Protocol of the Session on March 22, 2007

In der „Berliner Zeitung“ vom 17. März schreibt Jan Thomsen:

Die Berlin-Konferenz ist etwas unerhört Neues in Berlin. Es gibt in dieser Wahlperiode offenbar eine starke Opposition, die über den Show-Effekt hinaus für Berlin etwas erreichen will.

Ich finde, dass es in der Tat etwas Neues ist, und zwar nicht wegen Jamaika und nicht wegen Koalition. Wir sind nicht im Wahlkampf, Kollege Gaebler, sondern weil es in der Demokratie richtig und wichtig ist, dass es Wechselmöglichkeiten, Alternativen gibt. Eine starke Opposition kann eine Regierung antreiben. Das ist wichtig. In einer starken Demokratie gibt es Transparenz, Medien, Kontrolle, Verantwortlichkeit von unabhängigen Gerichten und eine starke Opposition. Ich sagen Ihnen, das, was hinter Ihrer Wortmeldung steht, ist die Angst, dass Sie nicht wie in den letzten fünf Jahren die drei Oppositionsparteien gegeneinander ausspielen können, sondern dass sie trotz mancher Differenzen, die auch bleiben werden, vor allen Dingen zusammenarbeiten, wenn es darum geht, die Schwächen dieses Senats in der Wirtschaftspolitik aufzudecken.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Auf der Berlin-Konferenz sind auch Leute von außen gekommen, und sie haben immer wieder die Frage aufgeworfen: Ist es eigentlich klug, wenn ein Regierender Bürgermeister sich positioniert und das Wichtigste, was von ihm übrigbleibt, „arm, aber sexy“ ist, oder jetzt „uns geht es gut“?

Ich komme zum Thema Arbeitsplätze. In Sachen Tempelhof haben wir unterschiedliche Auffassungen, auch mit den Grünen. Wer wollte das bestreiten? Aber muss man sich, wenn man gegen Tempelhof ist, dann als Regierender Bürgermeister hinstellen und den Investor, der 320 Millionen € und 1 000 Arbeitsplätze in diese Stadt bringen will, als den „reichen Onkel aus Amerika“ beschimpfen? So geht man nicht mit Investoren und Arbeitsplätzen in dieser Stadt um, unabhängig davon, ob einem Tempelhof gefällt oder nicht.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die Opposition wird umso wichtiger, je schwächer ein Senat ist, je mehr er dahindümpelt, je weniger er in der Lage ist, sich zu einigen. Es ist doch Herr Lederer gewesen, der gesagt hat, die SPD sei in einem großen Selbstfindungsprozess. Das ist doch nicht die CDU gewesen, sondern Ihr Koalitionspartner PDS sagt: Ihr müsst euch erst einmal selbst finden, um zu wissen, in welche Richtung es eigentlich gehen soll. – Das ist ein wichtiger Punkt, und umso wichtiger ist es, dass es eine Opposition gibt.

Jetzt haben wir uns gefreut, und das wollte ich heute ganz aktuell ansprechen: Regierungsprogramm des Senats für die Jahre 2007 bis 2011, gestern im Landespressedienst.

[Beifall von Heidi Kosche (Grüne)]

Ich war völlig begeistert. Jetzt haben die endlich etwas, habe ich gesagt. Endlich etwas, worüber wir hier debattieren können. Ich habe in der Senatskanzlei angerufen: Ich möchte das Papier gerne haben. – Anderthalb Stunden später kam der Anruf: Es gibt nichts zu verschicken. Es sei mehr ein bürokratisches Papier, das Verantwortlichkeiten zwischen den Senatoren aufführt, als ein Regierungsprogramm. – Eben aus diesem Grund brauchen wir eine Aktuelle Stunde, um darüber zu reden, was die Opposition mit gemeinsamem Engagement für Arbeitsplätze, Investitionen und für eine Wirtschafts- und Zukunftspolitik in Berlin erreichen kann, die endlich wieder vielen Menschen, gerade jungen Menschen in der Stadt Perspektiven gibt.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Danke schön, Herr Dr. Pflüger! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Eichstädt-Bohlig, die Vorsitzende, das Wort! – Bitte schön, Frau EichstädtBohlig!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, mir ist es so ähnlich gegangen wie dem Kollegen Pflüger, als am Dienstag eine Mitteilung der Senatskanzlei mit dem Titel einging: Regierungsprogramm des Senats 2007 bis 2011. – Da dachten wir Grünen: Toll! Jetzt geht es endlich los. Endlich gibt sich diese Regierung einen Regierungsauftrag, ein Ziel und ein Programm. Das wäre ja auch höchste Zeit nach der pflaumenweichen Koalitionsvereinbarung und der sehr schwachen Regierungserklärung. Die Stadt wartet seit einem halben Jahr darauf, dass sie zielgerichtet regiert wird, dass sie klare Leitlinien fürs Regierungshandeln bekommt. Leider entpuppte sich dieses Regierungsprogramm als eine Art Arbeits- und Gebrauchsanweisung auf einer kleinen Excel-Tabelle. Schade! Das wäre wirklich gut gewesen.

Ich sage gleich als Zweites: Hätten Sie, lieber Kollege Gaebler, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot, sich an der Berlin-Konferenz beteiligt, dann hätten Sie eine Reihe sehr guter Ideen für innovatives Regierungshandeln bekommen können,

[Carola Bluhm (Linksfraktion): Wir haben so viele Ideen!]

und zwar nicht so sehr von der Opposition, sondern von Bürgern dieser Stadt, die sich für die Zukunft dieser Stadt engagieren, und das sollte man nicht mies machen, sondern sehr ernst nehmen.

Es ist eine hohe Qualität unserer Stadt, wie viele Bürger sich hier engagieren.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Die zentrale Forderung dieser Konferenz war: Berlin muss sich ein Leitbild geben und zielgerichtete Politik machen. – Darum wollen wir heute mit Ihnen diskutieren – und freuen uns, dass Sie dem zustimmen werden –, wie sich Berlin ein ökologisches Leitbild geben kann, was das konkret bedeutet und wie es umgesetzt werden muss. Wir sind der Meinung, dass Berlin das in Zeiten des Klimawandels dringend braucht. Wir erkennen an, dass auf der Grundlage der EU-Richtlinie die Umweltzone eingerichtet wird. Das ist nötig, das ist eine Pflichtaufgabe, die der Senat erfüllen muss – leider mit viel zu großzügigen Ausnahmen. Aber – das muss man dem Regierenden Bürgermeister, der heute leider nicht da ist, auch sagen – die Umweltzone wird eingerichtet, um den Feinstaub in der Innenstadt zu reduzieren. Sie hat mit dem Klimaschutz nichts zu tun.

Insofern hat die „Berliner Zeitung“ gestern zu Recht getitelt: „Berlin muss noch mehr tun“. Darüber wollen wir heute reden. Die „Berliner Zeitung“ meint, dass eine Umweltzone allein noch keine gute Umweltpolitik ist. Auch das wollen und müssen wir Ihnen ins politische Arbeitsbuch hineinschreiben. Die „Berliner Zeitung“ hat recht, und es wird Zeit, dass sich diese Erkenntnis auch bei Rot-Rot durchsetzt. Darum wollen wir heute über das ökologische Leitbild und über notwendige Bausteine sprechen, die wir brauchen, damit Berlin zur Hauptstadt des Klimaschutzes, zur Solarhauptstadt, zur Ökohauptstadt wird. Das könnte Berlin schaffen. Dann würden wir alle auch politisch wieder neue Lust kriegen und uns nicht miesepetrig gegenseitig anmachen, sondern hätten ein gemeinsames Ziel für diese Stadt. Ich wünsche mir, dass das bei der Diskussion in der Aktuellen Stunde herauskommt.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Eichstädt-Bohlig! – Für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege Dr. Lindner das Wort zu einer Geburtstagsrede. – Bitte!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich zunächst für den herzlichen, warmen Beifall aus allen Ecken des Hauses. Aber ich fürchte, damit wird es sein Bewenden haben.

[Allgemeine Heiterkeit]

Niemals in den letzten Wochen und Monaten wurde der Unterschied im Niveau zwischen Opposition und Regierung so deutlich wie am vergangenen 16. März. Da hatten wir auf der einen Seite einen luftigen Regierenden Bürgermeister, der ein eher kasperlmäßiges Programm in Los Angeles abzog. – Lieber Kollege Gaebler! Wenn hier in letzter Zeit jemand peinlich für das Land war, dann war es bestimmt nicht der Kollege Pflüger, sondern mal wieder der Regierende Bürgermeister, der in seine alten, lächerli

chen Zeiten zurückgefallen ist. Das soll er sich einmal hinter die Ohren schreiben.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Ich erspare uns jetzt, was mir aus Teilen der Zuhörerschaft von der Atlantikbrücke mitgeteilt wurde, was er da für eine Rede gehalten hat. Das gebietet an einem solchen Tag hier im Parlament der Respekt vor dem Amt und vor der Stadt. Wir von der Opposition haben im Unterschied zu dieser niveaulosen Veranstaltung in Kalifornien eine wirklich vernünftige und sehr niveauvolle Veranstaltung durchgeführt. – Herr Kollege Gaebler, wenn Sie das so abkanzeln, was da passiert ist, dann müssen Sie sich einfach einmal erzählen lassen – Sie hatten ein paar Emissäre dabei –, nicht nur, wer auf dem Podium saß, sondern auch, wer sich, ohne dass wir körperliche Gewalt angewendet hätten, in der Zuhörerschaft befand. Das waren Spitzenvertreter der Berliner Verwaltung, Spitzenvertreter der Berliner Polizei und Vorstandsvorsitzende von Berliner Unternehmen. Die wissen, wo die Zukunft ist und wo über Zukunft geredet wurde.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Auf dem Podium war auch der Finanzminister von Baden-Württemberg. Ich freue mich, dass wir erfahren haben, dass die Geberländer nicht – wie hier verzerrt von der Regierung dargestellt wurde – gegen Berlin sind, sondern von Berlin bestimmte Dinge erwarten, die sie auch in ihren Ländern durchgesetzt haben. Aber sie sind dabei, wenn es darum geht, Berlin zu helfen, was Altschulden aus der Vergangenheit angeht, für die Berlin nichts kann, und sie wollen vor allen Dingen mit Berlin diskutieren, wie wir beispielsweise den Föderalismus neu sortieren und mehr Wettbewerb und Leistungsfähigkeit erreichen.

Auch Herr Fiedler von der Hertie School of Governance war da. Es war erfrischend zu hören, welche Möglichkeiten man hat, um diese bürokratische Verwaltung zum Wohle aller, einerseits des Finanzsenators und seines Staatsschatzes, und auf der anderen Seite zum Wohle der Berliner und der Unternehmen, zu reformieren. Zuletzt war es Prof. Lenzen, der uns eindringlich in Erinnerung rief, wie wichtig es ist, Exzellenz in der Stadt zu stärken, und zwar auf allen Ebenen. Ich frage Sie: Wie sieht die Realität auf diesem Feld aus? – Letzte Woche hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Berlin einen Paläoklimatologen mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet. Das ist der höchstdotierte deutsche Förderpreis für Spitzenforschung. Der Geehrte bedankte sich herzlich für den Preis und wandert anschließend in die Schweiz ab.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Das ist doch wechselseitig!]

Zur Begründung verweist er auf die hiesigen Zustände, die er in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 12. März mit „Unfreiheit“ beschreibt. Er hat sich – das sagt er in aller Deutlichkeit – gegen chronische Unterfinanzierung, gegen die Hierarchie der staatlichen Geldgeber, gegen starre Wissenschaftsstrukturen und gegen die Leistungsfeindlichkeit entschieden, auch

gegen den deutschen Bürokratieirrsinn. Jeden Tag – erzählt er – gehen bei ihm 70 % der Arbeitszeit für Bürokratie, Gremiensitzungen, Berichte, Formulare etc. drauf. So verbringen in Berlin und in Deutschland hochqualifizierte, höchstdotierte Spitzenforscher ihre Arbeitszeit. Das ist pure Verschwendung. Wir müssen uns aktuell darüber unterhalten, wie wir diesen Wahnsinn beenden, [Uwe Doering (Linksfraktion): Machen Sie doch mal einen Vorschlag!]

wie wir nach vorne kommen, wie wir den Wissenschaftlern und Forschern ermöglichen, sich wieder um ihr Produkt, um ihre Forschungsergebnisse und nicht um unsere Verwaltung zu kümmern.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das ist unser Vorschlag, über den wir heute aktuell diskutieren möchten. Zeigen wir, dass wir in Berlin nicht nur einen Regierenden Bürgermeister haben, der den Grad seiner eigenen Bedeutung danach bemisst, wie oft pro Woche er Thomas Gottschalk trifft, sondern dass wir hier wenigstens ein Landesparlament haben, das erkennt, wo die wirklich bedeutenden Themen unserer Zeit und unserer Stadt liegen! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lindner! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, und ich lasse über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde abstimmen, und zwar zuerst über das Thema der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, da sich zu diesem Antrag in der Besprechung der Geschäftsführer der Fraktionen bereits eine Mehrheit abzeichnete. Wer also dem Thema der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Gegenstimmen sehe ich nicht, Enthaltungen auch nicht. Dann ist das einstimmig so beschlossen. Die anderen Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann weise ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hin. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung.

Dem Ältestenrat lag für die heutige Sitzung die ganztägige Entschuldigung des Herrn Regierenden Bürgermeisters vor, und zwar wegen der Ministerpräsidentenkonferenz.

In seiner 11. Sitzung am vergangenen Dienstag hat der Ältestenrat den Terminplan für die Plenarsitzungen im Jahr 2008 beschlossen. Dieser liegt bereits auf gelbem Papier gedruckt auf Ihren Tischen.

[Zurufe: Nein!]

Noch nicht? – Dann kommt er noch!

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat Frau Abgeordnete Anja Hertel von der Fraktion der SPD zu:

Antisemitischer Vorfall an der Berliner Polizeischule

Bitte schön, Frau Hertel!