Protocol of the Session on May 26, 2011

[Gernot Klemm (Linksfraktion): Aber bei BBI ohne Flugrouten!]

Diese ganzen Planungen werden dann auch neue Unternehmen in die Stadt bringen, Forschungsstandorte wachsen lassen und viele Unternehmen werden Berlin nutzen wollen, um sich als Schaufenster zu präsentieren. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist dann aber auch, dass wir uns viel stärker als bisher um die bestehenden Unter

nehmen in der Stadt kümmern müssen. Die Bestandspflege des jetzigen Senats hat sich leider immer nur auf die letzten Monate vor einer Wahl beschränkt. Ansonsten waren die bestehenden Unternehmen, die kleinen und mittelständischen Strukturen dem Senat nicht wichtig. Das muss sich ändern.

[Beifall bei der CDU]

Die von der FDP formulierte erschreckende Perspektive in Baden-Württemberg ist am Ende hier in Berlin jahrelange Realität. Rot-Rot steht für wirtschaftlichen Abschwung. Das jahrelange Gerede des Regierenden Bürgermeisters über das postindustrielle Zeitalter und die fortschreitende Deindustrialisierung hat Berlin wertvolle Zeit gekostet und Chancen geraubt.

Wir sind nicht die Einzigen, die das immer wieder gesagt haben. Das DIW bestätigt, dass 90 000 Arbeitsplätze im industriellen Bereich möglich sind, 90 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Eine Studie von McKinsey kommt sogar auf ein Potenzial von bis zu 500 000 Arbeitsplätzen über alle Branchen, und auch Prognos hat erst jüngst eine sehr unterdurchschnittliche Entwicklung aufgrund der Wirtschaftspolitik dieses Senats prognostiziert. Deshalb sagen wir: Für eine Metropole wie Berlin reicht es nicht, sich auf den Dienstleistungssektor zu beschränken. Wir brauchen industrielle Arbeit, Fertigung und Produktion in der Stadt, und zwar gepaart mit exzellenter Forschung. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.

[Beifall bei der CDU]

In Berlin wird aktuell überdurchschnittlich viel Geld für Forschung ausgegeben, aber Produktentwicklung und Produktion erfolgen woanders. Deshalb ist unsere gleichbleibende Forderung als CDU-Fraktion, das klare Bekenntnis zur Industrie, zu moderner Fertigung und Produktion, deswegen wollen wir auch gezielt den Forschungs- und Entwicklungsstandort ausbauen. Wir unterstützen Ausgründungsinitiativen genauso wie den Technologietransfer von Wissenschaft in die Wirtschaft. Die wirtschaftliche Aktivierung der Stadt ist inzwischen so offensichtlich notwendig, dass sich zumindest die Rhetorik der Regierungskoalition an dieser Stelle verändert hat – das Handeln leider nicht. Unter Wowereit ist die wirtschaftliche Basis für die noch ungebrochene Attraktivität der Stadt, für die hohe Lebensqualität erodiert, und deshalb ist es Zeit, dass sich etwas ändert, –

Herr Melzer! Ihre Redezeit ist beendet.

sich die wirtschaftliche Zukunft der Stadt verbessert. Das muss dringend angepackt werden, und allerspätestens im Herbst. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Melzer! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Klemm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Meyer! Ach Gott, was soll man mit einem solchen Antrag machen?

[Mirco Dragowski (FDP): Zustimmen!]

Ich verstehe ja Ihre Verzweiflung nach den letzten Landtagswahlen. Unsere Ergebnisse waren auch nicht so besonders gut, aber in solch einer Situation tendiere ich immer dazu zu sagen: Erst einmal innehalten und ein wenig nachdenken. Es ist einfach nicht klug, mit ziellosem Aktionismus den Quatsch noch „quätscher“ zu machen.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen]

Ihr Antrag ist leider „quätscher“ im Quadrat. Deshalb sind Sie, Herr Meyer, eigentlich auf den Antragstext gar nicht wirklich eingegangen.

Ich stehe nach wie vor interessiert vor der Frage, was Sie mit Ihrem Antrag wollen. Welche Industrien aus BadenWürttemberg, die Grün-Rot dort nicht will, wollen Sie jetzt flugs nach Berlin holen? Meinen Sie etwa die abgeschalteten Atomkraftwerke in Baden-Württemberg

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Nein! Nein!]

oder den Stuttgarter Tiefbahnhof?

[Björn Jotzo (FDP): Wir haben Gott sei Dank schon einen!]

Den brauchen wir auch nicht in Berlin, wir haben hier einen hundertmal besseren. In Bezug auf die Autoindustrie in Baden-Württemberg, liebe FDP-Kolleginnen und -kollegen ist mir auch nicht bange. Da bin ich mir sehr sicher, dass sich die Grünen dort wie anderswo in Regierungsverantwortung als ausgesprochen wendig erweisen werden. In Hamburg bauen sie ein Kohlekraftwerk und machen jede Elbvertiefung mit, in Bremen verkloppen sie dieser Tage gerade den Bahnhofsvorplatz für einen völlig unsinnigen und noch dazu grottenhässlichen Gewerbeneubau, in Rheinland-Pfalz bauen sie, ohne mit der Wimper zu zucken, die umstrittene Hochmoselbrücke. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Das ist alles übrigens entgegen Ihrem Antragstext gar keine Planwirtschaft – da weiß ich immer noch ganz gut, wovon ich rede.

[Andreas Gram (CDU): Lange geübt!]

Wenn die Politik der Grünen im Moment irgendeinem Plan folgt, dann dem, koste es was es wolle, durch Versprechen an alle und jeden weiter Stimmenmaximierung zu betreiben. Aber auch das ist nicht verboten, und soll auch schon bei anderen Fraktionen hier im Rund vorgekommen sein. Ich nenne nur das Stichwort Steuersenkungen. Liebe Kollegen von der FDP! Was soll dieser Antrag im Berliner Abgeordnetenhaus? In Baden-Württemberg

sind Sie noch im Landtag. Sie müssen dort für Ihre Politikvorstellungen kämpfen, nicht bei uns.

Wenn Sie mit Ihrem Antrag in Bezug auf die Autoindustrie in Baden-Württemberg im Gegensatz zu meiner Vermutung am Ende doch recht haben, weil die Grünen auch nur mit Wasser kochen, kann ich Sie auch für diesen Fall beruhigen. Herr Jahnke hat schon festgestellt: Berlin ist gut aufgestellt. Das zeigt unser überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in den letzten fünf Jahren.

[Björn Jotzo (FDP): Hä? – Andreas Gram (CDU): Welches Berlin meinen Sie? – Uwe Goetze (CDU): Es gibt noch ein Berlin in Schleswig-Holstein!]

Das zeigt ein internationales Städteranking nach dem anderen, wo Berlin immer weiter nach vorn kommt. Das zeigt, dass unsere Wirtschaftspolitik der Verbindung von Wissenschaft und Forschung und das Setzen auf Entwicklungscluster wirkt, und das bedeutet auch, dass einiges, was in Baden-Württemberg jetzt noch gebaut wird, tatsächlich auch nach Berlin passen würde, auch nennenswerte Segmente der dortigen Autoindustrie. Dafür maßgeschneidert haben wir den Masterplan Industrie. Also richten Sie Ihren Kollegen im Landtag in BadenWürttemberg gern auch von uns, der Wirtschaftspartei hier im Berliner Abgeordnetenhaus,

[Gelächter bei der FDP – Gelächter von Andreas Gram (CDU)]

mit dem erfolgreichen Wirtschaftssenator Harald Wolf, aus, wenn Sie dann doch einmal in Baden-Württemberg Probleme haben, sollen Sie mit Ihren Wirtschaftsleuten reden, die sind dann jederzeit mit einer Reihe von Produktionslinien auch in Berlin herzlich willkommen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Andreas Gram (CDU): Wirtschaftspartei! Ich glaube es nicht!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klemm! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Schäfer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Meyer! Ich empfehle Ihnen einen Vortrag, den ich neulich im Internet gesehen habe. Die Kernaussagen sind: Die Industrieländer müssen bis 2050 ihre Energieerzeugung ohne jeden CO2-Ausstoß hinbekommen. Die technische Revolution, die dafür notwendig ist, bekommt die Wirtschaft allein nicht hin. Staatliche Zielvorgaben, gesetzliche Leitplanken zur Lenkung von Märkten und öffentliche Forschungsförderung seien dafür unbedingt notwendig. Wer ist dieser Redner, der – um mit Ihren Worten zu sprechen – unter solch moralischer Selbsterhöhung leidet und behauptet zu wissen, welche Branchen wachsen müs

sen, offenbar planwirtschaftlich angehaucht ist und staatliche Leitplanken für Markte fordert und keine Ahnung von Wirtschaftspolitik hat? – Es ist Bill Gates. Er wird sehr, sehr traurig sein über dieses harte Urteil, dass er nach Aussage der FDP von Wirtschaftspolitik keine Ahnung hat. Aber es ist doch schön, dass man trotzdem mehrfacher Milliardär werden kann.

Kommen wir mal zum Kern Ihres Antrags! Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland finden bestimmte Formen der Energieerzeugung und bestimmte Formen des Wirtschaftens besser als andere. Sie haben deshalb in Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und auch in Baden-Württemberg SPD und Grüne in die Regierung gewählt, weil sie wollen, dass der Staat den Unternehmen hier rechtliche Leitplanken setzt. Und das tun diese Landesregierungen jetzt. Sie nennen das Planwirtschaft und Bevormundungspolitik. Wir nennen das Demokratie.

[Beifall bei den Grünen]

SPD und Grüne lassen in Nordrhein-Westfalen die Kohlesubventionen auslaufen, die Sie weiter fleißig bezahlt haben in Ihrer Regierungszeit. Was ist die Konsequenz Ihres Antrags? Wollen Sie jetzt Zechen nach Berlin holen? – Grüne und SPD in Baden-Württemberg werden Phillipsburg I und Neckar-Westheim I endgültig stilllegen, egal was Ihre Bundesregierung beschließt. Wollen Sie die in Berlin wieder aufbauen, wenn die da abgebaut werden? – Ähnlich absurd wie diese Vorstellung ist die Vorstellung, Daimler oder Porsche würden Standorte von Baden-Württemberg nach Berlin verlegen. Das ist keine ernsthafte Politik, die Sie mit diesem Antrag machen. Die Standortentscheidungen in den heute dominierenden Industrien sind doch längst gefallen.

Die Chance Berlins liegt deshalb in den neuen Industrien, die sich jetzt entwickeln. Und da zitiere ich noch mal jemand anders:

In zehn Jahren hat die Green Economy mehr Bedeutung als die Automobilindustrie heute.

Eric Schweitzer, Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer.

Vier Fraktionen in diesem Abgeordnetenhaus sind sich deshalb einig, dass wir darum streiten müssen, dass wir uns auseinandersetzen müssen: Wie können wir die Entwicklung der Green Economy in Berlin besser unterstützen als bisher? Vier Fraktionen suchen da nach guten Lösungen. Aber Sie, Herr Meyer, sagen zu Green Economy im „Tagesspiegel“:

Fast alle Bundesländer haben längst ein etabliertes Umweltcluster.

Das ist jetzt keine Kritik von Ihnen am Senat, so ist das nicht gemeint. Sondern Sie fügen an:

Berlin wäre als Nachzügler in diesem Wettbewerb chancenlos. Deshalb sollten wir in Berlin diese Zukunftsbranchen kampflos aufgeben.

Das ist eine absurde Schlussfolgerung.

[Beifall bei den Grünen]

Damit treiben Sie doch Siemens, Bombardier, Inventux, Solon, Sulfurcell aus dieser Stadt raus. Das, was Sie machen, ist doch eine Deindustrialisierungspolitik in dieser Stadt.

[Beifall bei den Grünen]

Gottlieb Daimler hat das Automobil erfunden und hat damit einen Wirtschaftszweig in Baden-Württemberg gegründet. Hier in Berlin gibt es auch innovative Unternehmer, ohne sie auf eine Stufe stellen zu wollen. Aber zum Beispiel ist in einem Kreuzberger Hinterhof eine wesentliche Entwicklung bei der Solarindustrie entstanden, Wuseltronik hieß das Unternehmen. Aus dem sind Q-Cells und Solon hervorgegangen. Dass diese Ideen in Berlin auch Unternehmen werden, das muss doch das Ziel von Berliner Wirtschaftspolitik sein.

[Beifall bei den Grünen]

Und dass dieses Unternehmen Q-Cells von diesem Senat nach Sachsen-Anhalt vertrieben wurde, weil man hier nicht in der Lage war, irgendwie mit denen zu verhandeln, dass jetzt 700 Arbeitsplätze in Bitterfeld entstanden sind statt in Berlin, das müssten Sie doch angreifen. Aber Sie haben sich doch aus solider Wirtschaftspolitik längst verabschiedet.