Protocol of the Session on March 17, 2011

Jetzt gibt es ein dreimonatiges Moratorium zur Aussetzung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Während dieser Zeit soll eine umfassende Sicherheitsüberprüfung aller AKWs durchgeführt werden. Für diese drei Monate werden alle sieben bis 1980 gebauten AKWs vorübergehend stillgelegt. Abgesehen davon, dass das nicht wirklich rechtssicher ist, was da verabredet wird, galt Fukushima auch als sicher, war auch sicherheitsüberprüft. Die Risiken galten als vertretbar. Es wird Zeit, mit der Selbstbelügerei und dem Herumeiern aufzuhören.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Es geht nicht um statistische Rechenmodelle, und es geht hier auch nicht um Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wir sind hier nicht beim Lottospielen. Eines ist völlig klar, und das ist es übrigens seit 30 oder 40 Jahren, solange diese Debatte läuft: Die Risiken der Atomenergie sind nicht kontrollierbar.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Die Bundesregierung hat keine Entscheidung getroffen, ob eines der alten AKWs dauerhaft stillgelegt wird. Sie hat heute morgen einen neuen Titel erfunden, den hat Herr Henkel auch noch mal genannt: der Ausstieg mit Augenmaß. – Das hat ein bisschen was von Verhöhnung der Öffentlichkeit, muss ich ganz deutlich sagen.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Es gibt lediglich Willensbekundungen. Zur Übertragbarkeit von Reststrommengen, die während des Moratoriums nicht genutzt werden, sagt Frau Merkel, sie könne heute keine abschließende Aussage zu Laufzeitübertragungen machen. Das kann ja wohl nicht im Ernst die richtige Schlussfolgerung aus den Ereignissen sein. Das Moratorium ist ein Taschenspielertrick, um Druck aus der öffentlichen Debatte zu nehmen – Michael Müller hat es schon angesprochen –, und möglicherweise nur, um über die Landtagswahl zu kommen. Mit diesem Moratorium ist jederzeit eine Rückkehr zum Status quo möglich. Das darf niemand hier im Hause wollen. Es kann doch nur eine mögliche Reaktion geben: Der Ausstieg aus der Atomenergie muss jetzt, unumkehrbar und rechtssicher vollzogen werden.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Wir brauchen die Atomenergiekapazitäten nicht. Das Gerede über Stromengpässe, die Preissteigerungsankündigungen der großen Energiekonzerne sind nichts anderes als Lobby-Propaganda und Erpressungsversuche gegenüber der Politik.

Nachhaltige, dezentrale, ökologische und auf das Gemeinwohl orientierte Energiepolitik setzt nicht auf Risikotechnologien. Das zeigt sich auch hier: Öffentliche Daseinsvorsorge, und da gehört Energie zweifellos dazu, gehört unter öffentliche Kontrolle. Lieber Kollege Henkel, lieber Kollege Meyer! Ich wiederhole es noch einmal: Atomenergie ist nicht kontrollierbar. Verantwortliche Politik zieht Konsequenzen, und die kann nur heißen: Abschalten! – Helfen Sie mit!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen hat Herr Kollege Ratzmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Mitgefühl und unsere Trauer gelten den Opfern der unfassbaren Katastrophen in Japan. Wir denken an die Menschen, die sich diesem Schicksal stellen mussten. Unser Mitgefühl gilt auch den Japanerinnen und Japanern, die hier in Deutschland und in Berlin um ihre Angehörigen bangen. Zehntausende Tote, Zehntausende Vermisste aufgrund des Erdbebens und des Tsunamis, Menschen, die zwar überlebt haben, aber ihr ganzes Leben verloren haben, Familien, die auseinander gerissen wurden, Kinder, die elternlos mit Tränen in den Augen durch die Straßen irren – Berlin wird wie immer, helfen, wo es geht. Es kann sein, dass wir angesichts der möglichen Evakuierung unserer Partnerstadt Tokio sehr schnell gefragt sind, nicht nur mit Geldmitteln, sondern mit handfesten Unterstützungsmaßnahmen einzugreifen. Ich fordere alle Berlinerinnen und Berliner auf: Helfen Sie mit!

[Allgemeiner Beifall]

Dazu kommt eine dritte Katastrophe, die nukleare, im Gegensatz zu den anderen keine unausweichliche Naturkatastrophe, sondern eine von Menschen bewirkte, eine zivilisatorische, eine beschämende und gleichzeitig eine epochale. Fast stündlich neue schreckliche Meldungen: Arbeiter, die ihr Leben in die Waagschale werfen, um der Katastrophe zu trotzen, verzweifelte Ingenieure, die kapituliert haben vor den letztendlich dann doch unbeherrschbaren Kettenreaktionen, radioaktive Wolken, die die Millionenstadt Tokio, unsere Partnerstadt, bedrohen. Was für eine Herausforderung, wenn diese Metropole evakuiert werden müsste!

Es sind diese Schreckensvisionen, die für uns, die wir den Glauben der Beherrschbarkeit der zivilen Nutzung der Kernenergie nicht teilen, Grundlage unserer Ablehnung sind. Es verbietet sich völlig, nach dieser schrecklichen Bestätigung der Befürchtungen mit dem Gestus des erhobenen Zeigefingers zu reagieren. Aber als Mitglied einer Partei, zu deren Gründungskonsens der Ausstieg aus der Kernenergie gehört, sage ich auch: Wir verspüren auch, und zwar durchaus mit Enttäuschung, Wut – Wut, dass es uns und den vielen Gleichgesinnten in der Welt nicht gelungen ist, rechtzeitig mit Argumenten zu überzeugen, rechtzeitig den Verantwortlichen in den Arm zu fallen, bevor die Katastrophe grausame Beweise lieferte.

Vor 25 Jahren explodierte der Reaktor in Tschernobyl. Viele erinnern sich noch: Statt auszusteigen, wurde die Gefahr weggeredet. Nicht vergleichbar sei die Situation und die Technologie des sowjetischen Reaktors mit den westlichen Standards. Aber im Gegensatz zu Tschernobyl war Fukushima kein sozialistischer Schrottreaktor, und doch ist auch hier das Undenkbare eingetreten, ist das Restrisiko von einer kleinen statistischen Größe zur katastrophalen Realität geworden. Das macht wütend, und das werden wir nie vergessen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Katastrophe von Fukushima zeigt eines in aller Deutlichkeit: Kein Atomkraftwerk ist weltweit vor einer Kernschmelze gefeit, auch in Deutschland nicht.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der SPD]

Die Kernschmelze ist kein erdbebentypisches Risiko, sie kann immer auftreten, wenn der Strom ausfällt und die Notstromaggregate versagen. Fukushima lehrt uns: Das Risiko einer Kernschmelze darf nicht länger ignoriert werden, hier hilft auch keine Nachrüstung, hier hilft nur eins: abschalten!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wir hatten 2000 ein Ausstiegsszenario mit der Energiewirtschaft ausgehandelt, es gab einen nationalen Konsens: 2021 sollte der letzte Reaktor vom Netz gehen. Stade und Obrigheim haben wir stillgelegt, Neckarwestheim wäre schon längst vom Netz, dieses Jahr wären Biblis A, Isar I und 2012 Biblis B und Felixburg I dran, und zwar endgültig. Diesen Konsens haben Schwarz-Gelb und die großen Energieversorger wieder aufgekündigt. 14 Jahre längere Laufzeiten, 14 Jahre länger unermesslicher Profit, und 14 Jahre länger tödliches Restrisiko. Wir erinnern uns an die Bilder von Frau Merkel und Herrn Großmann, die ihren Deal unter dem Jubel der FDP mit Schnaps begossen – auch das werden wir nicht vergessen!

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Deshalb sagen wir der Bundesregierung und SchwarzGelb: Wir trauen euch jetzt nicht. Wir trauen euch nicht, weil den betroffenen Worten immer noch nicht die Erkenntnis folgt, dass wir schnell aussteigen müssen, weil Merkel schon wieder von Brückentechnologie redet und

euer dreimonatiges Moratorium rechtswidrig und Augenwischerei ist und letztendlich nur noch den Großkonzernen Vorlagen für Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe gibt. Weil uns noch vor sechs Monaten gepredigt wurde, wir hätten die sichersten AKWs der Welt, und jetzt soll plötzlich noch einmal alles gecheckt werden – das ist kein Umdenken, das ist Trickserei!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Danach werden sie wieder vom bloßen Restrisiko und der Brückentechnologie reden. Wir aber wollen über diese Restrisikobrücke nicht noch weitere 25 Jahre gehen. Wir wollen endlich ernst machen mit dem Ausstieg, und zwar schnell und unumkehrbar.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Solange es kein Ausstieggesetz gibt, können die Meiler nur auf freiwilliger Basis, sozusagen im Konsens mit den Betreibern, abgeschaltet werden. Mit denen hatten wir schon mal einen Konsens, den die aufgekündigt haben. Das, was uns jetzt angeboten wird, ist keine Lösung, das ist Wahlkampftaktik, damit wollen sich CDU und FDP über Wahlkämpfe in den Ländern retten, damit instrumentalisieren sie die Katastrophe von Fukushima.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Jetzt sollen die sieben ältesten Meiler plus Krümmel vom Netz gehen – vorübergehend. Das reicht uns nicht! Legt sie endgültig still, und zwar rechtssicher und ohne die Möglichkeit der Übertragung von Reststrommengen!

[Beifall bei den Grünen]

Wir haben auch noch 9 weitere AKWs im Land, und jedes einzelne von denen kann das ganze Land verseuchen. Wir brauchen endlich eine verlässliche gesetzliche Grundlage dafür, dass wir alle AKWs stilllegen können. Ich kann hier nur an die Energieversorger appellieren, einer davon sitzt auch hier in Berlin und heißt Vattenfall: Verzichten Sie auf die Laufzeitverlängerung, bleiben Sie bei dem ursprünglich 2000 ausgehandelten Konsens, steigen Sie um auf die erneuerbaren Energien, Sie haben genug verdient mit dieser tödlichen Technologie!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wir wollen zurück zum Ausstieg und dabei bleiben. Als Erstes gilt es, die sieben ältesten und Krümmel stillzulegen, und zwar endgültig. Dann so schnell wie möglich alle anderen, aber wir wollen es jetzt schneller, und wir wollen mehr als noch im Atomkonsens 2000 ausgehandelt.

[Christoph Meyer (FDP): Aha!]

Das ist auch möglich, ohne dass die Lichter ausgehen. Das sehen wir jetzt gerade, da die acht AKWs stillgelegt werden. Wir müssen jetzt ganz klar das Bekenntnis zu einer Energiewende abgeben, und wir müssen sie endlich einleiten, nachdrücklich und mit allen Mitteln, die uns zur

Verfügung stehen. Bereits 2020 können wir 40 Prozent des nationalen Strombedarfs schon aus erneuerbaren Energien decken. Wir werden keine neuen Kohlekraftwerke brauchen oder müssen die alten länger laufen lassen. Klimaschutz geht auch ohne Atomkraft, und das werden wir Ihnen, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, beweisen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wir können und müssen auch in Berlin unseren Beitrag leisten. Wir begrüßen, dass Rot-Rot die Bundesratsinitiative zum Ausstieg, die aus NRW kommt, unterstützt, und auch wir werden Rot-Rot in diesem Vorhaben unterstützen. Wir können aber mehr! Jedes Megawatt, das wir durch mehr Effizienz einsparen, muss weniger produziert werden. Wir können die Wärmekraftkopplung in der Stadt forcieren, wir können dezentrale Wärmeversorgung einführen – da muss sich viel ändern! Wir brauchen das Klimaschutzgesetz, das endlich den ordnungspolitischen Rahmen dafür setzt, dass wir mit dem wirklichen Umstieg auf die Energiewende ernst machen. Wir brauchen Programme zur Förderung der Finanzierung der Sanierung unseres Altbaubestandes, wir brauchen ein Programm, um die Energie, die in Berlin in den öffentlichen Gebäuden schlummert, endlich zu heben und zu nutzen. Das muss unser Beitrag sein zum Umstieg auf die Energiewende – wir wollen Hauptstadt der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz werden, das muss jetzt das Ziel sein!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir wollen und wir können einen Beitrag dazu leisten, dass wir diese tödliche Energie nicht länger brauchen. Zeigen wir der Welt, zeigen wir hier in der Bundesrepublik, dass man eine Industrienation auch ohne AKWs mit Energie versorgen kann. Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima – ein viertes darf es nicht mehr geben! Schalten wir die AKWs endlich ab!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Kollege Ratzmann! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Meyer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Japan ist von einer beispiellosen Naturkatastrophe heimgesucht worden, die ein fassungsloses Ausmaß erreicht und ein tiefes Gefühl der weltweiten Sprach- und Hilflosigkeit erzeugt hat. Wir trauern um die Opfer, unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und den Hunderttausenden von Obdachlosen, die noch im Katastrophengebiet ausharren. Wir zollen aber auch all den Menschen in Japan Respekt, die in dieser Katastrophe bislang mit bemerkenswerter Ruhe und Zusammenhalt darauf reagieren und vor Ort versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.

[Beifall bei der CDU, der FDP und der Linksfraktion]

Die tatsächlichen Ausmaße dieser Katastrophe sind auch jetzt, sechs Tage nach dem Unglück, immer noch nicht abschätzbar, und wir werden sicherlich noch Wochen brauchen, um dies abschließend bewerten zu können. Angesichts dieses unermesslichen Leids ist es dringend notwendig, dass aus Deutschland umfassende Unterstützung bei der Bewältigung der akuten Krisenfolgen und beim längerfristigen Wiederaufbau geleistet wird. Ich denke, da sind wir uns alle einig, und ich möchte denjenigen, die bereits für Japan, für die Menschen dort, gespendet haben oder sich ehrenamtlich engagieren, einen ganz ausdrücklichen Dank aussprechen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und den Grünen]

Hilfsbereitschaft und Solidarität fernab von parteipolitischen Debatten sollten angesichts der aktuellen Situation im Vordergrund aller Bemühungen und Diskussionen stehen. Leider ist dies in den letzten Tagen nicht allen gelungen, und auch heute konnten wir wieder feststellen, dass nicht alle Redner das beherzigen konnten. Ordinäre Eitelkeiten einzelner Gruppen und plumper Wahlkampfpopulismus sind beschämend und pietätlos gegenüber den Opfern

[Özcan Mutlu (Grüne): Sagen Sie das Frau Merkel! – Zuruf von Carl Wechselberg (SPD)]