Protocol of the Session on June 3, 2010

Das zweite Problem: Der Einzelhandelsumsatz in Berlin stagniert und sinkt genau umgekehrt proportional zum Flächenzuwachs. Hierzu drei Zahlen: 1992 18,7 Milliarden Euro Einzelhandelsumsatz, 2002 15,3 Milliarden Euro Einzelhandelsumsatz, 2007 12,4 Milliarden Euro Einzelhandelsumsatz. An diesen Zahlen sehen Sie, dass im Endeffekt nur die permanente Steigerung der Konkurrenz vorangeht.

[Burgunde Grosse (SPD): Natürlich!]

Deshalb, lieber Kollege Buchholz: Es geht schon längst nicht mehr darum, ob wir bei „Tante Emma“ oder im großen Fachmarkt einkaufen, sondern es geht eigentlich darum, dass die Großen sich gegenseitig kaputtkonkurrieren.

Deshalb noch mal das zentrale Beispiel, um das es in unserer direkten Nachbarschaft geht: Im Bereich Potsdamer Platz, Leipziger Platz haben die Potsdamer-PlatzArkaden bereits 26 000 Quadratmeter Verkaufsfläche plus 10 000 Quadratmeter, die rundherum im Einzelhandel sind. Der Stadtentwicklungsplan Zentren sieht vor, dass 45 000 bis 60 000 Quadratmeter bis 2020 verträglich sind. Aber was haben der rot-rote Senat, Frau Senatorin JungeReyer gerade genehmigt? – Weitere 36 000 Quadratmeter am Leipziger Platz, womit die Höchstzahl bereits um 12 000 Quadratmeter überschritten wird. Das ist genau das falsche Handeln, und damit wird der Stadtentwicklungsplan Zentren quasi obsolet. So darf man nicht rangehen!

[Beifall bei den Grünen]

Ein anderes Beispiel, die Landsberger Allee: Das ist nicht mal ein Zentrum, das ist nur eine sogenannte Fachmarktagglomeration. Da haben Senat und Bezirke mehrere

Hunderttausend Quadratmeter in zehn Zentren genehmigt. Es ist eine unendliche Aneinanderreihung von Scheußlichkeiten, aber sie sind alle genehmigt worden, obwohl keines hätte genehmigt werden müssen.

[Beifall bei den Grünen]

So geht das weiter. Als Nächstes wird Pankow mit dem großen Güterbahnhofsgelände Heinersdorf folgen, wo ein Investor einfach sagt: Daraus mache ich ein neues Pankower Zentrum. Offenbar dürfen hier die Investoren planen, wie sie wollen. Und bei den Lebensmitteldiscountern ist es nicht das Problem, ob Discounter besser sind als andere Supermärkte, sondern es ist das Problem, dass sie alle auf kleinem Raum gegeneinander gehetzt werden. Ich habe ein solches Beispiel in meiner eigenen Nachbarschaft. Da sieht der Flächennutzungsplan bis heute Grün vor, aber es sind längst die Discounter genehmigt und da.

Frau Eichstädt-Bohlig! Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Deshalb: Wir stimmen dem Antrag zu, weil nichts Falsches drinsteht, aber wir erwarten, dass Sie endlich als Koalition entsprechend Druck machen, dass der Senat und alle Bezirke auch handeln und daraus Konsequenzen ziehen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Eichstädt-Bohlig! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete von Lüdeke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das klingt alles ein wenig halbherzig, wenn man es genau verfolgt. Der Antrag hat uns schon damals, als er eingereicht wurde, etwas verwundert. Es fragt sich, was er eigentlich bewirken sollte.

Nun hat er eine Weile gelegen – er ist von März 2009. Jetzt erinnern wir uns alle – Frau Eichstädt-Bohlig hat es kurz gestreift –, dass wir Ende letzten Jahres die Diskussion über die Großansiedlung am Leipziger Platz hatten. Da haben Sie in kürzester Zeit einen Bebauungsplan durchgejagt, der dort eine Einzelhandelskonzentration von 38 000 Quadratmetern Einzelhandelsverkaufsfläche vorsieht. Da haben Sie keine Gedanken darüber zugelassen, wie das auf den Potsdamer Platz, auf die Friedrichstraße, den Alexanderplatz wirkt. Da war plötzlich Ihr Begehr: Dieses Ding muss durch. Das haben Sie verabschiedet gegen alle Kritik, die die Opposition hier geleistet hat. Man hat den Eindruck, es hat Sie nun im Nachhinein das schlechte Gewissen gepackt, und dann haben Sie darüber nachgedacht, dass Sie noch diesen alten Antrag auf Lager

haben, mit dem Sie nun anfangen wollen zu steuern. Nachdem Sie zuvor nicht gesteuert haben, ist Ihnen plötzlich bewusst geworden: Wir müssen jetzt eingreifen. Wir müssen steuern, und wir müssen irgendetwas machen.

[Beifall bei der FDP]

Diese Erkenntnis kommt schlicht zu spät. Hier gibt es nichts zu steuern.

Im Übrigen ist Ihr Antrag – das merken Sie auch an der Diskussion – durchaus in sich widersprüchlich. Sie sprechen nämlich einerseits von großflächigem Einzelhandel, in der Begründung nennen Sie es denn schon ziemlich konkret und sprechen von den Discountern, die Sie nicht wollen. Was wollen Sie also? – Sie wollen Einfluss darauf nehmen, wer wo hindarf, dass Lidl darf, aber Aldi nicht oder Ähnliches.

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

Wenn ich das so sehe und nachverfolge, ist das schlicht Planwirtschaft, was Sie hier treiben wollen,

[Oh! von der SPD]

und diesem werden wir uns nicht anschließen.

[Beifall bei der FDP]

Sie tragen im Übrigen – Frau Eichstädt-Bohlig hat es auch erwähnt – hier in Berlin letztlich seit 20 Jahren die Verantwortung im Stadtentwicklungs- und Baubereich, über die gesamte Nachkriegszeit mit einer Unterbrechung von zehn Jahren. Das heißt, alles, was sich hier entwickelt hat, ist letztlich aus Ihrer Verantwortung heraus entstanden. Da frage ich: Was haben Sie da gemacht, dass Sie nun gegen Ihre eigenen Interessen, gegen Ihr eigenes Handeln einen derartigen Antrag auf die Piste schieben müssen? Das versteht niemand.

Sie können selbstverständlich mit den Mitteln, die Sie haben, Einfluss nehmen. Das ist gar keine Frage. Das ergibt sich auch aus der Diskussion. Aus der Bauleitplanung können Sie das tun. Nach wie vor ist das Fundament der Bebauungsplan, über den Sie an die Dinge herangehen können. Aber Sie können doch nicht ernsthaft irgendwelche Gebiete konservieren,

[Beifall bei der FDP]

sie unter eine Käseglocke, unter speziellen Schutz stellen, und dort darf sich dann nichts entwickeln.

Wir haben über die Stadtstruktur völlig unterschiedliche Situationen. Wir haben teilweise in der Tat eine Versorgung, die völlig ausreichend ist. Das habe ich auch im Ausschuss gesagt. Aber wir haben auf der anderen Seite durchaus Gebiete, wo diese Versorgung eben nicht gegeben ist. Wir alle lieben die „Tante-Emma-Läden“. Das ist ohne Zweifel. Aber nun sagen Sie mir, Herr Buchholz, was Sie heute noch unter einem „Tante-Emma-Laden“ verstehen. Wo finden Sie ihn denn in unserer Struktur? – Der ist doch ausgestorben! Die letzten „Tante-EmmaLäden“, die es noch gibt, damit können Sie vielleicht noch die Blumenläden bezeichnen.

[Beifall bei der FDP – Daniel Buchholz (SPD): Und Sie läuten die Totenglocken!]

Aber selbst die örtlichen Bäcker gibt es gar nicht mehr. Das ist doch reine Illusion, da planerisch und planwirtschaftlich in diese Angelegenheit eingreifen zu wollen. Da sind doch alle Züge abgefahren. Das kommt doch viel zu spät.

Insofern hilft Ihnen auch so ein Antrag nicht, obwohl wir auf Ihrer Seite sind, was bestimmte Bereiche betrifft, auch was das Erscheinungsbild dieser Märkte betrifft. So zum Beispiel zu fordern, er muss sich an das Ortsbild anpassen, da haben Sie uns völlig auf Ihrer Seite. Dass man da Einfluss nehmen kann, das ist richtig. Aber Sie können es doch nicht auf diese Art und Weise tun,

[Christian Gaebler (SPD): Wie denn?]

mit so schwammigen Begriffe. Was ist denn zum Beispiel eine unverhältnismäßige räumliche Konzentration? Was ist denn das? Das steht in Ihrem Antrag. Was bedeutet, eine flächenmäßige Ansiedlung einzelner Standorte soll gering gehalten werden? Das ist schwammiges, dummes Zeug.

[Beifall bei der FDP]

Was Sie wollen, ist ganz klar. Sie wollen Planwirtschaft und sagen: Den Schlecker wollen wir nicht. Der zahlt zu niedrige Löhne. Einen Rossmann würden wir akzeptieren. – Eine solche Sache können Sie mit uns nicht machen. Deshalb werden wir Ihnen Antrag ablehnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Oliver Scholz (CDU)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter von Lüdeke! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Der Fachausschuss empfiehlt mehrheitlich – gegen die FDP – die Annahme des Antrags Drucksache 16/2285 mit dem geänderten Berichtsdatum „30. November 2010“. Wer dem Antrag mit der Änderung der Beschlussempfehlung, Drucksache 16/3224, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Mehr Ausbildungsplätze für Altbewerber

Antrag der CDU Drs 16/3230

Das ist die Priorität der Fraktion der CDU mit Tagesordnungspunkt 19. Für die Beratung steht den Fraktionen

jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Die antragstellende Fraktion beginnt. Herr Luchterhand erhält das Wort. – Bitte sehr!

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 60 Prozent aller Schulabgänger – egal, aus welchem Schultyp – beabsichtigten den Einstieg in das Berufsleben über eine ganzheitliche Ausbildung. Das wird auch mittelfristig so bleiben. Selbst wenn der Anteil der Abiturienten steigt, bleibt die Tendenz, dass ein Teil dieser Schulabgänger Ausbildungsgänge der beruflichen Bildung nachfragt. Das ist in der Sache richtig, weil wir über die berufliche Bildung den Fachkräftebedarf der Zukunft mit beruflichem Abschluss decken müssen. Die gerade vorgestellte Fachkräftestudie BerlinBrandenburg weist in der Region bereits für das Jahr 2015 eine Unterdeckung von rund 170 000 und – mit steigender Tendenz – für das Jahr 2020 von über 220 000 nicht besetzten Arbeitsplätzen aufgrund fehlender Fachkräfte aus. Es stehen keine Personen mit entsprechenden beruflichen Abschlüssen zur Verfügung. Hinzu kommt noch die Unterdeckung bei den Hochschulabsolventen.

Gerade angesichts sinkender Schülerzahlen und eines vorprogrammierten Fachkräftemangels in der Region muss eine Ressource gesehen werden, die – aktuell gesehen und über Jahre hinweg dramatisch aufgebaut – nicht ausreichend zum Zug kommt, wenn es um Ausbildungsplätze geht. Das ist die Gruppe der Altbewerber. Bundesweit ist deren Zahl rückläufig und liegt zwischenzeitlich bei rd. 40 Prozent bezogen auf das Gesamtvolumen eines Bewerberjahrgangs. In Berlin ist das anders: Wir ziehen den Durchschnitt nach oben und kommen weiterhin auf mehr als 50 Prozent Altbewerber bei einem Bewerberjahrgang. Darunter befinden sich nicht wenige, die zum zweiten und dritten Mal versuchen, einen Ausbildungsplatz zu ergattern, die also im wahrsten Sinne des Wortes in die Jahre gekommen sind. Je länger der Schulabgang zurückliegt, je schlechter die Schulnoten waren, je älter die Bewerber sind, desto geringer sind ihre Chancen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten. Hinzu kommen – wie es amtlich heißt – unbekannte Abgänge, die häufig jobben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, oder der Resignation geschuldet nicht mehr in den Statistiken auftauchen.

Die Situation der Altbewerber speziell in Berlin ist dramatisch schlecht.

[Beifall bei der CDU]

Hinweise auf eine bundesdeutsche Verantwortung oder auf die Bundesagentur für Arbeit sind nicht zielführend. Es handelt sich um ein regionales und Berliner Problem, das hier gelöst werden muss.