Grundsätzlich hatte die CDU-Fraktion immer Bedenken, Grundstückseigentümer am Ausbau der mehr oder weniger vom Durchgangsverkehr betroffenen Straßen zu beteiligen. Welcher Mehrwert der Anlieger sollte diese Verpflichtung auch rechtfertigen? Denn betroffen wären neben den Eigenheimbesitzern auch die Mieter gewesen. Wenn auch die Umlegung der Straßenausbaubeiträge als Betriebskosten wohl nicht zulässig war, so hätte das doch indirekt zu einer Mehrbelastung der Mieter geführt. Es liegt auf der Hand, dass jeder Vermieter bei den erheblichen Straßenausbaubeiträgen die Mieten im zulässigen Rahmen erhöht hätte. Das Straßenausbaubeitragsgesetz war immer unsozial und ungerecht.
Erheblich von den Straßenausbaubeiträgen benachteiligt wurden auch mittelständische Unternehmen mit großen Betriebsflächen. Beträge in zum Teil sechsstelliger Größenordnung können die wenigsten Mittelständler mal eben so aus der Portokasse bezahlen.
Hinzu kam, dass die Umsetzung des Gesetzes jede Form von Rechtssicherheit vermissen ließ. Anwohner in meinem Wahlkreis haben zum Teil bis zu drei Vorbescheide erhalten, mit jeweils erheblich variierenden Beitragssummen. Dass das jeden Eigentümer verunsichern muss, muss ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen.
In den letzten Jahren hat sich zudem gezeigt, dass die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht sinnvoll war. Auf meine Kleine Anfrage aus dem Januar 2010 musste die damalige Senatorin, Frau Junge-Reyer, einräumen, dass über einen Zeitraum von vier Jahren gerade einmal Einnahmen in Höhe von 95 000 Euro erzielt worden waren. Dem gegenüber standen Kosten – inklusive Personalkosten – in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Bis heute sind lediglich – und zwar berlinweit – Straßenausbaubeiträge in Höhe von rund 624 000 Euro eingenommen worden.
Schließlich haben das schon handwerklich nicht besonders gelungene Gesetz und die vielen Unsicherheiten in dessen Umsetzung, die zum Teil missglückte Bürgerbeteiligung und die zahlreichen Gerichtsverfahren im Ergebnis dazu geführt, dass einzelne Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksämter gar nicht mehr bereit waren, das Gesetz anzuwenden. In der Folge sind Straßen, die dringend hätten saniert werden müssen, seit Jahren nicht repariert worden. Eine weitere Folge sind zum Teil großflächig Tempo 30 oder sogar Tempo 10.
Den Bezirken war mit dem Gesetz nicht nur nicht geholfen, sie müssen vielmehr jetzt, nach Abschaffung des Gesetzes, zusehen, wie sie den ohnehin bestehenden
Mit der Abschaffung des Straßenausbaubeitragsgesetzes wird nicht nur für diejenigen, die zukünftig von Beiträgen betroffen gewesen wären, sondern auch für diejenigen, die bereits Straßenausbaubeiträge gezahlt haben, wieder soziale Gerechtigkeit hergestellt. Der Senat hat den Bezirken, die bereits vereinnahmte Straßenausbaubeiträge rückerstatten müssen, bereits zugesichert, dass diese Beiträge im Rahmen einer Basiskorrektur ausgeglichen werden und die in den Bezirkshaushaltsplänen 2012 und 2013 eingestellten Einnahmen für abgeschlossene, aber noch nicht abgerechnete Maßnahmen auf Einzelantrag geprüft werden.
Der Kollege Czaja hat es in seiner Rede am 23. Juni 2011 auf den Punkt gebracht, als er gesagt hat: Wir haben das Straßenausbaubeitragsgesetz nicht beschlossen, als wir regiert haben, wir haben es nicht beschlossen, als wir in der Opposition waren, und wir werden es wieder abschaffen, wenn wir wieder regieren.
Das wird nun im Kürze – auch Dank der Einsicht der SPD – der Fall sein, und das ist auch gut so. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Seibeld! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Abgeordnete Otto das Wort. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU hat sich durchgesetzt. Frau Seibeld hat es noch mal erklärt. Ich glaube jedoch, was Sie erklärt haben, ist zwar eine alte Forderung der CDU, aber dem Thema überhaupt nicht angemessen. Wir haben es hier mit einem Haushaltsthema zu tun, wir haben es mit einem Beteiligungsthema zu tun, und wir haben – auch das ist in Ihrer Rede nicht vorgekommen – auch die bundesweite Wirkung zu beachten.
Wir haben ein Gesetz, das im Jahr 2005 unter Ihrer Vorgängerkoalition eingeführt wurde. Ich habe einmal nachgeschaut, was man sich damals dabei gedacht hat. Da finden Sie in dem Vorblatt zur Beschlussfassung über das Gesetz aus dem Jahre 2005 den Passus:
Die Deckung durch Haushaltsmittel aus dem Steueraufkommen ist insoweit nicht vertretbar, weil den Grundstückseigentümern durch den Ausbau eine besondere Leistung geboten wird, die sie durch eine Gegenleistung in Gestalt eines Beitrags ausgleichen sollen.
Ähnliches hat Herr Prof. Driehaus in seinem einschlägigen Kommentar formuliert. Ich zitiere noch einmal:
Die … Herstellung und der spätere Ausbau von Erschließungsstraßen ist von den Kommunen ohne eine über die Steuerleistung hinausgehende, angemessene Beteiligung der Grundeigentümer nicht finanzierbar.
Das ist das Haushaltsthema. Die Frage ist doch: Wenn wir Straßen bauen – und da ist die CDU immer vorneweg ,– wer bezahlt das alles? Wer kommt dafür auf? Schaffen wir das über unser Steueraufkommen in Berlin? – Sie wissen auch, wir sind verschuldet, wir sind eigentlich pleite. Und wenn ich an die Diskussion heute zum Flughafen denke, frage ich mich, welche Unwägbarkeiten in unseren Haushalt schon reingekommen sind und welche noch durch diesen Ihren Antrag, Ihr Gesetz, in unseren Haushalt reinkommen werden.
All das haben Sie nicht thematisiert, all das haben Sie sich wahrscheinlich auch nicht überlegt, weil Sie sehr kurzfristig – klientelbezogen – Politik machen. Das ist unsere Sache nicht.
In dem Gesetz war aufgeschrieben, bis zu 75 Prozent der Kosten für eine Straßenbaumaßnahme bei Straßenausbauten könnten über Beiträge erhoben werden – bis zu 75 Prozent! Man kann auch sagen, das ist zu viel. Man kann sagen, vielleicht sind 50 Prozent angemessen, vielleicht 20 Prozent oder vielleicht nur 15 Prozent. Aber grundsätzlich darauf zu verzichten, halte ich überhaupt nicht für angemessen. Ich sage Ihnen auch, warum. Die Praxis hat gezeigt, dass sich sehr viel mehr Leute Gedanken darüber gemacht haben, wie bei ihnen Straßen ausgebaut werden. Die Luxusausbaumaßnahmen haben aufgehört. Ich bekomme keine Anrufe mehr, wo Leute verlangen: Bei uns muss jetzt die Straße gemacht werden. – Im Gegenteil, wenn ich irgendwo frage, sind immer alle glücklich mit ihren Straßen. Also haben wir gespart. Wir haben Aufwand gespart, und wir haben Leute dafür sensibilisiert, wie die Straßen in ihrer Umgebung ausgebaut werden sollen. Das war ein Erfolg.
Das Gesetz hat natürlich Mängel gehabt. Sie wissen, dass wir deshalb damals auch nicht zugestimmt haben. Wir haben gesagt, die Beteiligung müsse besser organisiert werden. Wir haben auch gesagt, wenn die Leute von dem Ausbau einen Nachteil hätten, dann müsse man sie von Bezahlung befreien oder den Beitrag reduzieren. All das hätte man in einem Evaluierungsprozess jetzt ergründen und sagen können: Wir müssen das Gesetz ändern, wir müssen ein anders Gesetz haben. – All das habe Sie nicht gemacht. Sie wollen das abschaffen und sich einfach da rausdrücken. Wir sind nach wie vor der Meinung, es ist im Grundsatz richtig, dass sich Leute beteiligen müssen.
Sie haben von Gerechtigkeit gesprochen. Ich wohne in einem Sanierungsgebiet. Dort bekommen die Leute jetzt Rechnungen, sie müssen alle Ausgleichsbeiträge im Sanierungsgebiet bezahlen. Und dann sagen die Leute zu mir: Herr Otto, die CDU hat das doch jetzt abgeschafft. Warum müssen wir denn noch bezahlen? – Sie machen bei der vermeintlichen Lösung eines Problems ein neues Gerechtigkeitsproblem auf. Die Leute in den Sanierungsgebieten bezahlen Zehntausende Euro für genau dieselben Dinge, nämlich Infrastruktur, Straßen vor der Tür, auch Spielplätze, auch andere Dinge. Diese Leute befreien Sie davon nicht. Erklären Sie den Leuten diese Ungerechtigkeit, Frau Kollegin Seibeld! Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.
Denken Sie doch mal an unseren Schuldenberg! Wir können doch nicht einseitig Leute entlasten! Wir alle wollen, dass Bildung finanziert wird. Wir alle machen uns um Wohnen Gedanken. Wir alle müssen mit der sozialen Frage kämpfen, und da kommen Sie und wollen einseitig Leute entlasten, die ein Einfamilienhaus haben und denen Sie das nicht zumuten möchten. Das ist nicht der richtige Weg.
Ich will als Letztes auf die bundespolitische Wirkung gucken. In dem damaligen Gesetz, in der Drucksache 15/716 aus der vorletzten Wahlperiode, beginnt die Begründung wie folgt:
Berlin ist neben Baden-Württemberg das einzige Land, das keine entsprechende gesetzliche Regelung hat. Es ist wünschenswert, dass auch auf diesem Gebiet in Berlin bundesdeutsche gesetzliche Normalität Einzug erhält.
Das war damals der Grundsatz. Er gilt auch noch heute. Was sagen uns denn die anderen Länder bei den Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich? Was sagen sie uns, wenn wir hier im Straßenbau quasi Freibier ausgeben?
Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen! Sie schwächen die Position Berlins in den Verhandlungen! Ich will noch mal gucken: Das Gesetz haben damals die Kollegen Harald Wolf, Uwe Doering, Michael Müller, Christian Gaebler und Iris Spranger eingebracht.
Sie waren damals davon überzeugt. Ich bin ziemlich erschüttert, dass Sie sich einfach aus dieser Verantwortung stehlen und dieses Gesetz ersatzlos abschaffen wollen. Unser Petitum ist: evaluieren, ändern, besser machen – aber nicht grundsätzlich auf alles verzichten! – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Otto! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Spranger das Wort. – Bitte sehr!
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Dieses Hohe Haus hat schon sehr viele Gesetze erlassen. Es gibt kaum ein Gesetz, das über mehrere Wahlperioden so intensiv und kontrovers diskutiert wurde. Auch ich begrüße, dass man nach einer Evaluierung, nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gesagt hat: Wir schaffen dieses Gesetz ab. – Hier, Frau Seibeld, möchte ich sagen: Das ist eine gemeinsame Entscheidung von SPD und CDU und keine alleinige Entscheidung der CDU.
Wir haben gesagt, nach einer Evaluierung schauen wir, welche bürokratischen Aufwendungen es gibt, welche Einnahmen dadurch erzielt werden können. Die Zahlen wurden bereits von meinen Vorrednern genannt. Es handelt sich um eine Vernunftentscheidung.
Wir sind dann, wenn wir es abgeschafft haben, nur zwei Bundesländer in der Bundesrepublik, die ohne Straßenausbaubeitragsgesetz agieren. Ich habe schon mal gesagt, es ist eine Vernunftentscheidung, die die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt stellt und aufgrund immerwährender Proteste notwendig geworden ist. Dazu gibt es entsprechende Abstimmungen im Netz, die Piraten werden sie sicherlich kennen. Diese habe ich mir heute noch mal angeschaut. Da gab es gestern unter www.strassenausbaubeitragsgesetz.de eine Abfrage für die heutige Parlamentssitzung. Von 307 abgegebenen Stimmen haben sich 89,9 Prozent für die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen. Das haben wir als Abgeordnete, die gerade in solchen Wahlkreisen unterwegs sind, wo das Gesetz zu enormen Protesten geführt hat, verstanden.
Wir haben klare Festlegungen. Da erwarte ich vom Senat auch, dass sofort gehandelt wird, dass die Beträge zurückerstattet werden, dass selbstverständlich die Bezirke
nicht allein in die Pflicht genommen werden, sondern dass die Mindereinnahmen, die bei den Bezirken entstehen, auch über eine entsprechende Basiskorrektur abgefedert werden.
Ich denke, was von mir sehr kritisch angemerkt wird, was man aber in den Griff bekommen kann, dass zurzeit noch dargestellt wird, dass nur auf Antrag diese Gelder zurückerstattet werden. Das stelle ich mir anders vor, dass selbstverständlich Gleichbehandlung für alle gilt, also Rückerstattung nicht nur für die, die das per Antrag machen, sondern alle Leute, die gezahlt haben, sollen das Geld entsprechend zurückbekommen. Da bitte ich den Senat noch einmal um entsprechende Vorlagen, dass das dann auch für alle Bürgerinnen und Bürger im Zuge der Gleichbehandlung gemacht wird.
In erster Lesung werden wir das Gesetz im Ausschuss noch einmal beraten. Aber die SPD-Fraktion steht dazu. Wir haben es in den Koalitionsverhandlungen nach der Evaluierung gemeinsam als Regierungsfraktionen so festgelegt. Deshalb ist es keine Einzelentscheidung einer Fraktion, sondern eine gemeinsame Entscheidung. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Frau Spranger! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Frau Abgeordnete Lompscher das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es am Anfang kurz und bündig zu sagen: Die Linksfraktion findet die Aufhebung des Straßenausbaubeitragsgesetzes und die vollständige Rückerstattung der bisher erhobenen Beiträge richtig und wird dem Aufhebungsgesetz zustimmen.