Protocol of the Session on May 20, 2010

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist die Schande, vor der wir stehen. Ihre Kanzlerin hat nichts unternommen, um diese Spirale aufzuhalten. Ich weiß nicht, ob all die Maßnahmen wirken, die Herr Müller aufgezählt und meine Bundestagsfraktion vorgeschlagen hat. Ich kann das nicht garantieren. Aber eins kann man garantieren: Wenn man sich aufgibt, wenn die Politik erklärt, sie könne hier nichts machen und nicht steuernd eingreifen, dann haben wir den Kampf verloren. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dafür irgendwann die Zeche zahlen, denn die Blase wird platzen, und zwar mit Gewalt. Dann werden sie uns aus dem Tempel jagen, und zwar zu Recht. Die Politik muss das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen. Deshalb müssen wir gegensteuern. Deshalb ist es alternativlos, einerseits zu helfen und andererseits Grenzen zu setzen und Regeln aufzustellen, um den Spekulanten das Handwerk zu legen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Bundeskanzlerin, die CDU/CSU und die FDP hatten die Chance, im Bundestag einen breiten Konsens herzustellen. Ich wundere mich bei einigen Parteien, dass sie einen Blankoscheck ausgestellt haben. Die Reaktion der Bundesregierung war in der Tat, nichts zu unternehmen. Wenn es vielleicht noch bei Griechenland akzeptabel so war, so hätten die Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland doch spätestens bei dem 750 Milliarden-Euro-Paket mit Forderungen verbunden sein müssen. Man kann nicht immer erzählen, es sei schwierig, das durchzusetzen. Wenn Deutschland jeweils 20 bis 30 Prozent der Zahlungen übernimmt, dann wird es in Europa doch auch noch etwas durchsetzen können. Oder die Kanzlerin muss abtreten, weil sie zu schwach ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es ist schon bezeichnend, dass die Regierung angeblich nichts von dem Riesenvorschlag von Sarkozy gewusst hat. Der soll angeblich erst ganz spät am Sonntag vorgelegen haben. Das ist doch völlig unglaubwürdig. Entweder hat man sich gar keine Gedanken gemacht, oder man hat es absichtlich schleifen lassen. Dahinter steht Ideologie. Nicht nur die FDP hat Probleme mit der Regulierung der Finanzen, sondern selbstverständlich auch die CDU. Die Bundeskanzlerin hat sich noch am letzten Sonntag im Hotel Estrel beim DGB-Bundeskongress hingestellt und zur Finanztransaktionssteuer charmant lächelnd gesagt: Herr Sommer, wenn Sie es schaffen, die G 20 zu überzeugen, dann werde ich mich nicht in den Weg stellen. – Diese Mentalität führt dazu, dass Deutschland auf internationaler Ebene nichts mehr durchsetzen kann. Da muss eine andere Politik her.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Solange nicht deutlich erkennbar ist, dass nicht nur Placebobekenntnisse abgegeben werden, wird die SPD diesem Gesetz auf Bundesebene nicht zustimmen. Ich habe gerade die Resolution gesehen, die die Bundesregierung einbringt. Sie tut aber nichts. Das ist das Problem. Wenn sich nicht der Eindruck durchsetzt, man arbeite mit aller Macht und vielseitiger Unterstützung an der Abschaffung der Grundmechanismen, dann kommen wir nicht weiter. Dann sind wir in einer großen Legitimationskrise des Staates und der Demokratie. Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass wir gegensteuern.

Die Instrumente wurden genannt. Ich möchte sie nicht wiederholen, aber es gibt Möglichkeiten. Wir haben sogar gesehen, dass sie teilweise wirken. Als die wunderbaren Angebote von irgendwelchen Fonds und Beratern zum Cross-Border-Leasing kamen – beispielsweise sollten wir unsere Ampeln verkaufen, dadurch 50 Millionen Euro Cash erhalten, sonst nichts weiter tun und den Eigentumstitel einem Amerikaner übertragen –, da hat die amerikanische Regierung das gestoppt und gesagt, sie finanziere so etwas nicht mehr mit Steuermitteln. Diese Entscheidung war richtig. Man kann also etwas tun. Die komischen PPP-Modelle, die man uns jahrelang einreden wollte, waren riesige Steuerabschreibungsmodelle. Sie sind beendet worden, als man den Hahn zugedreht hat. Man kann etwas tun, aber man muss es auch wollen. Wir lassen es keinem mehr durchgehen, wenn er sagt, man müsse erst abwarten, was die internationale Staatengemeinschaft macht. Nein! Man muss etwas tun. Wir haben das auch beim Stoppen der Leerverkäufe gesehen. Es hat eine Möglichkeit gegeben. Die ist sicherlich nicht ausreichend – völlig d’accord –, aber selbst die Befürchtung, die Aktienkurse könnten abschmieren, war Propaganda. Lassen wir uns nicht immer ins Bockshorn jagen! Hier sind kräftige Organisationen und Institutionen in Milliardenstärke am Walten, die unsere öffentlichen Meinung beeinflussen wollen. Wir müssen als parlamentarische Vertreter stabil sein, um uns dagegen zu wehren. Wenn wir uns von den sogenannten Experten immer wieder einreden lassen, es bringe alles nichts, dann haben wir den Kampf verloren. Das können wir uns nicht gefallen lassen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Selbstverständlich bekennen wir uns klar zu Europa. Es kann nicht sein, dass Europa nur funktioniert, wenn alles gut ist. Es muss eine Solidarität vorhanden sein. Griechenland hat hausgemachte Probleme – Portugal und andere Länder vielleicht auch –, aber die richtige Krise wurde nicht dadurch verursacht, dass nicht rechtzeitig gespart wurde, sondern diese Länder wurden Opfer internationaler Spekulationen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wer zahlt die Zeche? – Der griechische Arbeitnehmer und die griechische Arbeitnehmerin, die 25 bis 30 Prozent ihres Einkommens verlieren und auch noch einen höheren Mehrwertsteuersatz zahlen müssen. Ihnen gilt unsere Solidarität – nicht den Spekulanten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Europa und der Euro müssen erhalten bleiben. Sie sind ein Garant für Frieden und Wohlstand in Deutschland, weil wir exportabhängig sind und von der Eurozone profitieren. Aber all das kann nur Bestand haben, wenn gemeinsam gehandelt wird. Insofern haben Trichet und Barnier recht, die fragen, warum die Bundesrepublik jetzt etwas allein macht. Aber wenn wir nicht anfangen, Druck auf die anderen auszuüben, wird sich nichts bewegen. Es war richtig, Großbritannien zu überstimmen. So kommen wir in einigen Bereichen weiter. Anders wird es nicht gehen. Der Druck auf die französische und andere europäische Regierungen wird zunehmen, wenn Deutschland mutig nach vorne geht.

Wir brauchen selbstverständlich auch Einnahmen in unserem System. Auch das wird in dieser Krise deutlich.

[Zuruf von der CDU: Das ist ja ganz neu!]

Das ist kein neues, sondern ein altes Thema. – Der Staat muss handlungsfähig bleiben. Wenn die Bürgerinnen und Bürger – das sind nicht nur Transfergeldempfänger, sondern die IHK, die Sportverbände und andere – von uns zu Recht mehr Leistungen erwarten, dann muss auch die Frage beantwortet werden, wie das bezahlt werden soll. Wenn man zu Recht sagt, wir müssen mehr in Bildung, Forschung, Wissenschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen usw. investieren – dazu habe ich selbst von der CDU noch nichts anderes gehört; Herr Henkel hat das immer wieder gefordert –, dann ist das mit Kosten verbunden. Wenn man solche Forderungen erhebt, kann man die Steuern nicht senken.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Herr Lindner von der FDP hat neulich zugegeben, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Hotels Quatsch war. Das wird uns in den nächsten Jahren allein 116 Millionen Euro kosten. Herr Lindner hatte den Mut zu sagen, dass das blöd war. Jetzt fehlt aber der zweite Schritt, nämlich dafür zu sorgen, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wieder rückgängig gemacht wird. Dieses Gesetz muss in die Tonne.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es hilft nichts, den Fehler nur zuzugeben, sondern es muss rückgängig gemacht werden.

Frau Roth hat zu Recht auf die Misere der Kommunen hingewiesen. 15 Milliarden Euro Mindereinnahmen! Die kommen nicht daher, dass die Kommunen zu doof waren zu sparen oder keinen Willen hatten. Die Situation ist bundesweit, von Rostock bis Garmisch-Partenkirchen, gleich – egal, wer dort regiert.

Deshalb muss das System verändert werden. Bund und Länder dürfen die Kommunen nicht im Stich lassen. Hier muss ein fairer Ausgleich geschaffen werden, sonst gehen die Kommunen den Bach runter. Das bedeutet, dass ein verändertes Finanzierungssystem herkommen muss. Man kann damit anfangen, dass man die Kosten der Unterkunft anders gestaltet und dort eine stärkere Bundesbeteiligung einsetzt. Selbstverständlich sind auch andere Maßnahmen möglich. Aber die Abschaffung der Gewerbesteuer – wie es die Koalition fordert – wäre tödlich, weil sich damit die Ungleichgewichtung noch weiter verschärfen würde. Die Verbreiterung der einzelnen Besteuerungsgruppen – Rechtsanwälte und andere – hat die SPD schon längst vorgeschlagen. Das können wir zurzeit im Bundesrat und im Bundestag leider nicht umsetzen. Insofern muss bei den Kommunen etwas gemacht werden.

[Joachim Esser (Grüne): Frau Merkel und die Transaktionssteuer!]

Auch bei der Transaktionssteuer muss erst einmal eine Einnahme da sein. – Wir werden selbstverständlich dafür sorgen müssen, dass wir auch Haushaltsdisziplin halten. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie tun ja immer so, als ob unsere Haushaltsberatungen dadurch geprägt gewesen seien, dass wir überall zu viel drauf gegeben hätten. Die gesamte Stadt stand und steht heute noch Kopf, weil alle sagen: Ihr müsstet mehr investieren! – Auch die Opposition fordert in vielen Bereichen Mehrausgaben, ohne Ausgleichsvorschläge zu machen. Deshalb kann uns keiner einreden, dass wir hier keinen harten Konsolidierungskurs gefahren sind.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern viel zugemutet, und wir werden das auch in Zukunft tun, aber in Verantwortung. Und diese Verantwortung bedeutet, dass wir in den Jahren 2010 und 2011 den Steuermindereinnahmen aus dieser konjunkturellen Schwäche nicht hinterher sparen können. Das haben wir bewusst so gesetzt mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2010/2011. Wir können nicht auf der einen Seite millionenschwere Konjunkturprogramme machen und auf der anderen Seite das alles wieder abkassieren. Dies ist kontraproduktiv, und deshalb werden wir es so auch nicht tun.

[Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Wir wollen weiter investieren – in die Zukunft, in Wissenschaft, in Forschung, in Bildung, in Kitaplätze. Dazu wird diese Koalition stehen, und darauf können sich die Berlinerinnen und Berliner auch verlassen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das bedeutet allerdings auch, dass man nicht überall Prioritäten setzen kann. Da muss jeder auch einen Schritt zurückgehen. Das ist selbstverständlich. Das gilt für jeden Bereich. Jede neue Investitionsmaßnahme wird noch einmal verschärft auf den Prüfstand gestellt werden – ob sie denn sein muss, ob sie verschoben werden kann oder ob sie gänzlich gestrichen werden kann. Selbstverständlich ist auch ein Kostenbewusstsein notwendig, um hier überhaupt weiterzukommen. All dies wird sich in der konkreten parlamentarischen Arbeit widerspiegeln, und selbstverständlich wird es bei der Vorlage der Finanzplanung auch darum gehen, Perspektiven aufzuzeigen, wie die Zukunft aussehen wird. Aber eins ist völlig klar – und das liegt nicht am mangelnden Sparwillen –: Wir werden ohne eine verbesserte Einnahmesituation des Landes Berlin und nicht nur des Landes Berlin nicht umhinkommen, noch neue Kredite aufzunehmen.

[Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Dies ist unabdingbar. Keiner wird es schaffen, diese Summen aus dem Haushalt aufzubringen. Wir werden hart konsolidieren – das wird so bleiben –, aber mit Verstand und Augenmaß, mit der notwendigen Härte und mit der Schwerpunktsetzung „Investitionen in die Zukunft“. – Schönen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren!

[Lang anhaltender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Kurt Wansner (CDU): Das war eine schwache Rede, Herr Regierender Bürgermeister! – Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Wenn Sie mich loben würden, wäre das verdächtig! – Weitere Zurufe]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit hat die Aktuelle Stunde ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.1:

a) Antrag

Ergebnisse von Vergleichsarbeiten (VERA) zur Verbesserung der Berliner Bildungsqualität nutzen!

Antrag der FDP Drs 16/3213

b) Antrag

Bildungsqualität verbessern: Sprachförderung und jahrgangsübergreifendes Lernen evaluieren!

Antrag der FDP Drs 16/3214

Das Wort hat die antragstellende Fraktion, die FDP. – Bitte sehr, Frau Senftleben!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

[Unruhe]

Verzeihen Sie bitte, Frau Senftleben! – Ich darf Sie bitten, den Saal möglichst geräuschlos zu verlassen bzw. der Rednerin Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. – Bitte sehr!

[Özcan Mutlu (Grüne): So wichtig ist Ihnen das Thema Bildung!]

Ich verstehe, dass uns allen bei dem Thema VERA wieder die Haare zu Berge stehen. Kollege Mutlu sagte vorhin schon zu mir: Warum muss denn das wieder sein?

[Beifall bei der Linksfraktion]