Protocol of the Session on May 6, 2010

Wir werden dafür in Berlin die Weichen stellen und verhindern, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik einen Flickenteppich bekommen. Jeder Arbeitslose hat das Recht auf gleiche Leistung und gleiche Eingliederung, egal, ob er in Steglitz-Zehlendorf oder in Neukölln, Mitte oder Pankow lebt.

Der Betreuungsschlüssel in den Jobcentern wird weiter verbessert. Hier konnte sich die SPD auf Bundesebene mit einem wichtigen Anliegen durchsetzen. Diese gesetzliche Festlegung stärkt die individuelle Betreuung und verbessert somit die Chancen von Arbeitssuchenden, wieder in Arbeit zu kommen. Auch das ist unser Ansatz. Das ist das Ziel der SPD-Fraktion, und daran werden wir konsequent arbeiten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Pop das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss schon sagen: Sie von der FDP trauen sich etwas, diesen Antrag heute hier einzubringen! Sie schlagen vor, dass Berlin optieren soll, was bedeutet, die gesamte Verantwortung für die Betreuung und Förderung langzeitarbeitsloser Menschen zu übernehmen.

Ich will Ihnen sagen, warum ich das gerade von Ihnen von der FDP so dreist finde: Sie machen in der schwarzgelben Bundesregierung von Anfang an eine Politik des Sozialabbaus, eine Politik der Klientelgeschenke auf Kosten der Normalverdiener, eine Politik der Steuersenkungen für Hoteliers auf Kosten der sozialen Infrastruk

tur, auf Kosten der kommunalen Leistungen. Am Sonntag werden Sie in NRW auch die Quittung für diese Politik erhalten, das sage ich Ihnen!

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Doch nach der NRW-Wahl werden Sie eine brutale Kürzungspolitik auf Bundesebene durchsetzen. Man muss sich nichts vormachen: Die Arbeitsmarktpolitik wird es bei Ihnen besonders hart treffen, denn dass die FDP nichts davon hält, arbeitslose Menschen vernünftig zu fördern und zu betreuen, ist ja hinlänglich bekannt.

[Zuruf von Henner Schmidt (FDP)]

Sie werden also auch hier die Axt anlegen, und zwar nicht zu knapp, Herr Schmidt! – Unter diesen Bedingungen, kann ich Ihnen nur sagen, will hier niemand die Option.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Berlin soll die alleinige Verantwortung für die Betreuung und Förderung von langzeitarbeitslosen Menschen in den Jobcentern übernehmen, und parallel kürzt Schwarz-Gelb die Mittel für diese Betreuung und Förderung einfach weg. – Wie soll das gehen? Soll wir hier geradestehen für Ihre missratene Bundespolitik? – Nicht mit uns!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Allerdings können Sie natürlich auch Ihren großartigen Einfluss auf die Bundesregierung ausüben. Ihren besten Mann, Herrn Lindner, haben Sie ja bereits in den Bundestag geschickt, und wenn der das noch abwenden kann, dann könnten wir vielleicht in der Frage der Option noch ins Geschäft kommen.

Tatsächlich ist die Idee, die Option zu ziehen, durchaus diskussionswürdig. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht die Mischverwaltung von Bund und Kommune in Frage gestellt. Reibungsverluste – das ist nur ein freundliches Wort für den Clash of Civilization, der entsteht, wenn die Kultur der Bundesagentur für Arbeit auf die Kultur der kommunalen Sozialämter trifft. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: die Klageflut vor den Sozialgerichten.

Nachdem buchstäblich in letzter Minute die Verständigung auf eine Verfassungsänderung zur Neuordnung der Jobcenter erfolgte, sind ab 2011 zwei Organisationsformen vorgesehen, die beide entscheidenden Einfluss auf die praktische Arbeit der Jobcenter haben werden: zum Ersten der Erhalt der bisherigen Jobcenter in der schwierigen Mischverwaltung mit etwas mehr Kompetenzen auf kommunaler Ebene und zum Zweiten die Ausweitung der sogenannten Optionskommunen, also der Jobcenter in reiner kommunaler Trägerschaft. 41 Kommunen zusätzlich können sich nun entscheiden, ab 2012 zu optieren.

Ich meine, wir sollten uns in Berlin ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzen, obwohl der Zeitplan sehr eng ist. Erst kurz vor der Sommerpause soll der Bundesrat die Veränderungen des SGB II beschließen. Aber man liest ja

schon wieder in der Zeitung, dass man miteinander in dieser Frage im Clinch liegt: Die SPD droht, die Zustimmung zu verweigern; die FDP entsperrt Mittel für Personal in den Jobcentern nicht. Ich glaube nicht eher daran, dass irgendetwas beschlossen ist, bevor ich es nicht sehe. Diese Geschichte hat in den letzten Jahren zu viele Wendungen genommen. – Frau Bluhm, Sie geben mir da sicherlich recht.

Dennoch muss ernsthaft geprüft werden, ob die Mischverwaltung mit ihren bekannten Unzulänglichkeiten oder nicht eher die kommunale Trägerschaft uns in Berlin weiterbringen. Doch der Senat scheint hier nach dem Motto zu handeln: An Hartz IV will sich Rot-Rot nicht die Hände schmutzig machen, indem Berlin etwa die Verantwortung für die Jobcenter übernähme. Mit einem „Weiter so“ können Sie von Rot-Rot auch zukünftig alles, was schiefläuft, auf die Bundesagentur für Arbeit schieben und sagen: Wir haben es immer schon gewusst. Die BA ist an allem schuld. – So kann man natürlich weitermachen, man kann es aber auch anders machen, meine Damen und Herren von Rot-Rot! Wenn man Verantwortung übernehmen will, dann würde ich Ihnen dringend raten, sich mit der Frage der Option auseinanderzusetzen. Man könnte in der Arbeitsmarktpolitik wirklich etwas bewegen. Wir könnten endlich die Arbeitsmarktpolitik sinnvoll mit unserer Sozialpolitik verbinden, insbesondere mit unserem Programm zur sozialen Stadt. Wir könnten auf die Jobcenter in all den organisatorischen Dingen Einfluss nehmen, die den Menschen so viel Chaos und Ärger machen, etwa bei der telefonischen Erreichbarkeit, bei der Kundenzufriedenheit, in der Frage, wie Widersprüche bearbeitet werden, also in all den Fragen, die uns hier ständig beschäftigen.

Ich würde darüber mit Ihnen von der Koalition gerne diskutieren. Ja, auch über die Risiken würde ich gerne diskutieren. Ich finde, dass Sie sich dieser Diskussion nicht einfach entziehen können. Ich fordere von Ihnen, Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik im Land Berlin zu übernehmen und eine ernsthafte Diskussion hierüber zuzulassen. Ein „Weiter so“ wird es mit uns nicht geben. Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pop! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Breitenbach das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Pop! Wir entziehen uns keiner Diskussion. Auch wir möchten die Diskussion gerne führen. Die Frage ist nur: auf welcher Grundlage? – Da finde ich es schon sehr komisch, dass wir heute den Antrag der FDP beraten, nachdem wir in der Presse lesen konnten, dass der ganze Kompromiss gerade schon wieder von den beiden Bundestagsfraktionen in Frage gestellt wird, die sich offensichtlich nicht an

die Absprachen halten. Das ist eine Verantwortungslosigkeit, die mit der CDU in der letzten Legislaturperiode angefangen hat und jetzt weitergeführt wird und irgendwann zulasten der Arbeitslosen geht.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen]

Aber reden wir über den Antrag der FDP, auch wenn es dafür keine Grundlage gibt, auf der man eine Entscheidung für oder gegen die Option treffen könnte.

Entschuldigung, Frau Abgeordnete Breitenbach! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thiel?

Jetzt schon? – Bitte!

Vielen Dank, Frau Kollegin! Ich wollte Sie aufgrund Ihres Eingangsstatements fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass diese Haushaltssperre um die 3 200 Stellen, die jetzt nicht entfristet wurde, nicht Gegenstand des Kompromisses ist und den Kompromiss nicht berührt. Das war vielmehr eine zusätzliche Sache, die außen vor läuft.

Sehr geehrter Herr Thiel! Da ich keiner der Fraktionen und Parteien angehöre, die sich um diesen Kompromiss bemüht haben, muss ich mich darauf verlassen, was in der Presse steht. Dieser ist heute zu entnehmen, dass der Kompromiss in Frage stehe. Alles Weitere müssen wir dann sehen. Aber ich danke Ihnen für die Information. Ich werde das mit großem Interesse weiterverfolgen.

Wenn Sie jetzt sagen, wir sollen als Land Berlin die Option ziehen, dann könnte das heißen, dass die Bundesregierung sagt: Liebes Land Berlin! Hier ist das schöne Geld, damit könnt ihr jetzt Beschäftigungspolitik machen, wie ihr das schon immer machen wolltet, wie ihr das vorhabt! – Das hat natürlich etwas ausgesprochen Charmantes. Wir könnten dann beispielsweise den Berliner ÖBS ausweiten und verstetigen oder auch anderes machen.

Nur sieht die Realität wie so oft im Leben ganz anders aus, wenn man sich den vorliegenden Gesetzentwurf anguckt. Der sagt nämlich ganz klar, dass die Rechtsaufsicht bei der Bundesregierung liegt, die in diesem Rahmen dann auch Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Diese sind für alle bindend. Und damit müssen wir feststellen: Bei der Option gibt es doch sehr große Einschränkungen für die Kommunen und auch für das Land Berlin, wenn es dies denn tun würde.

Wenn wir uns den Gesetzentwurf weiter angucken, stellen wir fest: Da gibt es ein großes Risiko, weil die Optionskommunen, die sich jetzt bilden, etwa 90 Prozent der

Beschäftigten der Bundesagentur der Arbeit übernehmen, die die letzten zwei Jahre in den Jobcentern gearbeitet haben. Wir wissen, was das für das Land Berlin heißt: Wir müssten sie in den Landesdienst übernehmen, und die Bezirkshaushalte müssten dies finanzieren. Lieber Herr Thiel, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP! Da hätte ich mir doch ein Wort zu der Finanzierung gewünscht, die wir dafür bräuchten. Das haben Sie aber leider nicht gemacht.

Und dann finde ich, dass Sie prinzipiell auch von falschen Annahmen ausgehen – Herr Thiel das haben Sie eben schon mal gesagt. Es ist richtig zu sagen, es gibt in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Problemlagen, und deshalb müssen auch die arbeitsmarktpolitischen Instrumente variieren. Das ist wirklich richtig, aber dafür braucht man nicht die Option. Das geschieht schon jetzt. Wenn Sie sich damit befassen, dann werden Sie feststellen, dass es in Steglitz-Zehlendorf andere Schwerpunkte in der Arbeitsmarktpolitik gibt als beispielsweise in Reinickendorf. Das spricht also auch nicht für die Option.

Und ich habe ein prinzipielles Problem mit der Optionskommune. Es bedeutet nämlich eine Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit, und das halte ich für sehr gefährlich. Denn – Frau Grosse hatte es eben schon gesagt – wenn wir bundesweit gleichwertige Lebensbedingungen haben wollen, dann kann man die Option nicht ziehen. Denn das Optionsmodell – das sagt auch der Bundesrechnungshof, und dies zu Recht – verhindert ein einheitliches System der Grundsicherung der Arbeitslosen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Burgunde Grosse (SPD)]

Deshalb hoffe ich, dass es bei dem Kompromiss auf Bundesebene bleibt und dass wir die Berliner Jobcenter erhalten und verbessern können. Diese Debatte müssen wir dann auch führen, aber damit würde es dabei bleiben, dass es Leistungen aus einer Hand gibt. Ich glaube, das ist für die Arbeitslosen ein ausgesprochen großer Vorteil. Da augenblicklich alles offen ist – auch wenn Sie das Gegenteil behaupten –, würde ich darum bitten, dass auch Sie und die Kolleginnen und Kollegen der CDU sich bei Ihren Bundestagskollegen dafür einsetzen, dass es bei diesem Kompromiss bleibt. Und wir warten ab, was dabei herauskommt. Aber erst dann und nicht vorher haben wir eine Grundlage, auf der wir uns für oder gegen eine Option oder Sonstiges entscheiden können. Diese Grundlage brauchen wir. Ins Blaue darf man solche Entscheidungen nicht treffen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Burgunde Grosse (SPD) und Frank Zimmermann (SPD)]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Breitenbach! – Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Thiel für eine Kurzintervention. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Geschätzte Kollegin Breitenbach! Zwei Sachen lassen mich zu einer Kurzintervention greifen, um sie richtigzustellen: Nach dem SGB II § 6 sind die Kosten weiterhin zentral von der Bundesagentur zu erstatten. Das betrifft dann auch nicht die zu übernehmenden Stellen. Das müsste dann sondergeregelt werden. Aber hier ist eine Gesetzesgrundlage gegeben – der erste Punkt.

Der zweite Punkt, und der ist auch ganz wesentlich: Der gefundene Kompromiss – von dem ich hoffe und wovon ich ausgehe, dass er verabschiedet wird – wird nicht von den Kolleginnen und Kollegen der CDU oder der FDP infrage gestellt, sondern wenn überhaupt – so die Presse – ist es zurzeit die SPD, die die Nichtentsperrung der Stellen benutzt, um darüber neu nachzudenken, ob sie nicht den gesamten Kompromiss infrage stellt. Nur zur Richtigstellung: Wir halten an diesem Kompromiss fest, erstens weil wir den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts nachkommen wollen und zweitens weil wir darin eine Zukunft sehen, vernünftig weiterarbeiten zu können. – Danke schön!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Frau Breitenbach! Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie an dem Kompromiss fest. Das ist sehr gut. Ich setze da auf Sie. Aber wenn Sie daran festhalten, nutzt das auch nichts. Wichtig ist, dass Ihre Bundestagsfraktion daran festhält. Dafür werden Sie sich einsetzen – wunderbar!

Prinzipiell, muss man sagen, ist diese Bundesregierung nicht völlig plemplem. Denn eines macht sie nicht, sie sagt nicht: Wir geben euch das Geld, und ihr macht damit, was ihr wollt. – Das ist dann wie im wahren Leben: Wer das Geld gibt, entscheidet. Das wird auch bei den Optionskommunen in Zukunft so sein. Damit haben Sie ausgesprochen große Risiken, weil Sie diese Stellen bezahlen müssen. Der Bund gibt Ihnen doch nicht die Stellen und finanziert sie auch noch. Sie haben aber wenig zu entscheiden. So ist der jetzige Gesetzentwurf. Dann gucken wir, wie er zum Schluss aussieht, und dann reden wir noch einmal weiter darüber, Herr Thiel.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Breitenbach! – Das Wort hat nun Frau Kroll von der Fraktion der CDU. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Priorität der FDP beschäftigt sich mit einem sehr wichtigen Thema, mit einer Forderung bzw. wichtigen Entscheidung für Berlin, die weitreichende Folgen für die Betreuung und Vermittlung langzeitarbeitsloser Menschen haben wird. Es geht um die Frage, ob die Jobcenter und damit die Arbeitsvermittlung und Betreuung Langzeitarbeitsloser kommunalisiert werden soll oder ob die enge Kooperation zwischen der Agentur und dem Land Berlin beibehalten und weiterentwickelt werden soll. Doch die vorliegende Parlamentsinitiative biete dafür keine Grundlage, denn sie ist dafür zu oberflächlich und zu wenig problemorientiert. Ich möchte unsere Position weitergehend begründen.

Zunächst besteht der Antrag aus zwei Teilen, die völlig unterschiedlicher Qualität sind. Zuerst wird das Abgeordnetenhaus aufgefordert, die von der Bundesregierung beschlossene Gesetzesänderung zur Reform der Jobcenter zu begrüßen. Das halte ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, trotz der Freude über die gefundenen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt für entbehrlich, haben sich doch zwischenzeitlich alle Fraktionen – das haben wir auch gerade gehört – dem Grunde nach positiv geäußert.