleinen Anfrage vom 13. September
dieses Jahres die Sätze, die für Asylbewerber in der Vergangenheit galten und die heute gelten, vorlesen. Ein sechsjähriges Kind bekam bis letzten Juli – also vor der Gerichtsentscheidung – 132 Euro. Davon muss man einen ganzen Monat ein sechsjähriges Kind ernähren. Jetzt erhält es nach den SGB-Regeln 238 Euro. Fragen Sie alle in Ihren Wahlkreisen, wie schwer die Menschen mit diesem Satz überhaupt hinkommen. Insoweit wird es immer noch sehr schwer für die Flüchtlinge sein, auch davon die Bedürfnisse ihrer sechsjährigen Kinder zu erfüllen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz ist ein schreckliches Sondergesetz gewesen, das wir uns schon viel zu lange, nämlich 20 Jahre, geleistet haben. Hier und jetzt bitte ich Sie darum, fordere Sie aber auch auf, dieses unwürdige Gesetz endlich zu begraben. Stimmen Sie unserem Antrag zu! – Danke schön!
Danke, Frau Kollegin Bayram! – Für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Juhnke das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Juhnke!