Protocol of the Session on October 7, 2010

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Integration und Partizipation von Migrantinnen und Migranten, das wir heute hier behandeln, leistet leider weder einen Beitrag zur Integration noch zur Partizipation. Vielmehr wäre es richtig gewesen, den Titel des Gesetzes „Gesetz zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung und zur Bestattung von Migrantinnen und Migranten muslimischen Glaubens“ zu benennen,

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

denn lediglich das haben Sie in diesem Gesetz geregelt. Spannend war dann auch zu hören, wie Sie sich hier dazu geäußert haben, nämlich über alles andere, aber nicht über das eigentliche Gesetz. Das zeigt mir letztlich ganz deutlich, dass es Ihnen auch zu kurz greift oder Sie vielleicht in Teilen gar nicht verstanden haben, was der Senat hier vorlegt.

[Beifall bei den Grünen]

Das ist auch deswegen interessant, weil in der Gesetzesbegründung klar wird, dass der Senat selber nicht genau geklärt hat, für welche Fälle er diese Regelungen eigentlich vorsieht. Er konnte es in der Pressekonferenz auch nicht beantworten, wie viele Menschen denn von diesem Gesetz betroffen sind bzw. überhaupt profitieren können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Breitenbach?

Im Moment nicht, danke! – Daher habe ich in mehreren Kleinen Anfragen versucht, das Ziel herauszufinden, was der Senat unter „interkultureller Kompetenz“ versteht, auch, welche Analysen im Vorfeld unternommen wurden, um überhaupt festzustellen, welchen Missstand Sie mit diesem Gesetz beheben möchten. Weiterhin habe ich abgefragt, welche Maßnahmen bislang ergriffen wurden und versagt haben, sodass wir nun das Gesetz als Instrument brauchen. Die Antworten können Sie alle nachlesen, sie sind öffentlich und leider auch sehr dürftig.

Ich muss in diesem Kontext einfach noch einmal feststellen, weil es die Kollegin Breitenbach gerade wieder aufgegriffen hat: Menschen mit Migrationshintergrund in irgendwas hineinbekommen. Schauen Sie sich die Anfrage zu dem Thema, wie das definiert wird, an! Es gibt so viele Definitionen: migrantischer Hintergrund, nichtdeutsche Herkunftssprache. Fragen Sie in den unterschiedlichen Verwaltungen, Sie werden unterschiedliche Antworten erhalten! Was sagt mir das im Klartext? – Man hat sich nie zusammengetan, um einmal zu analysieren, zu definieren, um eben auch belastbare Zahlen zu haben, die dann Grundlage für ein Gesetz, für Entscheidungen sein könnten. Fehlanzeige! Hier wurde sehr vieles versäumt.

[Beifall bei den Grünen]

Eine Gruppe will ich besonders herausheben, weil sie durch dieses Gesetz letztlich doppelt bestraft wird: Es ist die sogenannte „dritte Generation“, die qua Definition herausgenommen wurde, nach dem Motto, die werden zwar am meisten diskriminiert – das wurde auch in unterschiedlichen Studien bereits herausgefunden –, aber das geht nicht, weil unsere Leute gesagt haben, das wollen wir nicht. Deswegen werden sie durch das Gesetz als „Nichtmigrationshintergrund“ definiert, fallen letztlich aus der Pseudovergünstigung, die ihnen hier hätte zukommen sollen.

Leider ist es auch so, dass bestimmte Lebensbereiche, in denen genau die Fragen und Problemstellungen, die auch heute hier diskutiert wurden, eine Rolle spielen, gar nicht erst angesprochen werden. Da ist der Bereich Schule. Da ist der Bereich Arbeit, aber auch die Hochschule. Das sind die Bereiche, in denen Integration stattfinden muss, in denen im Moment einfach unzureichend vorgegangen wird. Da müsste tatsächlich viel mehr geregelt werden. Das kann man auch durch ein Gesetz machen. In Teilen muss man es auch durch Gesetze machen, damit es überhaupt eine Wirkung zeigt. Aber auch hier wurde versagt. Es wurde nichts vorgeschlagen.

[Beifall bei den Grünen]

Diese rot-rote Koalition will das Gesetz um jeden Preis schnell hier durchpeitschen. Jahrelange Versäumnisse sollen durch das Gesetz überdeckt werden. Ich kann sagen: Schade, die Gelegenheit, diese Themen einmal gründlicher zu behandeln und darüber in der gesamten Gesellschaft zu diskutieren, wird dadurch versäumt.

Die Anhörung fand in den Schulferien statt, sodass sich kaum jemand daran beteiligen wollte. Man kann sich noch ein paar Gedanken darüber machen, warum das Gesetz nicht so gründlich diskutiert wurde. Mir fällt nur ein Mensch ein, der hier auch schon mehrfach genannt wurde, der in der einen Partei, die hier gerade regiert, dafür gesorgt hat, dass die Diskussion in eine andere Richtung geht. Vor dem scheint man Angst zu haben. Deswegen will man die Dinge nicht zugunsten der Migrantinnen und Migranten regeln.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Senftleben.

Herr Präsident! Liebe Parteifreunde!

[Heiterkeit]

Entschuldigung! – Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Sie haben Premiere: Nach über acht Jahren widmet sich der Berliner Senat der Integration – per Gesetz, prima!

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Aber fragen wir einmal nach, wo wir heute stehen: überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Migrationshintergrund, Schulverweigerung, hohe Schulabbrecherquote, Parallelgesellschaften, Kriminalität, auch Intensivtäter und Perspektivlosigkeit. Ich finde, das ist eine magere Bilanz.

[Beifall bei der FDP]

Aber vielen der hier lebenden Menschen tun wir unrecht, beließen wir es bei dieser obigen Aufzählung. Sie haben es geschafft, zahlen Steuern, kümmern sich um ihre Kinder, bereichern unsere Kultur und tragen mit ihrem Fleiß zum Wohlstand dieser Stadt bei. Ich nenne da den vietnamesischen Kioskbesitzer: Der baut sich und seiner Familie trotz Drangsalierung durch Ordnungsamt und andere Behörden eine Existenz auf, seine Kinder besuchen ein Gymnasium und machen ein wunderbares Abitur. Ich nenne die türkische Akademikerin, die sich dreimal häufiger bewerben muss, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Ich nenne den Russlanddeutschen, der trotz Schwierigkeiten bei der Anerkennung eines Berufsabschlusses einen Platz auf dem deutschen Arbeitsmarkt findet, weil er beharrlich dabeibleibt. Diese Bürger und Bürgerinnen brauchen Ihr Gesetz nicht. Diese Bürgerinnen und Bürger haben es nicht nötig, vom Berliner Senat zum Objekt staatlicher Versorgung und Wohlfühlpolitik gemacht zu werden. Diese Bürgerinnen und Bürger setzen auf Eigenverantwortung, setzen nicht auf staatliche Rundumsorglosversorgung.

[Beifall bei der FDP]

Ihr sogenanntes Integrationsgesetz weiß offensichtlich nichts von diesen Bürgern und Bürgerinnen, denn Unterstützung ist nicht vorgesehen. Offensichtlich kennen Sie die gar nicht. Oder steht da etwas von Verbesserung der Anerkennung von Berufsabschlüssen? – Fehlanzeige! Thematisieren Sie so etwas wie Zwangsheirat? Oder thematisieren Sie die durchaus wünschenswerte Ausbildung der Imame in Deutschland? – Wieder Fehlanzeige!

Und dann das Bildungsthema! Es ist inzwischen ein Allgemeinplatz: Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Schule wird aber eigentlich nicht erwähnt. Nur an einer Stelle taucht sie auf, nämlich dort, wo es um Besetzung

von Gremien und Verfahrensfragen geht. Und genau hier liegt das Dilemma des Gesetzes: Es schafft neue Gremien, neue Mitspracheregelungen, mehr Bürokratie; schnelles Regierungs- und Verwaltungsverfahren wird erschwert.

[Beifall bei der FDP]

Es ist ein Wohlfühlgesetz für Migrantenverbände. Es erweckt den Eindruck, Integration sei allein Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft. Offensichtlich ist Integration für den Berliner Senat dann erreicht, wenn genügend Plätze in unterschiedlichen öffentlichen Gremien für die Vertreter der Migrantenverbände geschaffen sind. So nicht, meine Herren, meine Damen!

[Beifall bei der FDP]

Im Endeffekt ist dieses Gesetz, kann man sagen, ein besseres Bestattungsgesetz. Der Berliner Senat ist dem Beispiel anderer Bundesländer gefolgt, er war ja nicht selbst initiativ, und erlaubt die Bestattung nach islamischem Ritus. – Ist in Ordnung. Aber, Frau Senatorin, haben Sie, hat Ihre Verwaltung sich eigentlich einmal danach erkundigt, ob andere Kulturen auch andere Bestattungskriterien haben? Haben Sie nicht, denn sonst hätten Sie die ja in diesem Gesetz berücksichtigt. Sie haben nur die Interessen eines Teils der Zuwanderverbände bedient, mehr nicht.

Und dabei vermeiden Sie es auch, Forderungen aufzustellen. Es reicht eben nicht, die Anerkennung unserer Werte zu fordern; unsere Werte müssen auch gelebt werden. Dazu gehört, Frauen und Kinder in die Freiheit zu lassen, sich auf das Leben in der deutschen Gesellschaft einzulassen. Dazu gehört eine freie Partnerwahl und auch die Anerkennung von Meinungs- und Religionsfreiheit ohne Wenn und Aber.

[Beifall bei der FDP]

Ich möchte enden mit einem Zitat von Joachim Gauck aus seiner Rede am Samstag in diesem Hohen Hause:

Wenn eingewanderte Familien noch nach Jahren die Landessprache nicht sprechen, werden alle Integrationsbemühungen scheitern. Bei der Versorgung aber wollen selbst jene integriert sein, die unsere Kultur ablehnen, sie sogar bekämpfen und denunzieren. Hier darf und muss der Staat Forderungen stellen, Respektierung unserer Ordnungen und unserer Rechts erwarten und wo nötig auch durchsetzen.

Meine Damen, meine Herren von der SPD! Bitte schreiben Sie sich diese Worte Ihres einstigen Hoffnungsträgers ins Stammbuch, und beerdigen Sie dieses Gesetz! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Das Wort hat als Letzter der fraktionslose Abgeordnete Stadtkewitz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel an sich zeigt, worum es Ihnen eigentlich geht: Partizipation statt Integration. Für diese Neuausrichtung werden Sie von zahlreichen islamischen Verbänden und Vereinen gefeiert. Kein Wunder, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fordert bereits seit vielen Jahren weniger Integration, aber stärkere Partizipation. Und genau dieser Forderung kommen Sie nun mit diesem Gesetz nach. Sie schreiben in Ihrem Vortext:

Die Kluft zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer Bildungserfolge, ihrer Ausbildungs- und Erwerbsbeteiligung sowie der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist nach wie vor groß.

Mit dieser Feststellung bestätigen Sie im Grunde die Thesen von Dr. Thilo Sarrazin, nur dass Sarrazin anders als Sie die Aussage nicht pauschal trifft. Er stellt völlig zu Recht fest, dass diese Einschätzung bei der Betrachtung verschiedener Immigrationsgruppen völlig unterschiedlich ausfällt. Sie tun dies jedoch im gesamten Gesetzestext nicht, der insgesamt sehr schwammig ist. Daran krankt Ihr Vorhaben von vornherein.

Sie sprechen von Zugangsbarrieren, die es abzubauen gilt, verzichten jedoch darauf, genau zu sagen, welche Sie entdeckt haben wollen. Hat die Berliner Verwaltung unter Ihrer Führung ganze Bevölkerungsgruppen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Abstammung ausgegrenzt, sozusagen Rassismus in der Berliner Verwaltung? Wohl kaum. Eingestellt wird seit jeher, sofern überhaupt eingestellt wird, nach festen und für alle gültigen Regeln. Wenn Sie jetzt die Einstellungsbedingungen zugunsten irgendwelcher Gruppen ändern wollen, werden Sie tatsächlich diskriminieren, und dies dürfte rechtswidrig sein.

Mehr als 15 Millionen Menschen sind nach Deutschland eingewandert, und die übergroße Mehrheit hat sich spätestens nach der zweiten Generation problemlos integriert. Meine Vorrednerin ist darauf eingegangen. Viele haben sich sogar assimiliert. Die inzwischen unüberschaubare Integrationsindustrie haben diese Menschen nicht gebraucht. Sie sind in der Regel Deutsche geworden und verdienen dafür unsere Anerkennung. Es verbietet sich eigentlich, ihnen heute ihren Immigrationshintergrund vorzuhalten, denn genau diese Menschen brauchen dieses Gesetz nicht.

Aber es gibt eine ganze Reihe von Zuwanderern, die sich selbst in der dritten Generation der Integration verweigern. Und dies sind zum großen Teil Zuwanderer, die aus islamisch geprägten Ländern zu uns kommen. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie dies wissen. Mit Ihrer Absicht, den Begriff „kirchliche Feiertage“ gegen die weit weniger identitätsstiftende Formulierung „religiöse Feiertage“ auszutauschen, legen Sie einmal mehr Hand an das christliche Fundament unserer Werte. Die deutsche Identität weiter und weiter abzuschaffen, entspricht Ihrem linken Geist.

Mit dieser Absicht wie auch der Tatsache, dass Sie das Bestattungsrecht zugunsten islamischen Rechts verändern wollen, haben Sie klargemacht, um welche Gruppe es Ihnen eigentlich geht. Ich sage Ihnen aber, Sie werden der Integrationsverweigerung so nicht entgegentreten können. Muslimische Zuwanderer, die die Kraft zur Säkularisierung nicht haben, werden die Quellen des Islam immer über das demokratische Recht stellen, auch übrigens über dieses Gesetz. In diesem Spannungsfeld wachsen seit jeher Menschen auf. Und es gibt immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die unsere Gesellschaft ablehnen, die uns ablehnen, die ihre Lehrer ablehnen, die Polizisten ablehnen, die sich weigern, sich zu integrieren. Seit Jahrzehnten lassen wir zu, dass bereits kleine Kinder dieser politischen Ideologie ohne unseren Einfluss gegenübergesetzt werden, dass sie ihnen eingeimpft wird, sodass wir möglichst schnell den Einfluss auf diese Kinder verlieren. Das Ergebnis kennen wir, wenn wir in viele Gebiete unserer Stadt blicken. Hier ist die Integration in vielen Gebieten wirklich gescheitert. Wenn Sie, Herr Regierender Bürgermeister, sagen:

Ich lasse mir nicht von irgendwelchen Volksverdummern sagen, dass die Integration gescheitert ist.

dann rate ich Ihnen: Gehen Sie mal wieder in die Stadt, gehen Sie durch Neukölln, durch Moabit, durch den Wedding, durch Kreuzberg

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Da war ich gerade heute!]

da waren Sie gerade heute –. Dann begleiten Sie mal Polizisten bei ihrer Arbeit, oder gehen Sie zu Schulleitern oder Lehrern, oder setzen Sie sich in Problemklassen. Vielleicht werden Sie dann selbst zu einem – wie Sie sagen – „Volksverdummer“, der einsieht, dass die Integration in diesen Gebieten tatsächlich gescheitert ist. Denn es bleibt dabei: Sich einzugliedern in ein bestehendes Wertesystem, ist die Bringschuld derjenigen, die hierher kommen, und nicht umgekehrt. Diese Logik umdrehen zu wollen, verschärft die Situation und vergrößert die Probleme. Dieses Gesetz richtet sich gegen das eigene Volk. Ziehen Sie es zurück! – Herzlichen Dank!