Protocol of the Session on September 27, 2012

In der Öffentlichkeit sind in den letzten Tagen durch missverständliche Äußerungen oft falsche Eindrücke erweckt worden. Da wurde erklärt, die Berliner Polizei habe jahrelang mit einer Vertrauensperson zusammengearbeitet, die Kontakt zu den Mitgliedern der sogenannten NSU gehabt habe. Das ist formal richtig. Tatsächlich arbeitete die Berliner Polizei aber gut zehn Jahre mit einer Vertrauensperson aus der rechten Szene zusammen, um Informationen über rechte Konzerte, Musik-CDs und das diesbezügliche Umfeld zu erlangen. Erst rückblickend ist deutlich geworden, dass dieser Mann direkte Beziehungen zu der Terrorzelle aus Zwickau hatte und dass im Jahr 2002 vage Hinweise auf den Aufenthalt von drei Personen gemacht wurden, die wegen Sprengstoffdelikten gesucht wurden.

Was ist in Berlin und im Verantwortungsbereich der Berliner Polizei passiert? – Es ist hier noch einmal deutlich zu betonen, dass wir ausschließlich über Vorgänge bei der Berliner Polizei und nicht über den Berliner Verfassungsschutz reden, auch wenn das in der Öffentlichkeit immer wieder durcheinandergebracht und falsch dargestellt wird. Einer Aufklärung nutzt es ferner wenig, wenn nach schlimmen Vorgängen bei anderen Sicherheitsbehörden einfach davon ausgegangen wird, dann müsse es in Berlin auch so schlimm gewesen sein. Wer die Aufklärung mit fertigen Wertungen beginnt, handelt nicht nur schlampig, sondern wird im Zweifel auch wichtige Punkte übersehen. Für die Grünen in diesem Hause war von Anfang an klar, dass es sich in Berlin um ebenso skandalöse Vorgänge handelt, die aufgeklärt werden müssen. Deshalb muss ich hier noch mal festhalten: In Berlin sind keine Akten geschreddert oder vernichtet worden. Im Gegensatz zu anderen Behörden in anderen Ländern hat unsere Polizei umgehend, nachdem sie Kenntnis von den Vorgängen hatte, die oberste Anklagebehörde dieses Landes informiert.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Woher wissen Sie das eigentlich so sicher?]

Das hat der Generalbundesanwalt so bestätigt. In Gesprächen mit dem GBA wurde dann geprüft, wie störungsfreie Ermittlungen sichergestellt, die schutzwürdigen Interessen der Vertrauensperson gewahrt und die Informationen des Bundestagsuntersuchungsausschusses sichergestellt werden können. Wenn der GBA heute meint, vermeintliche Absprachen dementieren zu müssen, muss er sich fragen lassen, warum er selbst nicht im März 2012 bereits den Untersuchungsausschuss informiert hat, sondern erst am 24. Juli 2012. Mir hat sich bisher nicht er

schlossen, warum der GBA hier einen Streit aufgemacht hat, der zusätzlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Sicherheitsbehörden erschüttert. Denn was müssen die Bürgerinnen und Bürger davon halten, wenn die oberste Anklagebehörde des Landes und die größte deutsche Polizeibehörde scheinbar nicht wissen, was sie miteinander vereinbart haben? – Das tatsächliche Verhalten des GBA hat jedenfalls die Angaben der amtierenden Berliner Polizeipräsidentin immer wieder bestätigt: Er informierte den Untersuchungsausschuss des Bundestags erst einmal nicht, sondern führte seine Ermittlungen durch. Und als eine Störung dieser Ermittlungen nicht mehr zu befürchten war, wurde der Ermittlungsbeauftragte des Untersuchungsausschusses am 24. Juli über den Berliner Sachverhalt informiert. Warum der Ermittlungsbeauftragte dann von Ende Juli bis zum 13. September brauchte, um die Obleute des Untersuchungsausschusses zu informieren, ist bis heute ein Geheimnis im Bereich der Organisationshoheit des Untersuchungsausschusses.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir in Berlin konnten dagegen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Innensenator und der amtierenden Polizeipräsidentin erleben, auch wenn offensichtliche Versuche, zwischen beide einen Keil zu treiben, erfolglos blieben.

[Zuruf von den PIRATEN: Das hat doch der Senator gemacht!]

Die mussten erfolglos bleiben, da die Zusammenarbeit offensichtlich auch unter dem heftigen öffentlichen Druck gut, eng und vertrauensvoll blieb.

Udo Wolf hat im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Vorgängen von einer Seifenoper gesprochen. Der Vorsitzende der Oppositionsfraktion Die Linke meinte damit zwar den Innensenator. Die echte Seifenoper wurde in den Ausschusssitzungen allerdings von den Grünen inszeniert. Die immer wieder vorgeführten theatralischen Auftritte des grünen Fraktionsgeschäftsführers – –

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Haben Sie mit Frau Högl geredet?]

Sie haben Probleme mit dem Zuhören, das ist bekannt.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Aber das fällt auf Sie zurück. Vielleicht können Sie sich das doch einmal anhören. Man muss sich ja inzwischen von der Grünen-Fraktion auch persönlich beleidigen lassen in Ausschusssitzungen, das ist alles nichts Neues mehr. Da irritiert mich Ihr Dazwischenrufen nun überhaupt nicht mehr.

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Die immer wieder vorgeführten theatralischen Auftritte des Grünen-Fraktionsgeschäftsführers haben sich so totgelaufen, dass es inzwischen wirklich schwerfällt, Herr

Lux, da noch eventuelle Inhalte herauszuhören. Aber offensichtlich ging es auch nicht um Aufklärung, sondern simpel um taktische Spielchen. Der Kollege Lauer hat es in der „Abendschau“ deutlich angesprochen: Wenn die Grünen – so die Theorie – nur ordentlich Stimmung machen und schnell einen Untersuchungsausschuss bezüglich der Vertrauensperson beim LKA ins Leben rufen könnten, würde der Vorsitz dieses Untersuchungsausschusses an die Piraten gehen, und die Grünen könnten den Vorsitz im Untersuchungsausschuss BER kriegen. Diese Spielchen waren zu durchsichtig, als dass sie Erfolg haben könnten.

Vor allem entlarven sie aber die vermeintliche und immer wieder vorgetragene große Sorge der Grünen um Opfer und Angehörige. Eine ordentliche und vollständige Aufklärung erfordert ein strukturiertes, sachorientiertes Arbeiten. Wer ständig alle Fakten durcheinander wirft, ist eher auf Effekthascherei aus, behindert aber die vollständige Aufklärung.

[Joachim Esser (GRÜNE): Dann hätten Sie aber diese Rede nicht halten dürfen!]

Besonders deutlich wurde diese Verhaltensweise bei der Frage, welche Akten den Abgeordneten vorzulegen sind. Tatsächlich – das räume ich auch ein – haben wir es im Innenausschuss alle miteinander versäumt, einen klar definierten Akteneinsichtsantrag zu stellen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich gemeinsam mit dem Kollegen Lux die Ansicht vertreten habe, die Berliner Abgeordneten sollten den gleichen Kenntnisstand wie die Mitglieder des Untersuchungsausschusses im Bundestag haben, wenn es um Berliner Vorgänge geht. Da waren wir völlig einer Meinung. Und der Innensenator hat uns letztlich daraufhin zugesagt, uns die gleichen Akten wie dem Bundestagsuntersuchungsausschuss vorzulegen, nämlich die Akten, die sich auf die Vorgänge um die Vertrauensperson beziehen. Nun kommt der Kollege Lux und wirft dem Innensenator vor, die Akten seien unvollständig. Es fehlen nämlich nach seiner Ansicht die Akten über die Vorgänge im Jahr 2012.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schillhaneck?

Ich habe leider nur noch ganz wenig Zeit, und ich würde gern meine Rede zu Ende bringen.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Vielleicht darf ich trotzdem ausreden, auch wenn es den Grünen bekanntlich schwerfällt zuzuhören.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Der Kollege Lux hat also aus seiner Sicht fehlende Akten moniert, die wir nie angefordert haben. Insofern mussten die Akten unvollständig sein.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Doch! Ich habe sie angefordert!]

Den NSU-Komplex vollständig aufzuklären bedeutet, auf drei Ebenen aufzuklären:

Erstens muss die versäumte strafrechtliche Aufklärung vollständig erfolgen. Gleichzeitig muss offengelegt werden, welche Behörden welche Informationen hatten, die zu einer früheren Aufklärung hätten beitragen können. Dazu gehört auch die Frage, was bei der Berliner Polizei im Jahr 2002 passiert ist, wie die Informationen weitergegeben wurden. Da sind wir noch am Anfang der Aufklärung. Wir haben uns in anderen Fragen verloren.

Zweitens hatten wir in Berlin zu klären, wie im Jahr 2012 mit den Informationen umgegangen wurde. Das haben wir aus meiner Sicht zum großen Teil erledigt.

Der wichtigste Punkt – drittens – scheint mir allerdings die Analyse der einseitigen Ermittlungsarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden in den letzen zehn Jahren zu sein. Die Ursache der Ermittlungspannen ist aus meiner Sicht weniger in der Organisation unserer Sicherheitsbehörden zu suchen als vielmehr in einer gesamtgesellschaftlichen Verdrängung. Eine solche Mordserie von rechtsextremistischen Tätern schien für viele Menschen einfach undenkbar zu sein. Hier allein bei der Polizei die Versäumnisse zu suchen, erscheint mir zu kurz gegriffen. Ich glaube, wir sind alle gefordert, uns selbstkritisch zu hinterfragen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Herrmann das Wort. – Bitte schön!

[Michael Schäfer (GRÜNE): Das nächste Mal soll die SPD Frau Högl schicken!]

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kleineidam! Sie mussten ja die Hälfte Ihrer Redezeit darauf verwenden, über die Grünen-Fraktion zu reden, und hatten wenig zum eigentlichen Sachverhalt zu sagen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Im November des vergangenen Jahres hat das Bekanntwerden der Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund das Land erschüttert. Der Bundestag, die Bundesregierung und wir haben ein

Versprechen abgegeben. Wir haben einstimmig einen Beschluss gefasst, die Vorgänge um die größte rechtsextreme Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik schnell und vollständig aufzuklären und Konsequenzen aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden zu ziehen. Wir sind es den Opfern, ihren Angehörigen und der Öffentlichkeit schuldig, dieses Versprechen zu halten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Heute wissen wir, die Sicherheitsbehörden waren nicht nur nicht in der Lage, die Morde zu verhindern, die Menschen zu schützen und dem rechtsextremen Terror ein Ende zu setzen, nein, es wurde nicht einmal erkannt, dass es sich um rechten Terror handelt, es wurden die eigenen Angehörigen beschuldigt, verdächtigt, und viel mehr noch: Die Sicherheitsbehörden sind selbst verstrickt in die Geschehnisse rund um den NSU, und mittlerweile steckt auch Berlin im NSU-Sumpf.

Der amtierende Innensenator hat zwar nicht die Zustände vor seiner Amtszeit zu verantworten, aber den Versuch der Vertuschung und die Vorenthaltung von Akten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der CDU]

In den anderen Bundesländern war es selbstverständlich möglich, dem NSU-Untersuchungsausschuss Akten zu übermitteln und die eigenen Parlamente zu informieren. In Berlin war das nicht der Fall. Sie, Herr Innensenator, haben sich in Widersprüche verstrickt und die Aufklärung blockiert. Sie haben mit Nebelkerzen geworfen, wo Klarheit nötig gewesen wäre.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vor zwei Wochen haben Sie im Parlament den Überraschten gespielt, als herauskam, dass das Berliner LKA zehn Jahre lang einen Helfer der NSU-Terrorzelle als V-Mann beschäftigt hatte. Einen Tag später, am 14. September, mussten Sie einräumen, dass Ihnen der Vorgang um diesen V-Mann bereits seit März bekannt war. Am darauffolgenden Dienstag, dem 18. September, haben Sie im Rahmen der Sondersitzung des Innenausschusses erklärt, Sie hätten zwar über diese Tatsache Bescheid gewusst, aber der Generalbundesanwalt habe Sie gebeten, diese brisante Information bis auf Weiteres geheim zu halten. Der Sprecher des Generalbundesanwalts hat Ihrer Behauptung noch am selben Tag widersprochen. Dieses unsägliche Gezänk mit dem Generalbundesanwalt hat Berlin geschadet.

Warum haben Sie uns nicht alles auf den Tisch gelegt? Warum muss man Informationen Schritt für Schritt erhalten, und dies zum Großteil aus der Presse? Warum haben Sie uns dieses Schreiben aus dem April nicht vorgelegt? Warum muss man das dem „Spiegel“ entnehmen, der das veröffentlicht hat? Sie wären in der Pflicht gewesen, uns diese Informationen allumfänglich vorzulegen. Das

Schreiben, um welches es sich dreht, zeigt, dass der Generalbundesanwalt Sie darauf hingewiesen hat, dass er nicht davon ausgeht, dass die Akten dem Untersuchungsausschuss vorzuenthalten sind. Die Geheimhaltung und Aktenvorenthaltung gegenüber dem Generalbundesanwalt und dem Untersuchungsausschuss und ihr gebrochenes Versprechen, uns im Abgeordnetenhaus zu informieren, das alles ging von Berlin aus.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Am Montag in der „Abendschau“ haben Sie es doch selber gesagt: Ich habe entschieden, und dazu stehe ich auch. – Es ist peinlich, es ist unwürdig, wie Sie versucht haben, sich hinter dem Generalbundesanwalt zu verstecken. Man kann nur spekulieren, warum Sie nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt haben. Tatsache aber ist, Sie haben die Öffentlichkeit und das Parlament über eine Woche lang belogen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Der Innensenator hat bereits im März von dem V-Mann erfahren und sich für die Methode Helmut Kohl entschieden: Aussitzen. Jetzt, wo Sie in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind, versuchen Sie sich hektisch in Schadensbegrenzung. Ein Sonderermittler, dessen rechtliche Position und Befugnisse unklar sind oder die polizeiliche Ermittlungsgruppe – diese Aufklärungsarbeit hätten Sie bereits im März veranlassen können und müssen. Das gleicht einem Eingeständnis Ihrer eigenen Untätigkeit. Es wäre so nötig gewesen und so angemessen für einen Innensenator, in den vergangenen zehn Monaten daran mitzuarbeiten, das Versagen der Sicherheitsbehörden aufzuklären und verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Herr Henkel! Sie haben sich und Ihr Amt als Innensenator beschädigt, doch der Regierende Bürgermeister hat die Linie vorgegeben: Man leugnet seine Fehler, und man zieht selbstverständlich keinerlei Konsequenzen. Mit Verantwortungsbewusstsein hat das alles nichts mehr zu tun. Das ist noch nicht einmal mehr aussitzen, das ist nur noch an einen Stuhl festklammern, und je mehr der Stuhl wackelt, umso fester.