Protocol of the Session on September 13, 2012

[Torsten Schneider (SPD): Reden Sie mal zur Sache!]

den Berlin möglicherweise in der Sache NSU und V-Mann verursacht hat. Doch nun zur Sache.

Der Prioritätenantrag der Piraten ist ein sehr wichtiger Antrag auch für unsere Stadt, denn Kollege Dr. Weiß hat ja bereits darauf hingewiesen, dass Berlin der größte Adressenhändler in der Bundesrepublik überhaupt ist. Und wenn es stimmt, dass die SPD-Fraktion und auch der Innensenator, Herr Henkel, wie er sich in den Medien geäußert hat, da noch weitere Einschränkungen will, nämlich dass die Bürgerinnen und Bürger aktiv gefragt werden müssen: Stimmen Sie zu, dass wir mit Ihren Adressdaten handeln? –, dann ist es richtig und gut so, dass wir als Parlament zu einer gemeinsamen Haltung kommen. Deswegen wäre es aber auch nötig, dass wir das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, aus dem Volkszählungsurteil stammend – meine Daten gehören mir, frag mich, wenn du was mit ihnen tun willst, wenn du sie erheben willst, wenn du sie verarbeiten willst –, ernst nehmen. Die Daten gehören den Bürgerinnen und Bürgern, und wir als Staat haben sorgsam mit ihnen umzugehen. Man kann nicht einfach mal so, nur weil – jetzt spiele ich an auf die Bundestagsbeschlussfassung – ein EM-Spiel läuft in einer Hoppla-Hopp-Sitzung mal beschließen: Für gewerbliche Zwecke darf man die Adressdaten verkaufen, ohne dass die Bürgerin, der Bürger zustimmen muss. – So geht es nicht!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich war erstaunt, aber sehr erfreut, dass der Senat, der Regierende Bürgermeister sogar, aber auch Bürgermeister und Innensenator Henkel in den nächsten Tagen gesagt haben, sie seien entsetzt über diese Regelung; sie wünschten sich, dass das geändert wird, und sie würden im Bundesrat alles dafür tun, damit das erreicht wird und die Ursprungsfassung des Gesetzes – nämlich die Bürgerinnen, die Berlinerinnen, der Berliner wird gefragt, ob die Daten weiter gehandelt werden dürfen – wieder in Kraft treten soll. Das ist gemeinsames Anliegen.

Ich war aber trotzdem überrascht, denn Berlin ist einer der größten Profiteure: 1,8 Millionen Datensätze, die im letzten Jahr verkauft worden sind, die abgefragt worden sind. Man kann sich doch nicht wieder bar jeder eigenen Verantwortung zu diesem Thema bekennen. Das liegt schon wieder so nahe. Man beklagt einen Zustand, profitiert aber gleichzeitig von ihm. Und hier ist es sinnvoll, dass wir heute und jetzt dem Piratenantrag zustimmen, und wir verlangen dieses Bekenntnis von Ihnen hier.

Sehr geehrter Herr Kollege Kleineidam! Ich fände es sinnvoll, wenn wir über die formalen Unzulänglichkeiten des Antrags hinwegsehen würden. Er ist trotzdem beschlussfähig. Man weiß, was gemeint ist. Und es ist sinnvoll, ihn jetzt zu bekräftigen. Ich habe Sie nicht verstanden, es ist doch im Prinzip dem Tenor zu entnehmen, worauf die Piratenfraktion hinauswill. Und es wäre sinnvoll, dass das Parlament heute und jetzt sagt: Lieber Senat! Ihr habt die Unterstützung des gesamten Hauses,

wenn ihr euch dafür einsetzt, dass es eben nicht die Vorzugsbehandlung für Adressenhändler, für Leute gibt, die gewerblich mit Daten handeln.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist doch kein Skandal!]

Und es wäre sinnvoll, deswegen heute dem Antrag der Piraten zuzustimmen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Nein, es handelt sich auch nicht um einen Skandal, wenn Sie es nicht tun. Es zeigt aber mal wieder, wie wenig konsequent Sie in Ihrer Haltung sind. Es zeigt auch, wie wenig Sie zugeben wollen, was in Berlin tatsächlich passiert. Denn auch hier liegt es in unserer Verantwortung, sorgfältig mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger umzugehen. Und das tun Sie in dem Fall nicht. Wir haben landesrechtliche Möglichkeiten über Ausführungsvorschriften, über Gebühren, um dem Adressenhandel zumindest Einhalt zu gebieten oder aber auch, um die Hürden zu erhöhen.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist doch gar nicht Ihr Thema!]

Es gibt reihenweise automatisierte Adressenabfragen, bei denen nicht mal nach der Begründetheit gefragt wird, die jedenfalls nur ein bisschen dargelegt werden muss. Und deswegen kommt es zu diesem schwunghaften Adressenhandel in dieser Stadt. Über 1 Million Datenabfragen pro Jahr, Tendenz steigend. Und deswegen ist es ganz klar und sinnvoll, dass wir hier dem Antrag zustimmen, den Datenhandel einzudämmen. Es war ein Skandal in der Sommerpause, als bekannt geworden ist, unter welchen Umständen dieses Gesetz mal so mir nichts dir nichts sagt, hier darf schwunghaft mit Daten der Bürgerinnen und Bürger gehandelt werden. Deswegen ist es richtig, heute hier und jetzt zu sagen: Wir brauchen dazu keine weitere Ausschussberatung mehr. Der Tenor ist völlig klar. Wir können diesen Antrag beschließen. Und dann tun wir das auch. – Danke schön für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Lux! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Dr. Juhnke das Wort. – Bitte sehr!

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jenseits allen Theaterdonners, den Herr Lux zu verbreiten versucht, und Nebels, den er wirft, können wir uns darüber im Klaren sein, dass wir ein Anliegen haben, über das, glaube ich, im Hause Einigkeit besteht. Das hat auch der Senator schon vorher deutlich gemacht durch seine Äußerungen als zuständiger Minister dieses Landes dafür und auch durch entsprechende Voten im Bundesrat. Insofern ist der Drops eigentlich gelutscht, um es mal so vorsichtig zu formulieren. Und insofern weiß ich auch

nicht, weshalb hier eine solche Aufregung verbreitet wird, auch versucht wird, die klaren Aussagen von Herrn Kleineidam ins Gegenteil zu verdrehen. Für die Koalition kann ich sagen, dass wir dieser Intention grundsätzlich folgen werden. Das wird zu einem gemeinsamen konstruktiven Ergebnis führen. Dessen bin ich mir sehr sicher.

Ich möchte aber auch für die CDU-Fraktion ganz deutlich sagen: Ich begrüße es, dass die Bundesregierung es geschafft hat, das Melderechtsrahmengesetz und das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens zu ändern. Und zwar begrüße ich das grundsätzlich aus den Erwägungen, die Berlin ebenfalls stark betroffen haben und von denen Herr Lux nicht gesprochen hat, nämlich dass Berlin überproportional betroffen war von Scheinanmeldungen und auch von dem Handel nicht nur mit Adressen, sondern sogar mit Scheinadressen. Denn das sind die Themen, über die wir uns Gedanken machen müssen. Wenn Strafverfolgung nicht mehr möglich ist, wenn scheinbar banale Dinge wie Lohnsteuerkarten nicht zugestellt werden können, weil ein Großteil der Adressen nicht stimmt, dann sind das Dinge, die uns nicht kaltlassen dürfen und mit denen wir uns beschäftigen müssen.

Deshalb bin ich froh, dass dieses Gesetz verschiedene Änderungen vorsieht, z. B. in § 19 wieder bestimmt, dass der Vermieter beim Ein- und Auszug das bestätigen muss, dass er also eine Mitwirkungspflicht hat, aber auch, dass der Handel mit Scheinadressen – das ist eine Initiative, die aus der Berliner Union unterstützt wurde – eine erhebliche Bußgeldbewährung erfahren hat. Denn das ist ein Skandal, dass im Internet Leute anbieten: Mensch, ich hab´ da ein paar Adressen, wenn ihr da irgendwelche krummen Dinger drehen wollt, dann könnt ihr die bei mir kaufen. – Und das ist dann alles offiziell in irgendwelchen Registern drin. Das kann uns nicht ruhig stimmen.

Herr Dr. Juhnke! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Lux!

Danke schön, Frau Präsidentin! – Herr Kollege Dr. Juhnke! Würden Sie mir denn zustimmen, dass, wenn wir heute den Antrag der Piratenfraktion beschließen, nicht all diese Errungenschaften, die Sie gerade gepriesen haben, in Kraft blieben und es deswegen sinnvoll wäre, dem Antrag einfach zuzustimmen?

Das finde ich ausdrücklich nicht, denn der Antrag lässt offen, ob die anderen Errungenschaften des Meldegesetzes als vernünftig beurteilt werden. Die ersten Formulierungen, die dort drin sind, lassen es zumindest in Zweifel stehen. Es könnte genauso gut gemeint sein, dass man die ganze Melderechtsnovelle in Bausch und Bogen ablehnt. Das ist in der Rede des Kollegen Dr. Weiß so nicht herausgekommen. Aber die Schriftform des Antrags, die letztendlich zählt, ist für mich etwas missverständlich.

Insofern ist die Vorgehensweise, die Kollege Kleineidam skizziert hat, genau die richtige: dass wir das im Innenausschuss besprechen. Dazu ist auch genug Zeit, weil der Vermittlungsausschuss, der angerufen ist, so schnell nicht tagen wird. Deshalb glaube ich nach wie vor, dass es uns dadurch gelingen wird, zu einer gemeinsamen und konstruktiven Initiative zu diesem Thema zu kommen. Denn, wie gesagt, wir sind alle einer Meinung. Der Senat hat es auch schon gesagt. Eigentlich, könnten wir auch sagen, ist der Antrag überflüssig. Aber um diese politische Intention nicht fallenzulassen, werden wir selbstverständlich dort etwas gemeinsam schaffen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Herr Dr. Juhnke! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Doering das Wort. – Bitte sehr!

Meine Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meldedaten sind ein begehrtes Gut bei Wirtschaftsunternehmen und Sicherheitsbehörden gleichermaßen. Deshalb hat der Gesetzgeber nicht nur die Aufgabe, den öffentlichen Stellen ein effizientes und handhabbares Regelwerk für den Umgang mit den Meldedaten in die Hand zu geben, sondern er hat auch die Aufgabe, die gesammelten Daten der Bürgerinnen und Bürger möglichst gering zu halten und sie zu schützen.

[Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE)]

Der zweiten Aufgabe sind CDU und FDP auf der Bundesebene offensichtlich nicht nachgekommen. Den Begehrlichkeiten von Dritten, etwa der Werbemittelbranche oder dem Adresshandel haben CDU und FDP im Bundestag nachgegeben. Der Schutz der Daten bleibt zugunsten von Wirtschaftsinteressen auf der Strecke.

Bereits die von der Bundesregierung eingebrachte Änderung des Meldegesetzes hat gravierende Mängel. Ich betone, das Gesetz insgesamt hat gravierende Mängel. Deshalb hat die Fraktion Die Linke im Bundestag Änderungen des Meldegesetzes scharf kritisiert und abgelehnt. Warum? – Im Gegensatz zu den Forderungen des Bundes- und der Landesdatenschützer werden die erfassten Daten keineswegs auf das für die Kernaufgaben der Mel

debehörden Nötigste reduziert. Ein zentrales Register ist nicht vorgesehen, wohl aber die automatisierte länderübergreifende Zugriff auf die 5 200 Melderegister. Die Sicherheitsbehörden sollen ebenfalls länderübergreifend und rund um die Uhr online auf die Meldedaten zugreifen können. Angesichts der technischen Entwicklung ist das fast so gut wie ein Zentralregister, wogegen sich Datenschützer schon seit Langem wehren.

Nicht zu akzeptieren ist es, dass die Meldebehörden für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften als regelrechte Serviceeinrichtungen fungieren sollen, die auch die Daten der Angehörigen, die nicht Mitglied der entsprechenden Religionsgemeinschaft sind, übermitteln dürfen.

[Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Ich finde es schon einigermaßen schockierend, dass zu diesem ganzen Komplex weder von den Grünen noch von den Piraten etwas zu hören war.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Nein, es ist schon eine Prinzipienfrage, ob Sie dafür sind, dass die Behörden und damit auch die Sicherheitsbehörden jederzeit auf Daten zugreifen können. Da kenne ich Sie, Herr Lux, eigentlich anders.

[Beifall bei der LINKEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Darum geht es doch gar nicht!]

Und dann kam noch die Änderung hinzu, die die CDUFDP-Koalition im Bundestagsinnenausschuss vorgenommen hat und zu später Stunde während des EMHalbfinales Deutschland gegen Italien im Bundestag ohne Aussprache abstimmen ließ. In nur einer Minute wurde mit den Stimmen von CDU und FDP einem Gesetz zugestimmt, das den Verkauf persönlicher Daten durch die Meldeämter ermöglicht, sofern der Betroffene nicht ausdrücklich widersprochen hat.

In der Ursprungsfassung war noch vorgesehen, dass dies nur möglich ist, wenn der Betroffene dem ausdrücklich zugestimmt hat. Der Unterschied besteht darin – das ist jetzt in der Debatte deutlich geworden –, was passiert, wenn der Betroffene nichts tut. In der aktuellen Fassung dürfen die Daten dann weitergegeben werden. Als das in der Öffentlichkeit bekannt wurde, gab es zu Recht einen Aufschrei. Schließlich wäre das ein Einfallstor für einen uferlosen Datenfluss an die Adress- und Werbewirtschaft. Der Staat als Datenkrake, der den Ausverkauf des Datenschutzes an Privatunternehmen betreibt.

Am 21. September steht das Gesetz im Bundesrat auf der Tagesordnung – wir haben es gerade gehört – und wird vermutlich in den Vermittlungsausschuss überwiesen werden. Auch Berlin sollte sich gegen das Meldegesetz wenden.

[Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE) und Philipp Magalski (PIRATEN)]

Ob die Antragsteller – die Piratenfraktion – einen Kompromiss oder die komplette Ablehnung des Meldegesetzes wollen, geht für mich aus dem Antragstext nicht wirklich hervor. Aus der Sicht der Linksfraktion sollte das Meldegesetz grundlegend überarbeitet werden: engere Grenzen bei der Datenerhebung, weniger Zugriffsmöglichkeiten für Private, Stärkung der Einspruchsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger. Eine komplette Ablehnung des Entwurfs wäre uns auch lieber als ein fauler Kompromiss im Vermittlungsausschuss. Dem Antrag der Piraten werden wir trotzdem zustimmen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Vielen Dank, Herr Doering! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Antragsteller haben sofortige Abstimmung beantragt. Die Koalitionsfraktionen beantragen jedoch die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, sodass ich darüber zuerst abstimmen lasse. Wer der Überweisung seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU. Gegenprobe! – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Linksfraktion und die Piratenfraktion. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag überwiesen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

Priorität der Fraktion der SPD

Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 (Nachtragshaushaltsgesetz 2012/2013 – NHG 12/13)