Protocol of the Session on May 12, 2011

Selbstverständlichkeit – Sie haben es immer noch nicht geschafft, fünf Jahre Zeit! Ein weiterer Beweis dafür, dass Familienpolitik lediglich peripher von den Verantwortlichen wahrgenommen wurde.

[Beifall bei der FDP]

Und dann Ihr grandioser Vorschlag, Kitas zu Familienzentren weiterzuentwickeln! Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Und darum wollen Sie sich jetzt auch wirklich kümmern! Wir wissen doch alle: Der Weg hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit geht auch über die Familienarbeit in den Kitas, und da, Herr Senator, hätte mir Ihre Initiative während der Legislaturperiode besser gefallen, anstatt sie zum Ende der Legislaturperiode anzukündigen.

Herr Senator! Sie schreiben:

Es wird deutlich, dass die Familienpolitik in Berlin eine ressortübergreifende Bedeutung hat, der zukünftig verstärkt Rechnung getragen werden muss.

Diesen Satz unterschreibe ich gerne, nur leider steht er nicht zu Beginn des Berichts. Dann hätte es spannend werden können. Nein, mit dieser Erkenntnis schließt Ihre Stellungnahme, frei nach dem Motto: Der Senat hat seine Schuldigkeit getan. – Ich füge hinzu: Und er kann gehen. – Danke!

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Senftleben! – Es spricht jetzt der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Herr Prof. Dr. Zöllner, zu uns.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie leben Familien in Berlin? Welche Bedingungen finden junge Menschen vor, wenn sie hier eine Familie gründen wollen? Welche Risiken, aber auch welche Chancen birgt diese Stadt? – Diese Fragen hat der Familienbericht untersucht. Dabei hat der Familienbericht – und das ist einmalig – im Wesentlichen die Familien selbst zu Wort kommen lassen. Dies ist kein Bericht über Familien, sondern ein Bericht mit Familien. Rund 50 000 Familienhaushalte wurden schriftlich beteiligt und zahlreiche Veranstaltungen in allen Regionen durchgeführt. Ich will innerlich bejahend und leidenschaftlich an das anschließen, was glücklicherweise alle Vertreter aller Fraktionen gesagt haben: dass man sich bei dem Familienbeirat bedanken muss und ausgesprochen auch bei dem Vorsitzenden, Herrn Ruhenstroth-Bauer.

[Beifall bei der SPD]

Der Familienbeirat war aber nicht nur mit Akteuren aus der Gesellschaft neu zusammengesetzt, sondern er war auch mit neuen und wichtigen Aufgaben und Perspektiven versehen. Es ist in Deutschland einzigartig, dass ein

so zusammengesetztes Gremium inklusive Parteien einen solchen Bericht erarbeitet. ich danke daher auch den Abgeordneten, die in der Arbeit offensichtlich ein großes Maß an Übereinstimmung und Sachlichkeit gezeigt haben.

[Mieke Senftleben (FDP): Gern, Herr Senator!]

Nur so konnte es uns gelingen, dem Familienbeirat gelingen, einen Perspektivwechsel auf das Thema Familie in Berlin zu erreichen. Ich kann nicht alles aufzählen, nur noch mal daran erinnern: Es geht nicht nur um Chancen, es geht auch um Risiken. Es geht darum, Familie neu zu verstehen, nicht nur aus ihrer Gründungsphase heraus, sondern wirklich über das gesamte Leben hinweg zu verstehen – was uns die Augen öffnet für Probleme, die tatsächlich noch nicht gelöst sind, sondern die wir verstärkt ins Auge fassen müssen.

[Mieke Senftleben (FDP): Genau so ist es!]

Ein Stichwort sei der völlig neue Stellenwert, den Pflege in unserer Gesellschaft bekommen muss und bekommen wird.

Die Berliner Familien äußern sich ganz überwiegend zufrieden. Sie empfinden Berlin als eine familienfreundliche Stadt. – Meine Damen von der Opposition – in diesem Fall waren es nur Damen, vor allen Dingen hier auf der rechten Seite –! Gerade wenn es so wichtig ist und gerade wenn man Fortschritte erzielen muss, ist letzten Endes ein zentrales Element einer Diskussion, dass man denjenigen, die man ermuntern will, die man braucht, nicht das letzte Hemd auszieht, sondern erst mal betont, was erreicht worden ist. Denn nur das wird uns die Kraft geben, eine neue Qualität zu beschreiben.

Diese Zufriedenheit bezieht sich dabei vor allem auf die qualitativ hochwertige und gut ausgebaute Infrastruktur in der Kindertagesbetreuung.

[Mieke Senftleben (FDP): Hab’ ich doch gesagt!]

Eine verlässliche Tagesbetreuung ist sicher nicht die einzige, aber ganz sicher eine zentrale Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Tagesbetreuung steht Berliner Eltern wohl wie in keiner anderen Stadt Deutschlands zuverlässig und kostengünstig zur Verfügung. Mehr noch: In Berlin sind die letzten drei Kitajahre gebührenfrei – weil Sie dauernd ansprechen: Was ist denn erreicht worden? – Allein in den letzten fünf Jahren sind 16 000 zusätzliche Kitaplätze eingerichtet worden. Berlin bietet in dieser Hinsicht ein ausgezeichnetes Angebot. Darauf können wir stolz sein, darüber müssen wir auch reden, weil es ein Standortvorteil für diese Stadt ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Mieke Senftleben (FDP): Das ist ja richtig!]

Ich kann nicht mehr hören, wenn in diesem Zusammenhang immer wieder gefragt wird: Was ist erreicht worden? – Frau Demirbüken-Wegner! Ich möchte gern Ihre Augen öffnen und Sie bitten, Ihre beiden Augen zu nutzen. Es kann sein, dass große Leistungen in der Politik gerade in den Punkten, die nicht dauern, erreicht werden,

die Tagesordnungspunkte von Parlaments- und Ausschusssitzungen sind, wie es in der Familienpolitik in Berlin ohne Zweifel der Fall ist. Es kann aber auch umgekehrt sein, dass die großen Erfolge in der Politik dauernd Gegenstand von Diskussion sind, wie das Beispiel Schulpolitik in Berlin auch zeigt.

Das bedeutet aber auch, und das ist sicher wichtig, dass das Problem damit nicht gelöst ist. Wenn man nicht sofort eine Antwort parat hat, ist das aber kein Zeichen dafür, dass man das Problem ignoriert. Ich sehe sehr wohl, und der Senat sieht sehr wohl, dass auch ein neues Verständnis der Wirtschaft in diesem Zusammenhang angefordert werden muss.

[Mieke Senftleben (FDP): Das ist ja schon längst da!]

Dies ist aber nicht durch einfache Befehle zu erreichen. Und da dieser Senat nicht gerne Luftblasen von sich lässt, gibt es jetzt noch keinen Masterplan, weil wir am Ende einer Legislaturperiode und in Haushaltsberatungen sind.

[Mieke Senftleben (FDP): Die Wirtschaft ist viel weiter, als Sie denken, Herr Senator!]

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser besondere Vorteil einer guten Infrastruktur für Familien wird nicht nur vom Familienbericht hervorgehoben, sondern er hat sich herumgesprochen und ist mittlerweile ein wichtiger Standortfaktor für Berlin. Vor allem für junge Menschen ist Berlin attraktiv. Sie kommen nicht nur zum Studium oder zur Ausbildung hierher, nein – und das ist die gute und entscheidende Nachricht –, sie kommen, um zu bleiben und hier Familien zu gründen.

Der Familienbericht stellt jedoch nicht nur dar, wo Berlin auf dem richtigen Weg ist, sondern er zeigt auch, in welchen Bereichen wir noch nachbessern müssen. Grundsätzlich verbessert werden muss zum Beispiel die Information für Familien. Ich will die zwei Punkte noch mal kurz erwähnen, die schon erwähnt worden sind: Wir werden ein Internetportal für Familien aufbauen. Ein solches Portal soll zentral alle wichtigen Informationen für Familien übersichtlich, nutzerfreundlich und aktuell vorhalten. Eine weitere Empfehlung betrifft die Verbesserung der Infrastruktur. Es geht um Bündelung von Beratungs- und Serviceleistungen für Familien in den Bezirken, sogar um Familienbüros. Familienbüros sollen über familienrelevante Leistungen und Angebote beraten und gerade Familien mit kleinen Kindern von Wegen zu unterschiedlichen Ämtern entlasten.

Eine Weiterentwicklung von Kitas zu Familienzentren bzw. Eltern-Kind-Zentren ist für mich ein weiteres zentrales familienpolitisches Vorhaben. Kitas haben einen natürlichen Kontakt zu den im Sozialraum wohnenden Familien. Diese Strukturvorteile von Kitas sollen in Zukunft insbesondere für bildungsferne Familien genutzt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Senftleben! Ja, es ist ein Paradigmenwechsel, dieses im

verstärkten Maße als eine ressortübergreifende Aufgabe zu verstehen.

[Mieke Senftleben (FDP): Ist nichts davon zu merken!]

Wäre es Ihnen lieber gewesen, ich hätte den Satz an den Anfang gesetzt und so getan, als wäre das Problem gelöst? Dann ist es besser, weil dieses auf lange Sicht ein gänzlich neues Verständnis hervorrufen muss, dass man es anspricht und die Sache zu einem geeigneten Zeitpunkt – Sie wissen, wann solche Zeitpunkte auftreten – anfängt.

Bei der Bildung insgesamt – die sicher nicht das Alleinige ist, aber ein Schlüssel zu vielen familienpolitischen Problemen – gibt es einen Erfolg in Berlin. Förderung des frühen Zugangs – ich will das nicht noch einmal alles aufzählen –, kostenfreie Kitajahre und auch zum Beispiel die Weiterentwicklung der Schulstruktur sind wichtige Voraussetzungen, die Sie in der Republik nirgendwo finden. Dann sagen Sie das auch in diesem Zusammenhang, und nehmen Sie nicht nur die Worte „skandalös“ und „verlogen“ in den Mund!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Mieke Senftleben (FDP): Tue ich nicht!]

Das sind Fortschritte, die es nur hier in Berlin gibt.

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auch an etwas anderes erinnern. Familie ist – und ich sage das gerade hier in Berlin – nicht nur Mutter, Vater, Kind. Familie, das sind auch die Patchwork- und Regenbogenfamilien, das sind die Alleinerziehenden, das sind erwachsene Kinder, die sich um ihre Eltern kümmern; auch Pflege ist ein Thema, wenn es um Familie geht. Hier haben wir einen neuen Schwerpunkt und einen neuen Blickwinkel durch diesen Bericht gewonnen.

Wir wissen, dass Berlin für Familien, für Kinder eine tolle Stadt ist, wir wissen auch, dass wir noch besser werden können. Ich danke noch einmal dem Familienbeirat, dass er uns auf diesem Weg mit einem kritischen, aber auch konstruktiven Blick begleitet hat und freue mich, dass es so weitergehen kann. – Ich bedanke mich!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Senator Prof. Dr. Zöllner! – Wir treten ein in die zweite Rederunde. – Frau Demirbüken-Wegner hat das Wort.

Frau Scheeres hatte am Anfang ihrer Rede gesagt, der Bericht sei ein besonderer Bericht. Damit hat sie auch recht. Das ist wirklich ein ganz besonderer Bericht, wo es, Herr Senator, nicht darum geht, überzubetonen, was man in den letzten Jahren gemacht hat. Die Familienberichte der vergangenen Jahre kennen wir: eine Aneinanderreihung von Maßnahmen. Genau das soll der Bericht heute

nicht sein, sondern er sollte uns Handlungsräume aufzeigen, wo wir konkret handeln können. Genau das ist nicht geschehen. Sie, verehrter Herr Senator, haben mir gesagt, ich solle meine beiden Augen öffnen. Ich war heute in Reinickendorf in der Auguste-Viktoria-Allee im Mehrgenerationen- und Familienhaus. Obwohl ich da zum Thema Integrationslotsen, Stadtteilmütter etc. pp. gesprochen habe, ist die Kitaleiterin hinter mir hergerannt und hat gesagt: Bitte sagen Sie, dass wir Mütter haben, die weinend vor mir stehen, weil sie keine Kitaplätze haben! – Das habe ich der Kitaleiterin heute versprochen.

[Beifall bei der CDU]

So viel dazu, dass wir keinen Kitaplatzmangel haben.

[Senator Dr. Jürgen Zöllner: Sagen Sie das Ihrer Bezirksstadträtin!]

Ich habe meine beiden Augen geöffnet. Es geht in diesem Bericht nicht darum – unter der Federführung von Herrn Ruhenstroth-Bauer und der wundervollen Geschäftsstelle –, den Senat zu loben oder das, was bis jetzt gelaufen ist, überzubetonen, es geht darum zu sagen, was der Senat konkret macht. Wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Senator, und sagen, wir wollen prüfen, wir haben erkannt, wir werden eingehend dazu Handlungsschritte einleiten, dann finde ich es sehr mau, die Internetplattform, deren Vorbereitung seit drei Jahren läuft, die Familienbüros, die Familienzentren, was alles aus der Etatisierung herausgefallen ist, als konkrete Handlungsmaßnahmen zu erwähnen. Das finde ich sehr mager. Damit tun Sie dem Beirat, den Mitgliedern und auch allem drumherum, was den Bericht angeht, sehr unrecht. Das kann es nicht gewesen sein. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie hier heute Nägel mit Köpfen machen und uns mindestens zehn konkrete Handlungsschritte liefern, wie wir damit umzugehen haben. Aber auch das ist Ihnen heute nicht gelungen.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Haben Sie mal Ihren Bezirksstadtrat gefragt?]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat jetzt Frau Abgeordnete Jantzen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Zeit nur kurz dazu nutzen, Sie alle darauf aufmerksam zu machen, dass es noch Familienforen und Gesprächsrunden und Kreise gibt, wo man über den Familienbericht diskutieren kann. Das lohnt sich. Gerade im Wahlkampf kann man sich mit den Familien direkt vor Ort auseinandersetzen. Ich hoffe, dass der Bericht in der nächsten Legislaturperiode als umfassende Bestandsaufnahme und Handlungsanleitung für alle genommen wird. Die Termine gebe ich dem Regierenden Bürgermeister, weil Sie die Diskussion hier verpasst haben. Vielleicht diskutieren Sie mit Familien.

[Beifall bei den Grünen – Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Ich habe Sie gehört! Im ganzen Haus habe ich Sie gehört! Sie sind nicht zu überhören!]