Protocol of the Session on December 9, 2010

Die Menschen in Berlin und Brandenburg, die Fahrgäste der Berliner S-Bahn und auch die Steuerzahler in Berlin und Brandenburg haben ein Recht darauf, hier und heute zu erfahren, warum der Berliner Senat nichts bei der Berliner S-Bahn umsetzen kann. Wir fordern den Senat auf, hier und heute zu erklären, wie er die schwerste Krise des

öffentlichen Nahverkehrs seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich beenden wird.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Friederici! – Für Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr die Fraktionsvorsitzende Frau Pop das Wort. – Bitte schön, Frau Pop!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann es kaum glauben, aber wir stehen kurz vor dem zweiten Jahrestag des S-Bahndesasters in Berlin. Die Menschen in der Stadt müssen leidvoll erfahren, dass das Chaos mit jeder Schneeflocke größer wird. Gucken Sie nur hinaus! Dann wissen Sie, was uns heute Abend erwarten wird.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was denn?]

Selbst auf dem Ring fährt die S-Bahn nur gefühlte drei Mal die Stunde, und das alles mit kürzeren Zügen. Man kommt kaum noch in die S-Bahn hinein. Es ist wie ein böses Déjà-vu vom letzten Winter. Der Senat steht empört, aber handlungsunfähig vor diesem ganzen Chaos.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Aber wir finden, dass es nicht ausreicht, sich zu empören, Herr Wowereit und Frau Junge-Reyer. Als Regierung muss man gelegentlich schon etwas tun. Sie haben in den letzten zwei Jahren einiges in Sachen S-Bahn versprochen. Sogar einen Neuanfang versprach der Regierende Bürgermeister Mitte Juli 2009. Alles sollte besser werden mit der S-Bahn. Doch es half nichts: Bereits im September musste der Regierende Bürgermeister hier im Plenum zu markigen Worten greifen, als er sagte, einen weiteren Ausfall der S-Bahn werde er nicht tolerieren. Das war vor dem letzten Winter, an den wir uns alle gut erinnern, weil er besonders kalt war, die S-Bahn sehr selten fuhr und die Menschen in der Stadt in der Kälte herumstanden. Wo waren Sie da eigentlich, Herr Wowereit, mit Ihren markigen Worten? – Sie waren nicht da.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Dann kam Ihr Bahngipfel Ende Januar, der es tatsächlich bringen sollte. Aber er war nicht mehr als eine reine Showveranstaltung und brachte gar nichts. Die Berlinerinnen und Berliner wollen aber eine S-Bahn, die funktioniert, und keine Showveranstaltungen.

Im Oktober versicherte die S-Bahn, sie sei für diesen Winter gut gerüstet. Wieder drohte der Regierende Bürgermeister mit Konsequenzen, falls es diesmal wieder nicht klappen sollte. Man kann sagen: The same procedure as every year. Uns droht in diesem Winter ein SBahn-Desaster wie im letzten oder sogar noch ein schlimmeres. Warum lassen Sie sich eigentlich von der S-Bahn so auf der Nase herumtanzen, Herr Wowereit? Sie haben Ultimaten gestellt, Sie haben gedroht, Sie haben

mit einer Verlängerung des Vertrags gelockt – Zuckerbrot und Peitsche –, Sie haben die S-Bahn zur Chefsache erklärt und Bahngipfel ohne Ende veranstaltet. Was haben Sie damit erreicht? – Gar nichts haben Sie damit erreicht. Sie lassen sich von der S-Bahn an der Nase herumführen, und die Leidtragenden sind die Menschen in der Stadt. – Herr Wowereit, ich fürchte, Sie sind ein Ankündigungsweltmeister, aber ein Macher und Entscheider sind Sie in dieser Frage offensichtlich nicht.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Sie lassen die Berlinerinnen und Berliner nicht nur mit dem S-Bahn-Chaos alleine. Dieser Winter wird kalt, und die Energiepreise steigen wieder. Steigende Energiepreise bedeuten steigende Heizkosten. Das wird ein riesiges soziales Problem. Da müssen die Sozialdemokraten aufhorchen. Der Senat muss erklären, wie er diese Heizkostenexplosion in den Griff bekommen will. Allein die Gaspreise werden um 13 Prozent in diesem Winter steigen. Die Mieterinnen und Mieter, um die Sie sich ja immer angeblich so sorgen, wird es teuer zu stehen kommen, dass der Senat kein Konzept für Wärmedämmung und Energieeffizienz hat. Erst kürzlich haben Sie ein Klimaschutzgesetz, gemeinsam entwickelt von IHK, Handwerkskammer und BUND, abgelehnt. Einen eigenen Entwurf haben Sie aber auch nicht. Wer heute, wie Sie es ja tun, Klimaschutz und Mieterschutz gegeneinander ausspielt, hat nicht begriffen, dass die Heizkosten so dramatisch steigen werden, dass für viele Menschen die Nebenkosten teurer als die Kaltmiete werden. Auf diese Mietsteigerungen haben Sie keine Antwort. Dabei hätten Sie es in der Hand, es mit einem Klimaschutzgesetz zu verändern.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Ja, Herr Lederer! Nicht nur Ihre Energiepolitik, auch Ihre Sozialpolitik ist ganz offensichtlich aus der Steinkohlezeit! – Klimaschutz sei Chefsache, hieß es. Aber dem Klima hat es geschadet, dass Klimaschutz in Berlin zur Chefsache erklärt wurde.

Sie haben den Klimaschutz zu den Akten gelegt. Sie bekommen die S-Bahnprobleme nicht in den Griff. Schwierige Fragen wie Haushaltsfragen bekommen Sie gar nicht mehr gelöst. Wo bleibt der Nachtragshaushalt für 2011, könnte man fragen. Alle Bundesländer machen einen, weil sie alle mit der Schuldenbremse in eine andere Lage geraten sind.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Oder haben Sie vielleicht Angst vor einem Kassensturz? Es macht den Eindruck, als hätten Sie Angst vor dem Kassensturz, und die schwierige Frage Haushalt bleibt liegen. Stattdessen wird gegen die Charité gepoltert, die seit Jahren von Ihnen hängen gelassen wird. So kann man mit einer der bedeutendsten Institutionen in der Stadt nicht umgehen. So löst man nicht die Probleme, die die Charité zweifelsohne hat. Auch hier wird angekündigt

und nicht gehandelt, und dazu noch mit einem Umgangston nach Gutsherrenart. Das ist die Methode Wowereit.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Herr Lederer! Sie haben noch ein Jahr zu regieren. Sie haben sich mit Ihrem Parteitag bereits als Opposition definiert. Sie haben noch einen Arbeitsvertrag bis zum Herbst nächstes Jahres, und bis dahin erwarten wir und erwartet die Stadt, dass Sie die Probleme anpacken und nicht nur Ankündigungspolitik betreiben, denn das reicht nicht aus.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Meyer, der Fraktionsvorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Herr Meyer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erwartungen an diese rot-rote Regierungskoalition sind naturgemäß nicht besonders hoch.

[Zuruf von der Linksfraktion: Bei der FDP!]

Aber wir hätten uns in der Tat nicht träumen lassen, dass wir ein Jahr nach dem rot-roten S-Bahnchaoswinter dieses Thema wieder auf der Agenda haben. Wir fragen Sie, Frau Junge-Reyer: Was haben Sie im letzten Jahr eigentlich gemacht?

[Mirco Dragowski (FDP): Nüscht!]

Wie gutgläubig oder wie überfordert sind Sie eigentlich, wenn Sie uns zum hundersten Mal erzählen, Sie hätten auf irgendwelche Zusicherungen von Bahn- und S-BahnVorständen

[Uwe Doering (Linksfraktion): Wer ist für den Bahnvorstand zuständig?]

bei irgendwelchen Kaffeerunden gesetzt und gebaut? Wie lange wollen Sie die Untätigkeit von Rot-Rot noch hinter Ihren Krokodilstränen verstecken?

[Beifall bei der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Wer setzt den Vorstand ein?]

Wann endlich behandeln Sie die S-Bahn so, wie jeder andere Auftraggeber einen Auftagnehmer, der seine Leistungen nur ungenügend erfüllt, behandeln würde?

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Wann kündigen Sie den S-Bahnvertrag? Oder bei Ihnen muss man besser fragen: Was muss noch passieren, damit Sie dies endlich tun?

[Beifall bei der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Wann schmeißen Sie den Vorstand raus?]

Wir alle wissen – das müsste mittlerweile auch bei RotRot angekommen sein –, dass die S-Bahn Berlin GmbH

mit ihrer unternehmerischen Verantwortung und den vertraglichen Pflichten aus dem Verkehrsvertrag offensichtlich vollkommen überfordert ist. Wir alle wissen aber auch, dass nur ein Monopolist ohne Wettbewerber und Kontrolle wie die Deutsche Bahn ein Tochterunternehmen derart finanziell auspressen und kaputt optimieren konnte, wie dies in den letzten Jahren geschehen ist.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wem gehört das Unternehmen?]

Dazu komme ich gleich.

Wir wollen heute nicht nur über die unternehmerische Verantwortung sprechen – das fällt immer leicht –, sondern auch über die politische für dieses Chaos, und zwar sowohl im Bund als auch in Berlin. Schauen wir uns im Bund die Situation an.

[Martina Michels (Linksfraktion): Genau!]

Die Vorgaben

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was macht eigentlich Guido?]

für den Umbau der Bahn stammen aus der Regierungszeit Schröder.

[Andreas Gram (CDU): Aha!]

Rot-Grün!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Die Verkehrsminister vom Bund sind von 1998 bis 2009 ausschließlich von der SPD gestellt worden. Die politische Verantwortung auf Bundesebene ist damit ganz klar bei der SPD zu verorten. Wer dabei war, waren natürlich wie immer unsere Freunde von den Grünen.

[Martina Michels (Linksfraktion): Genau! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion]