Für die Besprechung beziehungsweise Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Kollegen Schäfer. – Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass sich das Abgeordnetenhaus heute erstmals über das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ verständigt. Deshalb haben wir diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt.
Dieses Volksbegehren hat drei Kernforderungen: erstens die Gründung eines Stadtwerks in Berlin, das in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Einsparungen investiert. Wir als Grüne unterstützen das ausdrücklich, damit Berlin endlich bei den erneuerbaren Energien vom letzten Platz im Bundesländervergleich wegkommt.
Zweitens fordert das Volksbegehren, dass das Land eine Netzgesellschaft gründet, die das Stromnetz betreiben soll. Wir als Grüne sagen unterstützen diese Forderung, weil wir wollen, dass Vattenfall als Grundversorger nicht gleichzeitig Betreiber des Stromnetzes ist. Deshalb ist es richtig, dass es da einen anderen Betreiber gibt.
Drittens fordert dieses Volksbegehren, dass wir endlich die demokratische Kontrolle über diese Gesellschaften stärken. Wir als Grüne sagen: Das ist unbedingt nötig, denn jeder in Berlin weiß: Rot-Schwarz kann keine Unternehmen führen.
Nun empfiehlt der Senat in seiner Stellungnahme – insbesondere den Kollegen aus der CDU- und SPD-Fraktion – die Ablehnung dieses Volksbegehrens. Wenn man sich die Begründung anschaut, sieht man, dass sie haarsträu
bend ist. Da werden Unterstellungen gemacht, die einfach im Gesetzestext nicht zu finden sind. Da wird dem Volksbegehren unterstellt, einkommensabhängige Tarife in einer einzelnen Gesellschaft einführen zu wollen. Das ist natürlich Unfug, weil man dann keinen hat, der die Umverteilung in einer einzelnen Gesellschaft macht. Das wäre unwirtschaftlich. Deshalb sagt der Gesetzesentwurf des Volksbegehrens auch genau das nicht. Es ist eine Unverschämtheit, dass der Senat sich so einen Gesetzentwurf, den 36 000 Menschen in Berlin unterzeichnet haben – davon 30 000 gültig – noch nicht einmal so genau liest, dass er sich auf das bezieht, was darin steht.
Jetzt haben wir vorgestern im Herbst der Entscheidungen – – „Herbst der Entscheidungen“, ich erinnere mich an Angela Merkel im Jahr 2010, da hat sie das auch einmal ausgerufen. Das Ergebnis war das Kippen des Atomausstiegs. Diese Sprachregelung machen Sie sich zu eigen. Das ist ein eigener kleiner Witz.
Vattenfall hat sich damals sehr gefreut. Über Ihren Herbst der Entscheidungen kann sich Vattenfall auch sehr freuen. Denn was haben Sie entschieden? Sie haben gesagt – das Positive zuerst –: Das Hamburger Modell kommt nicht infrage. Aber Sie haben auch gesagt: Entweder hält das Land 51 plus x Prozent an dem Netzbetreiber – oder 0 Prozent. Das eine will die SPD, das andere die CDU. Wo ist denn da die Entscheidung? Das möchte ich einmal wissen.
Zur Gründung eines Stadtwerks haben Sie nichts beschlossen! Sie haben noch nicht einmal das Wenige, das in Ihrem Koalitionsvertrag steht, umgesetzt, nämlich dass Sie die Gründung eines Stadtwerks zumindest prüfen wollen. Noch nicht einmal das ist geschehen. Das ist aber eine der Kernforderungen des Volksbegehrens. Die demokratische Kontrolle öffentlicher Unternehmen war Ihnen ja schon immer relativ wurst.
Was wir dem Senat anrechnen bezüglich seiner Stellungnahme ist: Er ist wenigstens ehrlich. Aber wenn man sich anguckt, was die Koalitionsfraktionen gemacht haben, da möchten wir Sie darum bitten, sich auch einmal ehrlich zu machen. Wollen Sie ein Stadtwerk gründen und es dann auch mit Geld ausstatten, sodass es die Ziele, die in dem Volksbegehren formuliert sind, erfüllen kann? Oder wollen Sie es nicht? Dazu möchten wir heute eine Aussage von Ihnen hören.
Zweitens möchten wir ganz klar wissen : Planen Sie – ob mit 100 Prozent Vattenfall oder 49 Prozent Vattenfall –, dass der Grundversorger hier weiter entscheidenden Einfluss auf die Stromnetzgesellschaft haben soll? Der Grundversorger, dessen eigenes Interesse es ist, soviel Strom zu verkaufen wie möglich, soll der auch die Netzgesellschaft mit oder allein führen? Dazu möchten wir eine Aussage von Ihnen! 51 Prozent plus große Koalition: Da schrillen bei uns die Alarmglocken. Da denken wir an die Wasserbetriebe. Das ist nämlich das Problem, dass Sie sich wieder in die Gefahr begeben könnten, sich von einem Großkonzern über den Tisch ziehen zu lassen. Davor haben wir Angst, und davor warnen wir ganz deutlich.
Deshalb, machen Sie sich endlich ehrlich! Von Ihnen wollen wir wissen: Wollen Sie es richtig oder wollen Sie es nicht? Aber bitte nicht dieses: Wir stimmen zwar zu, und machen dann, was wir wollen, 0 Prozent oder 51 Prozent, wir wissen es nicht. Sagen Sie ehrlich, was Sie wollen! Das sind Sie den Leuten schuldig, die unterschrieben haben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Lieber Herr Kollege Schäfer! Der Weg wird sicher ein langer sein, aber er wird nicht vergeblich sein! – Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Nachbar möchte in Ihrem Garten eine Leitung verlegen, tut das vielleicht ohne Ihre Zustimmung und könnte dann noch kräftige Gewinne mit der Leitung machen – Gewinne, an denen Sie nicht beteiligt werden, sondern für die Sie noch bezahlen müssen, ohne genau zu wissen, welche Gegenleistung Sie bekommen! Wenn Sie die Polizei rufen und die gegen ihren Nachbarn einschreitet, geht er mit allen juristischen Mitteln gegen Sie vor, denn er fühlt sich im Recht. Ist das eine abwegige Vorstellung? – Im Allgemeinen offensichtlich ja.
Wenn es um den Grund und Boden des Landes Berlin geht, ist sie aber Realität. Hier verhält sich der Platzhirsch Vattenfall wie der eben beschriebene Nachbar in Ihrem Garten. Er tut so, als ob ihm der Berliner Grund und Boden selbst gehörte. Außerdem werden Gewinne verschleiert, es wird gegen die Bundesnetzagentur geklagt, und den Berlinerinnen und Berlinern wird die Rechnung für die Stromnetze noch einmal um 50 Millionen Euro pro Jahr erhöht. 50 Millionen Euro! Als Sprecher im
Sonderausschuss „Wasserverträge“ kommt es mir bekannt vor, dass es in einer solchen Situation ein Volksbegehren gibt, um die Netze zurückzuholen.
Viele – auch in diesem Hause – behaupten, dass die Regulierung durch die Bundesnetzagentur streng sei. Deswegen brauche man keine eigenen Netze. Streng mag sie sein, die Regulierung, aber erfolgreich ist sie für Berlin ganz sicher nicht. Unerkannt fließt Jahr für Jahr zusätzlich zum regulären Gewinn ca. 100 Millionen Euro verschleierter Gewinn aus Berlin ab! 100 Millionen Euro, die den Berlinerinnen und Berlinern gehören, die ihnen aber genommen werden, weil Vattenfall mit den Stromnetzen über ein Monopol verfügt, mit dem ihnen das Geld aus der Tasche gezogen wird. Damit muss endlich Schluss sein!
Rupert Murdoch ist für mich kein Vorbild, bestimmt nicht! Aber mit dem Kapitalismus kennt er sich aus. Murdoch hat gesagt, dass ein Monopol eine schreckliche Sache ist, eine schreckliche Sache – jedenfalls solange man selbst keines hat. So ist es auch bei uns. Für die Berlinerinnen und Berliner ist das Stromnetzmonopol eine schreckliche Sache. Für Vattenfall dagegen ist es wunderbar. Es ist wie eine Lizenz, auf Kosten der Kunden Gewinne zu machen, die es im Wettbewerb nie geben würde. Warum sonst gibt es so viele Bewerber um die Netze? Und wieso weigert sich Vattenfall hartnäckig, erforderliche Informationen herauszugeben, die das Land für die Ausschreibung der Konzession benötigt? Die Arbeitsgruppe „Daseinsvorsorge“ der SPD-Fraktion und der Ausschuss für Stadtentwicklung haben Vattenfall wiederholt gebeten, die Geschäftsberichte der Vattenfall Europe Netz Service GmbH zu veröffentlichen. – Vergeblich! Warum wird hier geschwiegen und gemauert? Was will man hier verbergen?
Dass es in so einer Situation ein Volksbegehren gibt, um die Netze zurückzuholen, ist wenig überraschend. Ich finde es bemerkenswert, dass nicht nur die erforderlichen 20 000, sondern über 30 000 Unterschriften gesammelt wurden, und ich finde es noch bemerkenswerter, dass dies flächendeckend in der ganzen Stadt erfolgt ist. Das zeigt, wie sehr die Menschen spüren, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht.
Sie merken: Wenn es schon ein Monopol gibt, dann darf es nicht in den Händen eines gewinnorientierten Unternehmens liegen,
das ihnen das Geld aus der Tasche zieht, sondern in Händen, die am Gemeinwohl orientiert sind, in öffentlichen Händen.
Nun empfiehlt der Senat zwar die Ablehnung des Begehrens, aber in einem entscheidenden Punkt sind sich Senat und Volksbegehren einig: Der sicherste Weg – nicht der einzige, aber der sicherste – zur eigenen Netzgesellschaft ist ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren. In diesem Verfahren müsste die landeseigene Gesellschaft „Berlin Energie“ die höchste Punktzahl von allen Bewerbern erreichen. Damit „Berlin Energie“ dieses Verfahren gewinnt, muss der Senat ein tragfähiges Unternehmenskonzept entwickeln. Die Koalition hat beschlossen, „Berlin Energie“ dafür wettbewerbsfähig auszustatten. Wir müssen das verlorengegangene Vertrauen der Beschäftigten und der Gewerkschaften zurückgewinnen, denn ein effizienter Netzbetrieb wird ohne sie nicht möglich sein. Übernahmeangebote für alle im Netzbetrieb Beschäftigten werden deshalb zu einem wesentlichen Kriterium des Vergabeverfahrens.
Die Energiewende wird in den nächsten Jahren gewaltige Veränderungen bringen. Es werden sich große Chancen ergeben, Chancen, die es zu nutzen gilt für Berlin. Wenn das Wasser wieder in Berliner Hand ist, dann ist die Stadt auch bereit für die nächste Herausforderung: die Strom- und Gasnetze wieder zu übernehmen und nicht mehr dabei zuzusehen, wie Jahr für Jahr Monopolgewinne aus Berlin abfließen. Die Weichen dafür müssen wir heute stellen – mit aller Kraft! – Vielen Dank!
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Karsten! Ich bin völlig einverstanden mit der Rede und dass die Weichen heute gestellt werden müssen – ich stelle nur fest: Der Senat hat mit seiner Stellungnahme zum Volksbegehren die Weichen in die falsche Richtung gestellt!
Ich habe selten eine solch flusige Stellungnahme des Senats gelesen wie diese. Ich hätte ja erwartet, dass sich der Senat vor dem Hintergrund, dass die SPD auf ihrem Parteitag dieses Volksbegehren unterstützt, dass vier von fünf Fraktionen