Sie mögen recht haben, dass Resolutionen des Abgeordnetenhauses von Berlin oder auch eine Rede des Regierenden Bürgermeisters nur bedingt Einfluss auf Entscheidungen eines großen Konzerns nehmen. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben heute sehr wohltuend erfahren, dass es Solidarität in unserer Gesellschaft gibt. Sie wird auch dadurch dokumentiert, dass der Regierende Bürgermeister zu den Beschäftigten spricht.
Ich habe in dieser Rede deutlich gemacht: Dieses Unternehmen gibt Millionen Euro für Werbung aus, um ihr Produkt zu verkaufen.
Wo ist denn die Werbung, wenn man Schlagzeilen hat, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gute Arbeit geleistet haben, auf die Straße geschickt werden? Sie sollen die Millionen Euro lieber für die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gegen betriebsbedingte Kündigungen ausgeben. Das ist nicht zu viel verlangt von einem Unternehmen, das riesige Gewinne hat.
Deshalb ist es nicht nur zynisch, sondern zutiefst verletzend für die Menschen, die dort draußen um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn Sie so tun, als sei das alles naturgegeben. Nein, es ist nicht naturgegeben, und wir müssen dafür kämpfen, dass es endlich in der Gesellschaft geächtet wird, wenn Unternehmer meinen, so mit Menschenschicksalen umgehen zu können.
[Anhaltender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall bei den Grünen – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Bravo!]
Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Wie Ihnen bekannt ist, haben jetzt die Fraktionen noch einmal die Gelegenheit zu antworten, zunächst Herr Dr. Pflüger von der CDU-Fraktion, dann Herr Dr. Lindner, von der Fraktion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wowereit! Sie sagen, wir müssten endlich einmal etwas tun. Sie sind der Regierende Bürgermeister. Unter Ihrer Amtszeit haben wir das letzte Dax-Unternehmen verloren, Herr Regierender Bürgermeister.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie haben nichts verstanden, hören Sie mal zu!]
Was sollen diese harten Töne hier? Sie sollen sich nicht erst aufregen, wenn es in der Sache schon zu spät ist, sondern Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen hier gerne investieren, damit der Gesundheitsstandort Berlin floriert,
Es ist doch unerträglich, was Sie hier abziehen. Sie machen hier auf Klassenkämpfer. Sie werden übrigens in der internationalen Presse inzwischen als „notorious business basher“ angesehen.
Damit versuchen Sie, die Leute aufzuwiegeln, aber Sie sind doch derjenige, der Unternehmen vertreibt. Während die CNH-Mitarbeiter auf die Straße gesetzt wurden, waren Sie auf Safari in Namibia. Das ist die Politik, die Sie mit Ihrem Senat betreiben. Hören Sie doch auf mit diesen Tönen!
[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wer hat hier Bayer vertrieben?]
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Wir haben in Berlin industrielle Arbeitsplätze auf die schlimmste Art und Weise verloren. Die Antwort des Regierenden Bürgermeisters ist wenige Tage vor der Wahl gewesen: Wir befinden uns in Berlin nun einmal im postindustriellen Zeitalter.
So sei es nun einmal. Dass Industriepolitik überhaupt ein Thema in dieser Stadt ist, verdanken wir den Unternehmerverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der CDU.
Der Regierende Bürgermeister hat es schon abgeschrieben im letzten Wahlkampf. Er hat gesagt, Berlin floriere nur noch durch Dienstleistungen und Kommunikation, Mode, Events. Nein, wir brauchen Produktion in Berlin. Dafür muss man die Rahmenbedingungen schaffen.
Ich sagen Ihnen, Dienstleistungen sind etwas sehr Wichtiges, darauf müssen wir setzen. Aber wir kommen nicht weiter, wenn wir uns alle gegenseitig unsere Autos waschen und die Haare föhnen.
Wir brauchen Wertschöpfung in dieser Stadt. Wir brauchen Industriepolitik. Das, Herr Regierender Bürgermeister, haben Sie versäumt in den letzten Jahren.
Dafür zahlen wir die Zeche: bei CNH, JVC und jetzt bei Schering. Mir tun die Arbeitnehmer leid. Ich habe mit dem Vorstand gesprochen, habe gesagt, hört auf, sprecht keine betriebsbedingten Kündigungen aus.
[Oh! von der SPD – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das müssen Sie erklären! Betroffenheitslüge!]
Schering ist ein Unternehmen, das sich auch in der neuen Form sehr wohl bewusst ist, dass es eine Verantwortung in Berlin hat. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Ich habe mit dem Vorstand von Schering zusammengesessen und mit ihm gesprochen.
Ja, ich finde es nämlich besser: anstatt hier Brandreden zu halten, sollte man mit den Leuten reden und sich mit den Leuten für das Schicksal der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen.