Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Birk! Das Rahmenkonzept zur Prävention von HIV und Aids, sexuell übertragbaren Erkrankungen und Hepatitiden ist vom Senat im September beschlossen und dem Abgeordnetenhaus zugeleitet worden. Hier ist bereits auf Seite 4 Ihre erste Frage wissenschaftlich begründet beantwortet worden. Deshalb erlaube ich mir, wörtlich daraus zu zitieren:
Zu allen hier vorgelegten Zahlen muss vorab festgehalten werden, dass es sich hier um keine repräsentativen Befragungen beziehungsweise Erhebungen handelt.
Bochow und andere (2007) stellen hierzu fest: Repräsentativbefragungen im eigentlichen Sinne sind nur möglich, wenn man aus einer bekannten Grundgesamtheit eine irgendwie geartete Stichprobe zieht. Eine solche Stichprobenziehung ist nicht möglich, da die Grundgesamtheit der Männer, die Sex mit Männern haben, in Deutschland unbekannt ist.
Dies gilt natürlich analog für andere Zielgruppen des Konzepts, wie zum Beispiel die intravenös drogengebrauchende Menschen oder Frauen in der Sexarbeit. Logischerweise, das ist eine klare Schlussfolgerung, ist deshalb eine Quantifizierung der Mittelvergabe im Zusammenhang mit den beschriebenen Zielgruppen nicht erfolgt.
Ich möchte auch noch einmal klarstellen, dass erfolgreiche HIV-Prävention nicht losgelöst von der Prävention aller sexuell übertragbaren Erkrankungen sowie Hepatitiden erfolgen kann. Deshalb wurde das Rahmenkonzept um diese Themenkomplexe erweitert. Die Entwicklung der Diagnosezahlen zu den unterschiedlichen Erkrankungen bezogen auf die im Konzept dargestellten Zielgruppen unterscheiden sich sehr deutlich, sodass das Rahmenkonzept notwendigerweise unterschiedliche Schwerpunktsetzungen enthält. Soviel zu Ihrer ersten Frage.
Zu 2: Hier kann ich aus dem vorliegenden Rahmenkonzept leider nicht zitieren, da die Aussage, die Ihre Frage unterstellt, dort nicht enthalten ist. Natürlich möchte ich Ihnen die Antwort trotzdem nicht schuldig bleiben: Die Anzahl der HIV-Neudiagnosen ist in den Jahren 2001 bis 2004 deutlich und in den Jahren 2005 bis 2009 erkennbar angestiegen. Die Zunahme in den Jahren 2001 bis 2004 ist zumindest teilweise mit der Umstellung des Meldeverfahrens zu erklären. Feststellen muss man in diesem Zusammenhang, dass es sich um eine Zunahme des Diagnose- nicht des Infektionsgeschehens handelt. Die unterschiedliche Anzahl an Neudiagnosen vor allem in den Jahren 2005 bis 2009 kann deshalb durchaus gesundheitspolitisch gewünschtes Ergebnis der in diesen Jahren verstärkten Testkampagne unter Männern, die Sex mit Männern haben, sein. Wissenschaftliche Untersuchungen von Experten zum möglichen Ertrag im Hinblick auf eine Reduzierung von Neuinfektionen bei der Durchführung der empfohlenen Maßnahmen der Primärprävention gehen von einem möglichen Senkungspotential der Neuinfektionen von 20 Prozent aus.
Dem Senat liegen darüber hinaus keinerlei Erkenntnisse darüber vor, wonach sich das Wissen zu HIV und Aids unter Jugendlichen in den letzten Jahren verschlechtert hätte. Die vorliegenden repräsentativen Erhebungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Wissensstand der Bevölkerung lassen hier keine Veränderungen erkennen. Gleichwohl hält der Senat im Rahmenkonzept fest, dass Berliner Schülerinnen und Schüler auch weiterhin in Grund- und weiterführenden Schulen über sexuell übertragbare Krankheiten zu informieren sind. – Vielen Dank!
Danke schön, Frau Lompscher! – Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Birk. – Bitte schön, Herr Birk, Sie haben das Wort!
Bleiben wir beim Thema Jugendliche. Während Sie behaupten, dass weiterhin die Aufklärung in den Schulen stattfinde, wissen wir aus vielen Berichten, dass die Lehrerinnen und Lehrer das Thema Sexualität in der Schule meiden wie der Teufel das Weihwasser. Insofern frage ich Sie, wie Sie dazu kommen, sich zunächst einmal für die Aufklärung von Jugendlichen im Rahmenkonzept für unzuständig zu erklären, auf die Bildungsverwaltung und dann auf die Initiative sexuelle Vielfalt zu verweisen sowie auf die halbe Stelle, die dafür da sei, es eine Evaluation zur Auswertung des Rahmenplans geben soll, obwohl Sie ganz genau wissen – –
Herr Kollege Birk! Die Frage ist verstanden. Sie bedarf nicht mehr der Erläuterung. – Bitte schön, Frau Senatorin Lompscher!
[Thomas Birk (Grüne): Hören Sie, ich habe meine Frage nicht beendet! – Benedikt Lux (Grüne): Unverschämtheit!]
Wie komme ich dazu? – Ich weiß nicht, aus welchen Unterlagen Sie zitieren und welche Unterlagen Ihnen vorliegen.
Soweit ich weiß, ist das Thema sexuelle Aufklärung Bestandteil der Rahmenpläne und wird natürlich in den Schulen durchgeführt – und zwar in grund- und weiterbildenden Schulen. Zum anderen sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl der Zentren für sexuelle Gesundheit als auch diverser Projekte weiterhin in Schulen unterwegs.
Vor diesem Hintergrund stelle ich fest, sehr geehrter Herr Birk, dass wir unterschiedliche Kenntnisstände über die Realität in dieser Stadt haben. Das kann man dann ja auch einmal festhalten.
Jetzt geht es weiter mit einer Frage von Frau Kollegin Baba-Sommer von der Linksfraktion zu dem Thema
1. Welche Bedeutung und welche Wirkung haben öffentliche Kampagnen, die im Rahmen des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen stattfinden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenem Jahr wurden in Berlin über 16 000 Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei angezeigt. Mehr als 75 Prozent der Betroffenen waren Frauen. 3 300 Frauen und Kinder haben in den Berliner Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen Schutz und Hilfe gesucht. Laut einer repräsentativen Untersuchung müssen wir davon ausgehen, dass circa jede vierte Frau in der Bundesrepublik körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Erziehungspartner erlebt. Diese Zahlen zeigen, dass wir trotz aller gemeinsamen Anstrengungen immer noch nicht alle Frauen erreichen. Zentrale Aufgabe von Öffentlichkeitskampagnen ist es deshalb, diese Lücken zu schließen und die Opfer noch besser über die Hilfsmöglichkeiten und -angebote zu informieren. Zugleich sollen Unterstützerinnen und Unterstützer ermutigt werden, sich Hilfe zu holen und sich zu informieren. Auch Männer sollen motiviert werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Öffentlichkeitsaktionen, die jährlich zum 25. November durchgeführt werden, tragen ganz wesentlich zu dieser Zielsetzung bei. So findet auch heute wieder die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ in Kooperation zwischen meinem Haus, den bezirklichen Frauenbeauftragten und Kaiser’s-Tengelmann statt. Das ist eine niedrigschwellige Möglichkeit einen breiten Personenkreis zu erreichen, auf die Telefonnummern unserer zentralen Anlaufstelle, der BIG-Hotline, aufmerksam zu machen und ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Das führt, wie wir feststellen können, regelmäßig zu einer steigenden Anruffrequenz. Das heißt, diese Maßnahme wirkt durchaus.
Aber eine Aktion, die nur einmal jährlich stattfindet, reicht nicht aus, um den gesellschaftlichen Diskurs, die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf breiter Basis lebendig zu halten. Deshalb wurde im Sommer dieses Jahres auf meinen Auftrag hin eine berlinweite Kampagne zur häuslichen Gewalt unter dem Motto „Hinter deutschen Wänden“ durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser Kampagne stand die Ausstrahlung eines Kinospots in insgesamt 38 Cineplex- und Off-Kinos und im „Berliner Fenster“ Zugleich machten im gesamten Stadtgebiet Großplakate mit dem Slogan „Manchmal sieht man es erst auf den zweiten Blick“ und der Telefonnummer der BIGHotline auf das Phänomen häusliche Gewalt aufmerksam. Die Kampagne, die hinter dem Motto „Hinter deutschen Wänden“ steht, stieß auf eine außerordentlich breite Resonanz und wird deshalb seit dem 16. November bis zum Ende des Jahres zum zweiten Mal durchgeführt. Außerdem läuft der Spot bis Ende des Jahres – das freut mich besondern – auch im „RBB“ und in „TV-Berlin“. Unser Ziel ist es, dass diese Kampagne, die zunächst nur auf
Berlin beschränkt ist, auch in anderen Bundesländern umgesetzt wird. Mecklenburg-Vorpommern hat dies bereits getan und zeigt im Dezember zunächst den Kinospot, im nächsten Jahr wird dann die gesamte Kampagne übernommen. Für das nächste Jahr plant mein Haus die Fortführung der Kampagne mit einer Hausplakataktion, um weitere Akzente in der Öffentlichkeit zu setzen.
Zu Ihrer Frage 2: Sie wissen, dass sich der Berliner Senat seit Jahren dafür einsetzt, die Gewalt gegen Frauen und Kinder abzubauen und den Betroffenen gute professionelle Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen. In Berlin besteht deshalb eine engmaschige Kooperation zwischen den bestehenden Hilfsangeboten wie den Frauenhäusern, Beratungsstellen und Zufluchtswohnungen und allen Institutionen, die mit häuslicher Gewalt befasst sind. Polizei, Justiz, Jugendämter und der öffentliche Gesundheitsdienst wurden für das Thema sensibilisiert. Mit der im vergangenen Jahr durchgesetzten Erhöhung der Mittel für die von der Abteilung Frauen und Gleichstellung geförderten Projekte ist es uns gelungen, die Infrastruktur im Antigewaltbereich zu verbessern und den Opferschutz auszubauen. Insbesondere die Aufstockung der Mittel für die BIG-Hotline hat dazu geführt, dass die Beratungsqualität verbessert und die Begleitdienste zum Beispiel zu Ämtern oder zum Familiengericht ausgebaut werden konnten.
Im Hinblick auf die spezifische Situation gewaltbetroffener Migrantinnen kam in den letzten zwölf Monaten dem Ausbau eines gewaltächtenden Dialogs mit den Migrantencommunities besondere Bedeutung zu. Im Rahmen des Fraueninfrastrukturprogramms konnte zum 1. Januar 2010 eine halbe Personalstelle bei BIG eingerichtet werden, deren Aufgabe darin besteht, zu den verschiedenen Migrantencommunities Kontakt aufzunehmen bzw. bestehende Kontakte zu intensivieren und neue Wege der Informationsvermittlung zu entwickeln. Anknüpfend an die Fortbildungsreihe „Berlin-Kompetenz für Berliner Imame und Seelsorger“ hat mein Haus weitere Fortbildungsveranstaltungen in Kooperation mit der Polizei und Antigewaltprojekten konzipiert.
Nach wie vor messen wir der Information und Sensibilisierung der verschiedenen Institutionen große Bedeutung bei. Ende 2009 fanden daher fünf Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde zum Thema häusliche Gewalt statt. An Multiplikatoren, aber auch Betroffene richtet sich der Wegweiser für die von häuslicher Gewalt betroffenen Migrantinnen, der seit Juni 2010 nicht nur online, sondern auch gedruckt vorliegt. Auch die Broschüre des Arbeitskreises Zwangsverheiratung, die möglichen Ansprechpersonen wie beispielsweise Lehrerinnen und Lehrern wichtige Informationen bietet, ist überarbeitet worden und geht derzeit in Druck.
Um die Situation von jungen Migrantinnen und der von Zwangsverheiratung Betroffenen oder Bedrohten zu verbessern, beteiligt sich mein Haus seit diesem Sommer
an der Finanzierung der Onlineberatung „Sibel“, die bei der Kriseneinrichtung „Papatya“ angesiedelt ist. Eine weitere Zielgruppe mit spezifischen Bedürfnissen sind Frauen mit Behinderungen. Bereits im Jahre 2009 wurden mehrere Schutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen mit der technischen Ausstattung versehen, die diese Frauen benötigen. Es gab gleichzeitig eine DVD in Gebärdensprache mit dem Titel „Häusliche Gewalt ist nicht in Ordnung“, die Beratungsstellen und Betroffenen zur Verfügung gestellt wurde. Mittlerweile bietet auch der Internetauftritt der BIG-Koordinierung umfangreiche Informationen in Gebärdensprache. Sie sehen: Es ist eine Vielzahl von Aktivitäten, die wir unternehmen. Wir sind vor allen Dingen dabei, das Hilfsangebot auch auf spezifische Betroffenengruppen auszuweiten und zu spezifizieren.
Danke schön, Herr Senator! – Jetzt gibt es eine Nachfrage von Frau Kollegin Baba-Sommer. – Bitte schön!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich habe eine konkrete Nachfrage zu den Schwerpunkten, die der Senat im folgenden Jahr hinsichtlich des Schutzes von Frauen vor Gewalt setzen möchte – Stichwort: gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm. Dort spielt nämlich Antigewalt auch eine ganz große Rolle. Können Sie dazu ein paar Punkte nennen?
Frau Baba! Ich habe es schon angesprochen, dass wir spezifische Angebote für besonders betroffene Gruppen ausweiten und entwickeln wollen. Ich habe eben Angebote für gehörlose Frauen angesprochen. Wir werden jetzt auch noch mal Hilfsangebote für sehbehinderte bzw. blinde Frauen ausweiten und dort auch den Hilfseinrichtungen entsprechende Unterstützung anbieten. Wir werden auch weiterhin den Kontakt mit den MigrantenCommunities intensivieren. Aber auch hinsichtlich der regulären Hilfssysteme wollen wir, dass das mehr Frauen in Anspruch nehmen. Hier sind wir gegenwärtig dabei, Kooperationen mit den Jobcentern zu entwickeln.
Gleichzeitig wird das intensiviert, was wir begonnen haben, nämlich die täterorientierte Arbeit in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Justiz. Dort wird noch einmal ein zusätzliches Kurzzeitprogramm über die bisherigen Programme hinaus entwickelt und soll im nächsten Jahr umgesetzt werden. Wir werden darüber sicher noch mal ausführlich informieren, wenn wir so weit sind. Aber
Sie sehen: Wir haben eine Reihe von Themen, an denen wir weiter arbeiten, auch im Rahmen des gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms, gemeinsam mit anderen Verwaltungen – der Bildungsverwaltung, der Justizverwaltung. Insofern haben wir noch einiges vor.
Danke schön, Herr Senator! – Jetzt gibt es eine Nachfrage von Frau Kollegin Kofbinger von Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte!
Ja, mache ich! – Die Kampagne „Hinter deutschen Wänden“ fanden wir alle gut. Sie haben dabei richtig Geld in die Hand genommen und haben 130 000 Euro eingesetzt, für eine gute Sache. Die Frage, die ich jetzt habe, wir haben auch immer wieder nachgefragt: Was ist mit der psychologischen Betreuung der von Gewalt betroffenen Migrantinnen, und zwar dort die Zusammenarbeit mit muttersprachlichen Psychologinnen und Therapeuten? Haben Sie vor, dort noch bis Ende der Legislaturperiode ein Programm vorzulegen, und wie ist das finanziert?
Frau Kollegin Kofbinger! Eigentlich kommt es verschärfend hinzu, wenn, wie eben, die Einleitung mit der anschließenden Frage gar nichts zu tun hat.