Protocol of the Session on September 27, 2012

Der Innensenator hat bereits im März von dem V-Mann erfahren und sich für die Methode Helmut Kohl entschieden: Aussitzen. Jetzt, wo Sie in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind, versuchen Sie sich hektisch in Schadensbegrenzung. Ein Sonderermittler, dessen rechtliche Position und Befugnisse unklar sind oder die polizeiliche Ermittlungsgruppe – diese Aufklärungsarbeit hätten Sie bereits im März veranlassen können und müssen. Das gleicht einem Eingeständnis Ihrer eigenen Untätigkeit. Es wäre so nötig gewesen und so angemessen für einen Innensenator, in den vergangenen zehn Monaten daran mitzuarbeiten, das Versagen der Sicherheitsbehörden aufzuklären und verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Herr Henkel! Sie haben sich und Ihr Amt als Innensenator beschädigt, doch der Regierende Bürgermeister hat die Linie vorgegeben: Man leugnet seine Fehler, und man zieht selbstverständlich keinerlei Konsequenzen. Mit Verantwortungsbewusstsein hat das alles nichts mehr zu tun. Das ist noch nicht einmal mehr aussitzen, das ist nur noch an einen Stuhl festklammern, und je mehr der Stuhl wackelt, umso fester.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Lachen bei der CDU]

Wir reden hier nicht über eine Lappalie, wir reden hier darüber, dass beim LKA Berlin zehn Jahre lang ein Helfer der NSU-Terrorzelle als V-Mann tätig war und das LKA diesen V-Mann bezahlt hat, einen Informanten, der in den Neunzigerjahren eine Größe in der sächsischen Neonaziszene war, mehrfach verurteilt, u. a. wegen Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und gefährlicher Körperverletzung. Die sogenannte Vertrauensperson ist von Ende 1996 bis April 1997 mit der NSU-Terroristin Beate Zschäpe liiert gewesen. Herr Kollege Kleineidam! Diese Tatsache war den Behörden in Thüringen bereits 1998

bekannt. Einen Informanten, der dem Terrortrio Sprengstoff besorgt hat und ihm beim Untertauchen geholfen hat, dieser Nazi ist zehn Jahre lang V-Mann beim Berliner LKA gewesen und hat fünf Hinweise auf das Terrortrio gegeben. Diese Hinweisen hat das LKA scheinbar nicht weitergegeben, sondern für sich behalten.

Da stellen sich nicht nur mir, sondern auch vielen anderen viele Fragen, z. B., ob so jemand überhaupt als V-Mann geführt werden darf. Aus Sicht des LKA Sachsen war er damals nicht geeignet. Auch nach den Kriterien des Berliner Verfassungsschutzes hätte er nicht geführt werden dürfen. Warum war der Spitzel so lange auf der Gehaltsliste der Berliner Polizei? Allem Anschein nach war das LKA nicht in der Lage, einen V-Mann zu führen. Nach allem, wie es sich bisher darstellt, scheint es sogar andersherum gewesen zu sein: Der V-Mann hat das LKA in die Irre geführt. Angesichts dieser Ungeheuerlichkeit fragt man sich: Was kommt da eigentlich noch? Kommt da noch mehr? Während Sie von Quellenschutz sprechen, gibt dieser Mann bereitwillig Interviews. Herr Henkel! Frau Koppers! Fühlen Sie sich nicht hinters Licht geführt?

Schon jetzt ist klar: Daraus muss man Konsequenzen ziehen. Der Einsatz von V-Leuten gehört auf den Prüfstand. Dazu zählen stärkere Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle, Einführung des Vieraugenprinzips, Richtervorbehalt oder klare Kriterien der Aktenführung. Auch die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz gehört auf den Prüfstand. Der Verfassungsschutz Berlin wusste nichts von dem LKA-V-Mann. Man kann also derzeit nicht ausschließen, dass Mehrfachtätigkeiten von Spitzeln vorhanden sind. Der vertrauenswürdige Nazi als Doppelverdiener? Das ist weder verständlich noch vermittelbar.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Der Schutz solcher Quellen kann auch kein Argument sein, Straftaten nicht zu verhindern und den Schutz der Bevölkerung hintanzustellen.

Kein Jahr ist die große Koalition in Berlin alt, sie steckt seitdem in der Krise. Der politische Frühling ist ausgefallen. Was Sie den „Herbst der Entscheidungen“ nennen, ist in Wirklichkeit schon Winterstarre.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Simon Kowalewski (PIRATEN) – Zurufe von der SPD und der CDU]

Es ist definitiv keine politische Strategie, von einem politischen Skandal durch einen anderen abzulenken. Womit hat Berlin es verdient, von einem schwarzen Pinocchio und einem roten Bruchpiloten regiert zu werden?

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Mit Blick auf die Dimension der politischen Krise muss ich feststellen: Es sind in den vergangenen zehn Monaten,

seitdem Sie versuchen zu regieren, schon Senatoren wegen weniger zurückgetreten worden.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Ich erinnere noch einmal daran, weil ich davon ausgehe, dass wir unsere Arbeit und unsere Beschlüsse ernst nehmen: Wir haben miteinander einstimmig beschlossen:

Die Hinterbliebenen der Mordopfer wie auch die Öffentlichkeit haben Anspruch auf schnelle und vollständige Aufklärung, die die Defizite der Ermittlungen klar benennt. Wir sind entschlossen, sowohl die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten vertieft fortzusetzen als auch die unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen. Aus Fehlern müssen die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.

Jeder Einzelne von uns, insbesondere die Koalitionsangeordneten sollten sich fragen, ob unsere einstimmige Beschlusslage in den letzten zehn Monaten von diesem Senat nicht mit Füßen getreten wurde.

Frau Kollegin! Sie kommen bitte zum Ende.

Damit sind wir – ich komme zum Schluss – als Parlament mehr denn je gefragt, unser Versprechen einzulösen und unserem Beschluss gerecht zu werden. Das sollten auch die Fraktionen von SPD und CDU ernst nehmen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Juhnke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, das, was Frau Herrmann hier gerade theatralisch zum Besten gegeben hat, war ein beredter Beweis dafür, dass Sie seit der Sondersitzung des Innenausschusses nichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben, und Sie wollten es auch nicht.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Bereits die letzten Tage waren lediglich geprägt durch viel Tamtam der Opposition, durch viel Skandalgeschrei und durch eine zumindest für mich beispiellose Aneinanderkettung und Vermengung von Informationsschnipseln, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden, um sie

dann jeden Tag möglichst wieder als neu verkaufen zu können.

Da hilft es nur, noch einmal – für diejenigen, die dabei waren, zum dritten Mal – die Fakten entgegenzuhalten. Dann stellen wir bezüglich der Handlungen des Innensenators fest: Es hat weder eine Vertuschung von Informationen gegeben,

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Lesen Sie doch einfach den Brief vor!]

es hat weder eine Verschleierung von Informationen gegeben, es sind weder Akten geschreddert worden oder waren unauffindbar, noch wurde im Parlament oder in den Ausschüssen die Unwahrheit gesagt.

[Martin Delius (PIRATEN): Die Wahrheit ausgelassen!]

Im Gegenteil: Die Polizei hat im März unverzüglich gehandelt, und der Innensenator hat bisher eine umfassende Aufklärung betrieben und wird diese fortsetzen.

[Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Herr Albers! Ich habe immer große Sorgen, wenn Sie sich so sehr aufregen. Denken Sie daran, wenn bei Ihnen die Festplatte durchdreht und Sie umfallen: Es ist kein Arzt mehr da, der Ihnen helfen kann!

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Machen Sie sich keine Sorgen! – Martina Michels (LINKE): Der Stil ist unerträglich! – Weitere Zurufe von der Linken]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Entgegen der in Inquisitionsstimmung vorgebrachten gespielten Empörung der Opposition – Sie haben gerade ein Beispiel davon erlebt – hat sich an dem Sachverhalt, wie er in der Sondersitzung des Innenausschusses vom Senator und der Polizei vorgetragen wurde, inhaltlich kein Jota verändert. Der Generalbundesanwalt – dazu hat Herr Kleineidam schon eine Menge ausgeführt, ich möchte aber noch auf einen Aspekt hinweisen – hat schon am 13. September ausdrücklich erklärt, dass er die Sorge hatte, dass eine Übermittlung der Erkenntnisse an Dritte die laufenden Ermittlungen hätte gefährden können. Deshalb hat der GBA selbst die Informationen vier Monate lang als vertraulich behandelt.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Ich glaube, damit ist auch zu dieser Diskussion alles gesagt.

Es gab nie einen Grund, an der Darstellung der Polizeivizepräsidentin zu zweifeln, und es war ebenfalls zu keiner Zeit beabsichtigt, die Informationen dem Untersuchungsausschuss vorzuenthalten. Warum hätte man auch eine solche Dummheit begehen sollen?

[Martin Delius (PIRATEN): Weil man dumm ist!]

Die Vorgänge liegen zehn Jahre zurück. Keiner der jetzt Verantwortlichen – – Herr Präsident! Vielleicht können Sie den Herrn in die Schranken weisen. So langsam reicht es! – Die Vorgänge liegen zehn Jahre zurück. Keiner der jetzt Verantwortlichen, vom LKA-Chef über die Polizeivizepräsidentin bis zum Senator, war damals im Amt. Im Übrigen hat Frau Koppers in ihrem Anschreiben an den GBA ja gerade deutlich gemacht, dass die Berliner Polizei das Ziel verfolgt, grundsätzlich alle Bezüge des V-Manns zum NSU offen zu kommunizieren, und entgegen dem Geschrei der Opposition bleibt wahr: Der Senator hat auch nicht gelogen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von der LINKEN]

Auf die Frage nach einer Informationszurückhaltung beim Verfassungsschutz in der Fragestunde wurde nach bestem Wissen geantwortet, denn erstens geht es bei diesem Vorgang nicht, wie nachgefragt wurde, um den Verfassungsschutz. Zweitens wurde das Ergebnis der Aktenrecherche beim LKA ja unverzüglich und schon vor Monaten weitergeleitet. Und in Unkenntnis der konkreten Vorwürfe aus dem Deutschen Bundestag zu diesem Vorgang aus dem März keinen Zusammenhang hergestellt zu haben, kann man wohl dem Senator nicht ernstlich vorwerfen.

[Doch! von den GRÜNEN]

Ja, Sie können alles vorwerfen, machen Sie auch seit zwei Wochen. Aber die Frage ist immer: Was davon ist fundiert? – Leider sehr, sehr wenig!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Darüber hinaus gibt es auch durch diesen Vorgang keine neuen Erkenntnisse bezüglich der Tätigkeit oder der Straftaten des NSU in Berlin. Dazu lagen vorher keine positiven Erkenntnisse vor, und daran hat sich auch nach diesem Vorgang nichts geändert. Insofern ist dieses auch konform mit den Aussagen, die der Senator im Verfassungsschutzausschuss oder anderswo getätigt hat.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Ich werde keine Zwischenfragen zulassen. Wir haben ja das schöne Mittel der Kurzintervention. Das ist sowieso viel besser, um die als Frage verkappte Meinung darstellen zu können.

Ein aktueller Vorgang, der ebenfalls zur Sprache gebracht werden muss, ist folgender: Seitdem die Akten in Berlin dem Parlament zugänglich sind, werden mehr und mehr Daten, die eigentlich vertraulich sind, öffentlich.