Protocol of the Session on April 26, 2012

Vielen Dank, Frau Breitenbach! – Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Radziwill von der SPDFraktion das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Breitenbach! Ja, wir wollen heute in der Aktuellen Stunde über die Rechtsverordnung zu Kosten der Unterkunft reden, denn es gilt: Tue Gutes und rede darüber! Diese Rechtsverordnung ist nicht realitätsfern und schon gar kein Skandal.

Das Gute daran ist Folgendes: Der Senat von Berlin hat als erstes Bundesland zügig eine auch die Gerichte bindende Rechtsverordnung zur Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach den Vorgaben der Bundessozialgerichtsrechtssprechung vorgelegt, die ab 1. Mai dieses Jahres gilt. Das Tempo des Senats hat mich und einige andere auch in der Tat überrascht. Frau Breitenbach! Herr Spieß! Die Fraktionen von Rot-Schwarz tragen diese Rechtsverordnung mit, denn für sie gibt es gute Gründe, die ich Ihnen gerne erläutern will.

Erstens: Die Koppelung an den Berliner Mietspiegel wie auch an den bundesweiten Heizkostenspiegel, differenziert nach Energieträgern und Gebäudefläche, ist erfolgt. Das war – soweit ich mich erinnern kann – eine Forderung in der letzten Legislaturperiode unter Rot-Rot.

Zweitens: Die Richtwerte werden nun dem neuen Miet- und Heizspiegel angepasst und damit jährlich aktualisiert. Das ist angesichts der Preissteigerungen bei Energieträgern ein wesentlicher Vorteil für die Betroffenen.

Drittens: Es zählt das Bruttomietenkonzept, also die Gesamtangemessenheitsgrenze. Das wurde unter Rot-Rot beschlossen und wird so beibehalten.

Viertens: Die bisherigen Härtefallregelungen haben Bestand. Neu aufgenommen wird der besondere Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts mit Kindern – damit wird der Lebensrealität vieler Eltern Rechnung getragen.

Als Letztes: Das bisherige Konzept der einheitlichen Richtwerte für ganz Berlin in einfacher Wohnlage wird auch beibehalten. Aus Sicht des Senats kann Umzügen aufgrund gestiegener Heizkosten damit wirkungsvoll

entgegengetreten werden. Genau das ist auch das Ziel dieser Koalition.

Für uns Sozialdemokraten gehört Wohnen zur Daseinsvorsorge. Wir wollen die vielfältige Berliner Mischung in den Kiezen, in unserer Stadt behalten.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Joachim Esser (GRÜNE): Ein Teil von euch scheint das zu wollen!]

Es sind sehr viele, die das wollen, Herr Esser! – Dazu gehört es auch, dass die bisherigen Härtefallregelungen beispielsweise für Alte, Kranke oder Menschen mit Behinderungen sowie für Alleinerziehende und Wohnungslose erhalten bleiben.

Erstmals ist damit festgelegt, dass mit jedem neuen Berliner Mietspiegel und mit jedem neuen bundesweiten Heizspiegel die Richtwerte automatisch überprüft und falls nötig der Preisentwicklung angepasst werden. Die Obergrenzen für Bruttowarmmieten ergeben sich aus den Richtwerten für Bruttokaltmieten plus den Richtwerten für Heizkosten, die je nach Energieträger und Gesamtgebäudefläche variieren. Außerdem wird die als angemessen anerkannte Wohnfläche je nach Anzahl der Personen pro Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt.

Insgesamt gab es im Jahr 2011 in Berlin 320 000 Bedarfsgemeinschaften mit laufenden Kosten der Unterkunft. Rund 99 000 Bedarfsgemeinschaften lagen mit ihren Mieten über den alten Richtwerten. Es sind 61 000 Bedarfsgemeinschaften aufgefordert worden, die Kosten zu senken. Nur 1 113 Bedarfsgemeinschaften mussten umziehen. Das ist gemessen an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften von 320 000 ein aus meiner Sicht kleiner Prozentsatz. Es soll auch so bleiben. Das ist unser Ziel, und das ist auch gut so. Dem Land Berlin entstehen mit der Neuregelung zusätzliche Kosten in Höhe von 11 Millionen Euro. Insgesamt gibt Berlin rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr für Unterkunftskosten aus.

Frau Breitenbach! Zu den Linken will ich doch eines anmerken: Der Senatsbeschluss zur Ausführungsverordnung Wohnen setzt endlich um, was in der alten Koalition aufgrund der Blockade der Linkspartei nicht geschafft worden ist.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Der Blockade des Finanzsenators!]

Hören Sie doch einfach einmal zu!

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Seien Sie nicht stolz drauf, es wird nur peinlich!]

Für die Berechnung der Kosten der Unterkunft wird nun eine rechtskonforme Grundlage geschaffen. Dies führt zu Vorteilen für die Betroffenen und vermeidet einen Anstieg von Umzügen wegen zu hoher Warmmieten. Die Kopplung an den Berliner Mietspiegel und den bundesweiten Heizspiegel sind richtig und notwendig, und For

derungen, auch im gesamten Stadtgebiet die mittlere Wohnlage bei der Gewährung von Kosten der Unterkunft mit einzubeziehen, sind zu kurz gedacht. Denn so würde der Senat selbst zum Mietentreiber auf dem Berliner Wohnungsmarkt werden.

[Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Das wäre die Folge der Politik der Linkspartei. Sie machen sich damit zum Lobbyisten der Vermieter. Eine interessante Wendung der Linken.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Sie reden wirr! – Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Aber, liebe Kollegen von den Linken, ich weiß, wir haben in den Jahren 2008 und 2009 gemeinsam um die besten Lösungen und Wege gerungen. Ich kann viele Ihrer Argumente sehr gut nachvollziehen. Für mich steht Folgendes fest: Wenn diese Regelung nicht den Erwartungen entspricht, werde ich die Möglichkeit der Regionalisierung der Richtwerte erneut prüfen lassen.

[Uwe Doering (LINKE): Warum machen Sie’s denn nicht?]

Diese Möglichkeit besteht aufgrund der Bundesregelungen in bestimmten Stadtteilen, wo kein Wohnraum in einfacher Wohnlage mehr vorhanden ist, in Form von Zuschüssen oder sonstige Hilfestellungen zu reagieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass diese Neuregelung, diese Rechtsverordnung, die Vielfalt und die soziale Mischung erhalten werden, und diese Stadt damit weiterhin bunt und vielfältig in ihren Kiezen sein wird.

Für uns zählt, neben dieser Rechtsverordnung die weiteren Instrumente der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik für bezahlbaren Wohnraum zu nutzen. Wir werden dadurch die Verdrängung besser verhindern, beispielsweise durch Neubau von günstigen Wohnungen. Sie haben vorhin bei den Mündlichen Anfragen die Antwort des Senats auf die Frage nach der Liegenschaftspolitik des Senats gehört.

[Uwe Doering (LINKE): Ja, 14 Grundstücke! Wie viele Wohnungen sollen das denn sein?]

Wir werden auch die Steuerungselemente der städtischen Wohnungsbaugesellschaften stärker nutzen. Auch die Zweckentfremdungsverbotsverordnung bzw. andere Elemente, die in der Wohnungspolitik dazu beitragen, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.

Die Kosten der Unterkunft sind die eine Säule der Hilfe, die Kosten zum Lebensunterhalt die andere. Für die SPDFraktion ist es im Sinne der Aktivierung auch wichtig, den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern. Deshalb werden mit unserem Konzept BerlinArbeit die Betroffenen mit zielgerichteter Förderung dabei unterstützt, aus dem Hilfebezug herauszukommen.

Aus ganz aktuellem Anlass – wir befinden uns in der Aktuellen Stunde – will ich auf die gestrige Entscheidung des Berliner Sozialgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen eingehen. Ich begrüße die Entscheidung, das Bundesverfassungsgericht anzufragen, ob die aktuellen Leistungen des SGB II verfassungsgemäß sind. Die Kritik an den Bemessungsgrundlagen ist aus meiner Sicht berechtigt, denn sie spiegeln nicht die Lebensrealität der Betroffenen. Das habe ich auch im Jahr 2010 als Sprecherin hier vorgetragen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Gejubelt habt ihr!]

Deshalb werden wir das Ergebnis genauestens prüfen.

[Uwe Doering (LINKE): Wer hat denn Hartz IV erfunden?]

Aus einem anderen aktuellen Anlass will ich Senator Czaja motivieren und ihn auffordern, sich klar gegen die sogenannte Herdprämie zu positionieren.

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Berlin ist auch bei den Beziehern von Sozialleistungen Hauptstadt. Wenn man schon diese Prämie einführen will, muss sie allen Eltern und Familien zugute kommen. Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Czaja: Setzen Sie sich bei Ihrer Bundes-CDU dafür ein, diese unnötige Wohltat zu verhindern! Holen Sie das Geld insbesondere für Berlin für den weiteren Ausbau der Infrastruktur für Kinder und Familien mit geringem Einkommen! Dabei haben Sie uns als Ihren Koalitionspartner zur Unterstützung. – Meine Damen! Meine Herren! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Frau Radziwill! – Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Frau Abgeordnete Breitenbach.

Liebe Frau Radziwill! Sie haben Punkte aufgezählt, bei denen will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Ja, es ist jetzt endlich eine Kopplung an den Mietspiegel erfolgt, was unter anderem dazu führt, dass wir in Zukunft immer wieder erleben werden, dass die Rechtsverordnung regelmäßig überarbeitet wird, und dass wir nicht mehr wie bisher auf Mehrheiten im Senat angewiesen sind. Das haben wir gefordert, das ist umgesetzt worden, das ist positiv. Dass es ein Bruttowarmmietenkonzept gibt, hatten wir auch gefordert. Dass die Sonder- und Härtefallregelung erhalten bleiben, haben wir ebenfalls gefordert. Das sind alles Dinge, die richtig sind.

Trotzdem wiederhole ich: Der Dreh- und Angelpunkt einer Rechtsverordnung sind natürlich die Richtwerte,

also ob die Kosten der Unterkunft übernommen werden oder nicht. Jetzt haben Sie eines leider nicht gesagt, Sie sind nicht auf die Berechnungsgrundlage eingegangen, die ich versucht habe, noch einmal darzustellen, und wo ich versucht habe deutlich zu machen, dass Sie damit nicht erreicht haben, dass Sie ausreichend Wohnungen in dieser Stadt nachweisen. Ich habe Ihnen gesagt: Die Menschen werden umziehen müssen, und sie können keinen neuen Wohnraum anmieten. Dazu haben Sie leider nichts gesagt. Die Mietspiegelsteigerung für kleine Wohnungen liegt bei 8 Prozent. Die Steigerung in der Rechtsverordnung beträgt 4 Prozent. Jetzt müssen Sie mir einmal erklären, wie das zusammenpasst und wie man damit verhindern will, dass Menschen umziehen müssen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Noch ein Punkt – das ist ein altes Argument –, dass wir diejenigen sind, die die Lobbyisten der Vermieterinnen und Vermieter werden – immerhin gründet meine Partei jetzt eine Genossenschaft, aber unabhängig davon –: Sie täuschen sich. Sie sind diejenigen, die die Mieten hochtreiben und die sich zu den Lobbyisten der Vermieterinnen und Vermieter machen. Warum? – Niedrige Richtwerte führen dazu, dass Menschen umziehen müssen. Das wiederum führt dazu, dass die Wohnungen neu vermietet werden und viel teurer als vorher. Die Wohnungen, in denen die Menschen jetzt leben, die Transferleistungen beziehen, sind immer noch relativ günstige Wohnungen. Wenn diese Menschen umziehen, werden die Wohnungen immer teurer. Damit werden Sie eine Spirale in Gang setzen, und die werden Sie mit dieser RV nicht stoppen, sondern Sie werden diese Spirale sich immer schneller drehen lassen. Deshalb habe ich eben gesagt: Unsere gemeinsame Sonder- und Härtefallregelung, Frau Radziwill, wird Sie an diesem Punkt nicht retten. Sie haben die Spirale in Gang gesetzt, und dafür tragen Sie auch die Verantwortung.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Frau Radziwill! Möchten Sie antworten? – Dann haben Sie jetzt das Wort. – Bitte!

Liebe Frau Breitenbach! Die Kopplung an den Mietspiegel ist richtig. Das war ja unsere gemeinsame Forderung. Das Ziel muss doch sein, die Spirale der Erhöhung der Durchschnittsmieten im Mietspiegel zu verhindern. Wenn ich also den gesamten Bereich auch der mittleren Wohnlage reinnehme, ist das nicht die Rettung, sondern alle anderen Steuerungselemente, die wir haben. Eines, das wir auch gemeinsam in der letzten Bundesratsinitiative für bezahlbaren Wohnraum in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht haben, ist ein solches Instrument, näm

lich bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei Neuvermietung eine Begrenzung auf 10 Prozent von der Durchschnittsmiete anzusetzen. Damit haben wir ein Instrument, das hilft, die Durchschnittsmieten in Berlin zu dämpfen.

Ich glaube, auch in Bezug auf den Aspekt, dass Wohnraum sehr knapp ist, haben wir uns nicht widersprochen. Der Punkt ist, dass wir sagen, wir brauchen Neubau von insbesondere kleinen Wohnungen. Wir brauchen mehr Unterstützung auch von genossenschaftlichem Wohnen. Die gesamte Summe dieser verschiedenen Instrumente wird helfen, auf dem Wohnungsmarkt auch für Menschen mit kleinem Einkommen und Menschen mit Hartz-IVBezug weiterhin Wohnen in der Stadt, in unseren Kiezen zu ermöglichen. Uns ist es eine Herzensangelegenheit und sehr wichtig, eines der ursozialdemokratischsten Anliegen, Menschen mit kleinem Budget und geringem Einkommen in der Stadt zu halten. Wir wollen keine Entkoppelung. Wir wollen sie nicht an den Stadtrand drängen. Die Berliner Mischung ist in allen Kiezen sehr unterschiedlich, sehr vielfältig. Es gibt aus meiner Sicht nicht eine einzige bestimmte Sorte, Klasse von Berliner Mischung. Das Ziel muss sein, die Menschen dort, wo sie sich wohlfühlen, schon länger gelebt haben und auch bleiben wollen, gezielt zu unterstützen.

Unser Angebot an Instrumenten in der Wohnungspolitik ist an der Stelle sehr vielfältig. Der Bereich, über den wir heute reden, Kosten der Unterkunft, ist nur eines davon. Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir werden uns die neue Regelung anschauen. Ich habe hier nicht gejubelt. Ich habe nur zum Ausdruck gebracht, dass ich selber auch über die Schnelligkeit überrascht war, und es ist gut, wenn dieser Senat schnell handelt, denn wir brauchen eine rechtssichere, gerichtsfeste Rechtsverordnung an der Stelle. Diese liegt vor. Die Möglichkeit, dieses sehr schnell und zügig zu kontrollieren und gegebenenfalls Ergänzungen und Veränderungen daran zu machen, liegt in unserer Hand. Aber gleich den Teufel an die Wand zu malen, hilft uns an dieser Stelle nicht und den Betroffenen erst recht nicht.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]