Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war ja eine schöne programmatische Rede von dem Kollegen Kohlmeier!
Sie war ausgewogen, hat die Vor- und Nachteile der Videoaufzeichnungen und die Erhöhung auf 48 Stunden nachgezeichnet.
Aber es geht ja darum, dass diese Koalition vor drei Jahren eine Sache entschieden hat, nämlich dass die Videoüberwachung in Berlin im öffentlichen Nahverkehr flächendeckend eingeführt wird, dass auf Personal verzichtet wird, dass mit Videoaufzeichnungen die Bahnhöfe sicherer werden sollen. Sie sind es nicht geworden, das war der entscheidende Fehler! Ich habe auch heute davon keine Abkehr gehört. Herr Kollege Kohlmeier, das habe ich sehr vermisst!
In der Sache kann man sagen: 48 Stunden sollte man auswerten. Der Innensenator hat ja endlich eine alte Forderung von uns Grünen, die Wirksamkeit von Videoaufzeichnungen zu evaluieren, aufgegriffen. Er hat Sie damals noch austricksen wollen. Ich erinnere mich noch sehr genau, als Kollegin Weiß und Frau Kollegin Baba von der Linksfraktion hier standen und mit großen Bauchschmerzen gesagt haben: Wir können uns gerade so noch enthalten, damit es eine Evaluation geben wird. – Aber die gab es bis heute nicht! Der Innensenator bezieht sich auf eine fehlende Evaluation, weil er momentan nicht ausdehnen will. Der Regierende Bürgermeister – da fand ich den Ausdruck von Herrn Juhnke „Spontanpopulist“ treffend – sagt mal eben: 48 Stunden.
Es ist klar, dass die Videoaufzeichnung zur Strafverfolgung beiträgt. Man muss sich deshalb ansehen, wie die Wirkung ist. Da hat der Kollege Trapp angefragt und bei 3 096 Videodatensätzen, die von der BVG an die Polizei übergeben worden sind, gab es 440 mal Täteranhalte. Das heißt also, lediglich in 14 Prozent der Fälle konnte weitergeholfen werden, konnte es einen Spurenansatz geben. In etwa noch einmal 4 Prozent der Fälle gab es weitere Anhaltspunkte, die die Identifizierung von Tatverdächtigen unterstützten. Das ist relativ wenig!
Deshalb können wir uns auf die Videoüberwachung und auf die Videoaufzeichnungen auch bei 48 Stunden Speicherfrist nicht verlassen. Deshalb ist die Diskussion über einen sicheren öffentlichen Personalverkehr, den wir hier alle wollen, wichtiger und vordringlicher und nicht die Debatte um 48 Stunden Videoaufzeichnung!
Ja, der Regierende Bürgermeister ist rausgegangen und hat gesagt: 48 Stunden aufzeichnen! Aber das dürfen wir als seriöse Innenpolitiker dem Regierenden Bürgermeister nicht durchgehen lassen. Das ist ein spontanpopulistischer Einfall, der nicht viel kostet. Wer von uns hat den Herrn Wowereit in den letzten Jahren in innenpolitischen Debatten erlebt?
Ich möchte gern mal wissen, welche innenpolitische Vorschläge vom Regierenden Bürgermeister kamen! Ich kenne zwei innenpolitische Vorschläge. Der erste war die Ausdehnung der Videoaufzeichnung auf 48 Stunden, das kostet nichts, schnelle Reaktion. Das soll mehr Sicherheit bringen – na ja, höchstens bei der Strafverfolgung, bei der Identifizierung. Der tatsächliche Sicherheitsgewinn für Prävention und weniger Kriminalität auf den Bahnhöfen ist gering, denn Videoaufzeichnung verhindert keine Überfälle, auch nicht in Lichtenberg. Dort hätte mehr Personal geholfen. Da gab es diesen Schnellschuss, Spontanpopulismus vom Regierenden Bürgermeister. Das war die erste innenpolitische Forderung.
Die zweite innenpolitische Forderung, die der Regierende Bürgermeister gebracht hat – da erinnern sich einige genau –, das war vor zwei Jahren, als die Berliner Polizei 200 Jahre feierte. Was hat der Regierende Bürgermeister vor internationalem Publikum, vor internationaler Polizeivertretung, vor allen Direktionsleitern, vor dem Berliner Polizeipräsidenten gebracht? – Er hat den Berliner Polizeipräsidenten ausgelacht für die Forderung, mehr Polizei einzustellen und höhere Gehälter zu zahlen. Da hat er sich im Roten Rathaus hingestellt und hat gesagt: Da können Sie in 200 Jahren noch einmal wiederkommen, Herr Glietsch! – Also, Zusammenfassung, was der
Aber in dieser Stadt wollen wir alle nicht wohnen, meine Damen und Herren! Das war die Forderung vom Regierenden Bürgermeister.
[Lars Oberg (SPD): Seid ihr Parlamentarier oder Wahlkämpfer? – Sven Kohlmeier (SPD): Rede doch mal zum Antrag!]
Der Antrag war, die Innenpolitik darauf festzulegen, auf 48 Stunden Videoaufzeichnung zu gehen. Der Effekt wird relativ gering sein, auch wenn man das offen diskutieren kann. Eben da sollte man sich nichts vormachen. Überlassen Sie die Innenpolitik nicht irgendwelchen populistischen Kurzschlüssen, sondern lassen Sie uns sehen, wie man die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr unterstützen kann! Auch mit mehr Personal, dass man dafür die Kapazitäten freimacht. Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung!
Aber Fakt ist: Es gab inzwischen mehrere brutale Übergriffe auf U-Bahnhöfen zu beklagen, einer davon besonders tragisch. Reflexartig kommt nach solchen Vorfällen der Ruf nach mehr Videoüberwachung durch die CDU.
Meine Fraktion hat sich sehr schwer damit getan, einer 24 Stunden Videoüberwachung bei der BVG zuzustimmen. Wir dürfen nicht vergessen, Tausende von friedlichen Nutzerinnen und Nutzer sind auch davon betroffen. Was mithilfe der Videoüberwachung an Kontrolle auch unbescholtener Bürgerinnen und Bürger möglich ist, haben zumindest die Mitglieder des Innenausschusses in London eindringlich besichtigen können.
Wir hatten damals von der BVG ein umfassendes Sicherheitskonzept erwartet und eine Kosten- Nutzenanalyse. Mit Kosten meinen wir nicht nur Geld, sondern auch die Abwägung zwischen dem Nutzen für die Prävention – die Verhütung von Straftaten – und einem dauerhaften Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Das ist Thema des Datenschutzes. Aber dazu ist es leider nicht gekommen. Unsere Sorgen haben sich insofern bestätigt, als die Praxis der vergangenen Jahre gezeigt hat, dass sehr wohl die Ergreifung der Täter durch die Videoüberwa
chung erleichtert wird, aber Straftaten nicht verhindert werden. Weder lassen sich offensichtlich potenzielle Täter durch die Möglichkeit, erkannt zu werden, abschrecken, noch kommt den Opfern jemand zu Hilfe. Daran ändert auch die 48-Stunden-Aufbewahrung nichts.
In nur einer Minderheit der Fälle – dazu ist bereits gesprochen worden –, noch dazu von geringer Relevanz, das haben wir uns bestätigen lassen, hat es eine Panne bei der Datenübermittlung durch die BVG gegeben. Das heißt, da waren die Aufzeichnungen nach 24 Stunden wie vorgesehen gelöscht. Bei derart spektakulären Fällen, wie sie in der letzten Zeit geschehen sind, ebenso wie bei schweren Straftaten, scheint mir die Dauer der Speicherung ohne jede Bedeutung.
Meine Damen und Herren von der CDU! Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie nach jeder Tat, die in die Öffentlichkeit gelangt, Ihre Schublade aufmachen und eines Ihrer Spielzeuge herausholen, ob Strafverschärfung, geschlossene Heime oder eben die Ausweitung der Videoüberwachung. Das sind in der Regel völlig ungeeignete Instrumente, um einer tatsächlichen Bedrohung zu begegnen.
Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken, wie man solchen schweren Straftaten in Zukunft etwas entgegensetzen kann. Das zeigt, dass Sie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, wo Ihnen noch so etwas wie Kompetenz zugeschrieben wird, nichts als Placebos zu bieten haben. Natürlich brauchen wir mehr Personal auf den U-Bahnhöfen. Natürlich müssen wir an dem Konzept der schwerpunktmäßigen Polizeieinsätze weiterarbeiten. Meine Fraktion wird auch nicht fordern, nun die Videokameras wieder abzubauen, weil sie Straftaten nicht verhindern. Das wussten wir schon vorher. Doch, das ist mir wichtig, wer behauptet, jeder Straftäter, der gefasst wird, wäre ein Teil der Prävention, weil der dann keine Straftaten mehr begehen könne – oft genug wird so argumentiert –, macht es sich sehr einfach, zu einfach. Strafverfolgung setzt Opfer voraus, Prävention will sie verhindern.
Deshalb müssen wir uns natürlich um die Sicherheit auf U-Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln weiter Gedanken machen und versuchen, gemeinsam mit der BVG gute Lösungen zu finden. Die Verlängerung der Aufhebung der Videoaufzeichnungen von 24 auf 48 Stunden nützt dabei gar nichts. Ich glaube, Sie müssen noch einmal darüber nachdenken, welche Vorstellungen Sie tatsächlich über Sicherheit im öffentlichen Personennahverkehr haben und wie die realistisch umzusetzen sind. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt zeigt, wie man sich von mehreren Seiten eine Debatte sehr einfach machen kann.
Das, was die CDU-Fraktion ausgeführt hat, nämlich im Grunde genommen haben Sie, Herr Dr. Juhnke gesagt, je länger man Daten speichere, um so besser sei es, denn umso sicherer könne man darauf zugreifen. Das stimmt überein mit der Programmatik Ihrer Partei auf Bundesebene, wo Sie sagen, im Grunde sei eine möglichst weit reichende Vorratsdatenspeicherung das, was zur Genesung beitrage. Hier, lieber Herr Dr. Juhnke, werden wir als Liberale Ihnen ganz klar einen Riegel vorschieben,
Ich darf daran erinnern – ich bin erstaunt, Herr Lux, dass es erst einer Politikerin der Linksfraktion bedurfte, um das hier zu sagen –, dass bei den Ausführungen der Grünen nicht zur Sprache gekommen ist, dass diese Videodatenerfassung und auch die Videodatenspeicherung, je weiter sie greifen, einen immer umfassenderen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung eines jeden Bürgers darstellen, der sich im öffentlichen Personennahverkehr aufhält. Da muss man einfach sagen: Das sind Personen, die anlass- und verdachtsunabhängig in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Das ist ein Recht, das ist ein Interesse, das in einer Abwägung, was Überwachungsmaßnahmen angeht, zu berücksichtigen ist. Es ist eine Schande, dass SPD und Linke hierüber überhaupt nicht zu einer vernünftigen konsensualen Entscheidung gekommen sind. Da hören wir ein Herumlavieren von Ihnen, Herr Kohlmeier, dass man sich wirklich fragen muss, ob sie die Grundsätze des Datenschutzes völlig aus den Augen verloren haben. Ich darf hier darauf hinweisen: Einer der elementarsten Grundsätze des Datenschutzes ist und bleibt immer noch der Grundsatz der Datensparsamkeit.
Je weniger Daten erhoben, je weniger Daten gespeichert werden, umso weniger Anfälligkeit haben diese Datenbestände dann auch für einen Missbrauch.
Herr Dr. Juhnke! Ihr vorbehaltloses Gottvertrauen in die Sicherheit staatlich vorgehaltener Datenbestände – oder wie hier, nicht einmal staatlich vorgehalten, sondern bei einem Verkehrsunternehmen – kann ich nicht teilen, allein aufgrund der Datenschutzskandale, die wir bei Krankenhäusern, Melderegistern und allen möglichen anderen Einrichtungen des öffentlichen Lebens in den letzten Monaten und Jahren sehen mussten. Da muss man schon ein gehöriges Maß an Naivität beibringen, um hier im Abgeordnetenhaus eine solche Argumentation zu verfechten. Herr Dr. Juhnke, ich bin entsetzt!