Protocol of the Session on March 22, 2012

Bei warmen Worten allein darf es nicht bleiben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter brauchen endlich angemessene Arbeitsbedingungen. Durch die sofortige Aufhebung des Einstellungsstopps müssen neue Fachkräfte bedarfsgerecht eingestellt werden, damit die Arbeit im Kinderschutz und in der Jugendhilfe zu schaffen ist. Für die Erfüllung der neuen zusätzlichen Aufgaben, brauchen die Mitarbeiter/-innen genügend Zeit. Freie Stellen müssen zeitnah wieder besetzt werden. Hier stehen der rot-schwarze Senat und die Koalition in der Verantwortung, die Bezirke nicht länger bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben zum Schutz und Wohl der Kinder zu behindern.

Auch im fachlichen Diskurs ist die derzeitige Praxis im Kinderschutz in die Kritik geraten. Die praktische Umsetzung der guten Regelungen muss sich einer kritischen Analyse unterziehen lassen. Es müssen konkret durchsetzbare Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet werden. Wir brauchen in dieser Stadt einen fachlichen Diskurs der verschiedenen Akteure. Sie sollen die bisherige Praxis der Umsetzung des Kinderschutzes in Berlin kritisch durchleuchten. Dazu soll eine Fachkommission aus Vertreter/-innen der Bezirke, des Senates, der Wissenschaft und der freien Träger der Jugendhilfe einberufen werden. Sie soll die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Akteuren im Verlauf von Hilfen, die Qualität und Wirksamkeit von Hilfen, das Fach- und Finanzcontrolling und die Einbeziehung von präventiven Angeboten und den Ressourcen im Kiez betrachten. Die Ergebnisse der Fachkommission sollen zügig in den Fachgremien von Parlament und Verwaltung diskutiert und in die Praxis umgesetzt werden, denn: Kinderschutz braucht verlässliche Strukturen und Qualität. Geben wir sie ihm!

Der Kinderschutz ist in Berlin ein hohes Gut. Deshalb ist es auch richtig, dass diese Debatte kontinuierlich fortgeführt wird und nicht, wie üblich, wie eine Welle wieder versiegt, wenn die tragischen Todesfälle in Vergessenheit geraten – bis zur nächsten Welle. Das einzig Relevante aber ist, dass alle Maßnahmen, die wir vorschlagen oder umsetzen, tatsächlich ihre Wirksamkeit in der Praxis beweisen. Die Frage muss immer lauten: Wie können Kinder besser geschützt werden?

Die Maßnahmen für den Kinderschutz sind breit verankert, gut koordiniert und durchdacht. Die Mitarbeiter/-innen in den Jugendämtern und bei den freien Trägern sind

hoch qualifiziert, miteinander vernetzt und gehen mit ihrer Verantwortung bewusst um. Nichtsdestotrotz müssen wir eingestehen, dass es nicht in unserer Macht liegt, jede menschliche Tragödie zu verhindern. Absehbaren Problemen aber können und müssen wir begegnen. Das heißt konkret: Wir brauchen schnell eine intelligente Personalpolitik für die Jugendämter. Die derzeitige Personalausstattung ist unzureichend. Der Altersdurchschnitt der Kolleginnen und Kollegen liegt bei um die 50 und ist damit zu hoch. Und der Einstellungskorridor ist viel zu eng, um die aus Altersgründen hohe Fluktuation auszugleichen.

Zwei Stellen mehr pro Bezirk waren ein guter Anfang. Trotzdem – in den vergangenen Jahren wurde viel zu wenig neues Personal eingestellt. Es steht eine Lücke in der Personalausstattung bevor, die wir uns nicht leisten können. Zum einen wird es schwierig, in kurzer Zeit neues Personal zu finden, das entsprechend qualifiziert und nervenstark ist, um für vergleichsweise schlechte Bezahlung derart hohe Verantwortung zu übernehmen. Und selbst wenn wir die frei werdenden Stellen neu besetzen können, bleibt ein qualitatives Dilemma: Das gesammelte Wissen, die fachliche Kompetenz, die sich über Jahrzehnte angesammelt hat, geht verloren und wird quasi mit berentet. Hier brauchen wir kluge Ideen, damit die nächste Generation Bewährtes weiterentwickeln kann und nicht bei Null anfangen muss.

Wir brauchen ebenfalls für die Jugendämter verbindliche Mindeststandards in jedem Bezirk. Es geht nicht mehr so weiter, dass frei gewordene Stellen in den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten, die nicht sofort wieder besetzt werden können, von anderen Bereichen beansprucht werden. Auch das Hin- und Hergeschiebe von Stellen zwischen den Bezirken geht nicht. Im Gegenteil brauchen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort geeignete Rahmenbedingungen, um ihre Aufgaben auch erfüllen zu können, zum Beispiel auch die Möglichkeit zu pausieren, für eine Zeit in einem anderen Bereich zu arbeiten, mal raus aus dem Kinderschutz, ein Rotationsprinzip könnte sich bewähren, dazu besseren Gesundheitsschutz, wirklich Zeit, um Supervisionen oder Fortbildungen auch in Anspruch zu nehmen. Kinderschutz ist nichts Abstraktes sondern wird von Menschen in der Praxis konkret umgesetzt. Sie gilt es zu unterstützen.

Was wir nicht brauchen, sind weitere Gremien und Maßnahmen, die den Praktikern noch mehr Zeit für die eigentliche Arbeit mit den Klienten wegnehmen. Den Nutzen einer weiteren Fachkommission bezweifle ich. Das Netzwerk Kinderschutz arbeitet und wirkt bereits. Es gibt diverse regionale und überregionale Arbeitsgruppen wie zum Beispiel in den Bezirken:

Gruppen, die regelmäßig die in Berlin verbindlichen Erfassungsbögen zur Kindeswohlgefährdung auf ihre Brauchbarkeit hin überprüfen und weiterentwickeln,

Sozialraumvernetzungsrunden mit Vertretern der Jugendämter, der freien Träger, der Kitas, der Schulen, der Polizei, der Quartiersmanagements, den Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen.

es gibt die Multiplikatoren-/Multiplikatorinnenrunden Kinderschutz, wo alle Beteiligten in Sachen Kinderschutz im Austausch sind und unter anderem über ein besseres Fehlermanagement beraten,

es gibt in jeder Region den Runden Tisch Kinderschutz.

Auf Landesebene arbeiten die Projektgruppe und die Lenkungsgruppe Netzwerk Kinderschutz. Und so weiter. Mancherorts spricht man bereits von „Überarbeitungsrunden“. Im Auftrag meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis möchte ich doch sehr darum bitten, bewährte Strukturen eher in ihrer Wirksamkeit zu unterstützen und nicht weitere Gremien zu erfinden, wo dann auch nur wieder dieselben zusammen sitzen. Denn die Frage bleibt: Werden dadurch Kinder besser geschützt?

Neben der kontinuierlichen Überprüfung der bestehenden Regelungen und der neuen Personalplanung könnte kurzfristig helfen: 250 000 Euro mehr für jeden Bezirk für die bessere Wahrnehmung der Aufgabe Kinderschutz vor Ort, für frühe Hilfen, für präventive Maßnahmen. Es wird gut angelegtes Geld sein.

„Kinder brauchen den besonderen Schutz unserer Gesellschaft“, dieser Forderung kann sich die CDU-Fraktion anschließen. Aber schon der zweite Teil Ihrer Überschrift trifft nicht den Kern der Sache. Kinderschutz braucht doch nicht in erster Linie verlässliche Strukturen und Qualität. Kinderschutz braucht Liebe. Vielleicht ist es doch ganz hilfreich, wenn Sie vor dem Einbringen von Anträgen, Frau Pop und Frau Burkert-Eulitz, mal jemanden in Ihrer Fraktion fragen, der oder die Kinder hat. Dann kommen vielleicht doch Anträge von Ihnen, die nicht ganz so vom grünen Tisch geprägt sind, von dem aus sie – wie dieser Antrag – geschrieben worden sind. Es mag aus Sicht der Opposition schön sein, den Senat zu etwas aufzufordern. Der Senat handelt aber auf dem Gebiet. Und sowohl der Antrag wie auch der Änderungsantrag greifen deutlich zu kurz, um Kindeswohlgefährdungen künftig zu vermindern.

Zunächst zu dem, was der Senat tut: Zum einen handelt er im Rahmen des Netzwerks Kinderschutz, und zum anderen setzt er das Berliner Gesetz zum Schutz und Wohl des Kindes – Kinderschutz-Gesetz – sehr ordentlich um. Außerdem wird sich zur effektiven Umsetzung der Maßnahmen zum Kinderschutz und der Überprüfung der Qualität geltender Kinderschutzregelungen auch in dieser Legislaturperiode eine Lenkungsgruppe konstituieren. In dieser Lenkungsgruppe „Netzwerk Kinderschutz“ arbeiten sowohl die Bezirke – Jugend und Gesundheit – als auch die für Schule, Jugend, Gesundheit und Inneres

zuständigen Senatsverwaltungen sowie die Liga der freien Wohlfahrtsverbände mit.

Zusätzlich hat das Abgeordnetenhaus für den Bereich der Hilfen zur Erziehung den Aufbau einer bezirksübergreifenden Fachkontrolle beschlossen und damit einen breiten Diskurs über die Verbesserung der Qualität der Angebote und Strukturen in Gang gesetzt. Zur Umsetzung hat die für Jugend zuständige Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Ende Januar mit den für Jugend zuständigen Bezirksstadträtinnen und -räten für die Jahre 2012 und 2013 Zielvereinbarungen geschlossen.

Hinsichtlich der Forderung an den Senat, „den Einstellungsstopp für Fachkräfte in den Berliner Jugendämtern aufzuheben“ ist festzustellen, dass jedem Bezirksamt freigestellt ist, Einstellungen vorzunehmen, sofern offene Stellen vorhanden sind und das Bezirksamt die Vorgaben für Personaleinsparungen erfüllt hat.

Sie sehen, der Berliner Senat ist auf dem richtigen Weg zur weiteren Verbesserung des Kinderschutzes. Dass die Zahl der Inobhutnahmen in den letzten Jahren gestiegen ist, zeigt, dass durch genaueres Hinsehen und rasches Handeln die entwickelten Instrumentarien greifen und das „Netzwerk Kinderschutz“ in Berlin funktioniert.

Nun dazu, weshalb Ihr Antrag zu kurz greift, zuerst das Wichtigste: Sie vergessen beim Thema Kinderschutz die Eltern, das weitere persönliche familiäre und das nachbarschaftliche Umfeld. Sie vergessen die Liebe des gesamten persönlichen familiären Umfelds zum Kind. Aus diesem Gefühl heraus unterbleiben Kindeswohlgefährdungen, wird Kindeswohlgefährdungen entgegengetreten oder werden Kindeswohlgefährdungen zumindest gemeldet.

Sie haben kein Konzept, wie die Teilnahme an den Nachsorgeuntersuchungen der Hebammen, die in Berlin nur bei 40 Prozent liegt, gesteigert werden kann. Sie thematisieren das nicht einmal. Sicherlich ist die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen der Stufen U4 bis U9 in Berlin deutlich gestiegen. Das kann uns aber noch nicht zufriedenstellen. Ich finde, man müsste auch darüber nachdenken, die Nichtteilnahme an den Untersuchungen zu ahnden.

Wir brauchen mehr Familienbildung und allgemeine Familienförderung. Deshalb muss die Elternarbeit zum Thema Kinderschutz verstärkt werden. Es müssen zusätzliche Anlaufstellen, insbesondere in Kitas, geschaffen werden. Das wird die Koalition im Rahmen der Familienzentren umsetzen.

Das Thema Kontrolle von freien Trägern sparen Sie ebenfalls aus. Was aber sind freie Träger wert, die nicht hinsehen? Gerade der Fall Zoe, den Sie in Ihrer Begrün

dung ja auch ansprechen, verlangt doch gerade danach, sich mit dem Thema Kontrolle auseinanderzusetzen.

Die CDU Fraktion wird dem Antrag nicht zustimmen. Wir beantragen die Überweisung zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie.

Dem Antrag ist zuzustimmen, denn in den Jugendämtern sind Stellen nicht besetzt, die Zahlen liegen unter dem Plansoll. Es gibt Jugendämter, in denen zwei Fünftel des Gesamtbestands fehlen. Wir haben weiterhin das Problem der Dauerkranken, Überlastungen und eine massive Erhöhung der Fallzahlen. Entsprechend kommt es zu massiven Wartezeiten, Anträge und Anfragen werden nicht bearbeitet. In den Jugendämtern herrscht ein Altersdurchschnitt von 50 Jahren. Bezirksstadträtin Christine Keil vom Bezirksamt Pankow hat diesen im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie am 16. Februar für ihren Bezirk bestätigt und betont, dass das Ideal in einer Mischung von älteren, erfahrenen und jungen, kompetenten Kollegen besteht, die gerade aus der Fachschule kommen.

Die Vernetzung der Zuständigen im Senat, im Bezirk, in der Wissenschaft – hier: in der Erziehungswissenschaft – und der Verantwortlichen in den freien Trägern der Jugendhilfe ist wichtig. Sie müssen Hand in Hand arbeiten und Qualitätskriterien entwickeln, letztlich ein „Web of Trust“ bilden, ein Kompetenznetzwerk mit dem Ziel der Optimierung der Kooperation.

Der Antrag ist zu kritisieren, denn es ist nicht verständlich, warum in der Fachkommission, die hier einberufen werden soll, wichtige Akteure nicht auftauchen sollen, obgleich von Strukturen geredet wird. Diese Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe gehen über das Jugendamt und den wissenschaftlichen und politischen Dunstkreis hinaus, den die Grünen hier für die Einberufung einer Fachkommission vorschlagen. Zur Struktur im Kinderschutz gehören Polizei, Ärzte, Hebammen, Erzieher, Sozialpädagogen, Lehrer, Eltern sowie die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie sind an der Fachkommission zu beteiligen.

Infrage kommen hier:

die Kinder- und Jugendbeauftragten der Berliner Polizei und die Zentralstelle für Prävention im Landeskriminalamt. Ihre Aufgabe ist es, Qualitätskriterien zu entwickeln, die vereinbar mit Recht und Gesetz sind, aber – das ist äußerst zu betonen – auch verhältnismäßig. Ihre Aufgabe ist es weiterhin, von der präventiven Arbeit im Kinder- und Jugendschutz und Erfahrungen im täglichen Umgang mit von Kriminalität betroffenen Eltern, Kindern und Jugendlichen zu berichten. Diese Berichte sind letztlich eine Grundlage für die Entwicklung vernünftiger Qualitätskriterien.

Vertreter der Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII/§ 11 KJHG und Vertreter der Erzieher/-innen in Berlin. Die Aufgabe der Sozialarbeiter wird es sein, die Debatte über verbindliche Maßnahmen und Regelungen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor gewalttätigen Übergriffen in pädagogischen Einrichtungen voranzutreiben. Nicht nur die jüngsten Vorkommnisse bei der Parkeisenbahn – dort wurden letzte Woche Maßnahmen eingeleitet, um Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen – haben gezeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht.

Ärzte der Kinder- und Jugendmedizin. Ihre Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass Regelungen geschaffen werden, die die künftigen Bedingungen zur ärztlichen Schweigepflicht gegenüber dem Jugendamt regelt. Ohne die Einbeziehung der Kinder- und Jugendmedizin in die Fachkommission lassen sich kein verlässlicher Kinderschutz und keine Rechtssicherheit im Kinderschutz organisieren. Infrage kommen hier die deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. – DGKJ – und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. – BVKJ –.

Vertreter der Lehrer. Ihre Aufgabe wird es sein, die Kooperation zwischen Schule, Eltern, Kind, Polizei, Arzt und Jugendamt zu optimieren. Sie sind außerdem verantwortlich zu klären, in welchem Umfang Lehrer zukünftig in der Ausbildung in das Thema Kinder- und Jugendhilfe eingearbeitet werden müssen.

Hebammen. Das Bundesfamilienministerium stärkt mit einer Bundesinitiative ab 2012 vier Jahre lang den Aus- und Aufbau von Netzwerken früher Hilfen und den Einsatz von Familienhebammen in den Ländern und Kommunen. Entsprechend sind Hebammen ein wichtiger Akteur im Kinderschutz geworden, und deshalb müssen sie zweifelsfrei in der Fachkommission ein Mitspracherecht erhalten.

Eltern. Sie sind als Betroffene zu befragen, ihre Erfahrungen bringen neue Perspektiven in die Expertenrunde ein. Hier könnte man den Landeselternausschuss intensiv einbeziehen.

Kinder und Jugendliche. Letztlich muss auch das Projekt der Partizipation der Kinder und Jugendlichen in der Politik fortgeführt werden. Die Jugend bleibt bisher in der Regel in den politischen Debatten um den Kinder- und Jugendschutz außen vor. Es wird über sie, aber nicht mit ihr entschieden. Jugendliche haben aber konkrete Erfahrungen und Ideen, die in der Kommission miteinbezogen werden müssen. So sind sie es, die mit ihren Erfahrungen nicht nur ihren Beitrag zu einem vernünftigen netzpolitischen Kinder- und Jugendschutz leisten können. Infrage kommt hier u. a. die Landesschülervertretung Berlin.

Mit der Einführung einer „E-Mail Kinderschutz“ im Rahmen des „Netzwerks Kinderschutz“ wird zusätzlich zum Telefon ein Kommunikationsmittel eingerichtet, mit dem Kinder ihren Notfall darlegen können, und zwar auch dann, wenn ihnen der Zugang zu einem Telefon versperrt ist, sei es, weil die Eltern das Telefonieren verbieten oder verhindern, sei es, weil der Anschluss gesperrt ist oder weil den betroffenen Kindern oder ihren Erziehungsberechtigten keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um einen Telefonanruf zu tätigen. Natürlich kann eine „E-Mail Kinderschutz“ eine „Hotline Kinderschutz“ nicht ersetzen – soll sie auch gar nicht. Die persönlichen Gespräche am Telefon bieten weitaus mehr Möglichkeiten zur Intervention, aber eine E-Mail kann für Kinder in einer Krisensituation ein entscheidender Ausweg sein. Es ist bekannt, dass es eine Hürde für Kinder und Jugendliche darstellt, am Telefon mit Fremden direkt über einen persönlichen Notfall zu reden. Da spielen Ängste eine große Rolle. Eine E-Mail minimiert diese Barriere. Letztlich leistet eine „E-Mail Kinderschutz“ einen Beitrag für einen inklusiven Kinder- und Jugendschutz. Taube, stumme oder taubstumme Kinder in Not, aber auch Kinder, die an Störungen im Sprachfluss leiden – Stottern, Poltern etc. –, könnten mit einer E-Mail ihre Sorgen und Probleme schriftlich mitteilen und erfahren die Hilfe, die sie zur Zeit nicht bekommen können, weil ihnen das barrierefreie Medium fehlt, um sich mitzuteilen.

Wir fordern die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf, ihren Antrag zu überdenken. Die weiträumigen Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe sind zu berücksichtigen, weitreichende Akteure im Kinderschutz sind zu beteiligen. Wir fordern einen Kommunikationskanal, mit dem Kinder unabhängig vom Telefon ihren Notfall mitteilen können. Zudem muss schnellstmöglich eine angemessene Berücksichtigung der Kinder und Jugendlichen im Zuge der Reform der Lehrerbildung erfolgen. Ich freue mich auf interessante, informative und angeregte Debatten im Bildungsausschuss.

Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zum Änderungsantrag der Piratenfraktion wird die Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie empfohlen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 25 war Priorität der Piratenfraktion unter Nr. 4.2.

Ich rufe auf

(Vizepräsident Andreas Gram)

lfd. Nr. 26:

Datenschutzniveau des Landes Berlin durch die Novellierung der EU-Datenschutzrichtlinien erhalten und ausbauen!

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0226

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU vor, Drucksache 17/0226-1.

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben.

Es kommt viel zu selten vor, dass wir uns öffentlich mit einem europäischen Gesetzgebungsverfahren befassen. Dabei ist eine solche Debatte dringend geboten, wenn es um Gesetze geht, die nach Verkündung unmittelbar für uns alle gelten. Spätestens dann erscheinen sie fast wie vom europäischen Himmel gefallen, und man hört allgemeines Lamentieren: „Was hat uns Brüssel da bloß wieder eingebrockt!“

Der vorliegende Antrag der Piratenfraktion wurde im Liquid-Feedback-System der Berliner Piraten im Januar dieses Jahres erarbeitet und am 13. Februar mit 93 Prozent Zustimmung abgeschlossen. Der referierte Entwurf der EU-Kommission – COM(2012) 11/4 draft – entspricht in wesentlichen Punkten dem in den letzten 30 Jahren entwickelten deutschen Datenschutzniveau. Er enthält zwar auch Abschwächungen, glänzt aber mit einigen Verbesserungen, die von Datenschutzexperten heute gefordert werden. Ein Beispiel ist der Grundsatz, dass Daten, die in der EU erhoben werden, nur zu den in der EU geltenden Bedingungen gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden dürfen.

Der von Kommissarin Viviane Reding am 25. Januar vorgestellte Entwurf – COM(2012) 11 final – ist dagegen schon deutlich aufgeweicht. Als Beispiel seien die in Artikel 79 vorgesehenen Strafzahlungen genannt, die von 5 Prozent auf 2 Prozent des Unternehmensumsatzes gesenkt wurden, die Minimalstrafe wurde gestrichen. Auch die Artikel 42 ff., die eine Weitergabe von Daten an Drittstaaten regeln, wurden wohl auf Druck aus den USA weitgehend entschärft. Das bestärkt die in unserem Antrag formulierte Befürchtung, dass Frau Reding ihren Anspruch, die in Deutschland geltenden hohen Standards auf europäischem Niveau zu erhalten, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht aufrechterhalten kann.