Protocol of the Session on May 12, 2011

und die Tatsache, dass er dort noch ein halbes Jahr länger haben bleiben müssen, liege sicherlich daran, dass er als Vierzehnjähriger keinen Ausreiseantrag gestellt habe. Wer allerdings annimmt, dass in einem Kinderheim der DDR ein Vierzehnjähriger die Chance hatte, einen Ausreiseantrag zu stellen, der irrt ganz gewaltig. Ich finde, dieser Fall belegt, dass auch die Berliner Richterschaft womöglich noch ein wenig Weiterbildungsbedarf hat, den Sie, Herr Gutzeit, vielleicht abdecken sollten.

[Beifall bei den Grünen]

Ich möchte nun auf dieses Jahr zu sprechen kommen. In dieses Jahr fällt der 50. Jahrestag des Baus der Mauer, und aus diesem Anlass findet eine ganze Menge statt. Wir haben in Berlin auch einige Orte, die sich mit der Mauer beschäftigen. Denken Sie an die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße! Es ist bedauerlich, dass diese Gedenkstätte nach wie vor nicht ganz fertiggestellt ist. Denken Sie an den erweiterten Mauerbereich: Dort wurden zwischenzeitlich Häuser auf den Mauerstreifen gestellt. Die hat damals das Bezirksamt oder auch einer der Vorgängersenate genehmigt. All solche Dinge sind sehr unschön, und sie zeigen, dass auch wir als Land Berlin diese 20 Jahre noch gar nicht so richtig genutzt haben

[Christian Gaebler (SPD): Dubrau!]

Ja, Herr Gaebler, Sie können noch! –, um auch die Spuren der Mauer, die wenigen, die noch da sind, zu sichern.

Ein anderes Beispiel, das mir in den letzten Tagen noch mal begegnet ist: Das Haus 1 in der Normannenstraße! Dort hat Erich Mielke residiert. Dieses Haus wird jetzt saniert. Das ist dankenswerterweise durch den Bund übernommen worden. Aber wenn man sich mit der Sanierung dort mal befasst, habe ich das Gefühl, dass vieles, von dem, was dort noch aufgehoben ist – –

Herr Otto! Ihre Redezeit ist beendet.

Ja, ich bin gleich fertig. – Wenn Sie dort hineingehen, sehen Sie Räume, wo noch diese Petschaft an der Tür ist, und es sieht so aus, als ob die Stasi-Leute erst gestern weggegangen sind. Viele dieser Räume werden der Sanierung zum Opfer fallen. Das ist nicht gut.

Herr Otto! Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen!

Ich finde, darüber sollte man mit den Denkmalschutzbehörden noch einmal reden. – Da die Redezeit um ist, muss ich aufhören. Herr Gutzeit! Vielen Dank für Ihre Arbeit! Ich glaube, wir werden uns in diesem Jahr auf vielen Veranstaltungen treffen, und ich hoffe, dass Sie auch

weiterhin für Bildungsarbeit, für Öffentlichkeitsarbeit und für die Aufarbeitung insgesamt in dieser Stadt stehen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Beifall von Torsten Hilse (SPD)]

Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Seelig das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass die Behandlung dieses Tätigkeitsberichts nicht der richtige Ort und die richtige Zeit ist, um den Landesbeauftragten dafür zu schelten, dass er sich nicht zu den Äußerungen eines Bundespolitikers verhält. Ich glaube, dass das nicht seine Aufgabe ist. Er hat in seinem Bericht seine Aufgaben und seine Arbeit sehr deutlich dargelegt, und ich finde, diese Arbeit ist ausreichend und umfassend.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Torsten Hilse (SPD)]

Uns liegt heute nunmehr der Siebzehnte Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten vor. Der Beratungsbedarf hat auch in diesem Berichtszeitraum keineswegs abgenommen, sondern durch Gesetzesänderungen, die u. a. dankenswerterweise Fristverlängerungen beinhalten, ist der Bereich Bürgerberatung nach wie vor ein zentrales Anliegen des Stasi-Beauftragten.

Während wir bei der Beratung des letzten Berichts noch Probleme mit Anträgen auf die sogenannte Opferrente bei einigen Jobcentern feststellen mussten, wird im vorliegenden Bericht darauf verwiesen, dass sich immer häufiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Arbeitsämtern und Jobcentern von selbst mit Anfragen an den Landesbeauftragten wenden. Ich meine, das ist eine wichtige Entwicklung, die auch deutlich macht, dass Aufklärung stattgefunden hat.

Auch die vertrauensvollen Arbeitskontakte zwischen der Bürgerberatung und der Berliner Rehabilitierungsbehörde sind hervorzuheben, weil viele Fälle schwer nachzuweisen sind. Herr Otto hat einen dieser Fälle erwähnt. Die Antragsteller sind zum Teil durch DDR-Behördenerfahrung traumatisiert, und eine Mediation durch den Landesbeauftragten bzw. seine Behörde erscheint uns sehr nützlich.

Die meisten Probleme ergeben sich nach wie vor im Zusammenhang mit der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden. Obwohl immer wieder in Aussicht gestellt, gibt es keine Verbesserung in der Gesetzeslage. Deshalb sind wir froh, dass die Existenz der Beratungsstelle Gegenwind weiterhin gesichert werden konnte. Damit wurde die psychosoziale Beratung vieler Betroffener auf eine hoffentlich dauerhafte Grundlage gestellt.

Andere Bereiche bleiben nach wie vor schwierig wie z. B. die strafrechtliche Rehabilitierung, die sehr widersprüchlich behandelt wird, wie zwei Beispiele im Bericht aufzeigen. Der Anstieg des Antragsaufkommens hat dabei ursächlich mit der Diskussion über die menschenunwürdige Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Jugendwerkhöfen und Heimen der DDR-Jugendhilfe zu tun. Damit ist das Thema und sind die persönlichen Schicksale auch Jüngerer in den Fokus geraten. Aber hier ist die Situation noch schwerer nachzuweisen als bei den Inhaftierten, da vielfach Akten fehlen und die Gründe der Einweisung oft nicht zu recherchieren sind. Außer Insassen des berüchtigten geschlossenen Werkhofes Torgau, die grundsätzlich als rehabilitierungswürdig erachtet werden, gelingt anderen dieser Schritt kaum.

Wichtig erscheint uns auch, dass Informationen und Fortbildungsveranstaltungen für die Berater der fünf Landesbeauftragten angeboten wurden, damit von einem einheitlichen Niveau der Arbeit ausgegangen werden kann. Herr Lehmann-Brauns! Ich bin sehr sicher, dass Ulrike Poppe in Brandenburg sehr wohl selbstständig ihre Arbeit ausführt, und ich glaube, sie wird es auch gut machen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Nützlich erscheint uns auch die Supervision mit den Berliner Beratern, um psychisch belastende Aspekte einer solchen Tätigkeit zu besprechen und nach einer Lösung zu suchen.

Neben der finanziellen Unterstützung vieler Projekte ging es 2010 auch um das Thema „Politische Bildung“, das mit dem größer werdenden Abstand zur Mauer und eigener DDR-Erfahrung noch ein höheres Gewicht erhält.

Im Namen meiner Fraktion bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Gutzeit, und Ihren Mitarbeitern sehr herzlich für die geleistete Arbeit!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Seelig! – Für die FDP-Fraktion hat Frau von Stieglitz das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Ich möchte mit einem Zitat des Bundespräsidenten Christian Wulff beginnen, welches dem Bericht vorangestellt ist:

Es ist für mich jedenfalls erschreckend, wie verklärend viele heute rückblickend auf die DDR schauen. Wer dank der Akten die Fakten kennt, kann sich zur Wehr setzen gegen Aussagen wie: „War doch alles gar nicht so schlimm“. Viele Täter ver

harmlosen heute die Folgen ihres Handelns. Manche verhöhnen ihre einstigen Opfer immer dreister. Wir müssen ihnen lauter und vernehmlicher widersprechen.

Die SPD hat vor zehn Jahren durch die Koalition mit den politischen Erben der DDR einen riesigen Beitrag zur Verharmlosung geleistet.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD – Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Leider greift auch die Ideologie der Planwirtschaft auf die anderen Fraktionen hier im Haus über. Die Folgen sind erstens Rekommunalisierungsgedanken, zweitens Zwangszuweisungen auf Schulen

[Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

und drittens immer strengere Vorgaben für Unternehmen. Auch Grüne und CDU sind auf diesen Zug schon längst aufgesprungen

[Sven Rissmann (CDU): Bitte?]

und haben den Weg der Vernunft verlassen.

[Beifall bei der FDP]

Ich komme damit auch gleich zu den Bereichen, die von dem Bericht nicht abgedeckt werden. Wo steht die Stadt gut 20 Jahre nach der Wiedervereinigung? In welchen Bereichen gibt es immer noch Profiteure des DDRRegimes? Wo haben wir noch immer alte Seilschaften in der Verwaltung oder der Politik, die gepflegt werden, um die Genossen von damals auch heute noch zu versorgen? Damit kennt sich ja auch die SPD bestens aus.

[Zuruf von Oliver Schruoffeneger (Grüne)]

Es ist doch auffällig, dass in Brandenburg fast täglich ehemalige IMs aufgedeckt werden, die auch heute noch eine Führungsrolle in der Verwaltung und Politik haben, und in Berlin, der Hauptstadt der DDR-Funktionäre, keine Fälle bekannt werden. Offensichtlich fehlt es hier am Willen der beiden Regierungsparteien, eine ernsthafte Aufklärung zu betreiben.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Margit Görsch (CDU)]

Der Fall Kurras war eher ein Zufallsfund.

Neben der in Berlin zu kurz kommenden Aufdeckung gibt es zwei weitere Säulen bei der Aufarbeitung der DDRDiktatur: die Opferhilfe sowie die Aufklärung und Erinnerung. Diese beiden Säulen werden vom Landesbeauftragten abgedeckt. Herr Gutzeit hat in seinem Jahresbericht erneut aufgezeigt, dass viel getan wird, aber auch künftig noch viel Arbeit vor uns liegt. Ich bedanke mich im Namen meiner Fraktion bei Herrn Gutzeit und seinem Team für seine gute und geleistete Arbeit!

[Beifall bei der FDP]

Weil es immer mehr Menschen gibt, die die Teilung nicht persönlich miterlebt haben und damit einen anderen Zu

gang zu dieser Thematik finden, verschieben sich einerseits die Schwerpunkte der Arbeit, andererseits muss sich auch die Art der Vermittlung verändern. Wir Liberale haben bereits mehrfach hier im Haus gefordert und angemahnt, dass auch das DDR-Unrecht fester Bestandteil des Unterrichts werden muss. Neben Angeboten an die Lehrkräfte ist es jedoch auch die Aufgabe der zuständigen Senatsverwaltungen, dafür Sorge zu tragen, dass die Aufarbeitung des DDR-Unrechts genauso im Unterricht ihren Platz findet wie andere Epochen der deutschen Geschichte.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Margit Görsch (CDU)]

Es ist besorgniserregend, wenn der Landesbeauftragte auf Seite 24 seines Berichts darauf hinweisen muss, dass auch 20 Jahre nach dem Untergang der SED-Diktatur das Wissen darüber in der Bevölkerung wenig zufriedenstellend ist. Bei dem Wissen geht es weniger darum, wie sich die Realitäten der Betroffenen darstellen, wie im Bericht anhand einzelner Fallbeispiele aufgeführt wird. Es geht vielmehr darum, dass bei vielen Schülern bereits die allgemeinen Kenntnisse, wie zum Beispiel über den Mauerbau, fehlen.

[Zurufe von der Linksfraktion]

In der oft zitierten Schröder-Studie antworteten fast 70 Prozent der Schüler, dass sie im Unterricht gar nichts oder zu wenig über das DDR-Unrecht erfahren. Auch der Landesbeauftragte hatte hier mehrfach darauf hingewiesen und Berlin aufgefordert, mehr in diesem Bereich zu machen. Das erfolgt nicht. Auch hierbei ist davon auszugehen, dass es politisch nicht gewollt ist.