S-Bahn – Zeit zum Handeln: Gutachten veröffentlichen, Teilausschreibung vorbereiten, landeseigenen Fuhrpark aufbauen
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 22. August 2012 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 12. September 2012 Drucksache 17/0512
Auch hier wieder Redezeit bis zu fünf Minuten. Und für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt der Kollege Gelbhaar, dem ich das Wort erteile. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem kleinen Zitat beginnen: „Kann die Berliner S-Bahn mit der Öffnung des neuen Flughafens BER einen stabilen Fahrbetrieb garantieren?“, fragte vor ca. einem Jahr in einer Mündlichen Anfrage mein geschätzter Kollege Friederici. In dieser Frage stecken ja zwei Fragen. Auf beide darin innewohnenden Fragen haben wir noch keine finale Antwort finden können. Worum es uns aber allen geht, hoffe ich, glaube ich, ist, dass wir für die Zukunft einen zuverlässigen, fahrgastfreundlichen, sozialen und ökologischen S-Bahnverkehr hinbekommen. Dazu sollte der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen dienen, der immerhin aus dem Januar dieses Jahres stammt, also vor rund neun Monaten geschrieben und eingebracht wurde. Natürlich ist dem Antrag jetzt die eine oder andere Überholung anzumerken, z. B. beim Berichtsdatum, aber die wesentlichen Punkte sind weiter drin.
Wir haben schon damals gesagt, wir müssen hier mit einer Teilausschreibung mit einem landeseigenen Fuhrpark losgehen. Und wir haben vor allem gesagt, wir wollen, dass der Senat offenlegt, welche Gutachten er hat, welche Stellungnahmen er produziert hat, damit wir gemeinsam auf einer rechtssicheren Grundlage entscheiden können, was der richtige Weg für Berlin ist. Leider hat es der Senat nicht geschafft, uns diese Gutachten und Stellungnahmen zur Verfügung zu stellen. Leider ist es auch nicht geschafft worden, dass das wissenschaftliche Gutachten dieses Hauses, das im Auftrag einer einzelnen Fraktion erstellt wurde, zur Grundlage der Beratung, auch dieser Beratung, gemacht werden konnte, sondern all das, was ich gerade aufgezählt habe, wird weiterhin unter Verschluss gehalten, wird geheim gehalten. Ich finde, das ist kein ordentlicher, kein richtiger Umgang, und das dient auch nicht der Güte der parlamentarischen Beratung.
Gleichwohl sagen wir, wenn man sich z. B. die Ausschreibung des Senats anschaut: Was fehlt denn da? – Uns fehlen ganz klar, um das mal vorwegzunehmen, Sozialkriterien, die es den Beschäftigten – und an denen liegt es wirklich nicht – möglich macht, sicher über ihre Zukunft Bescheid zu wissen, zu sagen, okay, so geht es in den nächsten fünf, sechs Jahren mit meinem Arbeitsplatz weiter. Wir waren in der letzten Woche bei der S-Bahnbetriebsversammlung. Hunderte S-Bahner saßen vor uns und stellten uns viele Fragen, und die Senatsvertreter hatten darauf keinerlei Antworten, keinen Plan. Es wurde auf gesetzliche Regelungen verwiesen. Mindestlohn gilt in diesem Land, das braucht man in die Teilausschreibung nicht mehr reinzuschreiben, sondern man hätte sich dazu äußern sollen, welche Mitarbeiter betroffen sind, wenn es zu einer Ausschreibung kommt und dann ein anderer Anbieter als die Deutsche Bahn bzw. die S-Bahn gewinnt. Wie wird mit den vielen auch in der S-Bahn beschäftigten Behinderten umgegangen? – Keine Antwort dazu! Das wurde direkt an mich als Frage herangetragen. Keine Antwort des Senats dazu! Wie ist es mit den Arbeitszeiten? Auch das wurde nicht geklärt, denn natürlich ist es klar, wenn ein neuer Anbieter da den Zuschlag erhält, kann sich das auch verändern. Das heißt, all das wurde nicht geklärt. All das ist in keiner Vorlage enthalten. Das kritisieren wir.
Auch zum Thema Atomstrom kein Wort in der Teilausschreibung, ganz im Gegenteil, das ist weiterhin möglich und widerspricht doch damit den Zielen, die landauf, landab hier formuliert werden. Das kritisieren wir heftig.
Wir wollen einen Zugverkehr, der auch ab 2017 sicher ist. Auch das ist infrage gestellt. Mit der Teilausschreibung, die mit der Zugbestellung verknüpft wurde, ist eine erhebliche Unsicherheit entstanden, weil die Teilausschreibung erst im Jahr 2014 mit einem Zuschlag beendet wird. Daran ist die Zugbestellung geknüpft. Wir wissen alle, wir haben es heute auch schon mal besprochen, das kann beklagt werden, das kann jetzt schon am Anfang beklagt werden, das kann nach dem Interessenbekundungsverfahren beklagt werden, das kann am Ende der Vergabe beklagt werden. Daraus ergeben sich erhebliche Unsicherheiten. Das ist eigentlich so aus Berliner Sicht nicht hinnehmbar, weil wir doch alle – und da wiederum betone ich es – das gemeinsame Ziel haben, einen sicheren S-Bahnverkehr ab 2017 auch sicherzustellen. Wir wollen eben nicht noch 100 Millionen Euro drauflegen, damit alte Züge wieder instand gesetzt werden. Deshalb auch noch mal die ausdrückliche Bitte an den Senat: Wir haben es heute gehört, es gibt für diese Möglichkeit keinen Plan, aber für die Variante – es verzögert sich weiter – doch zu prüfen, unter welcher Bedingung man sagen kann, wir brechen an dieser Stelle die Teilausschreibung mit der verknüpften Zugbestellung ab und separieren die Zugbestellung, um da keine weitere Zeit zu verlieren.
Ein letztes Wort zur Parlamentsbeteiligung: Uns war immer wieder versprochen worden, das Parlament wird befasst. Jetzt wurde gesagt: Ja, im Jahr 2014 wird das Parlament befasst. – Dann dürfen wir entscheiden, ob wir dem Vertrag, der dann vorliegt, zustimmen oder nicht. Das ist nicht nur rechtlich auf sehr wackligen Füßen, das ist auch tatsächlich eine Entscheidung –
Ja, dann komme ich zum Ende! –, ob man quasi als Hungernder oder Durstiger das Brot oder die Flasche Wasser nimmt oder nicht. Natürlich werden wir sie dann nehmen müssen, weil wir den S-Bahnverkehr dann nicht einfach liegenlassen können.
Ich glaube, viele Punkte sind gesagt. Das bisherige Vorgehen ist nicht überzeugend. Unser Antrag wäre besser gewesen, wenn wir den so verfolgt hätten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einmal mehr muss ich hier etwas nachgehen und dem Kollegen aus dem Weg räumen: Nicht der Senat war zur Betriebsversammlung nicht aussagefähig, denn der Senat war gar nicht anwesend, er war nämlich nicht geladen. Als Abgeordnete waren wir geladen. Der Senat war im Juni und Mai vor Ort – das ist auch relativ gut dokumentiert – und hat dort auf verschiedenen Ebenen Kommunikation angeboten. Insofern ist die Aussage, dass die Kolleginnen und Kollegen dort Fragen an den Senat hatten und wir die als Abgeordnete nicht beantworten konnten – – Die Zeit läuft noch nicht. Die ist noch bei Null. – Jetzt ist es bei 4:59. Also ich habe jetzt noch mal fünf Minuten für meine kurze Rede.
Wissen Sie, ich habe Ihren Antrag gelesen. Zu dem, was Sie gesagt haben, bestehen zwei große Unterschiede. Das haben Sie auch bei der Betriebsversammlung der SBahner gehört. Die sind nicht sehr glücklich darüber, dass Sie die Zugbeschaffung, den Kauf, die Risiken, die damit verbunden sind, von der Ausschreibung und dem Vergabeverfahren trennen wollen. Im Ausschuss ist ihr Antrag aus diesem Grund und auch aus den Gründen, die Sie auf der Betriebsversammlung der Kolleginnen und Kollegen bei der S-Bahn nicht klar darstellen konnten, abgelehnt worden.
Erstens: Die Grünen können mit ihrer Vorlage nicht klären, an welcher Stelle es eine qualitative Verbesserung zur Kenntnisnahme des Senats gibt.
Zweitens: Wenn es so was gibt wie regierungstätiges Handeln und Erledigung von Anträgen, insbesondere die Frage des Zeitplans – Sie rufen hier einen Antrag auf, der einen dezidierten Zeitplan für die S-Bahnausschreibung will, und diesen gibt es mit der Kenntnisnahme – das sollten Sie auch gelesen haben. Damit wäre dann auch in der Tat der Antrag überflüssig. Der Zeitplan ist vorgelegt, und der Zeitplan wird auch eingehalten.
Was qualitativ den Antrag der Grünen von der Senatsvorlage unterscheidet, ist das Risiko der Finanzierung und Bestellung der Züge. Gehen Sie mal davon aus, dass wir über eine Summe von 600 Millionen reden, die der Senat bei der jetzigen Haushaltslage auch einfach stemmen soll! Insofern – ich beantworte Ihre Zwischenfrage heute mal nicht, Herr Kollege! – ist das der qualitative Unterschied,
Was Sie nicht thematisiert haben in Ihrem Antrag – das halte ich Ihnen ganz deutlich vor –, sind die Fragen zu Tariftreue, Mindestlohn und Arbeitsplatzsicherung. Dass Sie jetzt hier Fragen gestellt haben, z. B. nach den Arbeitszeiten oder der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen bei der S-Bahn – diese Fragen sind nicht Kern Ihres Antrags. Sie müssen sich Ihren Antrag mal durchlesen. Das steht dezidiert entweder in der Vorlage – zur Kenntnisnahme – des Senats oder ist wie beim Thema Menschen mit Behinderungen in Unternehmen auch originäre Aufgabe der Tarifparteien bzw. des Betriebsrats.
Ich nehme auch an, Sie haben deswegen gemerkt, dass bei der Betriebsversammlung der S-Bahner die Trennung von Ausschreibung und Beschaffung, wie Sie sie immer wieder als grünes Mantra vorbeten, auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Insofern glaube ich, dass wir mit der Durchdeklinierung von Tariftreue, also dem Branchentarifvertrag und dem Bundes-Lokführertarifvertrag, dem Mindestlohn – da spricht ja das Berliner Vergabegesetz eine klare Sprache gegen Dumping und Niedrigstlöhne – und sicheren Arbeitsplätzen auch im Übergang deutlich ge
Ich muss noch mal grundsätzlich sagen – das Bekenntnis sollte auch in diesem Haus gegeben werden –, dass die S-Bahn Rückgrat unserer Mobilität in der Stadt ist und wir mit diesem Verfahren einen sicheren, zuverlässigen und preiswerten ÖPNV verfolgen. – In diesem Sinne: Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben dem Antrag in den Ausschüssen nicht zugestimmt, weil der Antrag die Teilausschreibung favorisiert. Es ist bekannt, dass wir diese Teilausschreibung für einen Fehler halten, denn entweder ist sie so gestaltet, dass wir es nur mit der Deutschen Bahn als Bewerber in diesem Verfahren zu tun haben und damit keine Verhandlungsposition des Landes Berlin besteht, sondern wir in der Situation sind wie in der Vergangenheit, dass wir mit der Deutschen Bahn einen Verhandlungspartner haben, der letztendlich die Bedingungen diktieren kann, oder wenn es mehrere ernsthafte Bewerber gibt, birgt die Teilausschreibung das Risiko der Privatisierung des S-Bahnbetriebs. Das halten wir für keine Lösung der S-Bahnkrise. Deshalb können wir diesem Antrag nicht zustimmen.
Was die Beschaffung der Fahrzeuge angeht, haben wir es heute am frühen Nachmittag in der Fragestunde angesprochen: Da sehe ich in der Tat ein Problem. Das ist ein Unterproblem bei der Ausschreibung, weil durch diese Kopplung der Fahrzeugbeschaffung an die Ausschreibung die Fahrzeugbeschaffung erst nach der Vergabe, also frühestens im Jahr 2014, ausgelöst werden kann, denn kein Bewerber wird sich in einer Situation, wo nicht klar ist, dass er diesen Auftrag bekommt, in das Risiko begeben, Fahrzeuge zu bestellen. Insofern laufen wir in die Situation, dass frühestens 2014 – jetzt mal alle Unwägbarkeiten mit rechtlichen Angriffen auf das Vergabeverfahren beiseite, das erste Beispiel haben wir jetzt schon mit der Beschwerde der S-Bahn, inwieweit andere das noch angreifen, muss man abwarten – die Fahrzeugbestellung eingeleitet werden kann, wenn wir Pech haben, erst 2015 plus das Risiko, dass die Fahrzeuge ertüchtigt und weiter von der S-Bahn eingesetzt werden sollen, um die Zeit zu überbrücken, bis die neuen Züge da sind, was erstens technische Risiken birgt und zweitens noch das Risiko, ob diese Züge überhaupt vom Eisenbahnbundesamt zugelassen werden.
Insofern wäre es richtig, diesen Prozess der Fahrzeugbestellung zu beschleunigen. Die einzige Möglichkeit der Beschleunigung ist, dass das Land Berlin diese Bestellung auslöst. Ich plädiere dafür jetzt nicht mit dem Argument der Grünen, die sagen: Wenn das Land Berlin die Fahrzeuge bestellt, dann ist die Möglichkeit gegeben, dass der Wettbewerb noch optimaler und freier ist –, sondern das Problem ist: Kriegen wir die S-Bahn 2017 wirklich funktionstüchtig, oder haben wir wieder ein Riesenproblem, weil die notwendigen Züge und Fahrzeuge nicht vorhanden sind?
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt nennen. Das Thema Tariftreue und Mindestlohn muss nun nicht laufend betont werden. Das ist zwingend vorgeschrieben im Berliner Vergabegesetz. Für den Personennahverkehr ist auf Grundlage der EU-Verordnung 1370 auch die Tariftreue zulässig und im Vergabegesetz vorgeschrieben. Das sind alles keine Großtaten, sondern da hat sich der Senat einfach an die geltende Gesetzeslage gehalten. Das Problem, das in der Tat ein ernsthaftes ist, ist – das stellen sich die Kollegen ja als Frage –: Was bedeutet die Tatsache, dass mit der Teilausschreibung das, was gegenwärtig an Geschäftsbesorgung vonseiten der S-Bahn für die Netzinstandhaltung, die Werkstätten etc. geleistet wird, aufgelöst werden muss, das heißt, ein funktionierender Organismus letztendlich wieder auseinandergenommen wird? Und was heißt das für den Übergang der Beschäftigten? Diese Fragen sind ungelöst. Es war nicht so, dass hier irgendeine Seite nicht auf Begeisterung gestoßen ist bei den Beschäftigten der S-Bahn, sondern deutlich war: Es herrschte eine große Verunsicherung und Ratlosigkeit. Insofern, glaube ich, existiert hier auch noch eine Bringepflicht des Senats,
gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat konkrete Lösungen und Vorschläge zu erarbeiten. Allein damit zu sagen, wir schreiben aus, ist es noch lange nicht getan, sondern es gibt ganz konkrete Probleme im Betriebsablauf, die mit dieser Ausschreibung verbunden sind.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Verkehrsbereich haben sich SPD und CDU sehr ausführlich beim Thema Berliner S-Bahn verständigt, nicht nur, weil wir hier Regelungsbedarf sahen, sondern beide Regierungsparteien sehen bewusst ihre Verantwortung für die Berliner S-Bahn, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Kundinnen und Kunden. Als CDU-Frakti
onsvertreter sage ich auch: Die S-Bahn ist für uns eine der tragenden Säulen des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin und Brandenburg.
Oppositionsanträge sind hier im Hause leider allzu oft Schaufensteranträge, Anträge, die der eigenen Wählerklientel gefallen sollen und oftmals mit nicht erfüllbaren finanziellen Forderungen verbunden sind. Da nehme ich teilweise den vorliegenden Grünen-Antrag – und auch Ihr Engagement, Herr Abgeordneter Gelbhaar – ausdrücklich aus, ist er doch in wenigen Teilbereichen das, was die Koalition längst vereinbart hat und umsetzt oder umgesetzt hat. Daher kommt der Antrag zu spät. Darauf sind Sie vorhin auch schon selbst eingegangen. Denn es ist nicht mehr die Zeit für Gutachten, sondern die Zeit der Taten von Senat und Koalition, und es ist gut, dass wir heute darüber noch einmal berichten können.