Protocol of the Session on May 20, 2010

das sind nicht zunächst erst einmal Spekulanten, sondern erst einmal diejenigen, die z. B. in europäische – griechische, portugiesische – Staatsanleihen investiert haben, ebenfalls für das erhöhte Risiko, das sie eingegangen sind, mit zur Verantwortung gezogen werden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die ersten Maßnahmen, die die Bundesregierung getroffen hat – die Einschränkung von Leerverkäufen, eine Bankenabgabe –, gehen in die richtige Richtung. Ich glaube auch, dass eine Finanzmarktaktivitätenabgabe auf Gewinne und Boni in die richtige Richtung geht. Aber wir dürfen nicht Ursache und Folge der aktuellen Krise verwechseln. Wenn man sich einig ist, dass der Euroraum deswegen zum Spekulationsziel geworden ist, weil wir ausufernde Staatsdefizite zu beklagen hatten, dann weiß man auch, dass eine Bekämpfung der Folge durch so etwas wie eine Finanzmarkttransaktionssteuer natürlich fehlgeht.

Niemand kann hier allen Ernstes behaupten, dass eine Transaktionssteuer die Spekulation gegen den Euroraum verhindert hätte.

[Beifall bei der FDP]

Deswegen ist das Placebopolitik, und deswegen sollte man sich auf so etwas zunächst erst mal nicht einlassen, vor allem, wenn man es nicht schafft darzustellen, wie das auf europäischer oder globaler Ebene umgesetzt werden soll.

Wir werden – und das ist sicherlich das Hauptproblem, das wir angehen müssen – in Europa, in Deutschland, aber auch in den Bundesländern eine ganz neue Form von Konsolidierungspolitik und Haushaltsdisziplin einfordern müssen. Es wäre vernünftig gewesen, Herr Müller, wenn Sie in Ihrer Rede genau darauf hingewiesen hätten, was Sie als SPD, als Regierungspartei hier seit 1990 dazu bereit wären zu tun in Deutschland oder in Berlin.

Wenn wir den europäischen Bezug nicht aus den Augen lassen wollen, dann würde ich sogar weiter gehen als Frau Pop, Berlin ist nämlich bereits das Griechenland Deutschlands.

[Beifall bei der FDP – Lars Oberg (SPD): Das ist ja peinlich!]

Wir haben einen Anstieg der Verschuldung von 38 Milliarden auf fast 70 Milliarden Euro zum Ende 2011 in Berlin. Wir haben eine Verschuldung von 111 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Berlin, Tendenz stark steigend. Wir haben, wenn man sich anguckt, wie sich das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik entwickelt, ein jetzt wieder schwächeres Wirtschaftswachstum als im übrigen Bundesgebiet. Wenn man sich so eine Bilanz vergegenwärtigt, die dieser rot-rote Senat zu verantworten hat, dann sollte man eben nicht als Erstes nach mehr Geld schreien, wie das Herr Wowereit in den letzten Tagen getan hat, sondern man sollte anfangen, seine Hausaufgaben vor Ort zu machen.

[Beifall bei der FDP]

Wenn sich Herr Müller hier dafür gelobt hat, was Rot-Rot in den letzten Jahren getan hat: Rot-Rot – das haben wir immer zugestanden – hat zu Beginn der ersten Legislaturperiode 2002/2003 einige mutige und richtige Konsolidierungsentscheidungen getroffen, aber in den letzten fünf Jahren ist eben nichts passiert. Rot-Rot hat sich darauf ausgeruht, dass die Einnahmeseite durch das Wirtschaftswachstum in der gesamten Bundesrepublik Deutschland stärker gewachsen ist, und hat das Sparen, das Konsolidieren entsprechend vernachlässigt. Das tut auch der Finanzsenator Nußbaum. Er ist ein Ankündigungssenator. Er schreibt in großen Tageszeitungen, was man alles tun könnte. Konkrete Umsetzungsschritte haben wir von ihm in den letzten Monaten nicht gesehen. Herr Nußbaum und damit auch Rot-Rot haben, was die Konsolidierung in Berlin angeht, mittlerweile eine Nullbilanz.

[Beifall bei der FDP]

Deswegen hat der Regierende Bürgermeister – und damit komme ich jetzt auch zum Ende – sicherlich jetzt die Möglichkeit, mal genau darzustellen, was Rot-Rot in den nächsten 15 Monaten noch an Konsolidierungsschritten plant. Das ständige Vertagen von Problemen und Ausgabenreduzierungen auf die nächste Legislaturperiode ist zwar sicherlich für Sie der bequemste Weg, wird aber den Problemen in Berlin nicht gerecht. Deswegen fordere ich Sie auf, jetzt hier endlich Ross und Reiter zu benennen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer! – Das Wort hat der Regierende Bürgermeister, Herr Wowereit.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Pop! Nach Ihrem Beitrag ist mir so richtig klar geworden, warum Ihre Parteimitglieder in Berlin sich so sehnsüchtig nach Frau Künast zurücksehnen und die wiederhaben wollen.

[Claudia Hämmerling (Grüne): Na, warten Sie mal ab!]

Können Sie sie nicht ein bisschen früher holen, als sie das angekündigt hat?

[Zurufe von den Grünen]

Denn das ist genau das Niveau, mit dem Sie nie regierungsfähig werden, wenn Sie so argumentieren, wie Sie das in Ihrer Rede gemacht haben.

[Beifall bei der SPD – Joachim Esser (Grüne): Ist das primitiv! Völlig unter Niveau!]

Ach, Herr Esser, doch noch mal ein bisschen länger, und ist ja klar, dass Sie besondere Verpflichtungen haben, wenn ich das zu Frau Pop sage.

[Volker Ratzmann (Grüne): Nun reicht’s aber langsam! – Weitere Zurufe von den Grünen]

Ich habe Zeit.

[Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Nein, ich bin auch nicht hier als Landesvater, sondern in einer Aktuellen Stunde, lieber Kollege!

[Zurufe von den Grünen und der SPD]

Hat ja offensichtlich getroffen, sonst wäre die Empörung nicht so groß.

[Zuruf von der FDP: Gleich gibt’s Briefe!]

Herr Jotzo! Da haben Sie ja Erfahrungen gemacht. Sie haben alle durcheinandergebracht. Das ist Ihnen gar nicht bewusst, diese historische Leistung der letzten Sitzung.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der FDP]

So viele Kommentare zur künftigen Landespolitik!

Die Weltwirtschaft steckt in der Tat in einer tiefen Krise. Man hat manchmal den Eindruck, dass die Dimension schwer fassbar ist. Und Europa steckt ebenfalls in einer tiefen Krise, auch das ein Punkt, der, glaube ich, zwar geahnt wird, aber in der Dimension noch nicht richtig erfasst worden ist. Ich glaube, an der dramatischen Schilderung der Situation, in der wir uns befinden, gibt es auch nichts zu beschönigen. Es ist nicht Panikmache, und es ist nicht Lust am Krisengerede, sondern wir sind in einer absoluten Vertrauenskrise, in einer absoluten Legitimationskrise, auch von staatlichen Organen. Wenn wir nichts dagegen tun, dann wird es sich zu einem Flächenbrand ausweiten. Deshalb müssen wir uns mit aller Macht dagegen stemmen, dass wir keine Antworten auf diese Krise geben und dass wir es so weiterlaufen lassen, wie das in der Vergangenheit war.

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

Schätzungen sagen heute schon, dass die heutigen Ausmaße der Krise, des volkswirtschaftlichen Schadens schon ungefähr bei 2,4 Billionen Dollar liegen, Tendenz steigend. 34 Millionen Menschen haben nach Schätzungen ihren Arbeitsplatz verloren. Dies sind ja noch nicht die Endpunkte dieser Krise.

[Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Wir haben eine Situation auch in dieser Republik gehabt, und die hat noch nichts allein mit anderen Staaten zu tun gehabt, als wir Ende 2008 innerhalb von einer Woche 480 Milliarden Euro für die Rettung von deutschen Banken, für die Abschirmung von deutschen Banken zur Verfügung stellen mussten, und das waren nicht jetzt irgendwelche internationalen Spekulanten allein, sondern das war auch das Verhalten der deutschen Bankmanager, die dazu geführt haben, dass die Institute alle in die Krise gekommen sind und das große Rad gedreht haben. Da haben sie sich alle beteiligt, und da kann man nicht so tun, als ob das nur von außen gekommen ist. Nein! Da war auch viel Hausgemachtes dabei. 480 Milliarden Euro

innerhalb von einer Woche mussten der Deutsche Bundestag und der Bundesrat zur Verfügung stellen. Die Expertinnen und Experten haben uns gesagt: Es ist alternativlos. – Und dann kam ein bisschen Entwarnung. Die Maßnahmen haben teilweise gewirkt. Aber die öffentlichen Kassen waren leer. Trotzdem, subjektiv haben viele Menschen geglaubt, die Krise wird schon nicht so schlimm werden und sie wird an Deutschland vorbeiziehen. Diese Illusion ist jetzt spätestens mit der Griechenlandkrise vorbei.

Der Rettungsschirm für Griechenland im Mai 2010: bis zu 80 Milliarden Euro Kredite der Euroländer und Bürgschaften innerhalb von drei Jahren plus 30 Milliarden vom Internationalen Währungsfonds. Auch da wieder in kürzester Zeit, und der Rat der Experten: Alternativlos! – Und dann, zwei Tage später, und wehe dem, der Böses dabei denkt, dass das am Freitag noch nicht bekannt gewesen sein soll, am Sonntagabend kurz nach Schließung der Wahllokale lässt die Bundesregierung die Katze aus dem Sack: Es waren nicht nur die 110 Milliarden für Griechenland, sondern nach zwei Tagen ging es um 750 Milliarden zur Rettung des Euros insgesamt. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich da hinters Licht geführt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Man hat es natürlich schon am Freitag gewusst. Das ist diese Unehrlichkeit der Politik, Herr Henkel! Nicht dass die Bürgerinnen und Bürger glauben, dass irgendjemand, irgendeine Partei das einfach lösen kann, aber Unehrlichkeit in der Phase, nicht die Wahrheit zu sagen, auf den Wahltermin in Nordrhein-Westfalen zu schielen, das nimmt der Bürger zu Recht übel, und das merken Sie auch zurzeit in den Umfragewerten für Ihre Partei.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Das Problem ist, dass es zurzeit auch erst mal wieder virtuell ist, denn Herr Meyer hat zu Recht gesagt, es sind nicht direkte Cashzahlungen, sondern es sind natürlich dann wieder Kredite und Bürgschaften, die gegeben sind. Aber wer glaubt denn, dass die Staaten mit all den drastischen Maßnahmen, die die machen müssen, in der Lage sein werden, einfach diese Kredite mit den Zinsen zurückzuzahlen bei dieser drastischen Reduzierung der eigenen Wirtschaftskraft? – Das ist doch Illusion zu glauben, dass das hier nur virtuelles Geld ist. Nein! Leider wird dieses Geld sich auch zum Teil und zu einem erheblichen Teil realisieren. Die Zeche zahlen eben nicht die Spekulanten und die Finanzhaie, sondern die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland genauso wie in Deutschland, und zwar diejenigen, die nichts mit dieser Form von Spekulation zu tun haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist die Krise, in der wir uns befinden.

Die andere Krise ist: Wie erklären wir es denn eigentlich unseren Bürgerinnen und Bürgern, dass wir im November des Jahres 2008 beim Bildungsgipfel in Dresden nicht

eine Milliarde von der Bundesregierung für die Investitionen in Bildung bekommen haben?

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Da haben wir gesagt: Das geht nicht. Die Kanzlerin hat gesagt, sie hat diese Milliarde nicht. Ein paar Wochen später waren 489 Milliarden Euro da. Heute haben wir Auseinandersetzungen. Sie, Herr Goetze, haben doch gerade die Tarifauseinandersetzungen mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes angesprochen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sowohl die Angestellten und Arbeiter als auch die Beamtinnen und Beamten – sagen zu Recht: Wir wollen die Angleichung auf das Niveau anderer Länder und des Bundes haben. – Wir sagen: Nein, wir können es uns nicht leisten. – Wenn die auf die riesigen Kredite verweisen, die gegeben werden, und die Zahlungen, die erfolgen, dann kommen wir in Erklärungsnot. Das ist das fundamentale Problem. Wir sagen unseren Bürgerinnen und Bürgern aus Verantwortung für den Haushalt, dringende Investitionen in die Zukunft könnten nicht gemacht werden, aber wenn die Spekulanten gewonnen haben, sind wir jederzeit bereit, einfach einen Scheck auszustellen, und dann bleibt alles beim Alten. Das darf nicht passieren, Herr Henkel!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]