Protocol of the Session on May 6, 2010

Aber, und das zeigt, dass noch viel zu tun ist, auch in diesem Jahr sind Menschen zu Schaden gekommen, sowohl Polizisten als auch Demonstranten. Das darf nicht hingenommen werden. Steine und Flaschenwürfe nicht, aber auch das offensichtliche Fehlverhalten von einzelnen Polizisten nicht. Wenn ich die Bilder sehe, wie der Polizist einen Demonstranten über den Haufen rennt und ihm

gegen den Kopf tritt, dann sage ich, auch wenn der Kollege sich selbst gestellt hat: Liebe Personalvertreter bei der Berliner Polizei! Gebt endlich euren Widerstand gegen die individuelle Kennzeichnungspflicht auf!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Herr Kollege Wolf! Könnten Sie bitte zum Schluss kommen!

Ich komme zum Schluss. Trotz der einen oder anderen unschönen Szene: Dieser 1. Mai war ein starkes Zeichen gegen Nazis, die befürchtete Randale blieb aus, und darüber wollen wir reden, weil die Berlinerinnen und Berliner – ob auf Seiten der Zivilgesellschaft, der politischen Veranstaltung oder bei der Berliner Polizei –, weil sie alle zum erfolgreichen Verlauf des diesjährigen 1. Mai beigetragen haben. Sie haben es verdient, dass wir darüber sprechen und ihnen unseren Dank aussprechen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf! – Für die CDUFraktion hat zur Begründung der Aktuellen Stunde Herr Abgeordneter Braun das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Bürgermeisterin Junge-Reyer, im Nebenberuf Verkehrssenatorin, sorgt sich – kaum zu glauben – um die Orientierung der Berliner. Sie ist der Meinung, eine Umbenennung des U-Bahnhofs Thielplatz in „Freie Universität Berlin“ würde die Mitarbeiter und Studenten völlig verwirren, sie wüssten dann nicht mehr, an welcher U-Bahnstation sie aussteigen müssten, um zu ihrem Institut oder Hörsaal zu gelangen. Das nenne ich fürsorglich.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und Gelächter bei der SPD]

Offensichtlich weniger Sorgen macht sich unsere Bürgermeisterin um die Orientierung des Senats. Beim Ausbau der A 100 ist der Senat dafür, die Koalitionsparteien sind dagegen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Worüber reden Sie?]

Wie genau die Gefechtslage beim ICC ist, wissen nur Eingeweihte. Beim Börsengang der GSW ist der Landesvorstand der SPD mehrheitlich dagegen, nach einem Zwergenaufstand in der SPD-Fraktion die SPD dann doch geschlossen dafür. Einige Senatsverwaltungen wollen Bürger mit Migrationshintergrund – wen rechnen Sie eigentlich dazu? – bei der Vergabe von öffentlichen Stellen bevorzugen, andere halten das zutreffend für ver

fassungsrechtlich nicht durchsetzbar. Gut ist jedenfalls, dass der Senat dieses Thema Integration entdeckt – er weiß allerdings nicht, wohin er will.

[Beifall bei der CDU – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wir wissen nicht einmal, worüber Sie reden!]

In der Debatte um die angemessenen Zuwendungen für Sozialeinrichtungen und um die Treberhilfe verzichtet der Senat ganz auf Konzepte, schaltet stattdessen die Staatsanwaltschaft ein – auch eine Form der Überprüfung.

[Martina Michels (Linksfraktion): Ist das jetzt ein Zwergenaufstand?]

Immerhin ist sich der Senat einig, dass Investitionen in die Charité erfolgen müssen. Doch das war’s dann schon mit der Einigkeit. In welcher Disziplin, an welchem Standort und in welcher Höhe – darüber grübeln die drei zuständigen Senatsverwaltungen. Die Auswirkungen auf den Forschungsstandort Berlin sind dabei nicht ganz so wichtig: die Situation an den Schulen, Brandbriefe von Lehrern, wütende Eltern, durch permanente Reformen völlig überforderte und verzweifelte Lehrer. Dafür Posemuckel am Hauptbahnhof: ein wirklich wichtiger Streit über die Frage, wie lange die Geschäfte dort geöffnet bleiben dürfen. Originell auch die Vorschläge zur Zukunft des Flughafengeländes Tempelhof: ein bisschen BUGA und ansonsten Picknick auf kontaminiertem Boden und Landebahnen. Das ist nicht das kreative Berlin, das ist Rotkäppchen und der böse Wolf im Schneesturm!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Aber wie gesagt – der Senat sorgt sich um die Orientierung seiner Bürger: Wenigstens die sollen sich nicht zwischen den Bahnhöfen verlaufen.

Nun wissen wir: Der Senat macht eine Politik aus einem Guss. Oder anders formuliert: nur mit einer Farbe. Weder in der Justiz noch im Sport noch bei den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften noch in sonst irgendeinem Amt, das der Senat bestimmt, wurden Personen gewählt, die nicht zum sozialdemokratischen Freundeskreis gehören. Wir wissen aus langjähriger Erfahrung – man schaue nur in die SPD-Fraktion oder auf die Senatsbänke: Die SPD ist ein einziger Talentschuppen. Man kann das auch Filz nennen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Jetzt einmal ernsthaft: Die inzwischen seit 20 Jahren regierende SPD hat die Stadt mit einem roten Mehltau überzogen.

[Zurufe von der SPD]

Das hat Berlin nicht verdient. Was diese Stadt braucht, ist politische Führung, ist Orientierung. Die Bürger wollen zu Recht wissen, welche Konzepte der Senat für die drängenden Probleme der Stadt hat. Sie wollen wissen, wie wir unsere Schulden in den Griff bekommen, wo wir sinnvolle und zumutbare Einsparungen machen. Sie wollen wissen, wie Arbeitsplätze geschaffen werden können

und die Wirtschaftskraft der Stadt gestärkt werden kann. Sie wollen wissen, welche Perspektiven Wissenschaft und Forschung haben, und sie wollen wissen, wie wir für eine gute Ausbildung der Kinder und Schüler sorgen wollen.

Die CDU hat zur Lösung der Probleme in letzter Zeit viele Konzepte vorgelegt: zur Bildung, zur Integration, zum bürgerschaftlichen Engagement und zur nachhaltigen Wirtschaft.

[Beifall bei der CDU – Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion – Udo Wolf (Linksfraktion): Da muss er selber lachen! – Weitere Zurufe]

Frau Präsidentin, wenn Sie einmal für Ruhe in diesem Saal sorgen könnten, wäre das hilfreich!

[Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

Meine Damen und Herren! Bitte lauschen Sie doch Herrn Braun!

Wir wissen, wir schaffen das nicht allein. Wir wissen aber auch: Die Berliner sind bereit anzupacken, wie sie es stets getan haben. Sie sind nicht, wie der Senat meint, orientierungslos. Sie sind genau so, wie wir es von uns erwarten: zupackend, engagiert, für ihren Nächsten da. Das Letzte, was sie von diesem Senat erwarten, ist Bevormundung, Für-blöd-gehalten-Werden, und wenn es nur darum geht, den richtigen U-Bahnhof zu finden. Darüber wollen wir sprechen!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Braun! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt zur Begründung der Aktuellen Stunde der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Ratzmann das Wort. – Bitte sehr!

[Christian Gaebler (SPD): Nun kommt ein Feuerwerk gegen jeden! – Heiterkeit]

Ich weiß nicht, ob das nicht auch zur Kontinuität dieser Stadt gehört.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das scheint heute eine Sitzung der Bonmots zu werden!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden ja zurzeit sehr viel über die Potenziale, die in dieser Stadt stecken, und ich glaube, am 1. Mai hat Berlin gezeigt, welches demokratische Potenzial in ihm steckt.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Zehntausende haben mit ihrem friedlichen Protest dafür gesorgt, dass Nazis ihre Umtriebe in dieser Stadt nicht durchführen können, haben den Feinden der Demokratie gezeigt, dass in dieser Stadt kein Platz für sie ist, dass sie nicht gewollt sind und dass wir sie nicht so einfach gewähren lassen. Ein guter Tag für Berlin, ein guter Tag für bürgerschaftliches Engagement, ein guter Tag für die Demokratie!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wir danken den vielen, vielen, die auf die Straße gegangen sind, die stundenlang an den Absperrgittern ausgeharrt haben, die in der Wichertstraße beherzt die Chance ergriffen haben und zu Tausenden auf die Straße strömten – jenseits von Kameras und Blitzlichtern – und damit die Nazis darin hinderten, ihren Aufzug durchzuführen. Das waren die wirklich Couragierten, und ihnen gebührt unser Dank!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Aber unser Dank gebührt auch der Berliner Polizei. Sie hat an diesem Tag, in dieser Situation eine schwierige Aufgabe zu meistern gehabt. Ich weiß – und wir wissen hoffentlich alle –, dass es in der Berliner Polizei kein eigenes Interesse gibt, Nazis zu schützen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD, der Linksfraktion und der CDU]

Es sind die Polizistinnen und Polizisten, die allzu oft zwischen die Fronten geraten, an denen sich unverdientermaßen vielleicht berechtigte Wut und berechtigter Zorn entladen. Ich habe Hochachtung vor allen, die ihren Auftrag ernst nehmen und in so einer Situation mit rechtsstaatlichen Mitteln die Versammlungsfreiheit auch derjenigen schützen müssen, die sie am liebsten abschaffen wollen. Es ist der Berliner Polizei am Samstag gelungen, die widerstreitenden Interessen zwischen der Durchsetzung der Versammlungsfreiheit einerseits und den aus dem berechtigten Gegenprotest folgenden Einschränkungen für die Versammlungsfreiheit andererseits auszugleichen. Das war und ist die richtige Herangehensweise. Das war professionell und angemessen, auch wenn wir lieber gesehen hätten, dass den Nazis in dieser Stadt wirklich kein Fußbreit gewährt wird. Aber wer mehr will als das, was wir gesehen haben, der muss politisch handeln und kann das Problem nicht auf die Polizei abwälzen.

[Beifall]

Was ich aber überhaupt nicht verstanden habe und regelrecht schädlich und kontraproduktiv fand, das war, Herr Körting, Ihre Geheimniskrämerei um die Route der Nazis. Ich finde, es wirft in so einer Situation ein falsches Licht auf diese Stadt, wenn der Senat als Repräsentant der Stadt nicht den Mut hat, im Vorfeld so eines Ereignisses, über das die ganze Republik redet, in einer Situation, in der wieder einmal die Kameras der ganzen Welt auf die

Hauptstadt gerichtet sind, im Vorfeld zu sagen, dass bürgerschaftliches Engagement und Protest politische Institutionen sind, die dazugehören und die wir, die wir ganz konkret gegen die Nazis stehen, auch zulassen und schützen.

Wir müssen in dieser Stadt ein Verhältnis finden, wie wir mit diesem bürgerschaftlichen Protest umgehen, und es ist die Aufgabe der politisch Verantwortlichen, den Protest zuzulassen. Auch die Demonstranten sind eine Institution, deren Versammlungsfreiheit mit Verfassungsrang ausgestattet ist, und ich finde, dass wir in dieser Situation mehr tun müssen. Das darf so nicht bleiben! Da muss mutiger gehandelt werden. Spätestens dann, wenn der rot-rote Senat nicht mehr regiert, wird auch mutiger gehandelt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]