Protocol of the Session on May 26, 2011

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Entschuldigung, Herr Kollege! – Darf ich Ihnen die Auseinandersetzung mit dem Redner empfehlen? Das ist im Parlament so üblich. Hören Sie einfach einmal Herrn Klemm zu! – Bitte!

Herr Präsident! Ich habe keine Probleme, über das Thema von Frau Pop zu reden und einmal die Frage zu stellen, wer dieses Paket miterfunden hat.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Es ist absurd, wenn Sie fordern, der Senat solle alle Familien mit Kindern anschreiben, und gleichzeitig im Ausschuss für Datenschutz kritisieren, dass der Senat Eltern anschreibt, um über Hortmöglichkeiten zu informieren. Das ist lächerlich und unglaubwürdig.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir haben aber ein anderes Thema beantragt. Vor gut einem Jahr haben wir hier zuletzt über das Vergabegesetz diskutiert. Herr Melzer von der CDU hat damals behauptet, das Gesetz sei nicht rechtssicher und gehe an den Interessen des Mittelstands vorbei. Er hat in Anbetracht des Mindestlohn die Gefahr eines Arbeitsplatzabbaus in Berlin an die Wand gemalt. Die IHK hat in der Anhörung zum Gesetz gemeint, etliche Berliner Unternehmen übernähmen durch die Mindestlohnregelung im Vergabegesetz keine öffentlichen Aufträge mehr. Ganz zu schweigen von der Welle der Kritik an den Kriterien zur Frauenförderung in den Betrieben, an den Kriterien zur Ausbildungsförderung in den Betrieben und an den Nachhaltigkeitskriterien.

Heute, ein Jahr nach der Verabschiedung dieses Gesetzes, ist es an der Zeit, hier im Parlament erneut darüber zu reden. Wir müssen hinterfragen, ob die seinerzeit befürchteten negativen Auswirkungen des Gesetzes eingetreten sind. Sind Arbeitsplätze verloren gegangen? – Nein, keine! Im Gegenteil: Berlin hat mittlerweile noch mehr Arbeitsplätze als vor einem Jahr. Berlin wächst erfolgreich.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ist das Gesetz beklagt worden? – Nichts dergleichen! Gar nichts! Hat der Mindestlohn im Vergabegesetz zu weniger Vergaben im Berliner Mittelstand geführt? – Es gibt kein Beispiel. Nennen Sie mir eins! Ich war erst vor einigen Tagen bei einem Berliner Mittelständler, einem Nachunternehmer der BSR, der unter den Mindestlohnbedingungen im Vergabegesetz Arbeitsplätze für gering qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschaffen hat. Die waren ganz zufrieden, endlich wieder Jobs gefunden zu haben. Der Unternehmer hat mir deutlich gesagt, er würde sich mehr Aufträge wünschen, ein größeres Auftragsvolumen, er könne noch mehr Arbeitsplätze schaffen, insbesondere unter den verlässlichen Bedingungen des Berliner Vergabegesetzes.

[Christoph Meyer (FDP): In welcher Welt leben Sie denn?]

Gleichwohl ist es bei einer so komplexen Rechtsmaterie immer notwendig zu schauen, aktuell zu diskutieren und nachzujustieren. Wir müssen über die Einhaltung der ökologischen Kriterien und deren Kontrolle sprechen. Wir müssen schauen, welche Auswirkungen das Gesetz auf die Geschlechtergerechtigkeit und die Ausbildungsför

derung in den Betrieben tatsächlich hat. Wir müssen in den Vergabestellen über erste positive und negative Erfahrungen mit der geänderten Ausschreibungspraxis sprechen. So manches Rundschreiben zur Durchführung des Vergabegesetzes ist durchaus noch überarbeitungsbedürftig.

Das Ergebnis dieser Abwägung, das sich jetzt schon abzeichnet, wird aber zeigen, dass das Berliner Vergabegesetz eine Erfolggeschichte ist.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Berliner Vergabegesetz wirkt. Es nützt der Stadt. Es nützt nicht nur der Stadt, sondern es nützt vor allen Dingen auch den Unternehmerinnen und Unternehmern, die ihre Mitarbeiter fair entlohnen, die Frauen fördern, die Ausbildungsplätze bereitstellen und nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit wirtschaften.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Nur an einer Stelle – die SPD hat es auch angesprochen –, finde ich, ist das Gesetz bereits jetzt nachbesserungswürdig und könnte noch schöner gemacht werden: Das ist der Mindestlohn.

[Sebastian Czaja (FDP): 10 Euro?]

Wir, Die Linke, sagen: Es ist an der Zeit, dass der Senat von seiner Ermächtigungsbefugnis nach § 2 des Gesetzes Gebrauch macht,

[Sebastian Czaja (FDP): 15 Euro? 20 Euro?]

und den Mindestlohn auf 8,50 Euro anhebt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Über all das sollten wir reden. Über all das sollten wir diskutieren. Deshalb bin ich nur sehr ungern der Empfehlung meiner Fraktionsspitze gefolgt, die sagt: In Anbetracht der Ereignisse am Montag müssen wir jetzt doch über das Thema der CDU reden. – Aber das Vergabegesetz wäre ein wunderschönes Thema gewesen!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Klemm! – Für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege Meyer, der Fraktionsvorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Herr Meyer!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat sich der Senat immer wieder, auch hier im Plenum, mit fremden Federn geschmückt. Dies immer dann, wenn Studien über die Zukunft dieser Stadt veröffentlicht worden sind. Heute geben wir Ihnen, meine Damen und Herren vom Senat, mit unserem Antrag zur Aktuellen Stunde die Gelegenheit, sich zu der schallenden

Ohrfeige zu erklären, die die jüngste Prognos-Studie der Landesbank Ihnen gegeben hat.

[Beifall bei der FDP]

Diese Studie entlarvt die vollmundigen Ankündigungen dieses Senats und stellt ihnen die düstere Realität nach zehn Jahren Rot-Rot entgegen. Berlin ist nicht nur heute Schlusslicht bei der Wirtschaftsentwicklung – Herr Klemm, ich weiß gar nicht, in welcher Welt Sie leben! –,

[Zuruf von Gernot Klemm (Linksfraktion)]

auch in den nächsten 20 Jahren wird unser Land den Rückstand zum Rest der Bundesrepublik nicht aufholen können. Die Berliner Wirtschaft wird nach dieser Studie bis ins Jahr 2030 pro Jahr nur um 0,8 Prozent zulegen können. Sogar Brandenburg schafft mehr, ganz zu schweigen vom Rest der Bundesrepublik. Es setzt sich damit ein Trend fort, den wir bedauerlicherweise schon in den letzten zehn Jahren erleben mussten. Das Bruttoinlandprodukt in Berlin liegt noch unter dem Stand des Jahres 2002, während der Bund trotz der Krise über 6 Prozentpunkte zulegen konnte und Brandenburg sogar 8 Prozent zugelegt hat. Das ist nicht das Ergebnis irgendwelcher widriger Umstände, sondern das Armutszeugnis Ihrer Politik.

[Beifall bei der FDP]

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Berlin ist das Bundesland mit der höchsten wirtschaftlichen Unfreiheit. In keinem anderen Land wurde in den letzten zehn oder auch zwanzig Jahren ein solches Netz von Verboten und Vorschriften geschaffen wie von Ihnen. Sie schaffen es noch nicht einmal, einen Handwerkerparkausweis stadtweit unbürokratisch und schnell auszustellen. Sie wollen sich heute dafür feiern, dass Sie vor einem Jahr ein Vergabegesetz aufgelegt haben, das nur Bürokratie geschaffen hat, und das im Ergebnis zu weniger Wettbewerb und zu weniger leistungsfähigen Unternehmen in der Stadt geführt hat.

[Gernot Klemm (Linksfraktion): Quatsch!]

Die Brachen in Tempelhof oder zum Beispiel der Stillstand bei Mediaspree sind Zeugnis für Ihr Unvermögen, Entwicklungschancen für diese Stadt zu erkennen oder zu ergreifen.

[Beifall bei der FDP]

Berlin ist immer noch Hauptstadt von Armut und Arbeitslosigkeit. Die Ursache dafür ist Ihre wachstums- und veränderungsfeindliche Grundhaltung, Ihre Ideenlosigkeit in Bezug auf die Zukunft der Stadt. Sogar in Bereichen, wo alle Studien Potenzial für Berlin sehen, tun Sie nichts. Im Bereich Tourismus zum Beispiel wollen Sie mit einer neuen Abgabe das Übernachtungs- und Kongressgeschäft ausbremsen, beim Thema Gesundheitswirtschaft lassen Sie Charité und Vivantes weiter verfallen, und dies nur, weil Sie keine Kraft haben zu großen Lösungen, und vor allem, weil Sie ideologisch bedingt panische Angst vor dem haben, was Berlin am meisten braucht. Sie haben Angst vor privatem Kapital und vor privatem Unternehmertum.

[Beifall bei der FDP]

Sogar der Landesrechnungshof hat Ihnen in diesen Tagen verdeutlicht, dass Ihre teuren Rekommunalisierungsfantasien für Berlin einfach nicht bezahlbar sind. Den Bürgern bringen sie nichts außer neuen Schulden, und das sollten Sie beherzigen und die Rekommunalisierung deshalb lieber sein lassen. Nehmen Sie heute dazu Stellung, ob Sie unser Land mit noch mehr Schulden überziehen und die Staatsquote in Berlin am liebsten noch auf über 60 Prozent erhöhen wollen!

Wir haben in dieser Woche ebenfalls erfahren, dass der Stabilitätsrat festgestellt hat, dass Berlin eine Haushaltsnotlage droht. Der Senat wurde verpflichtet, ein Sanierungsprogramm aufzulegen, und anders als zum Beispiel im schwarz-gelb regierten Schleswig-Holstein, dessen Konsolidierungsbemühungen ausdrücklich vom Stabilitätsrat anerkannt worden sind, hat der Berliner Senat in der gesamten Legislaturperiode noch nichts Greifbares, noch nichts von Substanz vorgelegt.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was hat das denn mit der Aktuellen Stunde zu tun?]

Lesen Sie doch einmal unseren Antrag zur Aktuellen Stunde! Es geht um die Verschuldung der Stadt. Aber das interessiert Sie ja offensichtlich nicht mehr von der Linken!

[Uwe Doering (Linksfraktion): Interessiert mich schon!]

Ich fordere Sie auf, Herr Nußbaum: Legen Sie Ihr Sanierungsprogramm zusammen mit der mittelfristigen Finanzplanung noch in dieser Legislaturperiode vor dem Wahltag vor!

[Zuruf von Dilek Kolat (SPD)]

Dann kann sich das Haus, dann kann sich die Öffentlichkeit ein Bild machen, ob Sie endlich verstanden haben, dass Berlin seine Ausgabenseite in den Griff bekommen muss,

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

ob Sie endlich verstanden haben, dass der Senat nicht dauerhaft als eine Art schmarotzender Bittsteller auf der Tasche der übrigen Länder und des Bundes liegen darf.

Düstere Zukunftsprognosen, nicht bezahlbare Verstaatlichungen und die Entscheidung des Stabilitätsrats sind Themen, die heute dringend besprochen werden müssen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Thema für die Aktuelle Stunde!

[Beifall bei der FDP]