Der Tagesordnungspunkt 10 war Priorität der Linksfraktion unter der Nr. 4.3. Die Tagesordnungspunkte 11 bis 13 stehen auf der Konsensliste. Der Tagesordnungspunkt 14 war Priorität der Fraktion der CDU unter der Nr. 4.1. Tagesordnungspunkt 15 steht auf der Konsensliste.
Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht mehr vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage Drucksache 16/4094 an den Ausschuss für Bauen und Wohnen – federführend – und mitberatend an den Ausschuss für Verwaltungsreform, Kommunikations- und Informationstechnik und an den Hauptausschuss empfohlen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Siebzehnter Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Jahresbericht 2010)
Zur Besprechung des Siebzehnten Tätigkeitsberichts des Berliner Landesbeauftragten begrüße ich in unserer Mitte sehr herzlich Herrn Martin Gutzeit. – Herzlich willkommen!
Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Die Geschäftsführer haben sich auf eine Redefolge nach Fraktionsstärke verständigt. Es beginnt die Fraktion der SPD. Traditionsgemäß ist das Herr Abgeordneter Hilse. – Bitte sehr!
Ja! Wir waren zusammen in Schwante. Da kann man das auch sagen! – Vor uns liegt der Siebzehnte Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Wie alle Jahre zuvor sind die Themenfelder, derer sich die Behörde widmet, unverändert, wenngleich es auch neue Schwerpunkte gibt.
Eines der Themenfelder, dem sich Ihre Behörde, Herr Gutzeit, verstärkt zuwendet, ist der Kampf gegen die Verklärung der realen DDR-Verhältnisse und das Relativieren von Unrecht und Verbrechen. In Ihrer Arbeit gegen die Verharmlosung von DDR-Unrecht und Stasiterror bedient sich die Behörde auch der in den vergangenen Jahren eingesetzten Instrumente. Hier sind vor allem die Herausgabe von Publikationen, die Beratungstätigkeit, die
Ein zweites Themenfeld, welches an Gewicht gewonnen hat, ist die Rehabilitierung von Menschen, die zu DDRZeiten in sogenannten Jugendwerkhöfe eingesperrt waren. Viele dieser Arrestierungen hatten politische Hintergründe, sei es um die Eltern zu erpressen, zu bestrafen oder um die Jugendlichen selbst zu brechen. Viele dieser Menschen haben einen hohen Beratungsbedarf, weil oft Unterlagen fehlen oder Gerichte diese Art der politischen Willkür nicht als solche einstufen. Die Landesbehörde leistet bei der Rehabilitierung dieser Menschen wertvolle Arbeit und konnte in vielen Fällen helfen. Zahlreiche konkrete Schicksale kann man im vorliegenden Siebzehnte Tätigkeitsbericht nachlesen. Ich empfehle Ihnen, wie alle Jahre zuvor, die Lektüre dieses Berichts. Dabei kann man sich hineinlesen und sehen, wie umfangreich die Arbeit ist, die ich hier gar nicht schildern kann.
Über diese beiden Tätigkeitsfelder hinaus ist sie weiterhin tätig im Bereich der finanziellen Förderung von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen, in der Ausrichtung von Veranstaltungen und Tagungen sowie in der individuellen Beratung all jener, die die Behörde aufsuchen. Allein die Tatsache, dass im Jahr 2010 mehr als 87 000 Menschen einen Antrag auf persönliche Akteneinsicht stellten, macht deutlich, dass das Kapitel DDRUnrecht noch lange der Aufarbeitung bedarf.
Sehr geehrter Herr Gutzeit! Seit vielen Jahren habe ich nicht nur im Rahmen der parlamentarischen Arbeit Ihre Tätigkeit mit viel Interesse und Anteilnahme verfolgt. Ich möchte Ihnen heute sagen, dass ich die Beständigkeit und das Engagement Ihrer Arbeit und das Ihrer Behörde außerordentlich schätze. Ich hatte immer die Gewissheit, dass jeder persönliche Fall, mit dem Sie konfrontiert werden, bei Ihnen in guten Händen war. Und die Art und Weise, wie Sie das Thema Aufarbeitung von Unrecht in die Gesellschaft hineingetragen haben, hat mich ebenso stark beeindruckt. Ich erlaube mir, dies einmal grundsätzlich so zu benennen, weil Beständigkeit und Zuverlässigkeit auch eine Würdigung wert sind.
Ich möchte meinen Beitrag mit einem Ausblick auf das kommende Jahr schließen, den Sie, Herr Gutzeit, selbst in Ihrem Bericht niedergeschrieben haben. Ich zitiere:
Die Folgen der SED-Diktatur wirken bis heute nach. Darauf wird der Landesbeauftragte auch in Zukunft nachdrücklich verweisen, sich den daraus ergebenden Herausforderungen entschlossen stellen und dabei sein besonderes Augenmerk auf die Beratung und Betreuung der Verfolgten dieser Diktatur richten. Es gibt nach wie vor viel zu tun!
Sehr geehrter Herr Gutzeit! Das sehe ich auch so. Es gibt nach wie vor viel zu tun. Dabei wünsche ich Ihnen und den Mitarbeitern Ihrer Behörde, aber auch im Interesse unserer Stadt weiterhin viel Erfolg. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hilse! – Für die CDUFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Lehmann-Brauns das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Gutzeit! Auch von mir vielen Dank für diese Fleißarbeit – 37 Seiten lang. Aus Berlin hört oder sieht man zurzeit Gott sei Dank nichts Spektakuläres. Ich kann mich auf das beziehen, was Kollege Hilse eben gesagt hat. Ich bin damit einverstanden und werte insoweit Ihre Fleißarbeit nicht weiter. Aber ich möchte Sie auf eines hinweisen: Sie sind meiner Ansicht nach nicht nur Leiter einer Behörde, sondern auch – wie der Name sagt – Beauftragter. Darauf will ich nachher noch kurz zu sprechen kommen.
Zunächst zum Thema Täterbiografie: Meine Fraktion weiß, nicht jede Anwerbung als Stasi-Mitarbeiter glich der anderen. Es gab Nötigungen, es gab Einschüchterungen und Erpressungen, um Menschen für diesen schmutzigen Auftrag gefügig zu machen. Deshalb sind bei den Täterbiografien tatsächlich Unterschiede zu machen. Ich nenne zwei Beispiele. Die Abgeordnete Kaiser-Nicht im Brandenburger Landtag – so liest und hört man jedenfalls – hatte sich nicht nur freiwillig verpflichtet, sondern auch den Wunsch nach Verlängerung dieser ehrenwerten Tätigkeit geäußert. Ich lasse das hier unkommentiert. Anders der Fall des Berliner Schriftstellers Günter de Bruyn. Er hatte seine kurze Stasi-Verpflichtung bekannt und seine Scham öffentlich artikuliert. De Bruyn ist die Ausnahme. Die Regel sieht anders aus!
Werfen wir einen Blick auf unsere Nachbarn in Brandenburg. Elf Abgeordnete des dortigen Landtags sind enttarnte Spitzel. Machen wir uns nichts vor: Diese Fälle schaden nicht nur der dortigen Landesregierung, sie schaden auch den Menschen dort und vor allem ängstigen sie die Opfer. Hoffen wir, dass Ulrike Poppe die nötige Freiheit hat, unabhängig ihres Amtes zu walten.
Manche Zeitgenossen fordern eine zweite Chance für die Stasi-Verstrickten ein, die sie verdienten. Über das Wort „verdienen“ möchte ich hier nicht richten. Wir Juristen fragen immer nach der Anspruchsgrundlage. Aber die zweite Chance setzt mindestens eine aufrichtige Trennung von der ersten Chance voraus. Sich in die zweite Chance hineinzuschummeln – ohne Aufklärung, ohne Distanzierung, ohne Kontakt zu den Opfern –, halten wir für nicht vertretbar.
Natürlich können wir bei dieser Debatte nicht von dem Streit um die Führung der Jahn-Behörde absehen. Roland Jahn hat sich etwas vorgenommen, was zu realisieren
sicher nicht einfach ist. Aber die Absicht, die Behörde von jenen zu befreien, die gerade Gegenstand der Aufklärung sind, ist nicht nur logisch, sondern entspricht den Bedürfnissen der zahllosen Opfer.
Diese Absicht zu diskreditieren, wie jetzt durch Herrn Wiefelspütz geschehen, halte ich für einen bisher nicht da gewesenen Angriff auf die Integrität der Behörde und für einen Schlag ins Gesicht der Opfer.
Nicht einmal die Linkspartei ist so weit gegangen! Die Gleichsetzung von Aufklärung und Menschenjagd durch Herrn W. erscheint uns unfassbar. Man wusste zwar, dass Herr W. ein bekennender Weichspüler war, ein täterfreundlicher Begleiter der Aufarbeitungsdiskussion, die von ihm aber jetzt gefundene Wortwahl diskreditiert ihn meiner Ansicht nach für die weitere Beteiligung an dieser Aufarbeitungsdebatte.
Verehrte Sozialdemokraten! Sie können nichts für diese Äußerung des Herrn Wiefelspütz. Deshalb möchte ich Sie auffordern, sich inhaltlich auf Abstand zu ihm zu halten. Schicken Sie ihn zum Beispiel besuchsweise in die Haftanstalt nach Hohenschönhausen, Bautzen oder Erfurt! Verschaffen Sie ihm Termine bei Opfereinrichtungen! Folgen Sie dem Beispiel der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, die sich auch von ihm distanziert hat!
Verehrter Herr Gutzeit! Noch kurz zu Ihnen: Herr W. fällt sicher nicht unmittelbar in Ihren Aufgabenbereich. Aber es diskreditiert auch Sie, und ich hätte mir von Ihnen eine distanzierende, eine öffentliche Stellungnahme zu diesem Rundumschlag des Herrn W. nicht nur gewünscht, sondern hätte sie auch erwartet. Nutzen Sie doch endlich Ihr Amt einmal öffentlich! Die dem Amt zugrunde liegenden Werte sind nicht an die Stadtgrenzen gebunden, und Sie sind mehr als ein Behördenleiter. Ihrem Auftrag liegen die Empfindungen unzähliger in der DDR Gequälter zugrunde. Lassen Sie Herrn W. seine beschämenden Ansichten nicht durchgehen! Wegschauen und Verschweigen würde auch Ihr Amt diskreditieren! – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lehmann-Brauns! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Otto das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lehmann-Brauns! Ich will noch eine Bemerkung zu dem machen, was Sie zuletzt gesagt haben. Sie haben den Landesbeauftragten aufgefordert, sich hier
durchaus auch politisch zu äußern, aber ich weiß nicht, ob das in dem Fall richtig ist. Ich finde, es wäre klüger gewesen, wenn sich der Senat, der nicht zuletzt wesentlich von der SPD gebildet wird, zu dieser Angelegenheit geäußert hätte. Das wäre der bessere Weg gewesen. Er hat ja noch die Chance, das nachzuholen.
Ich möchte im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wie das die anderen Kollegen auch gemacht haben, Herrn Gutzeit und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders danken für das, was sie im Jahr 2010 gemacht haben. Man kann das in dem Bericht nachlesen. Hierzu ist schon einiges gesagt worden. Der Bericht zeigt, dass sich die Anforderungen an Ihre Arbeit wandeln. Sie wandeln sich, aber sie werden nicht weniger. Das ist etwas, was manchen vielleicht sogar verblüfft. Auch im 22. Jahr nach 1989, nach dem Ende der Diktatur in Ostdeutschland brauchen Menschen Beratung und Hilfe, weil die Menschen mit den Folgen des Lebens in der Diktatur bis heute zu kämpfen haben. Da geht es um Rehabilitierung, um Rentenfragen und immer noch um Akteneinsicht. Kollege Hilse hat hierzu Zahlen genannt.
Man kommt natürlich zwangsläufig jedes Jahr auf diese grundsätzliche Frage: Wie lange wirkt so etwas nach? Wie lange wirkt es nach, dass man in einem eingemauerten Staat gelebt und Mauer und Stacheldraht gesehen hat? Wie lange wirkt ein Bildungswesen nach, das darauf angelegt war, Meinungsfreiheit und damit letztlich auch Bildung von Kindern und Jugendlichen zu unterdrücken, anstatt zu ermöglichen? – Viele Menschen werden wahrscheinlich bis an ihr Lebensende mit dem zu tun haben, was sie dort erlebt haben und was sie an Repression und Unterdrückung in sehr unterschiedlicher Form und Abstufung erlitten haben.
Herr Gutzeit! Sie schreiben in Ihrem Bericht sehr plastisch über einzelne, jedoch exemplarische Fälle. Auf Seite 7 berichten Sie von einem Mann, der als Kind in ein Kinderheim gekommen ist, weil seine Eltern verhaftet wurden und im Gefängnis saßen. Dieser Mann war damals 14 Jahr alt, und die Verwandten hatten nicht die Chance, ihn aufzunehmen. Die Eltern wurden später in den Westen abgeschoben. Der Vierzehnjährige hat nicht nur während der Zeit, in der die Eltern in Haft waren, in einem Kinderheim verbracht – und das waren keine angenehmen Orte; das kann ich Ihnen versichern –, sondern er musste sich sogar, als die Eltern schon weg waren, noch ein halbes Jahr länger dort aufhalten. Stellen Sie sich das vor! Für uns alle hier ist ein halbes Jahr eine relativ kurze Zeit. Für jemand, der 14 Jahre alt ist, ist das ein wesentlicher Zeitraum seines Lebens. Ich glaube, wenn man solche Geschichten liest, bekommt man auch mit, wie wichtig es ist, dass solchen Menschen geholfen wird.
Sie schreiben in dem Bericht darüber noch weiter, dass dieser Mensch ein Rehabilitierungsverfahren angestrengt hat und ihm das Berliner Kammergericht mitgeteilt hat, die Einweisung in ein Heim sei eine Fürsorgemaßnahme
und die Tatsache, dass er dort noch ein halbes Jahr länger haben bleiben müssen, liege sicherlich daran, dass er als Vierzehnjähriger keinen Ausreiseantrag gestellt habe. Wer allerdings annimmt, dass in einem Kinderheim der DDR ein Vierzehnjähriger die Chance hatte, einen Ausreiseantrag zu stellen, der irrt ganz gewaltig. Ich finde, dieser Fall belegt, dass auch die Berliner Richterschaft womöglich noch ein wenig Weiterbildungsbedarf hat, den Sie, Herr Gutzeit, vielleicht abdecken sollten.