Protocol of the Session on February 22, 2007

[Beifall bei der CDU]

Diese Erkenntnis eines bekannten deutschen Publizisten sollte sich jeder verantwortungsvolle Politiker hinter den Spiegel stecken. Denn über demografischen Wandel zu sprechen heißt in erster Linie, über die Zukunft dieser Stadt und ihrer Bürger zu sprechen. Die Prognosen für Berlin sehen in dieser Hinsicht nicht gerade berauschend aus. So sind nach neuesten Forschungen Hamburg, Bremen und Hessen weit besser auf den demografischen Wandel vorbereitet als Berlin.

[Zuruf von den Grünen: Hessen, ha ha!]

Wir alle wissen nicht erst seit gestern, dass Berlin schrumpft und altert und bei weitem nicht dem Bild entspricht, das gern so ausführlich von manchem Senatsvertreter gemalt wird. So werden bei kontinuierlich weiterem Geburtenrückgang bis zum Jahr 2040 100 Personen im Alter von mindestens 65 Jahren nur noch 40 Personen im Alter von unter 20 Jahren gegenüberstehen. Auch die Gesamtbevölkerung wird sich von 3,39 auf 3,12 Millionen Einwohner verringern. Das entspricht der Bevölkerungszahl eines ganzen Stadtbezirks wie beispielsweise Friedrichshain-Kreuzberg. Die 3-Millionen-Grenze wird nur durch erhöhte Zuwanderung gehalten werden können. Das bedeutet, dass in Berlin künftig demografischer

Wandel und Migration untrennbar miteinander verbunden sein werden.

Aus dieser Bevölkerungsprognose ergeben sich neue und anspruchsvolle Anforderungen für Politik und Gesellschaft. Nun gibt es seit heute mit den vorliegenden Anträgen zwei Möglichkeiten, mit diesem Problem umzugehen: Entweder übergibt man es dem Senat, der es dann in seinen stillen Beamtenstuben zu einem dicken Werk aufarbeiten lässt, oder es wird versucht, mittels einer Enquetekommission eine breite öffentliche Diskussion in Gang zu setzen, mit der Unterstützung von außen, von Experten, Handlungsfelder zu identifizieren und Vorschläge zu diskutieren und damit neue, frische Ideen in Politik und Verwaltung wachsen zu lassen.

[Beifall bei der CDU]

Das halten wir für umso dringlicher, weil es dem Senat an Visionen und Vorstellungen mangelt, welche Perspektiven Berlin und seine Menschen erwarten werden. Wir werben deshalb für eine solche Enquetekommission, weil sie nach unserer Ansicht die besseren Möglichkeiten bietet, sich mit den kommenden Problemen des demografischen Wandels auseinanderzusetzen. Denn wie Perikles schon sagte: Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.

Und allen Ernstes wollen Sie sich politische Einflussnahme aufheben, indem Sie sich ausschließlich zum Besprecher von Senatskonzepten machen lassen.

Insbesondere folgende Grundziele sollten die Arbeit der Enquetekommission inhaltlich bestimmen:

1. Es geht nicht um Generationenkonflikt, sondern um Generationenpolitik mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit und Generationensolidarität. Deshalb muss die Folgenabwägung politischen Handelns im Grundprinzip durchgesetzt werden. Bereits die Scholz-Kommission hat auf diesen Umstand verwiesen und bei der Staatsaufgabenkritik die Einhaltung dieses Prinzips sowie die Folgenabwägung auf der Grundlage demografischer Faktoren entsprechend verdeutlicht.

2. Die niedrige Geburtenrate – sie ist mit 1,18 Kindern die niedrigste aller Stadtstaaten und darf nicht als Bedrohung angesehen werden, sondern die hohe Lebenserwartung muss als Chance für Berlin genutzt werden. Diese Betrachtungsweise ergibt völlig neue Sichtweisen auf die Gestaltung der Arbeitswelt und auf die Arbeitsmarktpolitik von morgen. Deswegen müssen wir schon heute gleichzeitig für Aus- und Weiterbildung, vor allem bei den ausbildungswilligen Jugendlichen und auch darüber hinaus, sorgen, damit diese vorherrschende Perspektivlosigkeit endlich ein Ende hat und neue Chancen und Potenziale eröffnet werden, um in der Zukunft bestehen zu können.

3. Die Unterschiedlichkeit der Menschen durch Herkunft und Lebensform macht Vielfalt, Attraktivität und Kreati

vität Berlins aus. Dabei geht es darum, Zukunft auch damit zu gestalten, dass man wieder Hoffnung gibt und es nicht dazu kommt, dass einer sagt, was viele momentan bewegt:

Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal diese Jugend die Männer von morgen stellt.

[Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

Ja, das hat schon Aristoteles gesagt! – Wir müssen uns – und deshalb habe ich es zitiert – klarmachen, dass wir nur mit allen gemeinsam die Bemühungen dieser Stadt schaffen werden, um hier eine neue Chance zu entwickeln.

[Beifall bei der CDU]

Wir reden natürlich auch über Standortpolitik.

Herr Kollege!

Und Standortpolitik heißt, sich mit den Standortfaktoren Berlins zu beschäftigen. – Da ich jetzt nicht mehr viel Zeit habe, das weiter auszuführen – –

Genau so ist es!

Lassen Sie mich zum Schluss kommen! – Berlin hat großen Nachholbedarf bei allen Standortfaktoren, die es zu benennen gibt, denn der Senat zeigt sich leider visionslos, ja regelrecht ziellos. Und eine Zukunft ohne Ziele, ohne Werte, ohne Perspektiven ist in jedem Fall der falsche Weg. Deswegen erwarten wir – und fordern das auch ein – eine klare Vorlage, die alle Berliner zum Nachdenken anregt.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Als nächster Redner für die Linksfraktion Herr Kollege Flierl!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer will es bestreiten, der demografische Wandel ist eine der großen Herausforderungen der Gesellschaftspolitik in diesem Land und damit auch für die Berliner Stadtpolitik. Es ist sinnvoll, die Zukunftsaufgaben der Stadt unter Berücksichtigung des demografischen Faktors zu präzisieren und möglicherweise auch neu auszurichten.

Uns liegen nun zwei Anträge vor. Die CDU fordert eine Enquetekommission. Die Koalitionsfraktionen schlagen

vor, ein Demografiekonzept für Berlin vorzulegen. Die Entscheidung für meine Fraktion ist sehr klar. Wir benötigen keine langwierige Enquetekommission und keine neuen Analysen und Prognosen, sondern eine Gesamtbetrachtung auf der Grundlage bereits vorliegender Trendanalysen und -prognosen und eine Netzwerkstrategie, eine Ausarbeitung einer ressortübergreifenden Handlungsstrategie für die Stadtpolitik. Meine Fraktion unterstützt deswegen den Koalitionsantrag. Er ist konkreter, ergebnisorientierter, aber auch politischer, denn er enthält ein sehr klares Bekenntnis zu den Chancen der Metropolenregion Berlin und zu einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft unter den Bedingungen des demografischen Wandels.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich halte den Antrag der CDU für viel zu passiv. Schauen Sie sich doch einmal an, womit sich die Enquetekommission beschäftigen soll! Da soll gefragt werden – und das sollen nach Auffassung der CDU die zentralen Fragen sein –: Wird der Umfang der Bevölkerung schrumpfen oder wachsen? Welche Zusammensetzung wird sie unter Herkunftsaspekten haben? Wie wird sich die Altersstruktur der Bevölkerung unter Berücksichtigung eventueller Besonderheiten in Berliner Bezirken entwickeln? Und welche Komponenten werden sich für die Bevölkerungsentwicklung langfristig als die wichtigsten erweisen? – Also, arm das Forschungsinstitut, das diese Fragen beantworten soll, denn sie sind in vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere des MaxPlanck-Instituts, von dem sich die SPD-Fraktion hat beraten lassen, alle schon ausgearbeitet.

Ich vermute auch eine eindimensionale Interpretation der CDU-Fraktion, denn die alleinige Trendbestimmung mit Schrumpfen, Überalterung und Erhöhung des Anteils von Migrantinnen und Migranten betont einseitig die Risiken und schürt Ängste in dieser Stadt. Nein, ganz im Gegenteil! Wir müssen eine Metropolenstrategie entwickeln, die gegensteuert und die den sozialen Zusammenhalt der Stadt stärkt, die der sozialräumlichen Ausdifferenzierung gegensteuert, die Infrastruktur nachhaltig vorhält und sich nicht mit der Überalterung oder dem sozialen Abstieg ganzer Stadtteile abfindet.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Aus historischen Gründen verfügen wir immer noch über eine sozial und räumlich ausgewogene Stadtentwicklung. Wir wollen die soziale Stadt, die gegen das neoliberale Entwicklungsmodell eine andere Metropolenentwicklung deutlich macht und übrigens auch gegen den Bundesrat. Herr Hoffmann! Die über 65-Jährigen sind in Berlin immer noch geringer vertreten als im Bundesdurchschnitt. Das gibt auch Chancen für diese Stadt. Wir sollten uns den demografischen Entwicklungen nicht ergeben. Deswegen wollen wir ein handlungsorientiertes Demografiekonzept des Senats, möglichst bis zum Jahr 2008, und keine neue Enquetekommission. Bitte unterstützen Sie unseren Koalitionsantrag!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen hat Frau Eichstädt-Bohlig das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden immer weniger, immer älter, immer bunter. Das ist die am meisten gebrauchte Formel für den demografischen Wandel. Beide Anträge fordern, dass sich die Berliner Politik sehr viel intensiver und bewusster als bisher mit dieser Entwicklung befasst und dass auch Handlungsschritte eingeleitet werden. Ich finde, das ist in jedem Fall eine gute Aufforderung, sowohl für das Parlament als auch für den Senat und die Exekutive.

Ich weise darauf hin, dass der demografische Wandel sehr viel mehr als in Flächenstaaten in einer Stadt wie Berlin, in einer Millionenstadt, mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung untrennbar verknüpft ist. Man muss das immer integriert betrachten, und insofern ist fast das ganze Politikfeld davon betroffen.

Die Spezifika für eine Stadt wie die unsere sind: Es ist überhaupt nicht gesagt, dass wir wirklich weniger werden. Das kann sich durch Wanderungen ganz anders entwickeln. Wie gesagt, Wirtschaftsentwicklung! Andersherum ist aber klar, dass eine Stadt wie die unsere schon heute sehr viel bunter ist als andere bundesdeutsche Länder. Wir müssen uns darauf einstellen – und ich hoffe, dass wir uns darauf einstellen wollen –, dass diese Stadt weiterhin bunter wird und dass das eine ganz zentrale Aufgabe in der Entwicklung Berlins und in der Debatte über den demografischen Wandel ist. Das wird in beiden Anträgen auch angesprochen.

Wir werden älter, und wir wünschen uns das auch. Aber ob die Stadt in der Gesamtheit, im Bevölkerungsdurchschnitt älter wird, hängt auch von einer engagierten Politik ab – Kinderpolitik, Jugendpolitik, integrationsfreundliche Politik, beispielsweise vom Angebot an Studienplätzen usw.

Darum konkret ein paar Handlungsfelder: Berlin muss sehr intensiv diskutieren, wie wir eine kinder- und jugendfreundlichere Stadt werden können. Das muss ganz praktisch diskutiert werden, und das muss bis in die Bezirke runterbuchstabiert werden. Was wir gerade in den letzten Wochen erlebt haben, lange Debatten, bis endlich ein kleines Notruftelefon herauskommt, das kann es nicht sein. Das allein ist keine positive Kinderpolitik. Oder wie in Charlottenburg, wo vom Gericht ein Bolzplatz zur Schließung angeordnet wird, weil den Anwohnern und dem Richter der Straßenlärm sehr gewohnt, aber der Kinderlärm sehr störend ist.

Auch das sind Punkte, bei denen wir uns fragen müssen, wo wir mit unserer Kinderfreundlichkeit eigentlich stehen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Berlin als Stadt vorbildlicher Integration – da können wir nur sagen: Endlich heran an dieses Thema! Das wünschen und fordern wir schon lange. Hier ist praktischer Handlungsbedarf. Allein den Namen in den Ressorttitel zu schreiben, Frau Knake-Werner, reicht nicht aus. So nett und engagiert Herr Pienig herangeht, ist dies noch keine Integrationspolitik, kein Konzept, das die wachsenden Herausforderungen dieses Themas wirklich beantwortet.

[Beifall bei den Grünen]

Ein drittes Thema: Ich werde immer wieder von vielen älteren Menschen, aber auch jüngeren angesprochen: Wir wollen endlich neue Wohnformen! Wir wollen nicht vereinzelt weiter wohnen, sondern Jung und Alt zusammen. Wohngemeinschaften, Wohngemeinschaften für Demenzkranke, neue selbstbestimmte und gemeinschaftliche Wohnformen: Das ist die Aufgabe, die im wohnungs- und baupolitischen Bereich dringend ansteht. Ich würde mir wünschen, dass sich unsere städtischen Wohnungsunternehmen, bei denen wir immer noch nicht so richtig wissen, wofür sie eigentlich da sind, dieses Themas engagiert annähmen.

Wir fordern auch, dass das Thema stadtteilnahe Dienste entsprechend ausgeweitet und vorangetrieben wird. Wir fordern bescheiden eine kleine Beratungsstelle, die all diesen Initiativen und Gruppen hilft, ihr Konzept verwirklichen zu können. Wir wünschen uns einen Liegenschaftsfonds, der nicht nur Paketverkäufe macht, sondern Grundstücke anbietet, die für solche Initiativen geeignet sind. Das würde die Stadt nach vorne bringen. Ich kann nur empfehlen, auf Hamburg zu schauen. Dort wird diese Aufgabe aktiv und regelmäßig vorangetrieben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Ein Feld, das bei den Anträgen gar nicht vorkommt, ist die Verkehrspolitik. In den Vororten leben zunehmend ältere Menschen, die einen ÖPNV-Anschluss brauchen und nicht bis zum Alter von 90 Jahren auf ein privaten Pkw angewiesen sein dürfen. Deshalb müsste sich auch die Verkehrspolitik endlich darum kümmern, wie sich die Berliner Bevölkerung entwickelt. Mehr Fahrstühle an den S- und U-Bahnstationen, statt die A 100 wieder weiter auszubauen, wäre ein ganz konkreter Schritt.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Friedbert Pflüger (CDU)]

Es gibt fast kein Politikfeld, das nicht betroffen ist.